Manifestation gegen die «No-Billag-Initiative»: Kundgebung auf dem Bundesplatz in Bern
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Dualität und «No Billag» – die SRG von 1984 bis 2021

Im sechsten Jahrzehnt ihres Bestehens musste sich die SRG an Konkurrenz gewöhnen – und kurz vor dem 90. Jubiläum wurde sie radikal in Frage gestellt. Möglicherweise nicht zum letzten Mal auf dem Weg zur Jahrhundertfeier.

«Die Lokalstationen haben Erfolg bei den Hörern. Wirtschaftlich stecken indessen viele in Schwierigkeiten», bilanzierte die Schweizerische Depeschenagentur SDA Ende Oktober 1984 — ein Jahr nach der Einführung privater Rundfunksender in der Schweiz. Die privaten Stationen würden von «einem Viertel der Radiohörer verfolgt», wobei der Erfolg auf Kosten ausländischer Sender ginge, nicht auf jene der SRG. Deren Stellungnahme ein Jahr nach dem Start des dualen Systems fiel knapp aus: Man sei zufrieden, die Konkurrenz habe sich für die SRG «bereichernd» ausgewirkt. Umso pointierter dafür die Bilanz von Andreas Blum, damals Programmdirektor von Radio DRS. Er habe, so die SDA einige Tage später, «die zu vielen Lokalradios» moniert, die «nach zu einfachen Mustern gestrickt» seien und «sich in der Kultivierung der Belanglosigkeit gefielen».


Wie war das damals, als die Lokalradios auf Sendung gingen? Unsere Archivperle von 1983 zeigt die ersten Sendeminuten von Radio Basilisk, dem Lokalradio von Basel.


Einige der kommerziellen Sender führten jedoch mit Erfolg attraktive Programme vor. Sie setzten auf das Prinzip des Formatradios, das von einer klaren Orientierung auf eine bestimmte Zielgruppe und deren Musikgeschmack geprägt ist. Oder wie es Roger Schawinski bereits 1982 im Buch «Radio 24. Die Geschichte des ersten freien Radios der Schweiz» beschrieb: «Das Radio traditionellen Zuschnitts versuchte immer noch, unterschiedliche Alters- und Interessengruppen hintereinander zu bedienen. (...) Wir würden uns nur an jüngere Hörer wenden. Leute wie meine Mitarbeiter und ich.»

Das Zitat ist auch in der Publikation «Radio und Fernsehen in der Schweiz. Geschichte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG 1983–2011» zu finden. Ebenso wie die Schlüsse von Constanze Jecker und Daniel Beck zu den Veränderungen der Radio- und Fernsehprogramme der SRG seit der Mitte der 1980er-Jahre. Beim Fernsehen habe die Einführung des dualen Rundfunks europaweit zu mehr Unterhaltungsformaten und Infotainment geführt – auch bei den SRG-Kanälen: «Die Nachrichtensendungen und -magazine experimentierten vor allem in den 90er-Jahren mit teilweise umstrittenen Infotainment-Elementen, wie das Beispiel von ‹10vor10› zeigt.» Im Radiobereich wirkte dagegen das Element Inland: «Als Antwort auf die Angebote der privaten Lokalradios berichteten die SRG-Sender seit der Mitte der 80er-Jahre vermehrt über regionale Themen und modernisierten die Moderationsstile.»

Die 1990er-Jahre konfrontierten die SRG mit einem fundamentalen technischen Wandel im Produktions- und Sendebereich. Radio und Fernsehen hatten über Jahrzehnte analog funktioniert. Nun entstanden Audiobeiträge, Fernsehproduktionen und Texte zunehmend auf digitaler Basis und liessen sich auch so verbreiten. Damit lösten sich auch die Grenzen der Mediensparten auf — die Konvergenz, die medienübergreifende Zusammenarbeit und Bündelung, rückte in den Vordergrund. Und verhiess natürlich auch, woran der SRG sehr gelegen war: Potenzial für Struktur- und Sparreformen.

Exakt sieben Jahrzehnte nach ihrer Gründung stellte die SRG ihre Bedeutung als «nationale Klammer» unter Beweis, indem sie 2001 Rundfunkpartnerin der Landesausstellung Expo.02 wurde. Wenige Jahre darauf bestätigte das Parlament die besondere Funktion und Position der SRG als nationale Rundfunkveranstalterin durch das revidierte Radio- und Fernsehgesetz, das 2007 in Kraft trat. Doch schon bald zogen wieder dunkle Wolken auf. Mitglieder der Jungfreisinnigen (FDP) und der Jungen SVP lancierten 2014 die «No-Billag-Initiative», die zwei Jahre darauf auch zustande kam. Ihr Kernanliegen war die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren, welche die Billag AG seit 1998 im Auftrag des Bundes einzog. Zur Debatte stand jedoch nicht dieses Unternehmen, sondern die umfassende Rolle der SRG. Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, schrieb am 12. Dezember 2017 einen vielbeachteten Kommentar unter dem Titel «Spiel mit dem Feuer», in dem er vor falschen Vorstellungen warnte: «Nach einem Ja zu No Billag würde die SRG liquidiert.» Ende 2017 ergaben Umfragen eine Mehrheit für die Initiative, doch am 4. März 2018 lehnten sie fast 72 Prozent der Stimmenden ab. «Die SRG steht für eine vielfältige und solidarische Schweiz. Trotz aller Kritik haben die Stimmberechtigten gestern gezeigt, wie wichtig ihnen eine solche Institution ist», kommentierte Judith Wittwer am 5. März im «Tages-Anzeiger», «Die SRG bleibt trotz Nein unter Druck» titelte die «Neue Zürcher Zeitung».

Im Gegenwind steht die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft seit ihrer Gründung im Jahr 1931. Auch im Jubiläumsjahr stiessen Pläne für Veränderungen in den Radio- und Fernsehprogrammen oder Entlassungen auf teilweise heftige Kritik. Nicht ausgeschlossen scheint zudem eine weitere grundsätzliche Infragestellung. Ob die SRG dann nochmals mit derart grossem Sukkurs wie 2018 rechnen kann? Möglicherweise wird das letzte Jahrzehnt vor dem Jubiläum zum 100. Geburtstag das schwierigste in der Geschichte der «Allegorie des helvetischen Föderalismus».

90 Jahre SRG – eine historische Reise in fünf Teilen

Mit dem fünften und letzten Teil endet die Jahresserie 2021 zur Geschichte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, die im Jahr 1931 gegründet worden war. Die ersten vier Teile in den LINK-Ausgaben von Februar bis September führten von der Frühzeit des Rundfunks in der Schweiz über die Pionierjahre des Fernsehens bis zur Einführung von Lokalradios im Jahr 1983.

Alle fünf Teile der Reihe finden Sie hier.


Text: Roger Ehret

Bild: Keystone/Christian Merz

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