«Viele sahen mich als Totengräber»

Der Präsident der SRG Deutschschweiz hat Radio DRS 3 einst in einen Mainstream-Sender verwandelt. Heute wirbt der Appenzeller für die Idee eines öffentlichen Medienhauses und warnt im Interview mit der «Ostschweiz am Sonntag» vor politischen Versuchen, die SRG zu schwächen.

Andreas Schefer, wir sind beim «Regionaljournal Ostschweiz» im Silberturm in St. Fiden. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag in diesem Radiostudio?
Andreas Schefer: Ich kam 1983 in den Silberturm, und der Chef sagte mir: Sie müssen heute an eine Pressekonferenz nach Herisau. Später sollte ich live im «Regionaljournal» berichten. Ans Thema erinnere ich mich nicht mehr. Es gab keine Einführung, keine Minute Sprechausbildung. Heute ist es manchmal das Gegenteil: Nachwuchsjournalisten besuchen erst viele Kurse, bevor sie losgelassen werden.

Sie begannen Ihre journalistische Karriere als Radioreporter?
Nein, ich fing nach der Kantonsschule Trogen mit einem Stage beim «Appenzeller Tagblatt» in Teufen an. Dessen Redaktionsleiter war Hans Höhener, der spätere Ausserrhoder Landammann und Verwaltungspräsident der Säntis-Schwebebahn AG. Er hat mir den Einstieg in den Journalismus ermöglicht. Damals stellten die Lokalausgaben des «St. Galler Tagblatts» noch die Ortskorrespondenten für das «Regionaljournal». So kam der Kontakt zum Radio zustande: Der St. Galler Radio- und Fernsehmoderator Beat Antenen lud mich zu einem Gespräch ein.

Das klingt nach einer unkomplizierten Bewerbung.
Es waren die goldenen 1980er-Jahre. Auf dem Medienmarkt war man auf der Suche nach Leuten. Beruflich stand einem alles offen. Es gab damals noch eine breite Printmedienlandschaft mit vielen unabhängigen Blättern: Die «Ostschweiz», der «Rheintaler» oder die «Rorschacher Zeitung». Der audiovisuelle Bereich befand sich noch im Aufbau, doch langsam ging es auch dort los.

Wie haben Sie es in die «Zentrale» geschafft?
Während meines Studiums in Zürich arbeitete ich weiter als Werkstudent für das «Regionaljournal». Mit Jana Caniga, der späteren «10vor10»-Moderatorin, berichtete ich aus dem St. Galler Grossen Rat. Mein zweiter Förderer, Hanspeter Trütsch, war damals Bundeshausredaktor für das Radio. Da im Ressort Inland eine Stelle frei war, fragte er mich und Jana Caniga, ob wir uns die Stelle teilen wollten. So ging ich nach dem Studium zur Mittagssendung «Rendez-vous» nach Bern, mein erster fester Job.

Da waren Sie ja fast schon im journalistischen Olymp.
Es war ein Zufall. Sie konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen und so wurde ich angefragt. Ich hatte mich auf die Stelle nicht beworben. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen.

Man hört die Stimme der Trägerschaft in letzter Zeit vermehrt in den Regionen; wir sind sehr föderalistisch strukturiert.

Seit Anfang Jahr sind Sie Präsident der SRG Deutschschweiz und stehen 16'500 Vereinsmitgliedern vor. Wo hört man die Stimme der Trägerschaft in der Service-public-Debatte?
Man hört sie in letzter Zeit vermehrt in den Regionen; wir sind sehr föderalistisch strukturiert. Ich persönlich äussere mich in den internen Gremien und nehme jede Gelegenheit wahr, mich in die öffentliche Diskussion einzubringen. Sei es in einem Interview oder in Gesprächsrunden. Aber wir müssen auch selbstkritisch sein: Die Debatte über das neue Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) im vergangenen Jahr war für die Trägerschaft ein Weckruf.

