Illustration: links ein Kleinkind in Windeln, rechts chirurgische Instrumente (Skalpell, Klemme, Pinzette)
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Knabenbeschneidung – ein Thema, zwei Sendungen, gegensätzlichste Beanstandungen

Am 21. und 23. Januar widmete sich SRF mit zwei Sendungen sowie zwei Onlineartikeln dem Themenschwerpunkt Knabenbeschneidung. Eine «Puls»-Sendung hat die medizinischen Aspekte beleuchtet, bei der Radiosendung «Perspektiven» stand der religiöse Aspekt im Vordergrund. Beide Sendungen wurden beanstandet, mit gegensätzlicher Kritik.

Die Knabenbeschneidung ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Dies hat sich auch beim SRF-Themenschwerpunkt dazu gezeigt, der zu heftigen Reaktionen führte. In der Gesundheitssendung «Puls» vom 23. Januar wurde über gesundheitliche Folgen und Risiken der Knabenbeschneidung berichtet. Dabei lag der Fokus bei der Medizin und den Komplikationen, die nach einer Zirkumzision entstehen können. Einem Beanstander war die Sendung zu einseitig. Er moniert, es sei nur die kritische Seite zu Wort gekommen. Seiner Ansicht nach hätte auch auf die Vorteile der Beschneidung hingewiesen werden müssen. Es selbst sei aus medizinischen Gründen beschnitten und jeden Tag dankbar dafür.

Genau andersherum klingt es bei den Beanstandungen zur Radiosendung «SRF2 Kultur - Perspektiven». Die Sendung hat sich den Fragen gewidmet: Wie gehen religiös praktizierende jüdische und muslimische Eltern in der Schweiz mit der Knabenbeschneidung um? Welchen Spielraum für Alternativen oder Veränderungen gibt es? Hier finden zwei Beanstander, die Knabenbeschneidung würde zu positiv dargestellt. So seien weder Personen zu Wort gekommen, welche die Knabenbeschneidung ablehnen, noch Betroffene, die darunter leiden. Zudem würden die medizinischen Perspektiven nicht erläutert. Ein Beanstander sieht in der Beschneidung von Knaben einen Verstoss gegen das Gesetz zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern. Das werde im Beitrag verschwiegen.

Ist die «Puls» Sendung zu kritisch?

Die Sendung setze kein Fragezeichen hinter medizinisch notwendige und/oder freiwillig durchgeführte Zirkumzisionen, betont die «Puls»-Redaktion. Ziel sei gewesen, ein kritisches Schlaglicht auf medizinisch unnötige Beschneidungen zu werfen. Diese würden in circa fünf Prozent der Fälle zu gesundheitlichen Problemen führen. Darüber hinaus werde die Frage gestellt, ob es legitim sei, jungen Knaben, die noch keine Mitsprache haben, einen medizinisch nicht indizierten chirurgischen Eingriff zuzumuten, der weitreichende physische und psychische Folgebeschwerden hervorrufen kann. Die Sendung behaupte aber an keiner Stelle, dass Beschneidungen grundsätzlich schlecht oder zu verurteilen seien. Als kritische Journalist:innen würden sie aufklären und evidenzbasiert auf mögliche Nebenwirkungen aufmerksam machen wollen.

Zwar lägen nur wenige Daten aus der Schweiz vor. Verglichen mit den Zahlen aus Deutschland werde hierzulande tendenziell vermutlich aber nach wie vor zu rasch und zu häufig beschnitten. So seien in Deutschland die in Spitälern vorgenommenen Beschneidungen bei Minderjährigen seit Einführung einer entsprechenden Leitlinie laufend zurückgegangen, während der Anteil in der Schweiz angestiegen sei.

Auf die medizinischen Komplikationen zu fokussieren ist legitim

Die Ombudsleute halten fest, dass bei «Puls» nicht die mehrheitlich medizinisch korrekt ausgeführten Eingriffe beleuchtet worden seien, sondern die medizinischen Probleme, die in fünf Prozent der Fälle vorkämen. Dies sei gerechtfertigt, da, wie in der Sendung deutlich gemacht werde, die Beschneidung mehrheitlich nicht medizinisch indiziert sei. Es sei aber klar und deutlich gesagt und auch durch Aussagen von Mediziner:innen betont worden, dass es durchaus Fälle gebe, in denen eine Beschneidung Sinn mache.

Die Ombudsleute können nachvollziehen, dass der Beanstander als Betroffener die Differenziertheit im Bericht nicht wahrgenommen habe. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass in der Sendung auch Stimmen, die sich für die Beschneidung aussprechen, zu hören seien. Das Fazit der Sendung sei, dass zu viele Beschneidungen ohne medizinische Indikation gemacht werden und bei einer nicht fachgerechten Beschneidung gesundheitliche Probleme auftreten können, welche die Betroffenen ein Leben lang begleiten.

Die Ombudsleute können in der «Puls»-Sendung keinen Verstoss gegen die Sachgerechtigkeit erkennen.

Nur weil die breite Akzeptanz aufgezeigt wird, ist «Perspektiven» nicht pro Beschneidung

Zu wenig kritisch war nach Ansicht der Beanstander die Radio Sendung «SRF2 Kultur - Perspektiven» mit dem Titel «Knabenbeschneidung – muss das sein?». Bemängelt wurde, dass der medizinische Aspekt ausser Acht gelassen werde und nur befürwortende Stimmen zu Wort gekommen seien. Die Redaktion widerspricht, die kritische Haltung der Autorin sei im Beitrag gut spürbar. Sie habe Aussagen durchaus kritisch eingeordnet und hinterfragt.

