«Tagesschau»-Nichtberichterstattung von Überfall auf AfD-Abgeordneten beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 9. Januar 2019 beanstandeten Sie die Nichtberichterstattung über den Überfall auf einen AfD-Bundestagsabgeordneten in Bremen (Sendungen vom 8. Januar 2019) und über den Fall des Reportage-Fälschers Claas Relotius (Sendungen vom 19./20. Dezember 2019). Ihre Eingabe ist eine Zeitraumbeanstandung. Sie entspricht den formalen Anforderungen an eine solche Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Während in der heutigen Tagespresse ausführlich und prominent, inkl Leitartikel, über den Mordanschlag auf einen AfD Bundestagsabgeordneten in Bremen vom 7.1.2019 berichtet wird, verschweigen dies die Informationssendungen von SRF 1 bisher. So wie der gleiche Informationsdienst auch kaum über den äusserst gravierenden Betrugsfall eines Journalisten des renommierten Magazins Der Spiegel getan hat, so nach dem Motto <Keine Krähe pickt der anderen ein Auge aus>. Ähnliche, politisch aber etwas anders gelagerte Fälle bieten in der Regel SRF gleich einen willkommenen Anlass, Programme wie den Zischtigsclub, das Echo der Zeit, die Rundschau und/oder die Arena zu füllen. Was offenbar nicht in die Ideologie der Redaktionen passt, wird in der Berichterstattung kaum oder überhaupt nicht berücksichtigt.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein ähnlicher Mordanschlag von Rechtsextremisten auf einen CDU/CSU/SPD/Grünen Bundestagsabgeordneten von Radio SRF 1 ebenfalls verschwiegen worden wäre. Im Gegenteil, die Vorfälle der letzten Monate zeigen (Stichwort Chemnitz), dass in seinem solchen Falle tagelang darüber berichtet wird. Da wird offenbar einmal mehr mit verschiedenen Ellen gemessen. Ich erwarte eine Erklärung dazu.»

B. Die zuständigen Redaktionen erhielten Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Fernsehen SRF antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der «Tagesschau», für Radio SRF äusserte sich Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF.

Hier zunächst die Ausführungen von Herrn Franz Lustenberger:

«Mit Mail vom 9. Januar hat Herr X eine Beanstandung eingereicht. Er wirft SRF vor, Informationen zum Anschlag auf einen AfD-Abgeordneten verschwiegen und nur wenig über den Betrugsfall Relotius berichtet zu haben.

Anschlag auf einen AfD-Abgeordneten

Die Tagesschau des Schweizer Fernsehens SRF hat am 8. Januar sehr wohl über den Anschlag auf einen Abgeordneten der AfD in Bremen berichtet. Die Tagesschau hat das Thema in einem HDin aufgenommen. HDin bedeutet eine von der Moderatorin gelesene Nachricht mit Bildern. Im Gegensatz zu einer reinen Nachrichtenmeldung erhält diese aufgrund der Präsentation durch die Moderatorin sogar noch ein besonderes Gewicht (ab 17:27) [1] Auch die Newsseite von SRF hat den Angriff thematisiert und vertieft darüber informiert.[2]

Relotius

Schweizer Fernsehen SRF hat sehr wohl und ausführlich über den Fall ‘Relotius’ berichtet. Die folgenden Beispiele belegen dies:

In einem breiten Bericht vom 19. Dezember ist klar von einem ‘Hochstapler in den eigenen Reihen’ die Rede. Weiter wird die Problematik mit dem Schweizer Chefredaktor Daniel Puntas Bernet vertieft.[3] Die Sendung ‘Kulturkompakt’ von Radio SRF2 widmet sich ausführlich dem Betrugsskandal beim Nachrichtenmagazin ‘Der Spiegel’.[4] In einem ausführlichen Gespräch mit der Sendung ‘Rendez-vous am Mittag’ von Radio SRF fordert der Medienwissenschaftler Michael Haller ein Umdenken in der Branche.[5] ‘Echo der Zeit’, die Hintergrundsendung von Radio SRF hat an beiden Tagen, die vom Beanstander erwähnt werden, ausführlich über den Fall «Relotius» berichtet und die Folgen auch für die Schweizer Medien behandelt.[6] Vier bis fünf Mal jährlich sendet das Schweizer Fernsehen anstelle des Clubs am Dienstag Abend jeweils einen spziellen ‘Medienclub’, moderiert von Franz Fischlin. Für die nächste Ausgabe im Februar 2019 ist eine breite Diskussion zum ‘Fall Relotius’ geplant.

Das Schweizer Fernsehen weist den Vorwurf, sich vom Motto <keine Krähe pickt der anderen ein Auge aus> leiten zu lassen in aller Form zurück. Die Journalistinnen und Journalisten von SRF arbeiten nach den Grundsätzen der Publizistischen Leitlinien - also sachgerecht, vielfältig und unabhängig.[7]

Fazit

Entgegen der Kritik in der Beanstandung hat die Tagesschau über die Attacke auf einen AfD-Abgeordneten in Bremen am 8. Januar berichtet. Auch der Betrugsfall ‘Relotius’ wurde in mehreren Sendungen und Artikeln aufgenommen und breit abgehandelt. Aus diesen Gründen beantrage ich die Ablehnung der Beanstandung von Herrn X.»

