Zwei Senioren sitzen am Boden und schauen in einen Laptop.
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Älter, aber nicht offline

Wie nutzt die ältere Generation digitale Medien, wo liegen die Hürden – und wo die Chancen? Eine Studie zeigt auf: Auch Seniorinnen und Senioren werden digital immer affiner.

Die Alten haben keine Ahnung von Computern und die Jungen hängen nur am Smartphone, so das Klischee, das sich seit Jahren hartnäckig hält. Der Clou: «Die Alten» gibt es so gar nicht. Das erklärt Dr. Alexander Seifert vom Zentrum für Gerontologie an der Universität Zürich. Im vergangenen September hat er im Auftrag von Pro Senectute die Studie «Digitale Senioren 2020» durchgeführt und sich mit der Frage beschäftigt, wie Menschen über 65 digitale Medien nutzen. Am Telefon führt er aus: «Senioren sind eine sehr heterogene Gruppe: Es gibt Über-65-Jährige, die technisch sehr interessiert und versiert sind. Und es gibt genau das Gegenteil.» Eine der grössten Erkenntnisse der Studie: Die ältere Generation nutzt noch immer Radio und Fernsehen als häufigste Quelle für Informationen. Auch das Vertrauen in lineare Medien ist viel grösser als in digitale.

«Das Klischee des ‹abgehängten Senioren› gibt es eigentlich nicht.»

Dr. Alexander Seifert
Zentrum für Gerontologie, Universität Zürich

Seifert hat die Studie bereits zum dritten Mal in Folge durchgeführt und kann deshalb einen Jahresvergleich anstellen: «Das Überraschende ist, dass die Unterschiede innerhalb der älteren Altersgruppe grösser geworden sind», erklärt er. Internet und Smartphone werden von Menschen über 80 deutlich weniger genutzt als in der Altersgruppe der 65 bis 79Jährigen. Dieser «Digital Gap» war vor zehn Jahren noch nicht so gross. Für Seifert gibt es das Klischee der «abgehängten Senioren» aber eigentlich nicht. Im Gegenteil, sie setzen sich durchaus differenziert mit ihrer Mediennutzung auseinander: Die grössten Bedenken seien die Ängste, sensible Daten preiszugeben oder im Internet in eine Falle zu tappen – etwa durch betrügerische Aktionen wie Enkeltricks.

Mehr als ein- und ausschalten

«Es stellt sich auch die Frage, mit welchen Medien man aufgewachsen ist und wie diese genutzt wurden», erklärt Seifert. Bei den meisten Menschen über 70 seien es Radio und Fernsehen, in die man vertraut. «Diese Haltung schwingt auch heute noch stark mit: Wenn es fürs Fernsehen oder Radio aufbereitet wurde, dann muss es gut sein, dann muss es wahr sein», so Seifert. Hier zeigt sich ein anderer wichtiger Punkt bezüglich unterschiedlicher Mediennutzung der älteren Generation: «Es geht nicht bloss darum, einen Computer ein- oder ausschalten zu können. Sondern auch um die Kompetenz, einschätzen zu können, ob Inhalte vertrauenswürdig sind oder nicht.» Und diese Kompetenz erlernten sie nicht mehr einfach so – «selbst Jugendliche lernen das in der Schule noch immer zu wenig».

Corona als weiteres Hindernis

Ein anderer wichtiger Aspekt: «Oftmals ist der persönliche Nutzen zu klein für den Aufwand, sich etwas Neues beizubringen», erklärt Seifert. Wenn aber die Enkelin einen Sprachaufenthalt in Australien macht und der Grossvater via Skype mit ihr in Kontakt bleiben kann, sei die Motivation viel grösser, sich das Programm herunterzuladen und zu lernen, damit umzugehen. Die aktuelle Krise führt ausserdem zu einer neuen Herausforderung: Viele Seniorinnen und Senioren liessen sich von ihren Kindern oder Enkelkindern helfen, so Seifert. «Wenn man sich nicht mehr besuchen kann, fällt diese Hilfe für viele weg. Das ist dann eine zusätzliche Hürde.»

Eine Frage des Mehrwerts

Viel wichtiger als die Frage nach der Techniknutzung ist laut Seifert also die persönliche Motivation, warum diese Technik genutzt werden sollte. Dies lässt sich auch auf journalistische Angebote im Internet übertragen: «Man muss den Nutzen hervorheben; was ist der Vorteil daran, SRF-Sendungen online zu schauen oder zu hören?»

Der Podcast «Generationentalk» auf Radio SRF 1 bringt derweil Menschen altersübergreifend an einen Tisch. Moderatorin Heidi Ungerer diskutiert mit ihren Gästen alle zwei Wochen über die grossen Fragen des Lebens: «Die Dynamik zwischen Jung und Alt finde ich jedes Mal wieder spannend», erklärt sie. Ältere Menschen – und da zählt sich die 59Jährige selber auch dazu – hätten mehr und extremen Respekt vor Neuem. Etwa vor Funktionen des Smartphones, die sie noch nicht kennen, erzählt Ungerer. Dennoch überraschen die Seniorinnen und Senioren, die Ungerer als Gäste einlädt, auch immer wieder: «In einer Sendung haben wir über Emojis diskutiert und ich war die Einzige, die sie lustig fand. Sowohl mein älterer als auch mein jüngerer Gast fanden sie total überflüssig.»

