«Kassensturz»-Beitrag über teure neue Krebsmedikamente beanstandet

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Mit Ihrem Schreiben vom 18. März 2017 haben Sie das Studiogespräch zum Beitrag «Das Geschäft mit Krebs: Handel mit der letzten Hoffnung»[1] in der Sendung «Kassensturz» vom 28. Februar 2017 beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

Im Kassensturzbeitrag geht es um ein teures neues Medikament, das Brustkrebs für einige Monate stoppen soll. Es wird Hersteller Pfizer dieses Jahr einen Milliarden-Umsatz einbringen. In der Sendung warnen Krebsärzte und Gesundheitsökonomen davor, dass solch teure Krebsmedikamente bald nicht mehr allen Kranken zur Verfügungen stehen könnten. Anschliessend folgt das von Ihnen beanstandete Studiogespräch mit Thomas Cueni vom Weltpharmaverband IFPMA.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Sie haben der Beanstandung zusätzlich den E-Mail-Verkehr zwischen Ihnen und Herrn Schmezer, Redaktion «Kassensturz/Espresso», beigefügt.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Frau Ursula Gabathuler, Redaktionsleiterin «Kassensturz/Espresso» schrieb:

Zur Beanstandung von X gegen den «Kassensturz»-Beitrag vom 28. Februar 2017 zum Thema «Das Geschäft mit Krebs: Handel mit der letzten Hoffnung» nehmen wir gerne Stellung.

https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/das-geschaeft-mit-krebs-handel-mit-der-letzten-hoffnung

Zur Form schreibt X: «Es geht nicht an, dass der Interviewer den Interviewten mehrmals unterbricht, um ihm mit in aggressivem Ton und mit feindschaftlichem Gesichtsausruck übers Maul zu fahren.»

Was «aggressiv» ist und was nicht, was ein «feindschaftlicher Gesichtsausdruck» ist und was nicht, ist eine subjektive Empfindung. Sie sei Herrn X unbenommen. Ueli Schmezers Gesichtsausdruck während des Gesprächs nehmen wir eher als freundlich und konzentriert wahr.

Dass der Moderator den Interviewten unterbricht, wenn er vom Thema abweicht, sich wiederholt, die Frage nicht beantworten oder ablenken will, ist eine der Hauptaufgaben des Moderators in einem konfrontativen Gespräch. Es trifft zu, dass dies in diesem Gespräch oft geschehen ist. Jedoch nicht, weil es so geplant war, sondern weil Thomas Cueni dazu Anlass gab. Ueli Schmezers Interventionen waren inhaltlich begründet. Er reagierte auf Aussagen Cuenis, die geeignet waren, Zuschauende, die sich mit dem Thema nicht auskennen, in die Irre zu führen. Dass Thomas Cuenis Aussagen umstritten sind, zeigt auch die Antwort von BAG-Direktor Pascal Strupler in der nachfolgenden Sendung «Club» auf Cuenis Standardaussage, dass Krebsmedikamente nur 1 Rappen von einem Franken Gesundheitskosten ausmachten. Pascal Strupler sagte, dass Cueni mit seinen Aussagen die Kosten regelmässig falsch darstelle.

Nachzusehen unter:

http://www.srf.ch/sendungen/club/teure-medikamente-nicht-mehr-fuer-alle, Timecode 13:40

Wir räumen ein, Ueli Schmezer hätte gegen Ende des Gesprächs Thomas Cueni etwas mehr Raum geben sollen. Es gilt aber zu bedenken, dass in einem Live-Interview Entscheide, ob und wie zu intervenieren ist, in Sekundenbruchteilen gefällt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Zeit begrenzt ist und Interviewpartner gegen Schluss oft ausufern, weil sie wissen, dass dem Moderator keine Zeit mehr zum Widerspruch bleibt. Das führt dazu, dass der Moderator den Gast gegen Schluss des Gesprächs besonders eng führen muss.

Zum Inhalt schreibt X, dass Ueli Schmezer der Pharmaindustrie unterstelle, sie betreibe eine eiskalte gewinnorientierte Preispolitik und damit insinuiere, die Pharmaindustrie sei ein zentraler Kostentreiber der allgemeinen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.

