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«Tagesschau»-Beitrag «Weimarer Verfassung – Aufbruch zur Demokratie in Deutschland» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 6. Februar 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Weimarer Verfassung – Aufbruch zur Demokratie in Deutschland».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«In der heutigen (6. Februar 2019) Hauptausgabe der Tagesschau wurde über das Hundertjahr-Jubiläum der Weimarer Republik berichtet. Als Feinde der Demokratie wurden in Wort und Bild einzig und allein die Nazis verantwortlich gemacht und gezeigt. Jede/r mit elementaren Geschichtskenntnissen weiss, dass die politischen Extremisten der Rechten (Nazis) und der Linken (Kommunisten) die Republik bedrohten und schliesslich zu Fall brachten.

Gewaltbereitschaft gab es auf beiden Seiten, antidemokratisch gesinnt beide Seiten. Beide hatten ihre Saalschlachtmobs und uniformierten Parteitruppen. Beide wollten die Diktatur einer einzigen Partei.

Dann wurde der Bogen zu heute geschlagen. Auch hier die gleiche Tendenz, allein rechte Kräfte als antidemokratisch zu verurteilen. Was SRF hier macht, ist Geschichtsfälschung, Die Geschichte der Weimarer Republik zeigt eben exemplarisch, welches die antidemokratischen Kräfte sind und was sie mit den Menschen anstellen können in unruhigen Zeiten.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äußerte sich Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der Sendung:

«Mit Mail vom 6. Februar 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom gleichen Tag eingereicht. Es geht um den Beitrag zum 100-Jahr-Jubiläum der Weimarer Republik.

Aufbau des Beitrages

Im ersten Teil (HDin von der Moderatorin gelesen mit Tönen von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel) wird die Aktualität gezeigt, nämlich die Erinnerungsfeier in Weimar. Beide betonen die Bedeutung der Weimarer Verfassung für das heutige Grundgesetz und die Demokratie in Deutschland.

Im zweiten Teil wird die Geschichte der Weimarer Republik und ihr Scheitern dargestellt und die Frage gestellt, ob sich solche Ereignisse in Deutschland wiederholen könnten. Befragt wird Andreas Wirsching, ein anerkannter Experte für die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert.

Im Folgenden geht die Tagesschau auf die Punkte der Beanstandung ein, insbesondere auf die vom Beanstander erwähnte Gleichwertigkeit von links- und rechtsextremen Parteien in Bezug auf den Untergang der Weimarer Republik im Januar 1933.

Rolle der KPD

Es ist dem Beanstander beizupflichten, dass die Kommunistische Partei KPD, hervorgegangen aus dem Spartakusbund und weiteren linksextremen Gruppierungen, der Weimarer Republik ablehnend gegenüberstand. Ihre Absicht, in Deutschland eine Republik nach sowjetischem Vorbild zu errichten und damit die Weimarer Verfassung zu Fall zu bringen, war aber keine reale Gefahr. Aus verschiedenen Gründen:

Die KPD kam nie über einen Wähleranteil von 17 Prozent hinaus, wie die folgende Zusammenstellung der Wähleranteile bei den Reichstagswahlen zeigt: 2,1 Prozent (6. Juni 1920), 12,6 Prozent (4. Mai 1924), 8,9 Prozent (7. Dezember 1924), 10,6 Prozent (20. Mai 1928), 13,1 Prozent (14. September 1930), 14,3 Prozent (31. Juli 1932), 16,9 Prozent (6. November 1932), 12,3 Prozent (5. März 1933).

Die KPD verstand sich immer als revolutionäre Alternative zur linken Volkspartei SPD, welche in der Arbeiterschaft deutlich besser verankert war. Die SPD grenzte sich immer von der KPD ab.

Die SPD stand von Anfang an zur Weimarer Verfassung; sie stellte den ersten Reichspräsidenten in der Person von Friedrich Ebert. Die von der SPD geführten Regierungen bekämpften die KPD während der ganzen Zeit mit politischen, polizeilichen und militärischen Mitteln. Mehrere von der KPD initiierte Revolten oder Streiks, welche eine Räterepublik zum Ziel hatten, wurden in den Jahren 1919 bis 1923 niedergeschlagen.