«Seniorinnen und Senioren bilden eine sehr heterogene Altersgruppe. Wir merken aber: Sie sind je länger, je digitaler unterwegs.»

Pia Kaeser
Moderatorin «Digitale Senioren» SRF Musikwelle

Auch Pia Kaeser setzt sich in ihrer Arbeit mit der älteren Generation auseinander. Als Moderatorin von SRF Musikwelle war sie für die Themenwoche «Digitale Senioren» zuständig, die Ende 2020 ausgestrahlt wurde: «Das Interesse der älteren Generation an digitalen Themen ist sehr gross. Unser Kerngeschäft ist eigentlich die Musik, weniger das Wort. Wir merkten aber, dass die Themenwoche sehr gut ankam, gerade wenn es darum ging, etwas Technisches zu erklären», erzählt sie. In einer Sendung wurde zum Beispiel aufgezeigt, wie QR-Codes und Cookies funktionieren. «Es ist schwierig, technische Unterfangen am Radio zu erklären. Zusammen mit Reto Widmer von der SRF Digitalredaktion ist uns das aber gut gelungen. Das war auch die Idee hinter der Themenwoche: den Hörerinnen und Hörern etwas mitgeben, wovon sie profitieren können, und sie nicht nur unterhalten.» Dass hier ein Bedürfnis erfüllt wurde, zeigte sich auch in der Reichweite: Der Beitrag war einer der am meisten angeklickten aus der ganzen Themenwoche. Auch für Pia Kaeser steht fest: Seniorinnen und Senioren bilden eine sehr heterogene Altersgruppe. Etwas aber hat sich in den letzten Jahren durchgehend und spürbar verändert: «Sie sind je länger, je digitaler unterwegs, schreiben etwa mehr Mails für Wunschkonzerte. Briefe und Postkarten haben deutlich abgenommen.»

Diese Veränderung spürt auch Heidi Ungerer: «Ältere Hörerinnen und Hörer sind anspruchsvoll und sehr aufmerksam und melden sich, wenn wir in einer Livesendung einen Fehler machen. Sie bringen ausserdem ihre eigenen Erfahrungen und Inputs stärker ein als früher, etwa per Mail.» Das ist ein zentraler Punkt, den auch Seifert im Gespräch herausstreicht: Im Grunde stelle sich gar nicht die Frage, ob lineare Medien durch digitale ersetzt werden sollten, sondern vielmehr: Wie können sie sich gegenseitig ergänzen? Wie kann sich das Publikum selber einbringen und profitieren? «Inhaltlich ergäbe das durchaus Sinn, zum Beispiel, indem man online zu einer Wissenssendung entsprechend vertiefte Hintergrundinformationen bereitstellt, in die man sich in Ruhe einlesen kann. Oder dass man beim «Tatort» online darüber abstimmen kann, welche Folge noch einmal ausgestrahlt werden soll, wie das der deutsche Sender ARD gemacht hat.»

Zugang erleichtern und Hürden abbauen

Wie und ob man überhaupt digitale Angebote nutzt, sei natürlich eine individuelle Entscheidung, führt Seifert aus. Sie werde aber wichtig, wenn bestimmte Informationen nur noch online zugänglich sind: «Wenn es beispielsweise so ist, dass man nur noch online abstimmen oder wählen kann, bekommt das Thema eine gesellschaftliche Relevanz. Diese Szenarien sind gar nicht so weit weg.» Seine Studie zeigt aber auf, dass die Skepsis in der älteren Generation diesbezüglich gar nicht so gross ist: Fast Dreiviertel der Teilnehmenden blicken der Möglichkeit, online abzustimmen oder zu wählen, wohlwollend entgegen. Aus Seiferts Sicht darf ein zentraler Punkt nicht vergessen gehen: «Der Übergang von hauptsächlich linearem Angebot hin zu online muss für die ältere Generation zwingend mit einer Art von Begleitung, mit Support stattfinden.» Eigentlich müsste das jeder Dienstleister, der digitale Angebote bereitstellt, so handhaben – man müsste sich beispielsweise in der Bank direkt am Schalter Hilfe fürs Onlinebanking holen können. «Die Lösung kann nicht sein, dass es Onlineangebote speziell für ältere Menschen gibt. Viel effizienter ist, den Zugang einfacher zu machen und die Hürden abzubauen.» Und für Heidi Ungerer ist klar, dass sich SRF eher überlegen muss, wie man die Jüngeren erreicht: «Was die ältere Generation angeht, denke ich, dass wir da ganz gut aufgestellt sind und sie über unsere Kanäle sehr gut erreichen. Das wird wohl auch noch die nächsten Jahre so bleiben, wenn es uns gelingt, die Qualität hochzuhalten und die Vielfalt des Angebots zu wahren.»

Weitere Informationen

Artikel und Tipps zum Thema wie «Was sind QR-Codes und Cookies?», «Auf Wiedersehen im Videochat» oder «Pflanzen bestimmen einfach gemacht» finden sich online – zum Beispiel in Google – mit den Suchwörtern «SRF digitale Senioren».

Hier geht es zur Studie «Digitale Senioren 2020».


Text: Miriam Suter

Bild: Shutterstock

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