SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Schweiz aktuell»-Beitrag über Kandidatur von Geri Müller beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 8. September 2017 beanstandeten Sie den Beitrag „Geri Müller will noch einmal“ in der Sendung „Schweiz aktuell“ (Fernsehen SRF) vom 7. September 2017.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich erhebe Einsprache und Beschwerde gegen den Beitrag in der Sendung, SRF Schweiz Aktuell Zeit : 19:00h ( 07.09.2017) - Geri Müller will nochmals zur Wahl antreten, als Stadtammann von Baden. Was sich SRF geleistet hat, ist einfach unfassbar. Da wird Geri Müller von SRF im Wahlkampf 5 Minuten lang begleitet, und in verschiedenen Gesprächen mit Wählern/innen gefilmt. Natürlich darf die Lebenspartnerin ebenfalls nicht fehlen, verschiedene Personen sind involviert, mit Rechtfertigungen, alles was passiert sei, im grünen Bereich. Der Beitrag von SRF ist einfach pure Wahlhilfe für Geri Müller, die Wahl findet in 2 Wochen statt. Ich fordere Ausgewogenheit für alle, darum sollen alle diejenigen, welche sich ebenfalls zur Wahl stellen, gleich lange Spiesse haben und ebenfalls sich im Fernsehen präsentieren können. Was sich das Schweizer-Fernsehen da geleistet hat, hat mit Fairness nichts am Hut und von einem Service public ist dies weit daneben. Schauen Sie sich diese Sendung an, daneben liege ich nicht.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die Sendung „Schweiz aktuell“ antwortete deren Redaktionsleiter, Herr Dr. Basil Honegger:

„Herr X beanstandet den Beitrag ‚Geri Müller will noch einmal‘, welchen wir am
7. September 2017 ausgestrahlt haben.

Anlass für unsere Berichterstattung war die anstehende Wahl des Stadtammanns in Baden. Zu den Kandidaten gehört auch Geri Müller, amtierender Stadtammann, ehemaliger Nationalrat und einer der umstrittensten Politiker der Schweiz. Der Beitrag begleitet Geri Müller zu einem wichtigen öffentlichen Auftritt und geht der Frage nach, wie weit die Nacktselfie-Affäre seine aktuelle Kandidatur heute noch überschattet und wie er damit umgeht.

Der Beanstander ist nun der Meinung, dass der Beitrag ‚pure Wahlhilfe‘ für Geri Müller sei und mit ‚Fairness nichts am Hut‘ hatte. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

1. Öffentliches Interesse

Von den vier Kandidaten um das Badener Stadtpräsidium ist Geri Müller bei weitem der bekannteste – und zwar auf kommunaler, kantonaler wie auch nationaler Ebene. Dies nicht nur, weil der grüne Politiker amtierender Stadtammann von Baden und ehemaliger Nationalrat ist, sondern auch, weil dem Publikum seine Nacktselfie-Affäre, die damals schweizweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, immer noch lebhaft in Erinnerung ist. Entsprechend wurde er bereits in der Moderation als ‚einer der umstrittensten Politiker der Schweiz‘ bezeichnet. Das öffentliche Interesse an seiner Person ist also ungleich grösser als das öffentliche Interesse an den übrigen Kandidierenden, die sich bisher vor allem in kommunalen Belangen engagiert haben.

Schweiz Aktuell berichtet über regionale Ereignisse von nationalem Interesse. Die Wahl in Baden, welches rund 19'000 Einwohner zählt, ist nicht per se von nationalem Interesse – sie wird es aber durch die erneute Kandidatur von Geri Müller. Die Frage, wie ein Politiker nach einer solchen Affäre seinen Sitz verteidigen will, ist journalistisch interessant und für unser Publikum durchaus spannend. Aus diesem Grund haben wir uns überhaupt entschieden, über die Wahl und die Kandidatur von Geri Müller zu berichten.

