SRF News online und «Echo der Zeit»-Beiträge zum Thema Wahlbeteiligung beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 17. November 2019 beanstandeten Sie den SRF-Online-Artikel «Wenn das Stimmvolk wacker schrumpft» vom 12. November 2019 und damit auch die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom 12. November 2019 («Die Zahl der Stimm- und Wahlberechtigten sinkt weiter – was tun?»).[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Aussage <Wer sich an die Gesetze halten muss, soll mitbestimmen können> von Joachim Blatter, Professor für Politikwissenschaft, Universität Luzern und von der SRG unkritisch als Herrn Blatters Experten-Meinung (sogar hervorgehoben) verbreitet, ist elementar-logisch äquivalent zur Aussage <Wer nicht mitbestimmen können soll, der muss sich nicht an die Gesetze halten> (siehe z.B. Wikipedia: ‘Kontraposition’)!

Also müssen sich gemäss Professor Blatter und SRG unsere mehr als zwei Millionen ausländischen Mitmenschen in der Schweiz, also etwa ein viertel unserer Bevölkerung (siehe z.B. Bundesamt für Statistik), also auch uns bevölkernde Terroristen, nicht an unsere Gesetze halten, was natürlich national kritisch wäre und beweisbar falsch ist!

Meiner Laien-Meinung nach ist das zudem unseren, auf unsere kostbare direkte Demokratie abgestützten Rechtsstaat gefährdende, links-extreme Propaganda und zwar auf unser aller Kosten (also auch ein klarer Fall für die Ombudsstelle der SRG).

Sogar unser neutraler (!) National- und hoffentlich Noch-Rechtsstaat soll offenbar à la Kommunismus, Muslimbrüder wie auch Neoliberalismus - nota bene, alle transnational - unter bewusster oder unbewusster Beihilfe unserer linksextrem gesinnten MitbürgerInnen von innen her demographisch aufgesprengt werden.

Natürlich können weder Polizei noch die zur Polizei subsidiäre Armee potentiell mehr als zwei Millionen - nota bene, sich zu etwas berechtigt fühlend (!) aufgerufene - inländische Mitmenschen besänftigen. Wie bitte sehen das andere logisch denkende Mitmenschen - inklusive Juristen? (linke Literaturempfehlung: ‘Manufacturing Consent’ von Herman und Chomsky).»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für SRF News/»Echo der Zeit» äußerte sich Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:

«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X äussert in seiner Beanstandung in erster Linie seine entschiedene Ablehnung des Ausländerstimmrechts. So wie ich sein Schreiben verstehe, setzt er sich im Rahmen dieses Positionsbezugs in zwei Punkten auch mit unserer Berichterstattung auseinander: Zum einen, indem er die Forderung nach dem Stimm- und Wahlrecht für Ausländer als Ausdruck einer linksextremen Gesinnung charakterisiert. Zum andern, indem er es – als Folge seiner Einschätzung – für nicht statthaft erachtet, dass jemand sich in der Berichterstattung von SRF zugunsten dieses Ausländerstimm- und -wahlrechts äussert.

Die Beanstandung bezieht sich auf einen Artikel plus Kasten auf SRF News. Beide Teile des Artikels basieren wiederum auf einer zweiteiligen Berichterstattung im ‘Echo der Zeit’.

Der erste und auch umfangmässig gewichtigere Teil fokussiert auf das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer. Der zweite, ergänzende Teil beschäftigt sich mit der Debatte über die Herabsetzung des Stimmrechtsalters, da diese Massnahme ebenfalls eine Möglichkeit darstellt, den Anteil der Stimmberechtigten an der Gesamtbevölkerung zu erhöhen.

Ausgangspunkt für den Beitrag von Basel-Korrespondentin Marlène Sandrin ist eine Statistik aus dem Kanton Basel-Stadt, die aufzeigt, dass mittlerweile weniger als die Hälfte der Kantons,bevölkerung von Basel-Stadt dort auch stimmberechtigt ist. Der Bericht ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil kommt eine Ausländerin zu Wort, die in Basel geboren und aufgewachsen ist und stets dort gelebt hat und auch in der Stadt Steuern bezahlt. Den Einbürgerungsprozess wollte sie nicht absolvieren, hingegen bedauert sie, in Basel nicht stimm- und wahlberechtigt zu sein, obschon sie sich am Rheinknie zuhause fühlt.

