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Zweck vor Prunk – ein Blick in die Geschichte der SRG-Studios

Für ein kleines Land besitzt die Schweiz erstaunlich viele Studio-Standorte. Der Grund dafür liegt nicht nur in der Mehrsprachigkeit des Landes, sondern auch in der Bedeutung von regionalen Genossenschaften in der Frühzeit der elektronischen Medien.

«Das Schiff ist klar zur Fahrt – Kommandant, geben Sie Befehl zum Start!» Dieser Aufruf ging am 22. Januar 1931 in Berlin über den Äther und betraf das schräg gegenüber vom Funkturm gelegene Haus des Rundfunks, mit dem der deutsche Architekt Hans Poelzig einen völlig neuen Bautyp geschaffen hatte. Der Pionierbau der europäischen Radiogeschichte, aus dem seit 2003 der Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB sendet, beeindruckt auch heute noch durch seine Dimensionen: Die Grundfläche des Klinkerbaus bedeckt mehr als 8100 Quadratmeter, die Hauptfassade an der Masurenallee ist 150 Meter lang. Im Mai 1932, vierzehn Monate nach der Eröffnung des expressionistischen Grossbaus in Deutschland, weihte die BBC in London einen weiteren Meilenstein der Medienarchitektur ein: das im Stil des Art déco gehaltene Broadcasting House, das eine britische Architekturzeitschrift damals als «Palastbau der Neuzeit» bezeichnete. Die Kosten für dieses weltweit beachtete Gebäude lagen bei 25 Millionen Pfund, die Bauzeit dafür hatte mehr als drei Jahre in Anspruch genommen.

Radio Bern  Das erste Berner Studio in Räumen im Kurssaal ­Schänzli, die «früher dem Glücksspiel dienten».

Im Sommer des Jahres 1932 begann dann schliesslich auch in der Schweiz das Zeitalter der Radioarchitektur. Von Dimensionen wie in England oder Deutschland konnte jedoch in der Gegend des Brunnenhofs, wo sich die RGZ, die Radio-Genossenschaft Zürich, ans Werk machte, nicht die Rede sein. Um ein «Schiff» wie in Berlin oder einen «Ozeanriesen», wie das Hauptquartier der BBC auch schon bezeichnet wurde, ging es hier nicht einmal ansatzweise. Das machen auch die Angaben der «Neuen Zürcher Zeitung» zur Eröffnung des «ersten vollständig nach den Bedürfnissen des Radios erbauten Sendehauses der Schweiz» deutlich: «Die Radiogenossenschaft Zürich beschloss an ihrer Generalversammlung vom 9. April 1932 aufgrund des von Architekt Otto Dürr ausgearbeiteten Projekts den Neubau und bewilligte dafür 580 000 Franken. Mitte Juli 1932 wurde mit dem Bau begonnen. Mitte Oktober war das neue Gebäude unter Dach, und nach sorgfältiger Einrichtung all der vielen besonderen Installationen konnte der Neubau am 1. April 1933 bezogen werden.»

Im Frühling 2018 betrachtet Josef Gumann, der ehemalige Verwaltungschef des Radiostudios Zürich, im mittlerweile 85 Jahre alten Gebäude an der Brunnenhofstrasse Fotografien aus der Gründerzeit, bewundert die klare, bescheidene Gestaltung im Bauhaus-Stil und verweist im Gespräch auf die zivilgesellschaftlichen Wurzeln des Schweizer Pionierbaus in Zürich: «Otto Dürr hatte tatsächlich nicht viel Geld zur Verfügung», meint der 1937 Geborene, den das Medium Radio seit frühesten Kindertagen fasziniert. «Aber schliesslich baute hier auch nicht wie in anderen Ländern der Staat, sondern eine Radiogenossenschaft. Das war auch in Bern und Basel so, wo andere Genossenschaften einige Jahre später ebenfalls solche eher kleinen und zweckmässigen Studios errichteten.»

Radio Zürich  Der erste Radio-Neubau  der Schweiz. Bereits vier ­Jahre nach der Einweihung 1933 beginnt man an der Brunnenhofstrasse mit ­einem Erweiterungsbau.

