Delegiertenversammlung
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Die Debatte um den Service public – eine scheinheilige Diskussion?

Die SRG will ihr Verständnis von einem modernen Service public klären. Das hat mitunter damit zu tun, dass der Bundesrat einen Bericht über den Service public der SRG erstellen lässt. Auch die veränderten Bedingungen im Medienbereich verlangen Reflexion. Das Forum der SRG-Delegiertenversammlung widmete sich dieser Thematik.

– Von Christa Arnet

Im Hintergrund sind alle Blicke aufs Podium gerichtet. Der Wandteppich des Künstlers Hans Erni im Saal des Hotel Bern deutet ein Zusammentreffen zweier Personengruppen an – ein passendes Sinnbild für das Forum (siehe Kasten), in welchem es um den Service public der SRG und dessen Grenzen ging. Und um den kleinen Schweizer Medienmarkt, den sich die SRG und die Privaten teilen und den sie gemeinsam gegen globale Medienkonzerne verteidigen müssen.

Zur Einstimmung blickte RTS-Direktor Gilles Marchand auf die Entwicklung der Medien in den letzten Jahren zurück: Die Vervielfältigung der Verbreitungsplattformen, die explosionsartige Zunahme der Inhalte, die Fragmentierung des Publikums, die Medienkonvergenz, die wachsende Anzahl Inhaltsanbieter, die Verlagerung der Werbegelder in die neuen Medien, das Aufkommen der Gratis-Kultur, der Abruf der Inhalte «on demand», die Beteiligung des Publikums (user-generated content, Interaktion) usw. «Diese Entwicklung ist Herausforderung und Chance in einem, um Modelle zu überdenken, die Beziehung mit der Öffentlichkeit zu klären, Werte zu bekräftigen, die Bedeutung der Medien und ihre Rolle in der Gesellschaft zu präzisieren», sagte er.

Diskussion losgelöst von der SRG

Es gelte nun, den Stellenwert des Service public im veränderten medialen Umfeld zu prüfen und die Frage der Legitimation zu klären. Im Anschluss legte er seine persönlichen Ansichten zum Service public dar – losgelöst von der SRG und dem schweizerischen Kontext. Als Grundpfeiler sieht er «Programm und Publikum», als zentrale Werte «Respekt, Redlichkeit und Ausgewogenheit» und als goldene Regel «ein Generalistenprogramm, welches für ein vielschichtiges Publikum zeit- und ortsunabhängig abrufbar ist.»

Zwei weitere Säulen des Service public seien «Markt und Innovation», wobei er vier Aspekte als zentral ansieht: Eigenproduktionen, kulturelle und sprachliche Vielfalt, Förderung der Integration und Stärkung sozialer Koexistenz sowie das Gleichgewicht zwischen Verankerung und Öffnung. «Die öffentlichen Sender sollten sich aktiv und konstruktiv in ihren Mediensystemen bewegen und Kooperationen mit Privaten suchen und eingehen», sagte er.

«Die Entwicklung der Medien in den letzten Jahren ist Herausforderung und Chance in einem, um Modelle zu überdenken, die Beziehung mit der Öffentlichkeit zu klären, Werte zu bekräftigen, die Bedeutung der Medien und ihre Rolle in der Gesellschaft zu präzisieren» (RTS-Direktor Gilles Marchand)

Dass der Nationalrat der Haushaltsabgabe zur Finanzierung des Service public zugestimmt habe, ohne vorher dessen Inhalte festzulegen, sei ein Vertrauensvotum gegenüber der SRG, sagte Filippo Leutenegger in seinem Referat. Er selber hatte die Debatte mit einem Postulat zur Definition des Service public der SRG lanciert (siehe Kasten). Das Ziel sei nicht, das Unternehmen SRG an sich zu hinterfragen, sondern den Service-public-Auftrag zu definieren, erklärte er, und dieser müsse sein: «Medienvielfalt, Meinungsvielfalt, Grundversorgung der Bevölkerung in den Sprachregionen, ohne funktionierende marktwirtschaftliche Angebote zu konkurrenzieren. » Auch er ging zunächst auf den Umbruch in der Medienwelt ein: «Wir erle-ben eine kreative Zerstörung der traditionellen Medienstrukturen », zitierte er den Medienforscher Stephan Russ-Mohl. Früher seien Radio und Fernsehen Sache der SRG gewesen, die Verleger hätten sich die audiovisuelle Produktion nicht leisten können. Mit dem Internet seien die Produktionskosten günstiger und die Verbreitungswege vervielfältigt geworden, «heute machen alle alles, einfach weniger gut».

