Karikatur eines Castingtreffen zwischen Produzentin und Castingteilnehmer (einem Elefanten). Am Tisch sitz ein Elefant und eine Produzentin. Die Produzentin schaut das Elefant an und sagt "Du, das passt glaubs nicht. Also du nicht ins Studio!"
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Castings: Wie ein Blind-Date für die Kamera

Sie hatte schon jede Menge Blind-Dates – allerdings professionell bedingt: Sarah Christen führt Castings. Als Projektleiterin und Produzentin bei SRF im Bereich «Jugend» lernt sie für das Webformat «True Talk» ­immer wieder neue Menschen kennen und castet Protagonistinnen und Protagonisten dafür.

Es sind Vorurteile, die in unserer Gesellschaft immer noch umhergeistern, die Sarah ihren Protagonistinnen und Protagonisten in «True Talk» ungeschönt an den Kopf wirft. Der Mensch vor der Kamera muss darauf reagieren. Das kann nicht jede oder jeder. Damit die Person vor der Kamera dies aber kann, führt Sarah sogenannte Castings. Was etwas nach Casting-­Shows klingt, ist für «True Talk» in Wirklichkeit ein Prozess mit mehreren Schritten.

Wo findet man immer wieder so offene und spannende Persönlichkeiten? Sarah hat dafür ihre ganz eigene Strategie: Sie sucht via Facebook, Instagram und Co. Teilen, teilen, teilen heisst die Devise. Durch ihre Freunde, die Freunde ihrer Freunde und ihre Community werden ihr dadurch immer verschiedene Menschen vorgeschlagen. Suchen, suchen, suchen. Danach telefoniert oder «facetimt» Sarah mit einigen Personen, die ihr vorgeschlagen wurden oder die sie gefunden hat. Dann trifft sie sich mit einer kleinen Auswahl an möglichen Protagonistinnen und Protagonisten. Das erste Kennenlernen findet meist in einem Café oder in einer Bar statt, ein bisschen wie bei einem Blind-Date. Denn ein Casting hat viele Ähnlichkeiten damit: Schlussendlich geht es bei beidem darum, einen Menschen kennenzulernen, den man bis dato noch nicht kannte.

Porträt Sarah Christen, junge Frau, lange blonde Haare

«Wenn es komisch ist beim ersten Treffen, dann wird es noch komischer beim Dreh», sagt Sarah. Wenn die Person nicht passt oder unsicher ist, dann wird sich das mit der grössten Wahrscheinlichkeit im ausgeleuchteten Studio, vor schwarzem Hintergrund und im Angesicht von drei Kameras nicht ändern. Sarah weiss schnell, ob jemand im Format funktioniert oder nicht. Ihr Bauchgefühl verrät es ihr.

Doch das Bauchgefühl alleine reicht nicht für eine Entscheidung. Die Person muss schliesslich vor einer Kamera agieren können. Darum macht Sarah an diesen Treffen zusätzlich einen Kameratest. Sie wirft ihrem Gegenüber ein paar dieser Vorurteile an den Kopf und schaut, wie er oder sie vor laufender Smartphone-­Kamera darauf reagiert. Dieser Teil des Castings ist auch für den möglichen Prota­gonisten oder die mögliche Protagonistin wertvoll. Denn wenn er oder sie sich vor der Smartphone-Kamera nicht wohl fühlt, wird dieses Wohlbefinden kaum im Scheinwerferlicht und vor Kameras plötzlich auftauchen. Entscheidend ist im Endeffekt auch die Antwort auf die Frage: Will ich in diesem Webformat sein?

Vom ADHS-Betroffenen bis zu Zwillingen: In «True Talk» sassen schon die unterschiedlichsten Menschen vor der Kamera. Doch was ist mit Gesetzesbrecher und -brecherinnen? «True Crime» fasziniert und fesselt. Wenn Verbrechen in den Medien besprochen werden, genies­sen sie hohe Aufmerksamkeit. Wie spannend wäre es also, wenn bei «True Talk» Drogendealer, Bankräuber oder Mörder auf Vorurteile reagieren? Sarah versteht diese Neugier. Doch für sie ist klar: Sie will Kriminellen in dieser Webserie keine Plattform bieten. «Wir bekommen oft zu hören, dass wir doch mal einen Drogendealer einladen sollen. Doch ich finde nicht, dass ‹True Talk› das Format dafür ist.»

In «True Talk» kommen die Aussagen der Protagonisten und Protagonistinnen für die Zuschauer ohne Kontext und ohne Hintergrundinformationen daher. Warum ein Mensch kriminell wird, ist jedoch eine komplexe Geschichte. Dafür braucht es zwingend diese zusätzlichen Informationen. Und schlussendlich: Gegenüber gesetzestreuen Menschen gibt es noch genügend Vorurteile – Sarah und ihre Redaktions-­«Gspänli» räumen im Moment lieber dort weiter auf.


Was ist «True Talk»?

«Obdachlose haben keinen Stolz», «Nur schwache Menschen sind depressiv», oder «Basejumper sind lebensmüde». Mit solchen Vorurteilen werden bei «True Talk» Menschen konfrontiert, die genau mit diesen zu kämpfen haben. Die Protagonisten und Protagonistinnen müssen darauf reagieren – was ist an diesem Vor­urteil dran, was nicht? Hier geht es zu SRF Virus «True Talk»


Text: Aline Sloksnath

Bild: Stephan Lütolf

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