Inwiefern?
Die Trägerschaft war bei medienpolitischen Debatten lange zurückhaltend. Vielleicht sogar ein wenig träge. Im Vorfeld der RTVG-Abstimmung gab es eine gewisse Unsicherheit, wie stark wir uns überhaupt engagieren dürfen. Dies hatte FDP-Nationalrätin Petra Gössi im Vorfeld der Abstimmung mit einer Frage an den Bundesrat geklärt. Er antwortete, dass wir ziemlich freie Hand haben, uns öffentlich zu äussern.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem knappen Abstimmungsergebnis?
Wir müssen uns viel stärker engagieren und sichtbarer werden. Ich glaube, wir haben hier noch Potenzial. Die Zahl von rund 16'500 Mitgliedern in der gesamten Deutschschweiz ist nicht gerade umwerfend. Es ist aber auch klar, dass man in unseren Verein nicht mit 19 Jahren eintritt. Wir haben ein ähnliches Problem wie Parteien oder Kirchen. Die Sensibilität und das Interesse wachsen erst im Laufe des Lebens.

Wir müssen uns viel stärker engagieren und sichtbarer werden. Ich glaube, wir haben hier noch Potenzial.

Spüren Sie, dass die Bevölkerung hinter der SRG steht?
Ich glaube schon. Dabei müssen wir die öffentliche Diskussion von der Debatte in den Zeitungen unterscheiden. An unseren Jahresversammlungen gibt es immer eine Aussprache über das Programm. Meist stellen die Mitglieder inhaltliche Fragen. Zum Beispiel: Warum ist die Musik so laut und das gesprochene Wort so leise? Die hasserfüllte Attacke aus dem Publikum bleibt aus. Und es gibt durchaus kritische Mitglieder. Was ich jedoch glaube: Die SRG wird heute insgesamt kritischer betrachtet. Der frühere SRG-Generaldirektor Armin Walpen sagte einmal: Service public ist das, was wir tun. Punkt. Ende der Diskussion. Das geht heute nicht mehr.

Der politische und öffentliche Rückhalt für einen nationalen Rundfunk ist geschwunden. Woher kommt dieser Gegenwind?
Das hat verschiedene Gründe. Je jünger die Leute sind, desto geringer ist das Verständnis, dass man für Informationen zahlen muss. Dazu kommt, dass in der Medienbranche eine grosse Nervosität herrscht. Niemand weiss, wie sich die Werbeeinnahmen in Zukunft entwickeln werden. Gleichzeitig verdienen viele Verlage noch immer gutes Geld. Zum Beispiel Tamedia mit einer Gewinnmarge von zuletzt über zwölf Prozent. Das ist wirklich opulent.

Dennoch ist die Existenz vieler Zeitungsverlage bedroht. Soll die SRG im Internet Werbung verkaufen dürfen?
Das Internet ist einfach ein weiterer Verbreitungskanal. Es wäre absurd, der SRG zu verbieten, diesen Kanal zu nutzen. Die zentrale Frage ist jedoch, ob die SRG auch Online-Werbung schalten darf. In diesem Punkt habe ich ein gewisses Verständnis für den Widerstand der Verlage. Die Verleger brauchen die Einnahmen aus dem Online-Anzeigenbereich, um ihre Blätter künftig zu finanzieren. Ich werde die Verlage deshalb nie verteufeln. Es gibt aber auch politische Absichten, die SRG zu schwächen.

Zum Beispiel?
Es gibt Eigentümer, die ein Medium nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus politischen Gründen besitzen. So verfolgt Christoph Blocher als Miteigentümer der «Basler Zeitung» bestimmte politische Ziele. Auch aus diesem Grund engagiere ich mich für die SRG: Ein föderalistisches, unabhängiges, öffentliches Medienhaus finde ich aus staatspolitischen Gründen äusserst wichtig.

Das Internet ist einfach ein weiterer Verbreitungskanal. Es wäre absurd, der SRG zu verbieten, diesen Kanal zu nutzen.

Diese Woche wurde bekannt, dass der Verlegerverband gegen die Werbeallianz von SRG, Swisscom und Ringier vorgehen darf. Was kann die SRG tun, um diesen Streit zu lösen?
Das Bundesverwaltungsgericht hatte eine Verfahrensfrage zu klären und hat entschieden. Nicht gegen die SRG, sondern gegen das Departement UVEK. Persönlich finde ich, dass man Differenzen grundsätzlich nicht vor Gerichten, sondern in Gesprächen und Verhandlungen bereinigen sollte.

