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Die Kritik am Doppeladler musste sein

Bei der Ombudsstelle liefen nach dem WM-Spiel Serbien-Schweiz die Telefone heiss. Die Entrüstung richtete sich aber nicht gegen den albanischen Doppeladler von ­Xhaka und Shaqiri, sondern gegen Fern­seh­kommentator Sascha ­Ruefer, der die Geste scharf kritisiert hatte. Doch seine Kritik war unverzichtbar.

Die Direktübertragung des Spiels Serbien-Schweiz wurde von einem fussballerisch kompetenten SRG-Team begleitet und kommentiert: Rainer Maria Salzgeber, Benjamin Huggel und Sascha Ruefer. Alle drei waren begeistert von der Leistung der Schweizer Nationalmannschaft in der zweiten Halbzeit, von den spektakulären Toren und vom Sieg mit 2:1. Alle waren aber auch konsterniert über die Siegesgesten von Granit Xhaka und ­Xherdan Shaqiri. Nicht so die Zuschauer: Da waren viele empört über den scharfen Kommentar von Sascha Ruefer. Etliche meldeten sich telefonisch bei der Ombudsstelle und kündigten eine Beanstandung an. Schliesslich gingen drei ein.

Sportler zwischen Kulturen

Die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft ist multikulturell zusammengesetzt. Darauf darf man stolz sein, denn es ist ein Qualitätsmerkmal und zeigt, dass die Schweiz Einwanderer und ihre Nachkommen integriert und dass diese ihren Weg machen können und dabei zu Höchstleistungen imstande sind. Man muss sich ­zugleich bewusst sein, dass sich viele Schweizerinnen und Schweizer mit Migrationshintergrund zweierlei Kulturen verpflichtet fühlen: der schweizerischen Kultur und der Herkunftskultur. So auch im Fall von Shaqiri und Xhaka. Der 27-jährige Xherdan Shakiri wurde im Kosovo geboren und kam als kleines Kind nach Augst (Baselland). Früh wurde sein fussballerisches Talent entdeckt, und er spielte dann in Augst, Basel, München, Stoke-on-Trent (UK) und Liverpool. Der 26-jährige Granit Xhaka kam in Basel zur Welt, aber seine Eltern waren aus der kosovarischen Hauptstadt, Pristina, hergezogen. Seine Fussballstationen waren Basel, Mönchengladbach und London. Beide sind vom albanischstämmigen Elternhaus geprägt; beide sind durch ihre Verwandtschaft stark mit dem Kosovo verbunden.

Ein historisch-politischer Rückblick

Hier muss eine Bemerkung zur Politik eingeflochten werden: In der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war Kosovo keine eigene Republik, sondern eine autonome Provinz der Republik Serbien, genau gleich wie die Vojvodina an der Grenze zu Ungarn. Die Republiken hatten das Recht, aus dem Gesamtstaat Jugoslawien auszutreten, die autonomen Provinzen nicht. Im Kosovo leben zu 88 Prozent Albaner, die mehrheitlich Muslime sind. Serbien hingegen ist mehrheitlich christlich, und zwar serbisch-orthodox. Der jugoslawische Bürgerkrieg der 1990er Jahre mündete schliesslich in den Kosovo-Krieg, als dessen Ergebnis sich Kosovo von Serbien löste. Seit 2008 ist Kosovo von vielen Staaten als unabhängige Republik anerkannt, nicht aber von Serbien und einer ganzen Anzahl Länder, die eher die serbische Position stützen. Albaner leben auch in Mazedonien (25 %) und vor allem im eigentlichen Albanien (95 %), das mit Jugoslawien nie etwas zu tun hatte und heute die EU-Mitgliedschaft anstrebt. Albanien führt den Doppeladler im Wappen, Kosovo hingegen nicht, doch der Doppeladler ist zum Symbol für die albanische Verbundenheit geworden. Einige träumen gar von einem «Gross-Albanien», das aber explizit nicht das Ziel der Republik Albanien ist.

Doppeladler als politische Botschaft

Wer aber öffentlich den Doppeladler zeigt, drückt eine politische Botschaft aus, auch wenn er es selber nicht so meint. Xherdan Shaqiri hat im Interview erklärt, er habe mit dem Symbol seiner Familie danken wollen; die Geste sei überhaupt nicht gegen die Serben gerichtet gewesen. Wie dem auch sei: Das Spiel in Kaliningrad war begleitet von den politischen Spannungen zwischen Serbien und Kosovo. Schon im Vorfeld gab es erheblichen Druck auf die Spieler. Benjamin Huggel sagte vor dem Anpfiff, es werde sicher Provokationen geben, aber er sei überzeugt, «dass sich unsere Spieler nicht provozieren lassen».

Es kam ein wenig anders. Sowohl Xhaka als auch Shaqiri drückten ihren Torjubel aus, indem sie ihre Hände zum Doppeladler formten. Sie vergassen in diesem Moment, dass sie sich zwar unbändig freuen durften, aber dass sie sich auch in einer Rolle befanden: als Spieler der Schweizer Nationalmannschaft – und nicht der Natio­nalmannschaft ihrer Herkunftskultur. Es war die Schweiz, die das Spiel gewonnen hat, und nicht Kosovo, Kroatien, Bosnien, Mazedonien, Kamerun, Nigeria, die Elfenbeinküste, die Kapverden, Chile, auch wenn es die Verbundenheit einzelner Spieler zu diesen Ländern gibt. Die Geste mit dem Doppeladler war definitiv unangebracht.

Und deshalb musste ich in meinem Schlussbericht Sascha Ruefer in Schutz nehmen, der einerseits die fussballerische Leistung lobte, aber die Art des Torjubels durch Xhaka und Shaqiri als «bescheuert», «dämlich», «dumm» und «unüberlegt» bezeichnete und sagte, eine solche Geste habe nichts zu suchen auf dem Spielfeld. Er hatte einfach Recht! Man kann einen solchen Torjubel nicht anders qualifizieren, als er es getan hat, auch wenn man emotional ein gewisses Verständnis dafür haben kann. Die beiden Spieler sind schlicht aus ihrer Rolle gefallen.

Die Rolle des Kommentators

Sascha Ruefer hingegen fiel nicht aus der Rolle: Als Journalist, der das Spiel live moderiert, ist er eben nicht nur Berichterstatter, der die Spielzüge registriert und Hintergründe zu den Spielern liefert, sondern auch Kommentator, der die Leistungen der Mannschaften und einzelner Spieler, die Taktik der Trainer, die Entscheide des Schiedsrichters usw. beurteilt und seine Meinung dazu sagt. Er hätte seine Aufgabe verfehlt, wenn er diese spezielle Art des Torjubels nicht deutlich kommentiert hätte. Aus all diesen Gründen konnte ich die drei Beanstandungen nicht unterstützen.


Zusammenfassung der drei Ombudsfälle und dazugehörige Schlussberichte


Text: Roger Blum

Bild: Reuters/Gonzalo Fuentes

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