SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Fernsehen SRF, Sendung «Das Wort zum Sonntag» (zur Sonntagsruhe) beanstandet (II)

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Mit Ihrer E-Mail vom 21. Oktober 2017 beanstandeten Sie die Sendung „Das Wort zum Sonntag“ auf Fernsehen SRF vom 20. Oktober 2017.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Was sich Arnold Landwing mit seinem ‚Wort zum Sonntag‘ geleistet hat, ist übelster politisch/ideologischer Missbrauch einer Sendeplattform. Wohl in den allermeisten grösseren Städten dieser Welt gelten viel liberalere Ladenöffnungszeiten als in der Schweiz. Geschäfte in Zentren sind täglich, meist bis spät abends, teils sogar 24 Stunden geöffnet. Es steht kirchlichen und Parteikreisen selbstverständlich zu, in politischen Diskussionssendungen wie der Arena, sich gegen solche Trends auszusprechen. Ein ‚Wort zum Sonntag‘ über die gesamte Sendedauer als Kampagne gegen liberalere Ladenöffnungszeiten zu nutzen, sehe ich jedoch als klaren Missbrauch und reiche hiermit Beschwerde ein.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Dr. Judith Hardegger, Redaktionsleiterin „Sternstunden“ von Fernsehen SRF, schrieb:

„Das ‚Wort zum Sonntag‘ ist fester Bestandteil des Pro­gramms des Schweizer Fernsehens. Dabei ist diese Sendung nicht als ‚Predigt im Kleinen’ mit Verkündigungscharakter konzipiert, sondern soll ausdrücklich ein ‚christ­licher Kommentar zum Zeitgeschehen’ sein. Ein Kommentar zeichnet sich dadurch aus, dass die Kommentatorin oder der Kommentator die eigene Haltung und Mei­nung zu gesellschaftlichen Ereignissen und Debatten sichtbar machen soll und darf. Als Theologinnen und Theologen bringen die Kommentatorinnen und Kommentatoren des ‚Worts zum Sonntag‘ eine christliche Sicht auf die von ihnen gewählten Themen mit.

In der zwischen Schweizer Radio und Fernsehen SRF und den Landeskirchen getroffenen Vereinbarungen heisst es denn auch:

<Das WORT ZUM SONNTAG ist ein christlicher Kommentar zum Zeitgeschehen. Der Beitrag ist keine Kanzelrede, sondern ein persönlicher Kommentar. Christ­liche Theologinnen und Theologen greifen gesellschaftliche Themen und Fragen zur individuellen Lebensgestaltung auf, sie nehmen aus christlicher Perspektive dazu Stellung und verknüpfen diese mit eigenem Wissen und gelebter Spiritua­lität.>

Und weiter: <Die Sprechenden reden im eigenen Namen und wenden sich an ein breites Publikum, das religiöse Themen eher beiläufig zur Kenntnis nimmt. Sie verwenden eine gut verständliche Sprache, vermeiden kirchlichen Jargon und knüpfen bei Erfahrungen an, die allgemein nachvollziehbar sind. Die Spre­chenden überzeugen durch ihre Person, durch eine profilierte Rede und durch die Relevanz ihres Themas. Das Wort zum Sonntag führt, ob mit erzählerischen oder argumentativen Mitteln, immer zu einer christlichen Aussage für die Gegen­wart. Persönliche Wertungen machen die Sprechenden als solche erkennbar.>

Beim ‚Wort zum Sonntag‘ von Arnold Landtwing am 21. Oktober 2017 gelten diese Grundsätze des Kommentars. Er äussert sich zu einem aktuellen Thema, der Diskussion von Ladenöffnungszeiten an Sonntagen.