Die Kommunisten (KPD) stellten in der Folge nie eine politisch ernsthafte Gefahr für die Weimarer Republik dar; ihnen fehlte der Rückhalt in der Bevölkerung. Die grosse linke Volkspartei SPD stand zudem treu zu den Grundsätzen der demokratischen Verfassung.

Rolle der NSDAP

Die NSDAP war in den Anfängen der Republik eine von vielen rechtsnationalen und rechtsextremen Gruppen und Parteien, welche die Verfassung von Weimar ablehnten. Sie brachten die neue Demokratie immer in Verbindung mit dem Friedensvertrag von Versailles, den sie als Kapitulation und Schande für Deutschland bezeichneten.

Der Aufstieg der NSDAP erfolgte erst im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929. Das belegen die Wähleranteile bei den Reichstagswahlen: 2,6 Prozent (20. Mai 1928), 18,3 Prozent (14. September 1930), 37,4 Prozent (31. Juli 1932), 33,1 Prozent (6. November), 43,9 Prozent (5. März 1933).

Es ist richtig, dass die demokratiefeindlichen Kräfte (NSDAP, DNVP auf der rechten Seite und KPD auf der linken Seite) nach dem Sommer 1932 zusammen über eine ‘negative Mehrheit’ verfügten. Das allein aber hätte noch nicht zum Untergang der Weimarer Republik führen müssen; während mehr als zwei Jahren, seit März 1930, regierten nämlich Reichspräsident Paul von Hindenburg und die von ihm ernannten Reichskanzler mit Hilfe von Notverordnungen.

Die gezielte Unterwanderung der demokratischen Institutionen in der Weimarer Republik erfolgte durch ein nationalsozialistisches Aristokraten- bzw. Bürgertum und deren militärischen Arm, die ‘schwarze Reichswehr’. Zwar gab es vereinzelte bewaffnete ‘rote Truppen’. Diese waren aber in keiner Art und Weise vergleichbar mit der ‘schwarzen Reichswehr’, die von offizieller Seite geduldet und mit Waffen unterstützt wurde. Zu den Führungsleuten der ‘schwarzen Reichswehr’ gehörte in Bayern etwa Hauptmann Ernst Röhm, der spätere Chef der SA.

Die Weimarer Republik ging unter, weil sich die bürgerlich-nationale Rechte mit der extremen Rechten verbündete. Mit der DNVP und anderen rechtskonservativen Kräften bildete sich um Adolf Hitler als Parteiführer der Nationalsozialisten Anfang 1933 eine neue, zur Macht drängende Kräftekonstellation. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt; innert weniger Wochen und Monate wurden die demokratischen, rechtsstaatlichen und föderalen Strukturen der Weimarer Republik zerstört und die Diktatur errichtet.

Bezug zu heute

Im zweiten Teil des Beitrages wird der Frage nachgegangen, ob sich angesichts des Erstarkens der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland AfD, der politischen Polarisierung und der Schwäche der traditionellen Volksparteien eine ähnliche geschichtliche Entwicklung wie in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wiederholen könnte. Die AfD versteht sich als Opposition zur jetzigen Parteienlandschaft; deren Regierung soll ‚gejagt‘ werden. Auch die Wortwahl ‚vom in sich geschlossenen Volk‘ offenbart Parallelen zwischen der Rechten zur Weimarer Zeit und der heute auf den Strassen demonstrierenden rechten Bewegungen und Gruppen im Osten Deutschlands.

Demgegenüber ist die Partei ‚Die Linke‘ staatstragend; sie ist in Landesregierungen und kommunale Exekutiven eingebunden. Im Bundesland Thüringen stellt sie den Ministerpräsidenten. Die Partei ‚Die Linke‘ stellt die Demokratie nicht in Frage; im Gegensatz zu Bewegungen am rechten Rand, welche sich für eine autoritäre Staatsordnung aussprechen. Zudem hat ‚Die Linke‘ angesichts der Wählerstärke eine kleinere Bedeutung als etwa die AfD.

Der Historiker Andreas Wirsching betont aber auch die Stärke der heutigen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Die Unterschiede zu Weimar seien gross; die Demokratie in Deutschland beurteilt der Historiker entsprechend als grundsätzlich stabil.