«Kassensturz» zeigt die Kostenentwicklung der Krebsmedikamente im Beitrag auf: 2007 gaben die Kassen für Krebsmedikamente in der Grundversicherung 213 Millionen Franken aus. 2016 waren es 636 Millionen (Quelle Santésuisse/Helsana). Krebsmedikamente machen in der Grundversicherung 10% der Medikamentenkosten aus. Diese Zahlen lassen den Schluss zu, dass Krebsmedikamente ein wichtiger kostentreibender Faktor sind.

Die hochpreisigen Krebsmedikamente sind Dauerthema in der US-Politik, sie führen in England zu Rationierungen und werden vom deutschen IQWIG kritisch auf ihren Zusatznutzen überprüft. In der Schweiz befürchten Ökonomen (siehe Beitrag) und Onkologen (siehe Beitrag), dass bald nicht mehr allen Patientinnen und Patienten alle Krebsmedikamente zur Verfügung stehen. Behandlungskosten von mehreren Hunderttausend Franken pro Jahr pro Patient sind gesundheitsökonomisch und gesellschaftspolitisch ein unbestritten wichtiges Thema. Mittlerweile proklamieren sogar die CEOs von Novartis und Roche neue Preismodelle für Krebsmedikamente. Dass eine Entwicklung, die in diese Richtung weitergeht, für die Allgemeinheit irgendwann nicht mehr tragbar ist und letztlich die Zukunft und die Grundidee der sozialen Krankenversicherung gefährdet, ist ohne weiteres nachvollziehbar und offensichtlich. Darauf basieren die letzten Fragen des Interviews.

Dass die Pharmaindustrie gewinnorientiert arbeitet, dürfte auch die Branche selber nicht bestreiten. Verkauf- und Marketingkosten übersteigen bei den grössten pharmazeutischen Unternehmen die Kosten für Forschung und Entwicklung, diese Zahlen wurden in der Fachpublikation «Nature» März 2017 (Prasad et al) veröffentlicht. Allein die Literaturhinweise zeigen, wie gut dokumentiert das Thema ist. Roche, Leader auf dem Gebiet der Krebsmedikamente, konnte seinen Gewinn auch 2016 wieder steigern. Das Unternehmen verdiente letztes Jahr 10 Milliarden Franken.

Darüber hinaus hat Moderator Ueli Schmezer im Gespräch aufgezeigt, dass die Pharmaindustrie sich in der Preisgestaltung längst nicht mehr an den Kosten für Forschung, Entwicklung, Produktion plus Marge orientiert. Thomas Cueni sagte selber ausdrücklich, der Preis eines Medikaments müsse dem «Wert» entsprechen, den es für die betroffene Person hat.

Konfrontiert hat Moderator Ueli Schmezer Thomas Cueni konkret auch mit der Preisfindung für Ibrance in den USA: Dort hat Hersteller Pfizer Onkologen befragt, bei welchem Betrag preislich die Schmerzgrenze liege. Den Preis setzte Pfizer dann leicht tiefer an, als den Beitrag, den diese Umfrage ergab. Auch vor diesem Hintergrund sind kritische Fragen an der Direktor des Weltpharmaverbandes bezüglich «gewinnorientierte Preispolitik» angebracht.

Wir sind der Ansicht, dass der «Kassensturz» mit dem Bericht einen wichtigen Beitrag zu einem gesellschaftspolitisch relevanten Thema geleistet hat. Der Themenabend in Zusammenarbeit mit der Sendung «Club» sollte dazu beitragen, dass sich das Publikum selber eine Meinung bilden kann zu den Vorgängen in der Gesundheitspolitik.

Deshalb bitte ich Sie, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen.

Vielen Dank.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung.

Nach einer für Sie unbefriedigenden E-Mailantwort von Ueli Schmezer auf Ihre E-Mail vom 28.02.2017 haben Sie sich an die Ombudsstelle der SRG.D gewandt. Sie beanstanden darin sowohl Form als auch Inhalt des Interviews von Herrn Ueli Schmezer mit Herrn Thomas Cueni, Generaldirektor des Weltpharma-Verbandes IFPMA.