Wie gross wird die SRG in zehn Jahren noch sein?
Ich bin kein Prognostiker und kann nicht aus dem Kaffeesatz lesen. Die SRG wird in zehn Jahren jedoch bestimmt nicht grösser sein als heute. Die politischen Realitäten stehen einer solchen Entwicklung entgegen. So befürchte ich zum Beispiel, dass die CVP der SRG künftig kritischer gegenüberstehen wird. Die SRG-kritische Position des CVP-Parteipräsidenten Gerhard Pfister wird gegenüber der freundlichen Linie von Nationalrat Martin Candinas an Bedeutung gewinnen. Bis in zehn Jahren werden wir eine weitere Revision des Radio- und Fernsehgesetzes verabschiedet haben. Und wir werden leider eine andere Medienministerin haben. Bundesrätin Doris Leuthard hat die Bedeutung der SRG durchaus anerkannt, ohne ein glühender Fan zu sein. Ich finde übrigens die kürzlich lancierte Diskussion zum Begriff der Subsidiarität wirklich abstrus.

Sie meinen die Forderung, dass die SRG nur diejenigen Programme anbieten soll, die private Anbieter nicht rentabel betrieben können.
Ja. Das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass SRG-Sender keinen Wetterbericht mehr anbieten dürften. Auf privaten Lokalsendern wie TVO oder Tele Bärn kann ich schon heute den Wetterbericht verfolgen. Die Diskussion über das Prinzip der Subsidiarität ist ein genialer Schachzug der SRG-Kritiker. Das muss ich neidlos anerkennen. Denn dieser politische Begriff ist in unserer Gesellschaft positiv besetzt.

SVP-Nationalrat Gregor Rutz findet zum Beispiel, dass man SRF 3 oder Virus ersatzlos streichen könnte. Wie sehen Sie das als ehemaliger DRS 3-Chef?
Da fragen Sie natürlich den Falschen. Es geht nicht nur darum, was man macht, sondern auch wie man es macht. Sie könnten genauso gut sagen: Ich bezahle Gebühren und möchte ein Medienangebot haben, das hochwertig, unabhängig und föderalistisch ist. Auch das kann eine Definition von Service public sein.

Ich bezahle Gebühren und möchte ein Medienangebot haben, das hochwertig, unabhängig und föderalistisch ist. Auch das kann eine Definition von Service public sein.

Was halten Sie von der No-Billag-Initiative?
Diese Initiative ist ein plumper Etikettenschwindel. Das Ziel der Initianten ist schlicht und einfach die Abschaffung der SRG. Die Billag ist lediglich die Inkassofirma, welche die Gebühren eintreibt. Mit der Billag hat die Initiative unmittelbar nichts zu tun.

Einige Beobachter gehen davon aus, dass die Initiative keine Chance hat.
Es ist brandgefährlich, wenn man in einer politischen Debatte glaubt, man habe einen Sieg auf sicher. Ich werde mich selbstverständlich gegen diese Initiative engagieren. Aber zu sagen, die Initiative habe keine Chance, gleicht für mich eher einer Schlaftablette, die bewusst in den Diskurs gestreut wird.

Könnte man der Kritik mit einer Reduktion der Gebühren begegnen?
Mit welchem Ziel? Wollen Sie Sender schliessen?

Es gibt Kritiker, die sagen: Wir sind nicht grundsätzlich gegen die SRG, aber die Gebühren sind zu hoch.
Dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse hat sogar vorgeschlagen, die SRG in eine Produzentin von Inhalten umzubauen. Dieser Vorschlag irritiert mich. Was würde dies für die Medienvielfalt bedeuten? Ich verstehe nicht, was den Verlagen eine Reduktion der SRG-Gebühr auf 200 oder 300 Franken brächte. Eine zentrale Idee des Service public ist es, dass die Gebühren aus der Deutschschweiz auch die Angebote der kleinen Sprachregionen mitfinanzieren. Diese Solidarität wäre in Frage gestellt.

