Lukas Bruhin: «Viele erkennen die Brisanz dieser Initiative nicht»

Lukas Bruhin ist seit September Präsident der SRG Deutschschweiz (SRG.D). Im Interview spricht er über seinen Start in einer turbulenten Zeit, über die anstehende Abstimmung und seine Pläne für die SRG in der Zeit danach.

Zur Person

Lukas Bruhin ist Anwalt und Berater. Zu seinen beruflichen Stationen zählen unter anderem die Funktion als Generalsekretär des Eidgenössischen Departements des Innern sowie verschiedene leitende Positionen bei der Schweizerischen Post und im UVEK. Heute ist er Partner bei Arioli Law in Zürich und Präsident des Institutsrats von Swissmedic. Seit September 2025 ist er Präsident der SRG Deutschschweiz.

Lukas Bruhin, was hat Sie zur Bewerbung für das SRG.D-Präsidium bewogen?

Ich habe mich beruflich schon immer im Themenfeld des Service public und an der Schnittstelle zwischen Gesellschaft, Politik und Verwaltung bewegt. Institutionen wie die SRG, die wichtig sind für den Zusammenhalt des Landes, faszinieren mich. Ich hatte Lust, meinen Beitrag zu leisten – und das nicht nur unkritisch, sondern konstruktiv.

Sie sind in einer turbulenten Zeit gestartet. Sowohl das Unternehmen SRG SSR als auch die Trägerschaft sind im Umbruch, Sparmassnahmen treffen auf Transformation und die Halbierungsinitiative steht ins Haus. Ihr Amtsantritt fiel ausserdem mit dem Rücktritt der SRF-Direktorin Nathalie Wappler zusammen. Wie haben Sie Ihren Start erlebt?

Dass es Wechsel an der Spitze von Unternehmen gibt, ist Courant normal. Den Nachfolgeprozess der SRF-Direktion aufzugleisen, gab mir aber gleich zu Beginn die Möglichkeit, das Funktionieren von SRF und SRG noch genauer zu ergründen. Seitens SRG.D mussten wir uns zudem rasch mit der Generaldirektion in Bern abstimmen, da diese Stellenbesetzung im laufenden Umstrukturierungsprozess der SRG passiert. Ich spüre dort den grossen Druck des Transformationsprojekts «Enavant». Ein Transformationsprojekt dieser Grössenordnung gab es meines Wissens bei der SRG noch nie. Es ist organisatorisch, personell und finanziell ein grosser Schritt mit vielen Wechseln und Veränderungen. Und das alles, während die SRG und die Programme funktionieren müssen.

Sie sprechen von grossem Druck. Ist die SRG in einer Krise?

Nein, aber die Situation ist schwierig. Das zeigt etwa der jüngst angekündigte Stellenabbau der SRG, der auch eine grosse Belastung für das Personal darstellt. Die Massnahme zeigt, wie hart der Spardruck ist. Dabei gibt es klare Vorgaben punkto Einsparungen, punkto Programmauftrag, punkto Personalpolitik und regionaler Verankerung – das ist aber keine Krise, sondern Erfüllen eines anspruchsvollen Auftrags. Die SRG geht die aktuellen Herausforderungen mit grossem Tempo an, spart bis 2029 17 Prozent ihres Budgets ein. Erst wenn die Halbierungsinitiative angenommen würde, wären wir in einer krisenhaften Situation. Denn halbiert können wir als SRG den Service-public-Auftrag nicht mehr wahrnehmen. Das macht diese Abstimmung auch zum unmittelbar wichtigsten Thema für uns als Trägerschaft.

«Die Halbierungsinitiative ist ein Wolf im Schafspelz.»

Susanne Wille sagte: «Eine halbierte SRG ist das Ende der SRG, wie wir sie heute kennen.»

Ich würde noch deutlicher sagen: Die Halbierungsinitiative ist eine unternehmerische Bedrohung. Der Auftrag des Radio- und Fernsehgesetzes ist klar. Die SRG muss in vier Sprachregionen ein Vollprogramm bieten mit Information, Bildung, Kultur, Fiktion, Sport und so weiter. Ich fürchte, diese Erwartungen an die SRG nach der Abstimmung sind die gleichen wie heute, denn es gibt keine klaren Vorstellungen seitens des Initiativkomitees, wie der mediale Service public mit weniger Mitteln aussehen soll. Den Auftrag der SRG gemäss Art. 93, Absatz 2 der Bundesverfassung haben sie nicht geändert. Es ist aber eine Illusion, zu glauben, dass der Programmauftrag nach Annahme der Initiative auch nur annähernd eingehalten werden kann. Eine Halbierung der Kosten bedeutet auch einen massiven Personalabbau.

Bei der No-Billag-Initiative 2018 war die Zivilgesellschaft sehr laut, es gab verschiedenste Verbände und Organisationen, die sich dagegen eingesetzt haben. Wie nehmen Sie die allgemeine Stimmung dieses Mal wahr?

Im Moment glaube ich, merken viele noch nicht, wie brisant diese Initiative ist. Deshalb ist noch nicht so viel Bewegung da. Aber diese Initiative ist aus meiner Sicht ein Wolf im Schafspelz: Es geht nicht nur um die SRG, sondern es geht um eine Schwächung des flächendeckenden medialen Service public. Eine Halbierung dieses Angebots erhöht das Risiko, dass die mediale Berichterstattung auch aus den Regionen insgesamt abnimmt und die Information der Gesellschaft schlechter wird

Wo kann ein Präsident in solchen Zeiten Prioritäten setzen? Sind Sie nicht von Anfang nur noch am Reagieren?