Einer der Beanstander stellte die Situation so dar, als wäre die Knabenbeschneidung eine schwere Körperverletzung und würde gegen die Schweizer Gesetze verstossen. Diese Argumentation ist nicht korrekt. Bundesrat und Parlament haben sich bei der Diskussion über die Mädchenbeschneidung explizit dagegen entschieden, in der Schweiz auch die Beschneidung von Knaben unter Strafe zu stellen.

Gemäss der Redaktion lag der Fokus der «Perspektiven»-Sendung bei den Eltern und bei deren religiös-kulturellen Motiven. «Welche Gedanken machen sich jüdische und muslimische Eltern in der Schweiz? Welchen Spielraum für Veränderung gibt es? Und warum ist die Kritik an der Beschneidung historisch vorbelastet?» Diese Fragestellung sei für ein Religionsformat, wie es die «Perspektiven» sind, absolut zulässig und passend. Selbstverständlich gebe es zum Thema Knabenbeschneidung noch zahlreiche weitere Aspekte. Eine halbstündige Sendung müsse und könne aber nicht alles behandeln. In der beanstandeten Sendung sei es erkennbar nicht um Pro oder Contra Knabenbeschneidung gegangen. Die medizinischen Aspekte seien in der «Puls»-Sendung ausführlich und sehr kritisch beleuchtet worden. «Perspektiven»-Autorin Nicole Freudiger habe sich deshalb entschieden, diese medizinischen Aspekte in ihrer Sendung nicht auch noch zu thematisieren, sie habe aber auf die «Puls»-Sendung verwiesen.

Betreffend die Ausgewogenheit der Sendung räumen die Verantwortlichen ein, dass drei der befragten Personen die kritischen Einwände zur Knabenbeschneidung vor allem aus religiösen Gründen rechtfertigten. Die vierte Person, die zu Wort kommt, ist der Zirkumzision gegenüber kritisch eingestellt, aber auch nicht grundsätzlich dagegen. Damit würde das Vielfaltsgebot jedoch nicht verletzt, sondern es zeige die breite Akzeptanz der Praxis unter praktizierenden jüdischen und muslimischen Menschen auf. Dies bedeute nicht, dass die Sendung diese Praxis gutheisse oder dass gar dafür geworben werde. Die Tatsache, dass – wie die Sendung zeige – die überwiegende Mehrheit der praktizierenden jüdischen und muslimischen Menschen sich für die Knabenbeschneidung ausspreche, sei selbstverständlich keine Legitimation. Neben ihren kritischen Äusserungen habe die Autorin in ihrem die Sendung begleitenden Onlineartikel auch auf die Beschneidungsgegner:innen hingewiesen.

Eine einzelne Sendung muss nicht alle Aspekte eines Themas abdecken

Die Beanstandungen, die sich kategorisch gegen die Beschneidung aussprechen, wurden durch Organisationen eingereicht, welche die «Genitale Selbstbestimmung» fordert.

Die Ombudsleute finden es zwar nachvollziehbar, dass die Beanstander, die sich dezidiert gegen die Knabenbeschneidung aussprechen, Argumente ausblenden, die in der Sendung aufgegriffen werden, aber einen anderen Standpunkt einnehmen. Doch sei die Verletzung der körperlichen Integrität eben keineswegs verschwiegen worden und seien nicht nur Personen zu Wort gekommen, die sich für die Knabenbeschneidung aussprechen.

Richtig sei, dass die medizinischen Aspekte weitgehendst weggelassen wurden. Diese seien in der gleichen Woche in der Sendung «Puls» thematisiert worden. Die Autorin von «Perspektiven» habe in ihrer Sendung denn auch auf «Puls» verwiesen. Bei «Perspektiven» seien die religiösen und ethischen Überlegungen aufgegriffen worden.

Das Gebot der Sachgerechtigkeit verlange nicht, dass alle Standpunkte qualitativ und quantitativ gleichwertig dargestellt werden. Entscheidend sei, dass die Zuhörenden und Zuschauenden erkennen können, dass und inwiefern eine Aussage umstritten ist und sie nicht in der Meinungsbildung manipuliert würden.

Die konzessionierten Programme müssten in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt eines Themas und der Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen. Das hätten «Perspektiven» und «Puls» getan: «Perspektiven», indem die Sendung die verschiedenen ethisch-religiösen Standpunkte aufgegriffen habe, «Puls» die medizinischen. Dass in beiden Sendungen nicht alle Aspekte beleuchtet worden sind, sei für die Einhaltung des Sachgerechtigkeitsgebots nicht notwendig.

Daher können die Ombudsleute auch bei der Sendung «Perspektiven» keinen Verstoss gegen das Radio- und Fernsehgesetz feststellen.

«Puls» «Knabenbeschneidung – Mehr als nur ein kleiner Schnitt»

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«Perspektive» «Knabenbeschneidung – muss das sein?»

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Schlussbericht Ombudsstelle Nr. 9121

Schlussbericht Ombudsstelle Nr. 9133

Schlussbericht Ombudsstelle Nr. 9156


Text: SRG.D/ae

Bild: SRG.D/Cleverclip

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