SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Club»: «Ein ‘Schweizer Islam’ als Weg zur Integration?» beanstandet (I)

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Mit Ihrer E-Mail vom 6. Juni 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Club» (Fernsehen SRF) vom 5. Juni 2018 zum Thema «Ein ‘Schweizer Islam’ als Weg zur Integration?».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Wenn es um den Islam oder die Muslime in der Schweiz geht, so gilt offenbar JEKAMI. Dies bewies die gestrige Diskussion im SRF Club, die mit fehlender Sachkenntnis von einigen Gästen (Andreas Thiel, Giuseppe Gracia und Saïda Keller-Messahli) besetzt war. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das Sachgerechtigkeitsgebotes durch die abschweifend geführte Diskussion nicht verletzt wurde. Nur wenige Gäste konnten teilweise zum Ausdruck bringen, was genau ‘öffentlich-rechtliche Anerkennung’ bedeutet? Wem es nützt? Wem es schadet und worum es überhaupt geht? Der SRF trägt als gebührenfinanzierter Sender und durch die Konzession eine besonders hohe Verantwortung in der Meinungsbildung. Um einer Politisierung und Polarisierung der Debatte (die zugleich auch der Islamophobie Vorschub leistet und erhebliche Auswirkungen auf die Muslime im Alltag hat) entgegenwirken zu können, müsste der Mangel an Informationen durch faktisches Wissen aufgehoben werden. Dies ist aber nur mit Gästen möglich, die eine gewisse Fachkompetenz aufweisen. Ergo war die gestrige Diskussion ein gelungener JEKAMI und bestenfalls eine Unterhaltung wert, aber sie hat mit Sicherheit nichts zum Thema öffentlich-rechtliche Anerkennung von muslimischen Gemeinschaften beigetragen.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für den «Club» antwortete dessen Redaktionsleiterin und Moderatorin, Frau Barbara Lüthi, wie folgt:

«Wir sind an einer lebendigen Diskussionskultur nicht nur mit unseren Gästen interessiert, sondern auch mit unseren Zuschauern. Wir finden es wichtig, dass Sendungsinhalte reflektiert und kritisiert werden. Deshalb nehmen wir gerne Stellung zum vorliegenden Fall.

Herr X macht uns zusammengefasst zwei Hauptvorwürfe:

1. Unsere Gäste, namentlich Giuseppe Gracia, Saida Keller-Messahli und Andreas Thiel fehle die Sachkenntnis, um über Muslime und den Islam zu diskutieren.

2. Gleichzeitig stellt Herr X die Frage, ob die ‘abschweifend’ geführte Diskussion nicht das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt habe.

Als Verantwortliche der Sendung möchten wir, bevor wir im Detail auf die Punkte eingehen, etwas Grundsätzliches zur Sendung sagen: Der ‘Club’ ist eine Diskussionssendung, die wir unter Livebedingungen aufzeichnen. Wir schreiben weder unseren Gästen vor, was sie sagen sollen, noch schneiden wir im Nachhinein oder bearbeiten die Aufzeichnung. Die Sendung geht jeweils dienstags um 22.20 Uhr genauso über den Sender, wie wir sie ein paar Stunden zuvor aufgezeichnet haben.

Als Sendungsmacherinnen müssen wir in Kauf nehmen, dass eine Diskussion ihre eigene Dynamik entwickelt. Und nicht immer verläuft es so wie geplant. Doch nun zu den Vorwürfen:

1. Obwohl die Sendung den Titel <Ein ‘Schweizer Islam’ als Weg zur Integration?> trägt, haben wir nicht ausschliesslich über den Islam gesprochen. Im ‘Club’ schauen wie oft über den Tellerrand hinaus, machen Vergleiche und heben das Thema auf eine übergeordnete Ebene. Guiseppe Gracia war bei uns in der Sendung, weil er das Konzept der Landeskirche hinterfragt. Er ist gläubiger Katholik und macht in der Sendung generelle Aussagen über Religion und Integration.
Andreas Thiel trifft als Politsatiriker vielleicht nicht jedermanns Geschmack. Er hat sich aber intensiv mit Religionen befasst, sowie mit Esoterik und Spiritualität. Er hat an den Islam konkrete Forderungen und auch er macht Bezüge zu anderen Religionen.
Saida Keller-Messahli ist eine scharfe Kritikerin des politischen Islam. Dass sie mit ihren Aussagen nicht überall gleich gut ankommt, mussten wir in Kauf nehmen.
Mit Amir Dziri, Professor für Islamische Studien Uni Fribourg, Mustafa Memeti, Imam und Leiter Muslimischer Verein Bern und Pascal Gemperli, Generalsekretär Dachverband Waadtländer Muslime war neben diesen drei oben erwähnten Gästen aber zusätzlich geballtes Islam-Fachwissen in der Runde. Sie haben erklärt, eingeordnet und wo nötig widersprochen.

