SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Wort zum Sonntag»-Thema «Sniper Tell» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 23. August 2018 beanstandeten Sie das «Wort zum Sonntag» (Fernsehen SRF) vom 4. August mit dem Thema «Sniper Tell».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Das aufgeführte Sendegefäss ist nicht angelegt zur Onemanshow einer einseitigen, polemischen und überheblichen Meinungsäusserung zu einem aktuellen toppolitischen Thema, zu dem jegliche vorausgehende sachliche Einführung fehlt. Für solche Themas sind mehrere Sendegefässe bei der SRG vorhanden, in der auch ein Pfarrherr, der sich nicht gerade durch Sachlichkeit auszeichnet (vgl. ‚Wort zum Sonntag‘ vom 14.7.2018 Betriebsschliessung Deisswil), Platz findet um seine Meinung der Öffentlichkeit mitteilen zu können (10 vor 10, Rundschau, Arena etc.).

Allerdings muss hier in Kauf genommen werden, auf Einspruch und Widerspruch zu stossen, was vielleicht etwas hinderlich von der Person empfunden werden kann, da ist ein Solo schon treffsicherer.
Sätze, die zu denken geben: <,Sniper Tell‘ unser Volksheld ist doch ganz anders als ein hinterhältiger Scharfschütze! Sind Sie sicher? Lauert hinterhältig mit tödlicher Waffe Armbrust und Pfeil hinter dem Holunderbusch.> Wirft andern vor zynisch zu sein, kann als Zyniker kaum überboten werden: Wortlaut: ,schleimige Hochglanzbroschüren‘, ‚Die Situation ekelt mich an‘, ‚Wünsche treffsicheren Sonntag‘.

Sagt da ein Esel dem Artgenossen Langohr? Wünscht gschyde Gringe ein anderes berufliches Engagement. Es ist mir bekannt, dass den Landeskirchen und ihren Abgesandten eine grosse Freiheit in der Gestaltung und im Inhalt zukommt. Was möglicherweise dazu beiträgt, dass die evangelisch-reformierte Landeskirche innerhalb von 40 Jahren die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hat. Dies ist jedoch nicht Gegenstand der Prüfung durch die Ombudstelle.

Die publizistische Verantwortung liegt gemäss Sendungsporträt bei der Redaktion. Diese Beanstandung möchte dazu beitragen, diese Verantwortung wahrzunehmen.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort stammt von Frau Dr. Judith Hardegger, Redaktionsleiterin «Sternstunden»:

«Uns liegt die Beanstandung von Herrn X vor betreffend der Sendung ‘Wort zum Sonntag’ vom 4. August 2018. Gerne teile ich Ihnen hiermit meine Stellungnahme mit:

Das ‘Wort zum Sonntag’ ist fester Bestandteil des Pro­gramms des Schweizer Fernsehens. Dabei ist diese Sendung nicht als ‘Predigt im Kleinen’ mit Verkündigungscharakter gedacht, sondern ausdrücklich als ‚christ­licher Kommentar zum Zeitgeschehen’ konzipiert. Diese Charakterisierung ist im Internet auf der Sendungsseite des ‘Worts zum Sonntag’ einzusehen, ebenso erscheint sie in der Formulierung ‘christliche Gedanken zum Zeitgeschehen’ im Abspann jeder Sendung. Ein Kommentar zeichnet sich dadurch aus, dass die Kommentatorin oder der Kommentator ihre eigene Haltung und Mei­nung zu gesellschaftlichen Ereignissen und Debatten sichtbar machen soll und darf. Als Theologinnen und Theologen bringen die Kommentatorinnen und Kommentatoren des ‘Worts zum Sonntag’ eine christliche Sicht auf die von ihnen gewählten Themen mit.

In den zwischen Schweizer Radio und Fernsehen SRF und den Landeskirchen getroffenen Vereinbarungen von 2017 heisst es denn auch:

<Das WORT ZUM SONNTAG ist ein christlicher Kommentar zum Zeitgeschehen. Der Beitrag ist keine Kanzelrede, sondern ein persönlicher Kommentar. Christ­liche Theologinnen und Theologen greifen gesellschaftliche Themen und Fragen zur individuellen Lebensgestaltung auf, sie nehmen aus christlicher Perspektive dazu Stellung und verknüpfen diese mit eigenem Wissen und gelebter Spiritua­lität.>

Und weiter: <Die Sprechenden reden im eigenen Namen und wenden sich an ein breites Publikum, das religiöse Themen eher beiläufig zur Kenntnis nimmt. Sie verwenden eine gut verständliche Sprache, vermeiden kirchlichen Jargon und knüpfen bei Erfahrungen an, die allgemein nachvollziehbar sind. Die Spre­chenden überzeugen durch ihre Person, durch eine profilierte Rede und durch die Relevanz ihres Themas. Das Wort zum Sonntag führt, ob mit erzählerischen oder argumentativen Mitteln, immer zu einer christlichen Aussage für die Gegen­wart. Persönliche Wertungen machen die Sprechenden als solche erkennbar.>

Die als Kommentatoren eingesetzten Theologinnen und Theologen sprechen in dem Sendeformat ihre theologisch informierte und christlich grundierte Meinung aus und tragen damit zur Meinungsbildung und Diskussion gesellschaftlicher Fragen bei.