Auch andere Medien haben im Zusammenhang mit der Wahl in Baden den Fokus auf Geri Müller gesetzt. So schrieb zum Beispiel der Tagesanzeiger am 5. September 2017 im Artikel ‚Geri Müllers schwerste Wahl‘: <Am 24. September wählt Baden seinen Stadtammann. Dann wird sich zeigen, ob das Stimmvolk Geri Müller seine Selfie-Eskapade verziehen hat. (...) Diese Wahl bewegt Baden und interessiert weit über die Kleinstadt hinaus: Schafft Geri Müller die Wiederwahl zum Stadtammann nochmals?>

Auch die NZZ berichtete diese Woche, am 19. September 2017, ausführlich über Geri Müllers Kandidatur und den Einfluss der Nacktselfie-Affäre: <Seit der Affäre um pornografische Selfies ist der Badener Stadtammann Geri Müller umstrittener als je zuvor. Ihn abzuschreiben, wäre jedoch voreilig.>

Indem wir den Fokus auf Geri Müller und seine Hypothek im Wahlkampf legten, ging es uns keinesfalls darum, ‚Wahlhilfe‘ für ihn zu betreiben. Es ging uns einzig darum, unserem nationalen Publikum den interessantesten Aspekt des Wahlkampfes in Baden aufzuzeigen – einen Wahlkampf, über den wir sonst nicht berichtet hätten.

2. Kritische Berichterstattung

Der Beitrag war unserer Ansicht nach keine Gratiswerbung für Geri Müller, sondern stellte ihn durchaus kritisch dar. So wurde die für ihn offensichtlich nachteilige Nacktselfie-Affäre ausführlich thematisiert. Im Beitrag hiess es wörtlich:

<Bade seg hüt attraktiver denn je, seit de Geri Müller. Beschti Vorussetzige also, wiedergwählt ds werde - wäri da nüd d'Selfie-Affäre, d'Nacktbilder, wo de Geri Müller vo sich us em Stadthus verschickt het.

De Mediesturm, wo im Auguscht 2014 wäge de Nackt-Selfies übere Geri Müller prasslet, isch gewaltig gsi. ‚Grüsel-Geri‘ het de Blick titlet - und ähnlich hets bi anderne Zietige tönt.

O-Ton Geri Müller: ‚Ich habe mich geschämt, geschämt vor mir, vor meiner Partnerin, vor meiner Stadt, die ich über alles liebe, vor der ganzen Welt und schäme mich auch vor ihnen.‘>

Im Beitrag wurde auch explizit erwähnt, dass seine Wahlchancen nicht sehr gut stehen, weil nicht einmal die linke Seite geschlossen hinter ihm steht:

<De Geri Müller dürftis trotzdem schwer ha, wiedergwählt ds werde. D'SP het Stimmfreigab beschlosse, will mit em parteilose Erich Obrischt en ehemalige SP'ler kandidiert, wo am Geri Müller Stimme wegnimmt. Und das isch nume EINE vo insgesamt drü Herusforderer.>

Zu einer kritischen, differenzierten Berichterstattung gehört es aber nicht nur, heikle Punkte zu erwähnen, sondern auch, falsche Vorurteile zu beseitigen. In diesem Sinne ordnet der von uns interviewte Baden-Experte Stefan Ulrich die Nacktselfie-Affäre für das Publikum ein:

O-Ton Stefan Ulrich, Badenexperte Radio SRF

<Viele Leute sagen, wegen dem sei er nicht wählbar. Er habe das Amt entwürdigt. Dass er publizistisch völlig rehabilitiert ist, weil das als reine Privatsache deklariert wurde vom Presserat, wissen die meisten nicht. Und strafrechtlich kann man ihn überhaupt nicht belangen. Er hat nichts Falsches gemacht.>

Eine kritische Berichterstattung bedeutet im konkreten Fall also auch eine Richtigstellung der Vorurteile, die aufgrund von Medienberichten in weiten Teilen der Bevölkerung Geri Müller gegenüber immer noch herrschen. Es handelt sich dabei keineswegs um ‚Wahlhilfe‘, sondern schlicht um eine Klarstellung, damit sich das Publikum eine eigene Meinung über das Verhalten von Geri Müller und dessen Wählbarkeit bilden kann.

