Kollaborationen mit internationalen Streaminganbietern: «Träumen erlaubt»
Netflix spannt erstmals mit der SRG für die Entwicklung einer Fernsehserie zusammen. Wie geht dieses Nebeneinander? Und verändern internationale Plattformen künftig die Filmförderung der SRG – und damit auch den Schweizer Film? Sven Wälti, Leiter der Filmförderung Pacte de l'audiovisuel, sagt: Gut möglich. Schlecht sei das aber nicht unbedingt.
Zur Person
Zur Person
Sven Wälti arbeitet seit 2012 als Leiter Film der SRG. Er verantwortet in dieser Funktion den Pacte de l’audiovisuel, das Koproduktionsabkommen zwischen der SRG und der unabhängigen Filmbranche. Er ist auch Stiftungsrat der Cinémathèque suisse und des Filmfestivals Visions du Réel in Nyon und vertritt die SRG in der Programmkonferenz von ARTE.
Mit 58,4 Prozent sagte die Schweizer Stimmbevölkerung im Sommer 2022 überraschend klar Ja zum neuen Filmförderungsgesetz. Die sogenannte Lex Netflix ist nun seit rund einem Jahr in Kraft und verlangt von internationalen Streaminganbietern und ausländischen TV-Sendern, 4 Prozent ihres in der Schweiz generierten Umsatzes in das hiesige Filmschaffen zu reinvestieren. Das ist viel Geld: Rund 18 Millionen Franken sollen so pro Jahr zusätzlich dem Filmplatz Schweiz zugutekommen.
Anfang November feierte nun die erste Schweizer Koproduktion zwischen einer SRG-Unternehmenseinheit und einem Streamingdienst Premiere. Die ersten beiden Episoden der RSI-Netflix-Serie «Winter Palace» wurden am Geneva International Film Festival (GIFF) ausgestrahlt. Die gemeinsame Förderung durch den Pacte de l’audiovisuel – der SRG-Filmförderung – und einer international agierenden Webplattform ist ein Novum.
«Netflix sucht lokalen Stoff, es will schweizerische Inhalte.»
Sven Wälti, Leiter Pacte de l'audiovisuel
Sven Wälti, Leiter des Pacte de l’audiovisuel, schaut positiv auf diese erste Kooperation zurück. Noch sei es aber zu früh für die genaue Analyse. Erst nachdem die Serie im Fernsehen ausgestrahlt worden sowie auf den Plattformen Play RTS und Play Suisse verfügbar gewesen sei und konkrete Nutzungszahlen vorlägen, könne man wirklich ein Fazit ziehen. Bis jetzt aber sei man zufrieden, Wälti beschreibt die Zusammenarbeit zwischen Netflix und RTS als unkompliziert und angenehm.
Kooperation über Landesgrenzen hinweg sei für die SRG denn auch nichts Neues, betont er. Bisher habe man statt mit Streamingdiensten vor allem mit anderen, zumeist öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen gearbeitet. Kürzlich erst die Erfolgsserie «Davos 1917», bei der die ARD Degeto Film GmbH mitproduzierte. «Eine solche Serie muss im ganzen deutschsprachigen Raum funktionieren. Das ist ein ähnliches Denken und Arbeiten, wie wir das nun in der Zusammenarbeit mit den Streamingplattformen erleben. Das kann man auch erreichen, indem man nebst Dialekt auch den Anteil an gesprochenem Hochdeutsch erhöht.»
Jedoch zeichnet gerade der Dialekt den (Deutsch)schweizer Film seit dessen Erfindung in den 1930er-Jahren aus. Verliert er also eine seiner zentralen Eigenheiten – und gleicht er sich dadurch zunehmend deutschen Filmen an? Wälti wiegelt ab. «Netflix sucht lokalen Stoff, es will schweizerische Inhalte. Bei ‹Winter Palace› etwa liess man der Produktionsfirma viele Freiheiten.» Ihn habe positiv überrascht, wie wenig eingegriffen wurde in Figuren, Drehbuch oder Besetzung. «Es ist vielmehr die Erwartung an das anfängliche Konzept, dass es das Potenzial hat, für ein internationales Publikum zu funktionieren. Es wird sich zeigen, wie gross der Anspruch bei künftigen deutschsprachigen Projekten sein wird, dass diese auch in Deutschland ankommen.»
Netflix und andere Plattformen erzielten ihre grössten Reichweiten mit Serien und Filmen, die eben lokale Eigenheiten aufweisen. Deshalb, so Wälti, feierten heute beispielsweise südkoreanische und spanische Serien grosse Erfolge. Und: «Am Ende entscheidet das Publikum in der Schweiz, ob es eine Plattform abonniert. Es ist den Anbietern deshalb wichtig, lokalen Content anzubieten und zu produzieren.
«Unser Fördersystem ist typisch schweizerisch.»