Wir prüfen die Auswahl der Gäste sorgfältig und führen Vorgespräche. Vielleicht ist hier eine kleine Rückfrage erlaubt: Was genau heisst genügend Sachkenntnis? Ein akademischer Titel? Müsste jeder Gast vorher eine Prüfung ablegen? Eine Diskussion lebt von der Meinungsvielfalt. Diese haben wir, glauben wir, den Zuschauerinnen und Zuschauern geboten.

2. Im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG), Artikel 4, Absatz 2 steht: <Redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt müssen Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein.> Dieser Absatz wird verkürzt als Sachgerechtigkeitsgebot beschrieben. Wir haben unserer Meinung nach mit unserer Sendung auf keine Art und Weise dagegen verstossen.
Wir hoffen, Herr Ombudsmann, Ihnen mit unseren Ausführungen genügend Gründe geliefert zu haben, die Beanstandung abzulehnen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ende Mai/Anfang Juni 2018 machten die Sozialdemokraten die staatliche Anerkennung muslimischer Glaubensgemeinschaften in der Schweiz zum Thema.[2] Am 16. Juni 2018 führte die Partei eine Tagung zur Problematik durch.[3] Sie nahm damit eine Debatte auf, die in der Schweiz seit Jahren explizit oder unterschwellig geführt wird. Die Debatte nämlich, ob der Islam zur Schweiz gehört und wenn ja, was das zur Folge hat. Die einen argumentieren, der Islam sei mit der abendländischen Kultur und der Schweizerischen Bundesverfassung grundsätzlich unverträglich. Die anderen sagen, die Schweiz sei ein multikulturelles Land, und deshalb gehörten die Muslime, die 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, genau so zur Schweiz wie Katholiken, Evangelisch-Reformierte, Konfessionslose, protestantische Sekten oder Juden. Volksinitiativen wie jene zum Minarettverbot oder jene zum Burkaverbot sorgen dafür, dass sich die Debatte auf emotionale Weise an konkreten Themen entzündet. So war es nur logisch, dass auch der «Club» diese Debatte aufnahm.

Eine solche Sendung hat immer mit zweierlei Unwägbarkeiten zu rechnen: Erstens hängt das Gelingen von der Auswahl der Gäste ab. Es gibt Absagen. Es gibt Personen, die für die Sendung vielleicht ein Glücksfall gewesen wären, die die Redaktion aber nicht in Erwägung gezogen hat. Je nach Zusammensetzung der Runde kann die Diskussion eine ganz andere Dynamik entfalten. Zweitens hängt der Diskussionsverlauf auch davon ab, welche Botschaften die Gäste unbedingt platzieren wollen und wie sie aufeinander reagieren.

In dieser Sendung schien jeder der Teilnehmenden eine eigene Agenda zu haben. Die Basler Großrätin Edibe Gölgeli, eine Alevitin mit kurdischen Wurzeln, verteidigte den Vorstoß der SP, ohne viel über den Islam zu wissen. Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums Chur, wies jede Einmischung des Staates in den Bereich der Religionen zurück, weil er die Autonomie und Hegemonie der Katholischen Kirche schützen will. Saïda Keller-Messahli, die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, brandmarkte den politischen Islam, was wiederum Pascal Gemperli vom Dachverband Waadtländischer Muslime in Rage brachte, der Frau Keller Falschaussagen vorwarf und die Ansicht vertrat, praktisch alle Schweizer Muslime seien säkular. Der Satiriker Andreas Thiel provozierte mit dem Vorschlag, einen ganz dünnen Koran herzustellen dadurch, dass alle gewaltverherrlichenden und frauenverachtenden Passagen gestrichen werden, was aber den Islam-Professor Amir Dziri von der Universität Freiburg nicht juckte, der seltsam passiv und abgehoben über alle Köpfe hinweg redete. Der Imam Mustafa Memeti, der Mühe hatte, sich verständlich zu machen, war der Meinung, die Zeit sei noch nicht reif für eine staatliche Anerkennung (und Beaufsichtigung!) muslimischer Glaubensgemeinschaften.