Und hier folgen die Ausführungen von Herrn Fredy Gsteiger:

«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Ich stütze mich in meiner Antwort weitgehend auf die Stellungnahme meines Kollegen Franz Lustenberger von Fernsehen SRF, zumal er ebenfalls bereits Radiobeiträge zitiert. Ich füge lediglich noch einzelne radiospezifische Beispiele und Belege hinzu.

Zum Fall Relotius: Wir sahen in diesem von vornherein ein zentrales Thema, zumal es um die Glaubwürdigkeit unseres eigenen Metiers geht und sich aus Publikumssicht viele Fragen stellten. Entsprechend breit haben wir den Fall aufgegriffen, in allen Primetime-Sendungen, in den Nachrichten, auf SRF4 News und online.[8] Im ‘Echo der Zeit’ nahm ich selber als Vertreter der Radio-Chefredaktion Stellung zu Grundsatzfragen der Wahrheitstreue im Journalismus.

Es handelt sich beim Relotius nicht nur um einen ‘Fall Spiegel’; auch mehrere Schweizer Zeitungen fielen bekanntlich auf den Fälscher herein. Ich betonte im ‘Echo der Zeit’, dass bei einer derartigen kriminellen Energie, gepaart mit einem hohen Geschick wohl kaum ein Medium grundsätzlich ausschliessen kann, selber auch Opfer zu werden. Und dass keine noch so seriöse Dokumentationsabteilung und kein Faktencheck-Team solche Fehlleistungen frühzeitig abfangen kann. Es gelten jedoch bei uns zwei wichtige Prinzipien, wenn eine Redaktion vermeiden will, nicht nur Opfer, sondern auch Mittäter zu werden. Erstens: Wenn etwas nicht plausibel ist, ist es oft auch nicht wahr. Sobald Zweifel am Wahrheitsgehalt auftauchen, sind gründliche Abklärungen zwingend nötig. Zweitens: Es gilt zu verhindern, dass ein Redaktionsklima herrscht – ob nun von der Hierarchie getrieben oder unter Kollegen -, die solchen Journalismus befördert, die das Spektakuläre und Originelle um jeden Preis sucht, und sei es um den Preis der Wahrheit. Wird diesen beiden Prinzipien nachgelebt, lässt sich die Gefahr von Fehlleistungen à la Relotius oder früher Tom Kummer zumindest verringern. Dazu kommt: Jedem Redaktionsmitglied, jedem Autor muss klar sein, dass solcher Journalismus nicht nur unerwünscht ist, sondern für ihn oder sie gravierende Konsequenzen hat, sobald der Schwindel auffliegt.

Ergänzend ausserdem zur Berichterstattung über den gewalttätigen Angriff auf den deutschen AfD-Abgeordneten Frank Magnitz. Hier stütze ich mich auf unseren stellvertretenden Nachrichtenchef Jan Grüebler, der die entsprechenden Nachrichtenmeldungen bereits zusammengestellt hat – dies zur Beantwortung einer direkten Zuschrift des Beanstanders X an uns. Sie zeigen, zusätzlich zu den Belegen von Franz Lustenberger, dass wir den Anschlag keineswegs verschwiegen haben.

Die erste Meldung lief nur um 4 Uhr auf allen Sendern. Die zweite war prominent überall und die dritte lief auf mehren Kanälen, aber allerdings nicht auf SRF 1:

3:30, 4:00, 4:30:

In Deutschland ist der Chef der Bremer AfD und Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Frank Magnitz, von mehreren Angreifern attackiert und verletzt worden. Die Tat habe sich am Montagnachmittag in Bremen ereignet, teilte die Bremer Polizei am späten Abend mit. Es sei von einer politisch motivierten Tat auszugehen. Der polizeiliche Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft Bremen hätten Ermittlungen eingeleitet.

12.00 SRF1/2/MW, 12:00 Info3, 12:30 SRF1/2/MW, 13:00 SRF3, 13:30 SRF4:

Deutschlands Regierung hat den Angriff auf einen AfD-Politiker in Bremen verurteilt. Der AfD-Parlamentarier Frank Magnitz war gestern Abend von mehreren Angreifern schwer verletzt worden. Die Polizei in Bremen geht von einer politisch motivierten Tat aus. Der 66-Jährige liege schwer verletzt im Spital. Aussenminister Heiko Maas von der SPD betonte, Gewalt dürfe kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein, egal gegen wen. Die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, bezeichnete die Tat als Mordversuch.

17:30 SRF 4, 18:00 SRF 2/MW, 17:30 SRF 3

In Deutschland haben Polizei und Staatsanwaltschaft ein Video veröffentlicht - das den Überfall auf den Bremer Chef der AfD, Frank Magnitz, zeigt. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie ein Mann mit Kapuze Magnitz von hinten umrennt. Magnitz hat beide Hände in den Manteltaschen und stürzt. Es ist kein Schlaggegenstand zu sehen und es ist auch nicht zu sehen, dass auf den Verletzten eingetreten wird. Die Bremer AfD hatte nach dem Überfall erklärt, die Täter hätten Magnitz mit einem Kantholz bewusstlos geschlagen und gegen seinen Kopf getreten.