Sven Wälti, Leiter Pacte de l'audiovisuel
Aber, das sagt Wälti auch offen, von der Lex Netflix profitierten nicht alle gleich. So sei die anfängliche Euphorie in der Schweizer Filmszene nach der Annahme der Filmgesetzrevision einem gewissen Realitätssinn gewichen. «Man merkt jetzt, dass die Streaminggelder wohl eher in einzelne, grosse Produktionen fliessen, aber kaum in die Breite», so Wälti. Bei den privaten Anbietern seien zudem die Spielregeln weniger klar als bei den Schweizer Filmförderern wie dem Bund, der SRG oder Filmstiftungen. Das müssen sie auch laut dem neuen Filmfördergesetz nicht sein. Mit der Giesskanne werden die Plattformen kaum je fördern.
«Diese Gelder werden künftig wohl ein paar Produktionsfirmen helfen, die bereits jetzt Projekte mit grösserem Umfang umsetzen und über ein internationales Kontaktnetzwerk verfügen», schätzt Wälti ein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schweiz gerade für international agierende Firmen schwer fassbar ist – auch aufgrund der unterschiedlichen Sprachregionen. So herrsche in der Romandie die leise Befürchtung, dass die Plattformen sich eher auf den deutschsprachigen Raum fokussieren werden, erklärt Wälti. Inwiefern dies eintrifft, wird sich zeigen. Fakt ist, die ersten Beispiele für Streaminginvestitionen dank dem neuen Filmfördergesetz stammen aus der Westschweiz. Nach «Winter Palace» investiert nun der TV-Anbieter TF1, der aufgrund seiner Werbefenster in der Schweiz ebenfalls der Abgabepflicht des neuen Filmfördergesetzes unterstellt ist, in die Serie «Log-out».
Über «Winter Palace»
Über «Winter Palace»
Der ehrgeizige Schweizer Hotelier André Morel hat eine kühne Vision: Er will ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnen, das die ganze Wintersaison über geöffnet bleibt. Doch die widrigen Wetterbedingungen, das etwas ungehobelte Personal und die Ansprüche der Gäste stellen sein riskantes Vorhaben auf eine harte Probe. Die achtteilige Serie, inspiriert von wahren Ereignissen, veranschaulicht die Anfänge der Winterferien und des luxuriösen Alpentourismus. Sie kombiniert ein üppiges Historiendrama mit faszinierenden, figurenbezogenen Geschichten voll verborgener Begierde, Sehnsucht und Liebe.
Ausstrahlung auf SRF
«Winter Palace» Folgen 1 bis 3 In den Schweizer Alpen, 1899: Donnerstag, 26. Dezember, 20.05 Uhr, SRF 1
«Winter Palace» Folgen 4 bis 6, Sonntag, 29. Dezember 2024, ab 20.05 Uhr auf SRF 1
«Winter Palace» Folgen 7 und 8, Donnerstag, 2. Januar 2025, um 21.20 Uhr auf SRF 1
Fliessen die neuen Fördergelder tatsächlich nur in einige wenige Projekte, könnte dies aber auch die Förderarbeit des Pacte in Zukunft verändern. Denn, so Wälti: «Vielleicht kostet uns eine Serie von der Grössenordnung ‹Wilder› künftig nur noch die Hälfte, da sie in einer Koproduktion entsteht. Das ergäbe für uns die Möglichkeit, andere Projekte zu fördern.» Und auch die regionale Umverteilung sei seit je Kernaufgabe des Pacte. «Unser Fördersystem ist typisch schweizerisch. Wir ermöglichen auch aufwendigere Projekte in kleineren Sprachregionen, namentlich dem Tessin oder im rätoromanischen Raum, damit in der ganzen Schweiz hochwertige Filmproduktionen möglich sind.» Aber er sagt auch: «Der Umfang der geförderten Filmprojekte wird in den nächsten Jahren ungefähr gleich bleiben.» 2023 waren das 141 Filme und Serien.
«Die Plattformen fordern Qualität.»
Sven Wälti, Leiter Pacte de l'audiovisuel
Nicht nur das Geld, sondern auch die frische Perspektive der internationalen Anbieter sei eine Chance für den Filmplatz Schweiz. «Bisher brauchte man für Serien eine Unterstützung vom Pacte. Künftig haben Projekte, die vielleicht bei uns keine Förderung erhalten, die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Plattformen», so Wälti. Das öffne den Ideenfächer, denn: «Hätte nun eine Serie, die wir ablehnten, Erfolg, müssten auch wir uns kritisch hinterfragen. Das fordert uns heraus.»
Und auch die Filmbranche müsse in dieser Entwicklung einen Schritt machen: «Die Plattformen fordern Qualität. Wir haben die Talente, jetzt müssen wir dank der zusätzlichen Mittel zeigen, dass wir auf der internationalen Bühne mitspielen können.» Doch man müsse auch realistisch sein. Die Gesamtinvestition sei auch mit der Lex Netflix nicht vergleichbar mit den finanziellen Möglichkeiten in anderen Ländern. «In Zukunft wird nicht alles komplett anders», so Wälti. Aber: Eine kleine Chance bestehe dank der neuen internationalen Distribution auch für Schweizer Produktionen, plötzlich zu einem Welterfolg zu werden, fügt er schmunzelnd hinzu. «Träumen darf man ja.»
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