Mir gefiel die Diskussion auch nicht. Aber das kann nicht das Thema sein. Die Frage ist, ob die Sendung dem Sachgerechtigkeitsgebot entsprach oder nicht. Wir müssen uns im Klaren sein, dass der «Club» eine Diskussionssendung ist. Das Bundesgericht unterscheidet zwischen Informationssendungen und Diskussionssendungen.[4] Eine Diskussionssendung müsse, so das Bundesgericht, anders beurteilt werden als eine Informationssendung, da der Einfluss der Redaktion auf den Inhalt reduziert sei. Anders formuliert: In einer Diskussionssendung kann die Moderatorin im Einzelnen nicht bestimmen, was die Diskutanten sagen. Sie kann zwar präzis fragen, nachfragen, sie unterbrechen, ihnen eine andere Position gegenüberstellen. Aber sie hat sie nicht vollkommen in der Hand. Sie kann nicht verhindern, dass die Teilnehmenden auch Behauptungen aufstellen, die nicht oder nur teilweise wahr sind. Sie kann nur beschränkt verhindern, dass sie abschweifen oder Punkte aufgreifen, die für das Thema gar nicht zentral sind, denn zunächst einmal kann jeder Gast beanspruchen, dass man ihm zuhört. Die Moderatorin kann zwar Gäste stoppen, die aufeinander losgehen, aber sie nimmt in Kauf, dass dadurch der Erkenntnisfortschritt unterbrochen wird.

Im konkreten Fall hat die Moderatorin immer wieder dafür gesorgt, dass sich die Diskussion nicht an einem Nebenpunkt festbiss. Sie trieb die Debatte voran, indem sie Fragen stellte oder Gäste auf vorangegangene Aussagen reagieren liess. Sie brachte die Gäste dort ins Spiel, wo sie interessante Antworten vermutete. Dass die Gäste diese Erwartung oft nicht einlösten, dafür kann sie nichts. Das ist das Risiko einer Diskussionssendung.

Sie finden, die Sendung sei nicht sachgerecht gewesen. Sie störten sich vor allem an der fehlenden Sachkenntnis einiger Gäste. Sie finden, nur genaues Wissen könnte der Islamophobie entgegenwirken. Das stimmt. Gleichzeitig muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Debatte über den Islam außerordentlich vielstimmig ist, ja dass gerade innerhalb der muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz fast jede denkbare Position zu finden ist. Darum war es richtig, dass die Sendung «Club» dieses Thema aufgegriffen hat und dass die Redaktion nicht nur religiöse und gesellschaftliche Vertreter des Islam, sondern auch Kritiker des Islam eingeladen hat. Die Diskussion ermöglichte dem Publikum durchaus, sich über die Frage, ob muslimische Gemeinschaften durch die Kantone offiziell anerkannt werden sollen, frei eine eigene Meinung zu bilden. Insofern war das Sachgerechtigkeitsgebot, bei allen Defiziten der Diskutanten, nicht verletzt. Ich kann daher, bei allem Verständnis für Ihre Verärgerung, Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/sendungen/club/ein-schweizer-islam-als-weg-zur-integration

[2] https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/ja-zum-schweizer-islam-nein-zur-kirchensteuer/story/23920168; https://www.nzz.ch/schweiz/sozialdemokraten-wollen-einen-schweizer-islam-ld.1389081

[3] https://www.sp-ps.ch/de/veranstaltung/tagung-sp-schweiz-rolle-des-islams-der-schweiz; https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/standard/Burkaverbot-statt-Schweizer-Islam/story/10427883

[4] http://www.bger.ch/index/jurisdiction-inherit-template/jurisdiction-recht/jurisdiction-recht-urteile2000.htm, 2C_321/2013, Urteil vom 11. Oktober 2013.

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