Es ist für uns selbstverständlich, über einen solchen Fall zu berichten, ungeachtet der Tatsache, welchem politischen Lager das Opfer angehört. Genauso haben wir beispielsweise auch über den Angriff 2016 auf die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox – der tödlich endete – berichtet. Und tun es auch jetzt wieder, wenn es um die Gewalt von Exponenten der französischen ‘Gelbwesten’ geht, und zwar unabhängig davon, ob diese nun eher dem linksextremen, dem rechtsextremen oder gar keinem politischen Lager zuzuordnen sind. Für unsere Berichterstattung gilt: Gewalt gegen Zivilisten ist kein legitimes Mittel der Politik, nicht in Deutschland, nicht in Frankreich, nicht in Israel oder Palästina, nicht sonst irgendwo.

Ich schliesse mich damit Kollege Lustenberger an mit der Bitte an Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Es ist eine Zumutung, eine solche Beanstandung behandeln zu müssen. Im Grunde haben Sie das Beanstandungsverfahren vor der Ombudsstelle schlicht missbraucht. Sie haben die Sendungen von Radio und Fernsehen SRF am 19./20. Dezember 2018 und am 8. Januar 2019 entweder gar nicht oder mit zugehaltenen Ohren und mit geschlossenen Augen verfolgt und erdreisten sich zu behaupten, SRF habe über den Angriff auf den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz und über den Fall des «Spiegel»-Reporters Claas Relotius nicht berichtet. Daraus leiten Sie dann die Behauptung ab, dass die Redaktionen von SRF Fakten verschweigen, die ihnen nicht in den Kram passen. Solche Vorwürfe sind schlicht infam.

Tatsache ist, dass Radio und Fernsehen SRF über beide Vorfälle breit berichtet hat. Zum Bremer Überfall gab es beispielsweise ein Interview mit einem Journalisten von Radio Bremen. Zum Fall Relotius äußersten sich die Schweizer Journalisten Daniel Puntas Bernet [9], Chefredaktor von «Reportagen», und Peter Hossli [10], Reporter. In einem ausführlichen Interview nahm der Medienwissenschaftsprofessor Michael Haller [11] Stellung, und damit einer, der sich breit auskennt. Erstens war Michael Haller in jungen Jahren Journalist in der Schweiz, bei der Basler «National-Zeitung» und bei der «Weltwoche». Zweitens war er in verantwortlicher Position beim «Spiegel» und bei der «Zeit». Drittens schrieb er ein Lehrbuch über «Reportagen». Und viertens bildete er als Professor für Journalistik in Leipzig mehrere Jahrzehnte lang künftige Journalistinnen und Journalisten aus. Sein Kernsatz war, dass Journalisten nicht Schriftsteller, sondern Aufklärer sein sollten. Ebenso klare Worte sprach Fredy Gsteiger als stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF. Er plädierte dafür, dass jene, die Texte prüfen, über Dossierkenntnisse verfügen müssen, dass generell das Vier-Augen- oder das Sechs-Augen-Prinzip gelten müsse und dass die Medienschaffenden wissen müssen, dass Fälschungen Konsequenzen haben.

In den Fussnoten finden Sie de Links zu all den Sendungen, die Radio und Fernsehen SRF zu den beiden Vorfällen ausgestrahlt haben. Ich kann Sie nicht verpflichten, sie alle nachzuhören bzw. anzugucken, aber ich bitte Sie darum, damit Sie sich von den Fakten überzeugen können. Ihre Beanstandung kann ich weder verstehen, noch unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-08-01-2019-1930?id=d6b8894a-9519-45d6-9092-841c6c6209cd

[2] https://www.srf.ch/news/international/angriff-auf-afd-politiker-frank-magnitz-gibt-gewissermassen-eine-hassfigur-ab

[3] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/preisgekroenter-journalist-gibt-betrug-zu?id=91d129dd-3ad6-41c9-a9ac-a1bfdf98d4fd

[4] https://www.srf.ch/sendungen/kultur-kompakt/der-spiegel-artikel-zum-betrugsskandal-um-claas-relotius

[5] https://www.srf.ch/news/international/betrugsfall-beim-spiegel-journalisten-sollen-nicht-schriftsteller-sein

[6] https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/die-leserinnen-und-leser-wurden-betrogen?id=c30f7219-9d3b-4565-84ae-90454994e43c

https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/so-sichert-radio-srf-die-qualitaet-der-berichterstattung?id=0245f4b8-0d15-4faa-88d3-bd3491133bfc

[7] http://intranet.srf-tpc/c/document_library/get_file?uuid=af7dfa80-6d31-46a2-bffe-3bf0f0aca15a&groupId=14

[8] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/der-fall-relotius-jetzt-braucht-es-extreme-transparenz

[9] https://reportagen.com/uber-uns

[10] https://www.hossli.com/

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Haller_(Medienwissenschaftler)

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