Nein, ich muss gestalten – das ist mein Auftrag. Ich kann nicht ein Jahr lang einfach abwarten, sondern ich muss mich jetzt bereits einbringen. Nicht kopflos, sondern ich versuche, auch auf Ebene Verwaltungsrat der SRG eine Dynamik zu entwickeln, um Klarheit für das Unternehmen SRG zu schaffen: Wenn wir uns mit dem medialen Service public auseinandersetzen wollen, müssen wir zuerst über die weitreichenden Folgen dieser Initiative aufklären. Sowohl Bundesrat als auch Parlament sagen, die Initiative gehe viel zu weit – und ich möchte mich für diese Botschaft einsetzen.

Angenommen, die Initiative scheitert. Wie sieht Ihre Vision der SRG und der Trägerschaft nach der Halbierungsinitiative aus?

Für die Trägerschaft stellt sich die Frage, wie sich «Enavant» auf unsere stark regionale Struktur auswirkt und ob wir noch die nötigen Mittel haben werden, um den Auftrag wahrzunehmen. Da spüre ich auch teilweise eine unterschiedliche Ausgangslage der Mitgliedgesellschaften. Dies kann im Sparprozess, dem auch die SRG.D und die Mitgliedgesellschaften unterliegen, zu Differenzen führen, denen ich zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen im Regionalvorstand proaktiv begegnen will. Ich bin jemand, der Konflikte anspricht und ihnen auf den Grund gehen möchte. Ich will offene Punkte nicht einfach schleifen lassen, sondern ich will Unzufriedenheiten und mögliche Probleme ansprechen und wo immer lösen. Mir ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Mitgliedgesellschaften ein Anliegen, hier sind bereits Massnahmen aufgesetzt, die wir im kommenden Jahr konkretisieren.

Als jemand, der seine berufliche Laufbahn grösstenteils dem Service public gewidmet hat: Wie hat sich in den letzten Jahren das kollektive Verhältnis zu öffentlichen Diensten verändert? Sind Werte wie Solidarität und Zusammenhalt überhaupt noch zeitgemäss?

Die Schweizer Demokratie ist nach wie vor sehr solide und grundsätzlich scheint mir die Bevölkerung mit den öffentlichen Diensten insgesamt zufrieden. Auch wenn es immer wieder kritische Stimmen gibt, funktionieren unsere Institutionen durchaus gut. Die Schweizerinnen und Schweizer hangen an dieser Demokratie. Sie setzen sich stark dafür ein. Deshalb ist – bei aller Individualisierung und Bubble-Bildung – das Thema Service public im Sinne eines Gesellschaftsvertrags für den Zugang aller Bewohnerinnen und Bewohner und Regionen zu wichtigen Angeboten nach wie vor sehr aktuell. In Bezug auf die unabhängige, gute Information wohl sogar noch wichtiger als früher.

Ich komme zurück auf die Initiative: Diese bedroht letztlich genau dieses Grundverständnis der Solidarität, welches die Schweiz auszeichnet und es ihr ermöglichte, eine so solide Demokratie zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass die Leute verstehen: Bei der Annahme der Initiative ist der Gewinn des einzelnen im Verhältnis zum potenziell riesigen Verlust für die Gesellschaft viel zu klein.

«Dass die Finanzierung der öffentlichen Medien über eine Abgabe statt über die Steuern funktioniert, ist eine Errungenschaft.»

Nur gerade acht Jahre liegen zwischen der No-Billag- und der Halbierungsinitiative. Wird sich die aufgeheizte Diskussion über den medialen Service public der letzten Jahre danach endlich wieder etwas abkühlen?

Vielleicht wird sie für ein paar Jahre etwas ruhiger, aber sie wird nie vorbei sein. Ich rechne damit, dass die Diskussion immer wieder kommt – und das ist auch legitim. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen: Die Medienabgabe führt zu einer hohen Transparenz in Bezug auf die Finanzierung der audiovisuellen medialen Grundversorgung. Und sie ist Ausdruck der Unabhängigkeit dieser Finanzierung – es ist deshalb eine Errungenschaft, dass diese über die Medienabgabe anstatt über Steuern funktioniert. Aber ein solches Modell generiert immer auch Angriffsfläche und jede Generation wird diskutieren, ob man dies immer noch will. Und es ist auch wichtig, dass die SRG und der Service-public-Auftrag immer Diskussionsgegenstand sein werden.

«Mir ist wichtig, dass alle Mitglieder abstimmen gehen.»

Was ist Ihre Botschaft an die Mitglieder der SRG.D für die anstehenden Wochen?

Mir ist wichtig, dass alle Mitglieder abstimmen gehen. Und man sollte berücksichtigen, dass sowohl Bundesrat als auch Parlament die Initiative nach eingehender Prüfung klar ablehnen. Man sollte zudem einen Blick auf die Übergangsbestimmungen der Initiative werfen: Sie verlangen eine Umsetzung innerhalb von 18 Monaten – notfalls auf dem Verordnungsweg durch den Bundesrat. Das ist staatsrechtlich gelinde gesagt ungewöhnlich und unternehmerisch äusserst anspruchsvoll.

Die SRG hat heute rund 5500 bis 5700 Stellen. Wenn drei Viertel unseres Budgets aus der Abgabe stammen und dieser Teil halbiert wird, ist klar, dass ein grosser Teil dieser Stellen wegfallen müsste und dies innert 18 Monaten. Einen solchen Abbau in so kurzer Zeit sozialverträglich zu bewältigen, halte ich für überaus schwierig. Jede und jeder soll sich eine eigene Meinung bilden – aber bitte geht an die Urne und diskutiert im eigenen Umfeld über die Bedeutung des medialen Service public für unser Land.

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Text: Pascal Zeder

Bild: SRG.D/Mirco Rederlechner

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