Amira Hafner-Al Jabaji
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«Religion ist ein belastetes Thema»

Obwohl sich immer mehr Menschen von der Religion abwenden, hält «Sternstunde Religion»-Moderatorin und Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji das Thema für unerlässlich. Es brauche aber einen neuen Zugang.

Frau Hafner-Al Jabaji, Religionsthemen machen selten Schlagzeilen – ausser, es geht um Terrorismus oder Ähnliches. Lässt sich kein anderer Aspekt gut verkaufen?
Da stellt sich die Frage: Was ist Religion überhaupt? Religion besteht aus zahlreichen Aspekten wie Psychologie, Gemeinwohl, Identität oder Resilienz. Jeder Aspekt hat eine hohe Relevanz und kann ein Boom-Thema sein. Allerdings werden diese einzelnen Aspekte heute kaum mehr unter dem Standpunkt einer Gläubigkeit zusammengeführt.

Religionsthemen finden in den Medien statt, werden aber nicht unter dem Etikett der Religion behandelt?
Ja, denn jeder Aspekt kann religiös betrachtet werden. Doch Religion ist kein Thema wie jedes andere, es ist kein Objekt, das durch die Linse wahrgenommen werden kann. Das macht es für uns Journalistinnen schwierig. Religion ist eine Weltsicht, ein Standpunkt.

Was macht es so schwierig, die Religion medial als das zu behandeln, was sie ist?
Das hat viel mit dem Selbstverständnis des Journalismus zu tun. Journalismus versucht, Komplexität zu reduzieren. Er versucht, die extrem komplizierte Welt, in der wir leben, für die Menschen zugänglich und einfach zu machen. Wir Journalistinnen müssten dazu stehen, dass alles mit allem verbunden ist, tun uns im Moment aber noch schwer damit, diese Tatsache zumutbar zu machen – sowohl in unserem Schaffen als auch für unser Publikum.

Wie schwer fällt Ihnen der Spagat zwischen Journalismus und Islamwissenschaften?
Ich beobachte zunehmend ein seltsames Verständnis von Religion als journalistischem Thema. Zum Vergleich: Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass Sport- oder Wirtschaftsjournalisten Feuer und Flamme für ihr Gebiet sind und voll und ganz in diesem Kosmos leben. Wendet man dasselbe für die Religion an, wirkt es suspekt. Sofort kommt der Verdacht von fehlender Distanz auf. Journalisten, die sich mit Religion befassen, werden schnell in die missionarische Ecke gestellt oder als Frömmler abgestempelt. Das macht es schwierig und führt auch zu Problemen; gleichzeitig ist es spannend, weil wir erkennen, dass Religion als Thema nicht zu vergleichen ist mit Sport oder Wirtschaft.

Weil Religion ein übergeordnetes Thema und daher schwer fassbar ist?
Ja, aber es ist auch ein sehr belastetes Thema. Der gesellschaftliche Blick auf Religion ist durch negative Erfahrungen geprägt. Das können individuelle Erfahrungen von Menschen sein, die Religion als Zwang kennengelernt haben. Da ist aber auch der Blick von Menschen, die sich mit der Religionsgeschichte und Kriegen befassen. Dazu kommt der politische Aspekt, der inzwischen viel Raum einnimmt. Das führt zu einer gänzlich negativen Sicht.

Inwiefern prägen die Medien dieses Bild und tragen eine gewisse Verantwortung dafür?
Bei Religion als Newsthema gelten dieselben Prinzipien wie bei anderen News: Die Ereignisse, über die berichtet wird, weichen von der Normalität ab. Das ist bei Ereignissen, die im Zusammenhang mit Religion stehen, besonders stark der Fall. Insofern tragen die Medien eine gewisse Verantwortung. Zudem haben wir als Gesellschaft die Entwicklung hin zu einer Säkularisierung selber gewählt. Die Medien sind nicht dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen in der Schweiz nicht mehr religiös sozialisiert werden und sich nicht mehr mit einer Religion identifizieren. Das hat zur Folge, dass viel Wissen rund um die Religion und die damit verbundene Geschichte verloren geht.

Sollten Medien dazu beitragen, das Wissen zu erhalten oder sollen sie umgekehrt Rücksicht darauf nehmen, dass Religion an Bedeutung verliert und darum weniger darüber berichten?
Hier kommen zwei Krisenbereiche zusammen. Einerseits die Krise der Medien, die dazu führt, dass die Themenauswahl zunehmend davon abhängt, wie gut sich etwas verkaufen lässt. Anderseits befinden wir uns in einer Krise der etablierten Religionen, die an Zuspruch und Relevanz verlieren. Ob es Aufgabe der Medien ist, das Interesse aufrechtzuerhalten, ist schwierig zu beantworten. Bei SRF etwa verlangt die Konzession, dass das Verständnis von Religionsthemen gefördert wird, bei privaten Medien aber gibt es keine solchen Vorgaben. Ich denke, das Wissen um unsere kulturelle Geschichte ist wichtig für unser künftiges Zusammenleben und sollte mit Blick in die Zukunft von den Medien thematisiert werden.