Zur Form: In einem Format wie dem Kassensturz, wo es um den Konsumentenschutz geht, liegt es auf der Hand, dass der Interviewstil hart sein muss, schliesslich geht es darum, dass sich der Interviewer für das Publikum einsetzt. Konkret nimmt Herr Schmezer die Rolle des Widerparts ein. Er konfrontiert also sein Gegenüber mit Widersprüchen und Schwachstellen, nimmt die Sichtweise des Gegners ein. Insofern darf, ja muss Herr Schmezer seinen Interviewpartner unterbrechen, ihn mit seinen Argumenten konfrontieren und auf nicht beantwortete oder ausweichend beantwortete Aussagen hinweisen. Die Art und Weise wie dies geschieht, hängt stark von der jeweiligen Situation ab. Wer sich in die Sendung «Kassensturz» begibt, weiss um diese Art des Interviews, kennt die Herausforderungen, kann sich vorbereiten und entsprechend agieren. Vor seiner Karriere im pharmazeutischen Bereich arbeitete Herr Cueni als Journalist, unter anderem als London-Korrespondent für die «Basler Zeitung» und «Der Bund». Er war ausserdem Schweizer Berufsdiplomat mit Entsendungen nach Paris (OECD) und Wien (IAEA, UNIDO).[2] Er ist also bestens gerüstet, sich in einem hart geführten Interview wehren zu können.

Je nach Standpunkt eines Zuschauers kann diese Interviewform entweder genau richtig oder sogar inakzeptabel sein. Der Kassensturz ist per se kritisch, das darf und muss er sein. Entscheidend ist aber, dass diejenigen, die kritisiert werden, sich entsprechend wehren können. Wer heftig kritisiert wird, erhält Gelegenheit zur Replik. Das war in dem von Ihnen beanstandeten Studiogespräch der Fall.

Zum Inhalt: Im Beitrag wird dem Publikum aufgezeigt, dass Krebsmedikamente 10% der Medikamentenkosten in der Grundversicherung ausmachen. Diese Zahl ist eindrücklich, ebenso die Tatsache, dass die Kosten für Krebsmedikamente in der Grundversicherung in den letzten zehn Jahren auf das Dreifache angestiegen sind. Die Überlegung, dass Krebsmedikamente ein kostentreibender Faktor sind, leuchtet durchaus ein. Es kommen verschiedene Experten zu Wort, die die Kosten und die Folgen der teuren Medikamente kritisch einschätzen, so u. a. Guido Klaus, Leiter Ökonomie und Politik Helsana und der Onkologe Franco Cavalli. Dieser spricht von «irrsinnigen» Medikamentenpreisen, die niemand tragen kann. Er meint denn auch, dass die Pharma – losgelöst von Forschung- und Herstellungskosten – den Peis diktiere.[3] Herr Klaus kritisiert zudem, dass weder Kassen noch Patientenorganisationen gegen einmal festgelegte Pharmapreise vorgehen könnten. Ueli Schmezer nimmt diese Hintergründe in seinem Interview auf und konfrontiert sein Gegenüber.

Wichtig für die Information des Publikums ist, dass Inhalte der kritischen Befragung anschliessend in der Sendung «Club» noch vertieft diskutiert wurden[4]. Ausserdem steht Interessierten ein umfassendes Onlineangebot zur Verfügung, welche u. a. auch die Sicht einer Medizinethikerin aufzeigt und weitere Servicedienstleistungen bringt.

Insgesamt kann sich das Publikum einen facettenreichen Überblick über die Thematik machen, es stehen ihm verschiedenste Quellen und Expertenaussagen zur Verfügung. Ihren Vorwurf, dass das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt wurde, kann ich nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner, stellvertretender Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/das-geschaeft-mit-krebs-handel-mit-der-letzten-hoffnung

[2] https://www.ifpma.org/wp-content/uploads/2017/02/IFPMA_News_Release_Thomas_Cueni_German.pdf

[3] https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/das-geschaeft-mit-krebs-handel-mit-der-letzten-hoffnung

[4] http://www.srf.ch/sendungen/club/teure-medikamente-nicht-mehr-fuer-alle

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