3. Andere Kandidaten

Auch wenn der Fokus klar auf Geri Müller lag, so wurden die anderen Kandidaten im Beitrag doch erwähnt und gezeigt. Eine Beitragsstelle zeigte den parteilosen Kandidaten Erich Obrist im Gespräch mit Geri Müller.

Wörtlich hiess es im Beitrag dazu:

<De Geri Müller dürftis trotzdem schwer ha, wiedergwählt ds werde. D'SP het Stimmfreigab beschlosse, will mit em parteilose Erich Obrischt en ehemalige SP'ler kandidiert, wo am Geri Müller Stimme wegnimmt.>

Im Anschluss an obige Textstelle erschien ein Bild von allen vier Kandidaten im Beitrag mit dem Hinweis, dass Erich Obrist <nume eine vo insgesamt drü Herusforderer> sei. Die Abmoderation zeigte dasselbe Bild der vier Kandidaten nochmals und nannte die drei Konkurrenten von Geri Müller zusätzlich namentlich.

Wörtlich hiess es in der Abmoderation:
<Und mir heis ghört, dr Geri Müller bechunnt grad drüfach Konkurränz: Für ds Stadtpräsidium kandidiere nämlech ono dr Erich Obrist, parteilos, hie ganz links, dr Markus Schneider vo dr CVP, und mit dr äbefalls parteilose Sandra Kohler zum erschte Mal o e Frou.>

Die anderen Kandidaten und ihre Parteizugehörigkeit wurden im Beitrag also explizit und an prominenter Stelle – nämlich in der Abmoderation ­– genannt.

An anderer Stelle hat SRF übrigens auch über die anderen Kandidaten ausführlicher berichtet.[2]

4. Zeitpunkt der Ausstrahlung

Der wichtigste Schauplatz des Beitrages war die Badenfahrt, welche vom 18.- 27. August 2017 stattfand. Die Badenfahrt ist mit über einer Million Besuchern eines der grössten Volksfeste der Schweiz und findet nur alle zehn Jahre statt. Die Badenfahrt und ihre Bedeutung für die Stadt Baden wurden im Beitrag deutlich erwähnt wird. Wörtlich hiess es:

<D'Badefahrt: das seg meh als eifach nume s'gröschte Volksfescht vom Kanton Aargau. D'Badefahrt isch typisch Bade!>

Der öffentliche Auftritt der Kandidaten an diesem Anlass ist also von erheblicher Bedeutung. Für Geri Müller, dem amtierenden Stadtammann, der sich – trotz harscher Kritik auch von der Öffentlichkeit – zur Wiederwahl stellt, war der öffentliche Auftritt an dieser ersten Badenfahrt nach seinem Fehltritt in besonderem Masse von Bedeutung. In unserem Beitrag wollten wir deshalb aufzeigen, wie Geri Müller mit seinem Handicap an der Badenfahrt auftritt und wie die Besucher dieses speziellen Anlasses auf ihn reagieren.

Nicht zuletzt haben wir uns auch darum für diesen Schauplatz entschieden, weil bis zu diesem Zeitpunkt ansonsten noch kaum Wahlkampf in Baden stattgefunden hat. So fand das erste Podium beispielsweise erst nach der Badenfahrt statt. Offenbar hatten die Kandidierenden sogar gemeinsam beschlossen, den Wahlkampf bis zur Badenfahrt ruhen zu lassen. So meinte Geri Müller in der NZZ online vom 10. August 2017:[3] <Eigentlich haben wir abgemacht, dass wir den Wahlkampf bis zur Badenfahrt ruhen lassen (...), aber einige haben das offenbar vergessen.> Mit anderen Worten, der eigentliche Wahlkampf begann erst nach der Badenfahrt.