Sein Kommentar ist folgendermassen aufgebaut: Er erzählt von einem Zeitungsbericht darüber, dass die Definition ‚Terminal des öffentlichen Verkehrs‘ des Seco, des Staatssekretariats für Wirtschaft, in Zürich künftig nicht nur für Bahnhöfe und Flugterminals, sondern auch für Tramknotenpunkte in der Stadt gelten soll. Dies versteht er als einen weiteren Schritt hin zur Abschaffung der Sonntagsruhe. Diesen Gedanken markiert er klar als seine persönliche Einschätzung und schliesst eine Ausführung über den Sinn von Ruhetagen an. Das biblische Erbe der Feiertagsruhe bezeichnet er pointiert als ‚3000 Jahre alte Burnoutprophylaxe‘. Unter Rückgriff auf einen Ausspruch von Martin Werlen, dem ehemaligen Abt des Klosters Einsiedeln, argumentiert er für eine menschenfreundliche Wirtschaft, zu der seiner Ansicht nach wesentlich gemeinsame gesellschaftliche Ruhezeiten gehören. Als bereits existierende und notwendige Ausnahmen benennt er beispielhaft Gesundheitsdienste und den öffentlichen Verkehr. Explizit spricht er sich jedoch gegen eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten aus und benennt als generelle Befürchtung, das Verschwinden eines gesamtgesellschaftlichen Ruhetags. Dies würde nach seiner Einschätzung nicht nur einzelnen, sondern auch der gesamten Gesellschaft schaden. Seine Gedanken beschliesst er mit dem Appell, sich für den Erhalt des Sonntags als gemeinsamen Ruhetag einzusetzen.

Als Kommentator hat Arnold Landtwing das Thema argumentativ beleuchtet. Er benennt mit dem Gesundheitswesen und dem öffentlichen Verkehr Fälle, in denen die bereits herrschende Sonntagsarbeit als für die Gesellschaft wichtig eingestuft wird. Davon möchte er Arbeiten unterschieden wissen, die nicht zwangsläufig am Sonntag ausgeführt werden müssen. Er argumentiert mit gesundheitlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen, Stichwort Burnout. Mehrmals benennt er seine Gedanken als seine Meinung, er bindet sich an keine politischen, parteipolitischen oder gewerkschaftlichen Interessen-gruppen.

Gemäss Sendungskonzept sollen im ‚Wort zum Sonntag‘ christliche Theologinnen und Theologen gesellschaftliche Themen und Probleme der individuellen Lebensge­staltung aufgreifen und von der christlichen Botschaft her Stellung nehmen.

Veränderungen in Feiertagsregelungen und Arbeitszeitfragen sind aktuelle gesellschaftliche Themen, die in einem ‚Wort zum Sonn­tag‘ aufgegriffen werden können. Verbreitet werden sie unter dem Stichwort ‚Work-Life-Balance‘ diskutiert. Arnold Landtwing hat dazu Stellung genommen, indem er sich für den Schutz der Feiertagsruhe ausgesprochen hat. Da unser moderner Wochenrhythmus auf der jüdisch-christlichen Überlieferung basiert, hat er hier ein Thema aufgegriffen, für das er als Theologe zusätzlich Experte ist. Stets deklariert er pointierte Äusserungen als seine Meinung. Da aktuell weder Abstimmungen noch Unterschriftensammlungen zum Thema Sonntagsarbeit lanciert sind, widerspricht dieser Meinungskommentar auch an keiner Stelle den publizistischen Leitlinien.

Somit halte ich zusammenfassend fest, dass aus Sicht der Redaktion die Sendung das ihr zugesprochene Mandat erfüllt hat und bitte Sie, die Beanstandung von Herrn X zurückzuweisen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Man kann in der Frage der Ladenöffnungszeiten in der Tat in guten Treuen verschiedener Meinung sein. Ich selber bin für liberale Lösungen und finde es praktisch, wenn man fast rund um die Uhr offene Läden findet. Nichts ist ärgerlicher als Regelungen der organisierten Willkür: Die einen Läden machen Mittagspause, die andern nicht. Jene, die eine Mittagspause einschalten, schließen teils um 12, teils um 12:30, teils um 13 Uhr. Andere haben am Montag zu, die nächsten am Mittwochnachmittag. Am Samstag halten die einen bis 12 oder 13 Uhr geöffnet, die andern bis 17 oder 18 Uhr. Es ist Horror, und man rennt immer wieder an. Da lobe ich mir die USA, wo man auch nachts zumindest offene Lebensmittelläden findet und nicht aufgeschmissen ist, wenn man beim Kochen merkt, dass kein Salz oder kein Mehl mehr da ist. Natürlich sind ausgedehnte Öffnungszeiten nur akzeptabel, wenn die Mitarbeitenden nicht ausgebeutet werden, wenn folglich die übliche Wochenarbeitszeit garantiert ist und Nacht- oder Sonntagsarbeit durch entsprechende Freizeit kompensiert wird.