Tatsächlich hatten lokale und regionale Genossenschaften die frühe Radiogeschichte in der Schweiz entscheidend geprägt. Allererste Impulse waren zwar aus militärischen Kreisen gekommen. 1905, elf Jahre nach der Patentierung von Guglielmo Marconis Radio­telegrafie, die als «Urknall» der internationalen Radiogeschichte gilt, hatten auch in der Schweiz Armeeangehörige mit ersten Versuchen begonnen. Als der Bundesrat von 1911 die zivile Nutzung der neuen Technik erlaubte, interessierten sich zunächst vor allem Mitglieder der Uhrenbranche für Empfangskonzessionen, um legal an die Signale des Zeitzeichensenders auf dem Eiffelturm in Paris zu kommen. Als sich das Radio dann in den frühen 1920er-Jahren von den Vereinigten Staaten aus zu einem Informations- und Unterhaltungsmedium entwickelte, unternahm man auch in der Schweiz, wo damals noch von «Rundspruch» die Rede war, erste Schritte in diese Richtung. 1923 bewilligte der Bundesrat Versuchsbetriebe mit Flugplatzsendern in Genf, Lausanne und Kloten. Kurz darauf schlossen sich in verschiedenen Städten der Schweiz interessierte Kreise offiziell zu lokalen und regionalen Genossenschaften zusammen, die später auch eigene Sender betrieben. 1923 in Lausanne, 1924 in Zürich, 1925 in Bern und Genf und schliesslich 1926 in Basel.

Von einem Provisorium ins nächste: Das ­Radiostudio Basel zieht 1932 vom Bahnhof SBB in eine alte Villa im Margarethenpark.

Die Radiogenossenschaft Bern wurde am 15. August 1925 gegründet, kurz darauf offiziell Radio Bern. Gemäss der aktuellen Internetseite der SRG Bern Freiburg Wallis «ausser Rom der einzige europäische Sender, der Frauen im Sprechdienst beschäftigte». 1927, im zweiten Jahr nach Inbetriebnahme, sendete Radio Bern knapp sechs Stunden täglich. Das Studio war, wie auch andernorts üblich, in einem sogenannten Bestandesbau domiziliert, im Kursaal Schänzli. 1931 fand der Umzug in Räume an der Schwarztorstrasse statt.
Die Radiogenossenschaft Basel konnte ihr Studio zunächst in Räumen im Bahnhof SBB unterbringen. Als es dort zu eng wurde, zog man 1932 weiter in eine historische Villa im Margarethenpark. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch bei Radio Zürich, das 1924 im Amtshaus IV an der Uraniastrasse das erste Studio der Deutschschweiz in Betrieb genommen hatte. Das Programm umfasste damals vor allem Musik, live gespielt von einer kleinen Hauskapelle. Später kamen Liederabende, Vorträge, Kindersendungen sowie eine Frauenstunde dazu. Als der Sendebetrieb den Rahmen im Amtshaus sprengte, wurde das Studio 1927 in Räume in einem neu erstellten Geschäftshaus an der Sihlporte verlegt. Nur wenige Jahre später, als der Programmbetrieb zum dritten Mal an räumliche Grenzen stiess, begann man mit der Planung des ersten Studioneubaus im Land.

Radio auf der Höhe Am 7. September 1940 wird an der Novarastrasse auf dem Bruderholz das neue Studio Basel eröffnet.

1935 zog Bern mit einem ersten Neubau an der Schwarztorstrasse nach, 1940 Basel oben auf dem Bruderholz. Das neue Basler Studio war zwar nicht sehr zentral gelegen, dafür war die Radiogenossenschaft, die sich ständig in Geldnot befand, hier günstig zu Bauland gekommen. Auch in Lausanne, Genf und Lugano wurden in den Jahren 1935 bis 1940 Neubauten errichtet. Ein einheitlicher Stil bei der Studioarchitektur in der Schweiz liess sich damals nicht ausmachen. Gemeinsam waren den Bauten und ihren frühen Erweiterungen jedoch Sachlichkeit und Zweckmässigkeit. Opulenz und Prunk fehlten in allen drei Sprachregionen.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Radioveranstalter im Land, die allesamt als eigenständige regionale Vereine begonnen hatten und nach wie vor für die Studios verantwortlich waren, längst Teil der SRG geworden, der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft, die 1931 als privatrechtlicher Verein gegründet worden war. Im Jahr zuvor hatte man landesweit erstmals mehr als 100 000 Radiokonzessionen gezählt. Der Bundesrat, dem die Programm- und Sendequalität man­cherorts nicht genügte, reformierte das Schweizer Rundspruchwesen nach dem Modell der BBC, die seit 1927 als public service konzipiert war, und liess 1931 auch gleich die beiden Landessender Beromünster und Sottens errichten, zwei Jahre später auch jenen auf dem Monte Ceneri.

Jubiläums-Präsent Am 5. Oktober 1950 bringt der Bund einen Schwerpunkt-Bericht unter dem ­Titel «Das neue Berner ­Radiogebäude vollendet –  25 Jahre Radio Bern».