An Feiertagen begleiten Medienschaffende gern muslimische oder jüdische Familien, um einen Einblick in deren Religion zu geben. Gleichzeitig hören und lesen wir von religiös motivierten Terroranschlägen. Zwischen dieser heilen Welt und dem Bösen besteht ein Vakuum. Welche Aspekte zu religiösen Themen kommen in Ihren Augen medial zu kurz?
Ich bedaure, dass religiöse Sichtweisen kaum je in einen Zusammenhang gebracht werden. Das gilt vor allem für Judentum, Christentum und Islam. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehen wir in unserer westlichen Gesellschaft von einem jüdisch-christlichen Verständnis aus. Eigentlich sollten wir längst am Punkt sein, an dem wir sagen: Unsere Gesellschaft ist christlich-jüdisch-muslimisch geprägt. Einen Dialog dazu gibt es bisher aber zumindest in den Medien nicht. Die Medien stellen die drei Religionen kaum je in einen Zusammenhang, sondern betrachten sie gesondert als etwas, das nebeneinanderher geht.

«Die Medien stellen die drei Religionen kaum je in einen Zusammenhang.»

Machen Sie ein Beispiel. Wie könnten Medienschaffende aus diesem komplexen Thema einen spannenden Beitrag machen, für den sich eine grosse Öffentlichkeit interessiert?
Ende Dezember erschien in einer Schweizer Zeitung ein Artikel darüber, dass der Akt der Geburt in der Weihnachtsgeschichte ausgeklammert wird, obwohl es bei der Geschichte ja um eine Geburt geht. Im Artikel wurde nur die biblische Darstellung erwähnt. Über die Geschichte, wie sie im Koran beschrieben wird, war kein Wort zu lesen, obwohl dort Marias Wehen erwähnt werden. Diese Ergänzung hätte ich im Jahr 2020 erwartet.

Die Religion als Thema, das überall hineinspielt, wird von vielen Medien nach wie vor in einem eigens dafür vorgesehenen Gefäss abgehandelt. Ist diese Separierung überholt?
Es stellt sich die Frage, wie Medien eine Art Grundalphabetisierung bei Menschen erreichen können, die nichts oder wenig über Religion wissen. Die Prophetengeschichten beispielsweise würden gut in ein Gesellschaftsformat passen, allerdings ist der Zeitpunkt noch nicht reif. Noch würde es den Anschein eines Verkündigungsversuchs wecken. Entsprechend ist es angebracht, klassischen religiösen Themen einen Raum zu geben.

Corona wäre doch ein geeigneter Anlass, die Frage nach dem Glauben breiter zu stellen und aus der etwas angestaubten Religionsecke zu holen. Warum tun das die Medien kaum?
Die Frage der Resilienz wird im Gegensatz zu früher nicht mehr unter dem religiösen Aspekt diskutiert. Dasselbe gilt für den Sinn des Lebens. Diese Frage ist populär und die Medien stellen sie oft aus philosophischer Sicht, obwohl man sie auch religiös angehen könnte. Der Begriff der Ungewissheit ist seit Corona wieder sehr präsent. Kaum zum Tragen kommt aber, dass Religion eigentlich nichts anderes ist als ein Instrument zum Umgang mit Ungewissheit.

Was müssen Medien bei ihrer Religionsberichterstattung ändern?
Sie müssen eine realistischere Sichtweise einnehmen als bisher und von Klischees wegkommen. Als mich einmal ein Journalist zu Hause besuchte, fokussierte er auf eine Sure an der Wand und ignorierte die Fasnachtsbilder daneben. Es mag unsexy sein, Normalität abzubilden, wenn man aber die Realität zeigen will, wie sie wirklich ist, geht es nicht anders.

Amira Hafner-Al Jabaji wurde 1971 als Tochter eines irakischen Vaters und einer deutschen Mutter in Bern geboren. Sie studierte Islamwissenschaften, neue vorderorientalische Philologie und Medienwissenschaften in Bern, arbeitet als Journalistin, Referentin und Kolumnistin und setzt sich in verschiedenen Gremien für Integration und interkulturelle/interreligiöse Fragen ein; unter anderem ist sie Mitbegründerin des «Interreligiösen Think-Tank» in Basel. Seit 2015 ist sie Moderatorin der «Sternstunde Religion» auf SRF 1.

Umlagerung bei SRF

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Im Rahmen des Transformationsprojekts «SRF 2024» wurden unter anderem die Religionssendungen «Blickpunkt Religion» und «Zwischenhalt» gestrichen. Dies stiess bei Kirchenvertretern zunächst auf Widerstand: Das Sparprogramm widerspreche dem Service public und es brauche eine journalistische Auseinandersetzung mit Religion. Beim darauffolgenden Kirchengespräch zwischen SRF-Verantwortlichen und den Medienzentren der Landeskirchen wurde dies thematisiert. Die landeskirchlichen Partner nahmen mit Zustimmung zur Kenntnis, dass es sich bei den vorgesehenen Programmanpassungen um eine Umlagerung von Ressourcen handelt, die sowohl der veränderten Mediennutzung Rechnung trägt als auch zu einer grösseren Sicht- und Hörbarkeit der religionsjournalistischen Expertise von SRF führen soll.


Text: Martina Rutschmann

Bild: David Schnell

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