Die Sonntagsruhe in Ehren, aber in der multikulturellen Dienstleistungsgesellschaft gilt sie eh schon nur noch für einen Teil der Bevölkerung. Am Sonntag müssen Ärzte und Pflegepersonal, Mitarbeitende des öffentlichen Verkehrs, Angestellte von Hotels und Restaurants, Taxifahrer, Mitarbeitende von Museen, Zoologischen und Botanischen Gärten, Vergnügungsparks, Schwimm- und Hallenbäder, Stadien, Kinos sowie Polizisten, Schauspieler, Fussballer, Pfarrer, Siegriste und Journalisten seit jeher arbeiten, wenn auch nicht alle, und sie machen dann am Montag, Dienstag oder Mittwoch frei. Am Freitag ist der Ruhetag der Muslime, am Samstag jener der Juden, am Sonntag jener der Christen. Die Vorstellung, dass an einem Tag ein ganzes Volk ausruht und nichts tut außer beten und lesen, wie früher in Großbritannien, gehört längst der Vergangenheit an. Die Menschen brauchen zwar Pausen, und sie nehmen sie sich auch, aber nicht zwingend am Sonntag. Dies ist meine Meinung, die der Meinung des Theologen Arnold Landtwing diametral gegenübersteht.

Und darum geht es im „Wort zum Sonntag“: Um Meinung. Im Journalismus kann man zwischen referierenden, interpretierenden und kommentierenden Darstellungsformen unterscheiden:

Referierende Formen

Interpretierende Formen

Kommentierende Formen

Meldung

Bericht

Chronik

Interview

Porträt

Feature

Reportage

Analyse

News-Story

Kommentar

Leitartikel

Theater-, Konzert-, Film-, Literatur-, Kunst-, Architektur-, Gastro-Kritik

Glosse

Karikatur

Satire

In den referierenden Darstellungsformen bleiben die Journalistinnen und Journalisten auf Distanz zum Beschriebenen. Sie zitieren bloß Akteure und Betroffene. In den interpretierenden Darstellungsformen fließen subjektive Elemente ein – durch die Fragen im Interview, durch die Charakterisierungen im Porträt und im Feature, durch die Dramaturgie und die Wahrnehmungen in der Reportage, durch die Wahl der Experten und Quellen in der Analyse und der News-Story. Die kommentierenden Darstellungsformen hingegen sind gänzlich meinungsbetont, und zu diesen gehört das „Wort zum Sonntag“: Es ist ein Gast-Kommentar aus biblischer Sicht.

Arnold Landtwing war daher voll berechtigt, das „Wort zum Sonntag“ so zu halten, wie er es getan hat. Erstens ist die Sendung ein Kommentar. Zweitens leitet sich Landtwings Position aus der Bibel ab, steht doch in 2. Moses 20.8-10: Gedenke des Sabbattags, dass Du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle dein Dinge beschicken; aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes; da sollst du kein Werk tun noch dein Sohn noch deine Tochter noch dein Knecht noch deine Magd noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist.[2]

Es gib daher keinerlei Verstoß gegen das Radio- und Fernsehgesetz und daher auch keinen Anlass für mich, Ihre Beanstandung zu unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/sendungen/wort-zum-sonntag/sonntagsruhe

[2] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/2_mose/20/

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