Beim ‘Wort zum Sonntag’ vom 4. August 2018 von Christoph Jungen gelten diese Grundsätze des Kommentars. Es ist wie folgt aufgebaut: Christoph Jungen bezeichnet eingangs Wilhelm Tell mit dem englischen Begriff ‘Sniper’. Damit werden Präzisionsschützen und Heckenschützen gleichermassen bezeichnet. Unter Bezugnahme auf die Erzähltraditionen zu Wilhelm Tell sowie das gleichnamige Drama von Friedrich Schiller erinnert Christoph Jungen daran, wie Tell aus der Deckung einer Hecke seinen Widersacher Gessler mit Präzision niedergestreckt hat. Damit begründet er seine aktualisierende Wortwahl ‘Sniper’. Danach kommt er zum eigentlichen Thema seines Kommentars, nämlich einer grundsätzlichen Kritik am Marketing und der Werbesprache im Waffenhandel wie auch an den politischen Rahmenbedingungen zur Exportpraxis der Schweizer Waffenindustrie. Er markiert seine persönliche Meinung eindeutig mit Formulierungen wie <Mich empört das> und <Das ekelt mich nur noch an>. Zum Schluss regt er dazu an, über Alternativen zu einer exportintensiven Rüstungsindustrie nachzudenken, dies mit Verweis auf die biblische Rede vom Umschmieden von Waffen zu Werkzeugen (vgl. u.a. Micha 4,3).

In der Tat spricht Christoph Jungen in der besagten Sendung vor allem über ein politisches Thema. Dabei benennt er immer wieder deutlich seine persönliche Sicht und Meinung. Am Ende ordnet er diese unter Verweis auf die biblische Tradition christlich ein. Er gestaltet dies sprachlich versiert und durchaus mit rhetorischen Spitzen, um seine Meinung in profilierter Rede zur Sprache zu bringen. Er bringt explizit christliche Grundwerte in ein gesellschaftliches Thema ein und erfüllt damit den Sendeauftrag der Sendung ‘Wort zum Sonntag’ als christlichen Kommentar zum Zeitgeschehen.

Da aktuell weder Abstimmungen noch Unterschriftensammlungen zum Thema Waffen oder Rüstungsexporte lanciert sind, widerspricht dieser Meinungskommentar auch an keiner Stelle den publizistischen Leitlinien von SRF.

Somit halte ich fest, dass aus Sicht der Redaktion die Sendung das ihr zugesprochene Mandat erfüllt hat und bitte Sie, die Beanstandung von Herrn X zurückzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Das «Wort zum Sonntag» ist ein Kommentar. Ein Kommentar kann sehr scharf sein; vor allem muss er nicht ausgewogen sein. Die einzige Bedingung, die das «Wort zum Sonntag» erfüllen muss, ist der Bezug zur christlichen Botschaft. Die Grundidee des gewählten Themas soll sich auf die Bibel stützen. Ist einer, der wie Pfarrer Christoph Jungen gegen die Rüstungsindustrie wettert, gegen ihren Zynismus und ihre Doppelzüngigkeit, noch im Einklang mit der Bibel? Das ist er, denn Jesus predigt die Gewaltlosigkeit und das friedliche Neben- und Miteinander. Er fordert seine Anhänger nicht auf, zum Schwert zu greifen. Er sagt laut Matthäus 5, 39-42:[2]

<Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.>

Ich verstehe, dass Sie sich ärgern, wenn Tell zum Heckenschützen degradiert wird oder wenn die militärische Bewaffnung ausschließlich negativ gesehen wird, dient sie doch auch der Landesverteidigung. Aber das «Wort zum Sonntag» soll uns nachdenklich machen. Das gelingt ihm nicht, wenn es auf Samtpfoten daherkommt und uns nur schmeichelt. Pfarrer, Kabarettisten, Hofnarren – sie alle hatten und haben die Aufgabe, uns immer wieder den Spiegel vorzuhalten. Das tut Christoph Jungen mit Verve. Er nutzt dabei den Spielraum der Medienfreiheit und der Programmautonomie. So sehr ich Ihre Verärgerung verstehe, so wenig kann ich sie unterstützen. Denn die Redaktion hat ihre Verantwortung im Rahmen der gesetzlichen Richtlinien durchaus wahrgenommen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/sendungen/wort-zum-sonntag/sniper-tell

[2] http://www.bibel.com/jesus-forum/viewtopic.php?f=47&t=16152

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