Eine zentrale Idee des Service public ist es, dass die Gebühren aus der Deutschschweiz auch die Angebote der kleinen Sprachregionen mitfinanzieren.

Die SRG steht vor Veränderungen. Als Programmleiter von DRS 3 und Virus haben Sie schon einmal einen radikalen Wandel miterlebt. Was war Ihre Aufgabe?
Ich war damals Chef von über 100 Mitarbeitern. Wir haben viel Publikum verloren, weil es zwischen DRS 1 und DRS 3 eine riesige Lücke gab. Deshalb entschieden wir, mit DRS 3 ein älteres Publikum anzusprechen und DRS 1 leicht zu verjüngen. Mit dem neuen Sender Virus schufen wir zudem einen Jugendkanal. Das realisierten wir über die Auswahl der Musik, aber auch über die Art der Moderation und die Beiträge.

Sie haben dadurch das Programm dem Mainstream angepasst.
Ja. Viele waren darüber nicht erfreut und sahen mich als Totengräber. Der Anstoss zur Veränderung kam auch vom damaligen Generaldirektor Armin Walpen. Bei meinem Antrittsgespräch sagte er mir: Ich will nicht, dass DRS 3 ein «Couleur trois pour cent» wird, ein Sender für eine Minderheit. Der welsche Jugendkanal Couleur 3 hatte zwar ein hervorragendes Image, aber eine miese Quote.

War DRS 3 schon damals eine Talentschmiede?
DRS 3 war seit Beginn eine Talentschmiede. Ich habe unter anderen Mona Vetsch, Mario Torriani, Nik Hartmann und Sven Epiney eingestellt. Aber auch der Jugendsender Virus ist eine Talentschmiede. Mario Grossniklaus begann zum Beispiel dort seine Karriere, heute moderiert er die «Arena» und ist stellvertretender Chef der «Tagesschau». Virus war von Anfang an ein Labor, in dem man Zeug entwickeln kann.

Hier im Silberturm begannen Sie Ihre Karriere. Was verbindet Sie heute noch mit der Ostschweiz?
Ich besuche oft Freunde in der Ostschweiz. Hier hatte ich einfach eine wahnsinnig gute Zeit. Auch in der Kanti Trogen, obwohl ich ein grausam schlechter Schüler war. Als Jugendlicher hatte ich zwei aufwendige Hobbies: Ich machte Leichtathletik wie ein Wahnsinniger, und ich habe geschrieben. Alle zwei Wochen besuche ich meine Mutter in Appenzell. Sie sammelt interessante Artikel und schnürt sie zu einer Ostschweizer Presseschau. Meistens lese ich sie im Zug von Appenzell nach Bern.

Wie nehmen Sie die Ostschweiz heute aus dem fernen Bern wahr?
Ich frage mich, warum die Ostschweiz kein grösseres Selbstbewusstsein hat. So war ich fassungslos über die klare Ablehnung der geplanten Expo an der Urne. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Ostschweizer zu schnell jammern. Im Berndeutschen hat man dafür den Begriff «Gränni». So gab es lauten Protest, als diskutiert wurde, dass der Schnellzug künftig nicht mehr in Flawil halten sollte. Aus der Distanz betrachtet sieht es ein wenig anders aus. Der Intercity fährt ja auch an grösseren Städten wie Olten und Aarau vorbei. Vielleicht wäre für die Ostschweiz die Expo wichtiger gewesen als ein Halt in Flawil.

Text: Ostschweiz am Sonntag, Michael Genova, Patrik Kobler (erschienen am 9. Oktober 2016; mit freundlicher Genehmigung zum Abdruck)

Bild: SRG.D, Oscar Alessio

Zur Person

Seit Anfang Jahr ist Andreas Schefer Präsident der SRG Deutschschweiz. Von 1989 bis 2006 arbeitete er in verschiedenen Führungsfunktionen für das Schweizer Radio, unter anderem als Programmleiter von DRS 3. Der 55-Jährige ist Bürger von Teufen und besuchte die Kantonsschule Trogen. Die Taschenuhr (Bild) hat er von seinem Grossvater geerbt, der in Wald AR eine Metzgerei führte. Schefer lebt mit seiner Partnerin in Bern. (mge)

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