Die Ausstrahlung des Beitrages war ursprünglich Ende August geplant (direkt nach der Badenfahrt). Zu diesem Zeitpunkt hielten jedoch die dramatischen Ereignisse in Bondo die Schweiz in Atem (erster Felssturz am 23. August). Schweiz Aktuell berichtete jeden Tag bis und mit dem 6. September über die Entwicklungen in Bondo. Am 7. September war der erste Tag, an dem die Ereignisse in Bondo schliesslich nicht mehr im Fokus standen und wir wieder Raum für andere Themen hatten. An diesem 7. September haben wir auch den beanstandeten Beitrag gesendet, den wir aus den genannten Aktualitätsgründen leider um ein paar Tage verschieben mussten.

5. Fazit

Es ist uns bewusst, dass wir in einer wichtigen Phase des Wahlkampfs einen Beitrag ausgestrahlt haben, der einen einzelnen Kandidaten ins Zentrum stellte. Trotzdem sind wir der Meinung, dass wir damit den Wahlkampf nicht beeinflusst haben.

Im Fokus unseres Berichts stand die Frage, wie sich Geri Müllers Nacktselfie-Affäre auf den Wahlkampf auswirkt. Erst durch diese Fragestellung wurde die Wahl in Baden für unser schweizweites Publikum überhaupt erst interessant und für uns berichtenswert.

Mit Geri Müller stand dabei einer der umstrittensten und – spätestens seit der Nacktselfie-Affäre – auch einer der schweizweit bekanntesten Politiker im Zentrum unseres Berichts. Die übrigen drei Kandidaten sind hingegen kaum über die Kleinstadt Baden hinaus bekannt. Das Bekanntheitsgefälle ist also so gross, dass wir es mit unserem Bericht kaum verschärfen konnten. Es handelt sich hier also unserer Ansicht nach um einen Sonderfall. Zudem war der Bericht kritisch und differenziert. Von einer ‚puren Wahlhilfe‘ kann also nicht gesprochen werden.

Der Beitrag sollte ursprünglich anlässlich der Badenfahrt ausgestrahlt werden – ein Anlass von besonderer Bedeutung für Geri Müller und der eigentliche Auftakt zum Wahlkampf in Baden. Aus Aktualitätsgründen sahen wir uns schliesslich gezwungen, den Beitrag erst ein paar Tage nach dem Anlass auszustrahlen.

Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass unser Beitrag angemessen war und sich das Publikum jederzeit eine eigene Meinung bilden konnte. Wir sind überzeugt, dass der beanstandete Beitrag die anstehenden Wahlen in keiner Weise unrechtmässig beeinflusst und bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der Beitrag behandelte den Wahlkampf von Geri Müller, der als Stadtammann von Baden (Aargau) wiedergewählt werden will. Die Stadt Baden wählt am 24. September 2017 sowohl den siebenköpfigen Stadtrat als auch den Stadtammann. Stadtammann kann nur werden, wer auch als Stadtrat gewählt ist. Für den Stadtrat kandidieren 10 Personen, nämlich zwei vom team Baden (Grüne), die dem Stadtrat beide schon angehörten – darunter Geri Müller -, zwei Bisherige der CVP, ein Bisheriger und eine Neue der SP, 2 Neue der FDP sowie zwei Parteilose, von denen einer schon bisher im Stadtrat sass. Drei werden es auf jeden Fall nicht schaffen.

Als Stadtammann kandidieren:

  • Geri Müller (team Baden; Grüne), bisheriger Stadtammann[4]
  • Markus Schneider (CVP), bisher Stadtrat und Vizeammann[5]
  • Erich Obrist (parteilos, früher SP), bisher Stadrat[6]
  • Sandra Kohler (parteilos), neu[7]

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es für das Amt des Stadtammanns zu einem zweiten Wahlgang kommt, weil beispielsweise niemand das absolute Mehr erreicht oder jemand zum Stadtammann erkoren worden ist, der nicht gleichzeitig die Wahl in den Stadtrat geschafft hat.