Bereits 1939 fanden in der Schweiz auch erste Fernsehversuche statt. «Doch erst nach dem Krieg ging die Entwicklung weiter», erinnert sich Josef Gumann, der sich zur zweiten Generation der Radiopio­niere zählt. Von 1964 an führte er mehr als drei Jahrzehnte die Verwaltung des Radiostudios Zürich und bekam in dieser Funktion auch die Entwicklung des Fernsehens aus der Nähe mit. «Nach Fernsehversuchen in Zürich, Basel und der Westschweiz beschloss der Bundesrat 1960 schliesslich drei Studio-Standorte: Zürich, Genf und Lugano. Basel und Lausanne hatten trotz Rekursen das Nachsehen. Das erste Fernsehstudio der Deutschschweiz, das Studio Bellerive, entstand wie früher die ersten Radiostudios in einem eher bescheidenen Bestandesbau: in einer ehemaligen Garage mit Gymnastikräumen und zwei Tennishallen im Zürcher Seefeldquartier.»

Fernseh-Provisorium An der Kreuzstrasse 2 im Zürcher Seefeldquartier ­richtet das Schweizer Fern­sehen 1953 das Studio ­Bellerive ein – in der ehemaligen ­Tennishalle eines Hotels.

Doch es ging dem Fernsehen wie dem Radio in seinen frühen Rundspruch-Zeiten. Das neue Medium faszinierte und prosperierte – und kam deshalb schon bald in anhaltende Platznot. Nach 18 Jahren Dauerprovisorium im Bellerive konnte das Fernsehen von 1971 an ins neue Studio Seebach wechseln. 1973 stellte die «Neue Zürcher Zeitung» den fertigen Gebäudekomplex unter dem Titel «Die Leutschenbacher Fernsehfabrik» vor. Josef Gumann fielen damals vor allem zwei Dinge auf: «Gemessen an allen anderen Studios im Land war das hier tatsächlich ein Quantensprung. Entscheidend war aber auch, dass man hier erstmals klug über den unmittelbaren Bedarf hinaus geplant und dafür gesorgt hatte, dass nicht schon nach kurzer Zeit wieder Platznot herrschte.»

Die «Fernsehfabrik» Von 1971 an kann das Schweizer Fernsehen ins neue Studio Seebach wechseln. Abgeschlossen wird  der im ehemaligen Zürcher ­Industriegebiet Leutschenbach gelegene Neubau 1973.

Ausbauschritte gab es in den frühen 1970er-Jahren auch im Radiobereich. Offenbar aber erst nach einer spektakulären Aktion auf dem Areal des Studios Zürich. «Um der SRG die Raumnot im Studio Zürich vor Augen zu führen, liessen Verantwortliche der Radiogenossenschaft und die Studioleitung 1965 mitten auf dem Studiogelände drei Eisenbahnwagen der SBB aufstellen und darin Büros einrichten», erzählt Josef Gumann lachend. «Kurz darauf wurde das Neubauprojekt, das schon länger vorlag, endlich bewilligt.» Bereits fünf Jahre später erfolgte die Einweihung des neuen Sendetraktes und des Hochhauses, das der bekannte Schweizer Architekt und Künstler Max Bill gestaltet hatte. Erweiterungsbauten gab es auch in Basel und in Bern. «In allen drei Studios wurden je die dringendsten Probleme gelöst. Zürich bekam die benötigten Sendestrassen und Büros, Basel Platz für die Phonothek und Bern neue Räume für die wachsende Abteilung Information.»

Regionalstudio Luzern Das in einem Gebäude am ­Inselquai gelegene Regionalstudio Luzern ist eines von 17 seiner Art in der Schweiz.

Ein weiterer Ausbauschritt in den 1960er- und 1970er-Jahren betraf neue Standorte. Heute existieren neben den grossen SRF-Studios in Zürich, Basel und Bern vier Regionalstudios in Luzern, Chur, St. Gallen und Aarau. In ihren Anfängen waren sie zunächst sogenannte Programmpunkte, also noch keine Sendestudios. Das begann sich erst nach der Einführung der Regionaljournale im Jahr 1978 zu ändern. Insgesamt betreibt die SRG heute in vier Sprachregio­nen 17 Regionalstudios. Über diesen Studioreichtum und die Entwicklung dazu würden sich vermutlich viele der stark lokal und regional orientierten Schweizer Pioniere der frühen Radiozeit sehr freuen.

Text: Roger Ehret (selbständiger Buchpublizist, Gesprächsmoderator und Mentor für Rhetorik und Gesprächskultur in Basel. Von 1989 bis 2003 arbeitete er als Redaktor im Studio Basel von Schweizer Radio DRS.)

Bild: SRF Archiv (SF DRS, Lothar Jeck, Ernst Linck, Paul Schenk)

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