Fazit

Die Tagesschau hat keine Geschichtsfälschung betrieben. Linke und rechte Antidemokraten als für den Untergang der Weimarer Republik gleich verantwortlich zu bezeichnen, wäre Geschichtsfälschung. Erst das Zusammengehen des rechtsnationalen Bürgertums mit der NSDAP führte zum Ende der ersten deutschen Republik.

Es gibt in Deutschland keine ernstzunehmende linke Kraft, welche das Grundgesetz und die Demokratie in Frage stellen. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums gibt es aber durchaus Kräfte, welche den Nationalsozialismus nicht als Katastrophe für Deutschland ansehen und damit eine antidemokratische Gesinnung auch öffentlich äussern.

Die Berichterstattung über die Weimarer Republik und ihren Untergang Ende Januar 1933 war sachgerecht. Gleiches gilt für die Fragestellung nach den Parallelen zu heute.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich würde weder Ihnen noch der Darstellung von Herrn Lustenberger voll zustimmen. Die Weimarer Republik war leider, so gut ihre Grundsätze waren, von Anfang an morsch, weil die Reichswehr, das Großkapital und die rechtsbürgerlichen Parteien nicht wirklich zur Demokratie standen, sondern der Monarchie nachtrauerten, und weil sowohl die extreme Rechte als auch die extreme Linke die einzige Partei, die sich voll und ganz zur Weimarer Republik bekannte, nämlich die Sozialdemokratie, bekämpften. Nicht nur die Nazis putschten, auch die Kommunisten riefen wiederholt zum bewaffneten Kampf auf und provozierten Generalstreiks, und wie die Nationalsozialisten ihre paramilitärische «Sturm-Abteilung» (SA) hatten, hatten die Kommunisten ihren Frontkämpferbund, so dass es immer wieder zu blutigen Straßenschlachten zwischen NSDAP-Kämpfern und KPD-Kämpfern kam. Gerade deswegen sehnten sich viele Menschen nach einer Führung, die Ruhe und Ordnung schafft, und genau deswegen hatte Hitler nach der Machtergreifung durchaus Unterstützung in der breiten Bevölkerung, als seine Regierung die Grundrechte aufhob, die Kommunisten in Konzentrationslager steckte und das Parlament ausschaltete. Zwar waren die Kommunisten nicht die Ursache für die Diktatur Hitlers, aber sie haben sie letztlich eher befördert als verhindert. Die Hauptursachen waren andere: Die anhaltende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Verträgen von Versailles und mit den Deutschland auferlegten Reparationen; die Wirtschaftskrise und die fürchterliche Deflation; der latente Antisemitismus; die Sehnsucht nach einer starken, stabilen Regierung; die Allianz der Rechtsbürgerlichen mit den Nazis sowie die moralische und numerische Schwäche der Mitte (Liberale, Zentrum).

Was heißt das nun für den ausgestrahlten Beitrag? Er war nicht falsch, vor allem auch nicht in seinem Bezug zur Gegenwart und in der Analyse von Prof. Dr. Andreas Wirsching, dem Leiter des Instituts für Zeitgeschichte und Ordinarius für Neueste Geschichte an der Universität München[2]. Es ist unbestreitbar, dass sowohl für die Republik von Weimar als auch für die gegenwärtige Bundesrepublik Deutschland die Gefahr von rechts akuter war und ist als die Gefahr von links (etwa im Unterschied zur Zeit der terroristischen «Roten Armee Fraktion» vor 40 Jahren). Doch ein knapper Hinweis auf die ebenfalls militanten, Unruhe schürenden Kommunisten hätte dem Beitrag nicht geschadet. Ich würde allerdings, anders als Sie, den Beitrag nicht als Geschichtsfälschung taxieren, das geht mir zu weit. Aber für mich war er nicht rund und insofern nicht ganz sachgerecht. Deshalb bin ich bereit, Ihre Beanstandung teilweise zu unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/weimarer-verfassung---aufbruch-zur-demokratie-in-deutschland?id=749de540-8445-4a3b-82f7-0f241ba44b78

[2] https://www.ifz-muenchen.de/das-institut/mitarbeiterinnen/ea/mitarbeiter/andreas-wirsching/

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