Der 57jährige Geri Müller, ausgebildeter psychiatrischer Pflegefachmann und langjähriger Berufsschullehrer, ist schon lange auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene politisch engagiert. 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt, 2006 kam er in den Stadtrat von Baden, 2013 gelang ihm die Wahl zum Stadtammann. Dieser Sprung war nicht selbstverständlich, denn politisch war Geri Müller schon damals umstritten, hatte er sich doch immer wieder pointiert links exponiert. Vor allem aber wurde er angefeindet, weil er, der zwei Jahre lang Präsident der aussenpolitischen Kommission des Nationalrates war, sich dezidiert für die Sache der Palästinenser aussprach. Einen Knick in seiner Karriere und vor allem in seinem Ansehen bedeutete indes die durch die Zeitung „Schweiz am Sonntag“ 2014 publik gemachte Selfie-Affäre. Die unmittelbare Folge war, dass er in der Ressortverantwortung als Stadtammann befristet teilweise suspendiert wurde. Zwar verurteilte der Schweizer Presserat die Publikation dieser Affäre aufs Deutlichste, weil es sich um eine private Angelegenheit handelte, die keinerlei Rechtsnormen verletzte[8], aber der moralische Schaden war angerichtet. 2015 verzichtete Geri Müller auf die erneute Kandidatur als Nationalrat. Stadtammann hingegen will er bleiben.

Just davon handelte die Sendung auf „Schweiz aktuell“. Die Relevanz des Themas und damit das öffentliche Interesse sind unbestritten: Geri Müller ist eine Figur von nationaler Bekanntheit. Deshalb interessiert die Stadtammannwahl in Baden auch außerhalb dieser Stadt und außerhalb des Aargaus, abgesehen davon, dass Wahlen, auch lokale, per se wichtig sind, weil sie Weichen im demokratischen Prozess stellen. Diskutiert werden müssen hingegen der Zeitpunkt und die Form der Ausstrahlung.

Der Zeitpunkt der Ausstrahlung liegt eindeutig innerhalb der heiklen Periode vor Wahlen, also in jener, in der besondere journalistische Sorgfalt gefordert ist und in der das Vielfaltsgebot spielt. Wie lange dauert diese Periode? Die „Publizistischen Leitlinien“ von Schweizer Radio und Fernsehen[9] sprechen von drei Wochen vor dem Wahl- oder Abstimmungstermin. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), deren Spruchpraxis den „Publizistischen Leitlinien“ übergeordnet ist, hat im Entscheid b. 713 vom 26. Oktober 2015[10] von acht Wochen gesprochen. Dagegen erhob sich in den Rängen von SRF Widerstand, so dass sich die realistische Periode jetzt wohl auf sechs Wochen einpendelt. Denn man muss sich Rechenschaft darüber ablegen, dass beispielsweise Abstimmungskämpfe jeweils mit der Medienkonferenz des Bundesrates beginnen, und diese findet in der Regel zwei Monate vor dem Termin statt, und dass die Wahl- und Abstimmungsunterlagen den Stimmberechtigten deutlich mehr als einen Monat vor dem Termin zugestellt werden, so dass die Stimmabgabe schon sehr früh möglich ist. Die beanstandete Sendung wurde 17 Tage vor dem Wahltermin ausgestrahlt, lag also sowohl innerhalb der drei Wochen und erst recht innerhalb der sechs oder der acht Wochen. Der Beitrag musste folglich besonders strengen Kriterien genügen.