Im zweiten Teil wird die politische Debatte abgebildet: Mit der SP, die das Stimm- und Wahlrecht entschieden befürwortet. Mit der SVP, welche dieses entschieden ablehnt und deren Vertreter anmerkt, dass nicht nur Ausländer, sondern auch Jugendliche nicht abstimmen dürfen. Und mit den Bürgerlichen, deren Vertreter eine Mitteposition einnimmt, indem das Stimmrecht für Ausländer mit mindestens zehnjährigem Wohnsitz befürwortet wird. Am Ende wird ausserdem aufgezeigt, dass Vorstösse in Basel, das Ausländerstimm- und Wahlrecht einzuführen, vom Volk mehrfach abgelehnt wurden. Will heissen: In bisherigen Abstimmungen fand sich keine Mehrheit für dieses Anliegen.

Im dritten Teil des Beitrags wird ein Politologe der Universität Luzern befragt: Dieser empfindet es als demokratiepolitisch problematisch, wenn ein sehr grosser Anteil der dauerhaft ortsansässigen und dort steuerzahlenden Bevölkerung vom demokratischen Prozess ausgeschlossen wird. Er erachtet es als Risiko, wenn dadurch eine Minderheit für, beziehungsweise über die Mehrheit entscheiden kann. Und er erklärt, warum es in der direkten Demokratie Forderungen schwer haben, zusätzliche Gruppen das Stimmrecht zu gewähren – wie bereits das lange Ringen um das Frauenstimmrecht zeigte.

Aus unserer Sicht ist dieser Beitrag sachgerecht. Es kam eine betroffene Ausländerin zu Wort, deren Argumenten und Forderung unser Publikum gutheissen oder ablehnen kann, indem es sich eine eigene Meinung bildet. Es wurde das politische Spektrum abgebildet, das von Zustimmung über eingeschränkte Zustimmung bis zu klarer Ablehnung reicht. Und es kam ein Wissenschaftler zu Wort, der aus demokratiepolitischer Warte argumentiert. Auch dieser Argumentation muss das Publikum nicht beipflichten, sie ist jedoch in einer demokratiepolitischen Betrachtungsweise stringent und darf legitimerweise geäussert werden.

Für uns ist im Übrigen nicht ansatzweise erkennbar, inwiefern es sich bei der Frage des Ausländerstimm- und -wahlrechts um ein linksextremes Anliegen handeln sollte. Zumal es gar nicht von linksextremen Parteien vertreten wird, sondern von linken (SP) und in eingeschränktem Mass auch von bürgerlichen Parteien.

Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Herrn X abzulehnen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Artikels und der Sendung. Ich habe Mühe zu verstehen, wie Sie auf der Grundlage einer journalistisch redlich und korrekt aufgebauten Sendung und eines journalistisch redlich und korrekt aufgebauten Online-Textes zu einem geradezu verschwörungstheoretischen Katastrophen-Szenario kommen, bei dem Demokratie und Rechtsstaat in der Schweiz à la Kommunismus, Muslimbrüder und Neoliberalismus unter Beihilfe einheimischer Linksextremer aufgesprengt werden sollen. Was interpretieren Sie da in SRF-Sendungen und – Texte hinein? Was träumen Sie? Die Redaktion des «Echos der Zeit» hat ein real existierendes Problem aufgegriffen: Der Souverän wird im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immer kleiner. Nicht zum Souverän gehören die Jugendlichen unter 18, die in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer sowie die Entmündigten. Es ist unbefriedigend, wenn der Souverän demnächst aus der Minderheit besteht. Das wären Zustände wie im 18. und teilweise im 19. Jahrhundert. Das Problem lässt sich entschärfen oder lösen, indem das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre gesenkt wird, ausländische Menschen erleichtert oder formlos-gratis eingebürgert werden oder indem sie nach einer Karenzfrist einfach mit dem Stimm- und Wahlrecht versehen werden. Diese Problematik haben Sendung und Artikel in der Form einer Auslegeordnung aufgezeigt. Damit hat das «Echo der Zeit» nichts anderes getan als das, was Journalismus immer tut: Ein Problem erkennen, seine Ursachen und Hintergründe schildern und Lösungsmöglichkeiten darlegen. Es gibt daher an den Beiträgen aus der Sicht der Ombudsstelle überhaupt nichts auszusetzen: Sie waren sachgerecht, erhellend und vielfältig, indem sie verschiedene Positionen spiegelten. Ganz daneben greift Ihr Umkehrschluss: An die Gesetze halten müssen sich alle. Da gibt es keinerlei Ausnahmen als Kompensation für irgendetwas. Und als Saldo: Ich kann Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/buergerinnen-und-buerger-gesucht-wenn-das-stimmvolk-wacker-schrumpft ; https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/levrat-ruecktritt-wie-kommt-die-sp-aus-der-krise

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