Tat er das? Wir können den Beitrag mit drei anderen Beiträgen vergleichen, die ebenfalls in der heißen Phase vor einer Wahl ausgestrahlt wurden: mit dem Fall Corminboeuf, mit dem Fall Schawinski-Rechsteiner und mit dem Fall Friedli. Im Fall Corminboeuf[11] hatte das Bundesgericht ein positives, unkritisches Porträt eines Freiburger Regierungsrates kurz vor den Wahlen als unvereinbar mit dem Vielfaltsgebot und mit dem Sachgerechtigkeitsgebot erklärt. Im Fall Schawinski-Rechsteiner[12] hatte die UBI in einem knappen Entscheid das Gespräch von Roger Schawinski mit dem St. Galler Ständeratskandidaten Paul Rechsteiner deshalb als programmrechtlich gerade noch akzeptabel beurteilt, weil der Politiker sehr kritisch befragt worden war. Im Fall Friedli[13] hatte ich 2016 einer Beanstandung gegen ein Porträt der St. Galler Regierungskandidatin Esther Friedli zugestimmt, weil sie einseitig unkritisch und sympathisch dargestellt wurde und ihr Gegenkandidat keine Plattform erhielt.

Der Beitrag über Geri Müller ist mit den Beiträgen über Staatsrat Corminboeuf in Freiburg und Regierungsratskandidatin Friedli in St. Gallen durchaus vergleichbar: Geri Müller wird per saldo positiv gezeichnet. Die Selfie-Affäre wird zwar erwähnt, und man sieht auch einen Ausschnitt aus Geri Müllers Medienkonferenz, in der er sagt, dass er sich schäme. Auch gibt der Radio-Journalist Stefan Ulrich eine korrekte Kurzanalyse der rechtlichen und ethischen Situation. Aber die Politik des bisherigen Stadtammanns wird nicht kritisch hinterfragt, es wird für ihn im Beitrag nie knifflig. Der Beitrag entsprach daher den erhöhten Sorgfaltspflichten und dem Vielfaltsgebot eindeutig nicht.

Das konnte nicht dadurch geheilt werden, dass die Bilder und Namen der übrigen drei Stadtratskandidaten kurz gezeigt wurden, und auch nicht dadurch, dass am 13. September 2017 ein Beitrag auf SRF News platziert wurde und dass das „Regionaljournal Aargau-Solothurn“ (am 30. August 2017)[14] und das „Echo der Zeit“ (am 11. September 2017)[15] weitere Beiträge gebracht haben: der Ausgleich müsste im gleichen Gefäss erfolgen. Am besten wäre gewesen, „Schweiz aktuell“ hätte einen kurzen Beitrag angehängt, in der die drei anderen Stadtammann-Kandidaten kurz zu Wort gekommen wären. Dies alles bringt mich zum Schluss, Ihrer Beanstandung beizupflichten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] http://www.srf.ch/sendungen/schweiz-aktuell/mehrfachmord-rupperswil-basler-tramskandal-bieler-imam-quartier

[2] https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen/abstimmungen/abstimmungen-baden/geri-mueller-und-die-frage-des-vertrauens

[3] https://www.nzz.ch/zuerich/geri-mueller-sorgt-fuer-aerger-steuerstreit-truebt-badener-festlaune-ld.1309764

[4] https://geri-mueller.ch/

[5] http://www.schneider-markus.ch/

[6] http://www.erichobrist.ch/

[7] http://www.sandra-kohler.ch/

[8] http://www.presserat.ch/_23_2016.htm

[9] https://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf , Punkt 7.3, S. 59.

[10] www.ubi.admin.ch/x/b:713,pdf

[11] BGE 134 I 2, http://www.bger.ch/index/juridiction/jurisdiction-inherit-template/jurisdiction-recht/jurisdiction-recht-leitentscheide1954.htm

[12] UBI-Entscheid vom 20. April 2012, http://www.ubi.admin.ch/x/b_647.pdf

[13] https://www.srgd.ch/de/aktuelles/news/2016/04/25/10vor10-beitrag-uber-quereinsteiger-bei-der-svp-beanstandet/

[14] http://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-aargau-solothurn/geri-mueller-und-die-frage-des-vertrauens

[15] http://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/besserer-status-fuer-vorlaeufig-aufgenommene

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