Sieben Konfliktzonen

Die Restriktion sei dort zu suchen, wo Medienangebote ohne weitere Verzerrung in der funktionierenden Medienwelt gemacht werden können. «Dort haben wir die Kollisionen», sagte Leutenegger und nannte dazu sieben Konfliktzonen, die seiner Meinung nach politisch relevant sind: das Internet («die SRG soll ihre audiovisuellen Produkte übers Internet verbreiten, aber keine Online-Zeitung und keine Online- Werbung machen»), die Angebotstiefe («bessere Absprachen mit den Privaten in der Regionalinformation»), der Bereich der Sportrechte («die SRG muss nicht alles machen») und der Lizenz-Formate (z. B. «The Voice of Switzerland»), die amerikanischen Serien, die Angebotsbreite in den Sprachregionen («mehr Selbstbeschränkung ») und die Marktgrösse («die Privatenverlieren jedes Jahr Werbe- und Abo-Einnahmen, die SRG bekommt immer mehr Gebühren»).

«Der Schweizer Service public darf kein Service public der Minderheiten werden. Es braucht Sport und ‹The Voice of Switzerland›, um das Publikum gewinnen und befriedigen zu können.» (Yvonne Pesenti Salazar, CORSI)

Die beiden Vertreterinnen der kleineren Sprachregionen, Yvonne Pesenti Salazar (CORSI) und Beatrice Baselgia (SRG.R), legten in der Podiumsdiskussion Ansichten und Fragestellungen aus ihren Kulturgebieten dar. Für Pesenti sind journalistische Qualität, Orientierungshilfe und Integrationsförderung Merkmale des Service public. Auch plädiert sie für ein vielfältiges Programmangebot und kontert Leuteneggers Gedanken zur Angebotsbeschränkung: «Der Schweizer Service public darf kein Service public der Minderheiten werden. Es braucht Sport und ‹The Voice of Switzerland›, um das Publikum gewinnen und befriedigen zu können.»

Baselgia erwähnte die Bedeutung des Service public für den Erhalt der romanischen Sprache. Dazu gehörten auch oder vor allem die Modernisierung und die Präsenz im Internet. Weiter plädierte sie für Medienvielfalt, welche Meinungsvielfalt garantiere. Die Printmedien würden immer weniger, im Kanton Graubünden gebe es noch einen einzigen Verlag, der die ganzen Informationen dominiere.

Über Marktordnung nachdenken

SRG-Verwaltungsrat Ulrich Gygi meinte, einfach nach der Definition des Service public zu fragen, sei scheinheilig, denn es gehe auch um die wirtschaftlichen Interessen der Privaten. «Wir müssen uns fragen, welche Marktordnung wir wollen. Wir wollen kein Staatsfernsehen sein. Es braucht Meinungsvielfalt, die wir alleine nicht garantieren können. Wir müssen den Privaten ihren Platz lassen, aber wir dürfen dabei nicht zugrunde gehen», sagte er und bemerkte: «Wir stehen in Konkurrenz mit grossen internationalen Ketten und dazu braucht es eine gewisse finanzielle Kraft.» – Filippo Leutenegger parierte den Seitenhieb der Scheinheiligkeit mit der Bemerkung: «Es ist keine scheinheilige Diskussion, sondern eine reale, existenzielle. Es ist eine staatspolitische Verantwortung, dass wir nicht auf ein Monopol zusteuern, wo drei grosse Unternehmen, unter anderem die SRG, den Markt dominieren. Für Meinungsvielfalt braucht es verschiedene Player.» – Der Delegierte Andreas Schefer (SRG.D) brachte es auf den Punkt: «Früher setzte die SRG den Service public mit ‹idée suisse› gleich. Dass Filippo Leutenegger heute hier ist, ist ein Zeichen der Öffnung.»

Christa Arnet

Bild: Imagopress / Patrick Lüthy


Filippo Leutenegger verlangt eine Definition des Service public.

Postulat fordert Reflexion über den Service public

«Welchen Umfang soll der Service public der SRG SSR künftig haben?» – Diese Frage erörterte die SRG-DV vom 25. April 2014 im Hotel Bern im Rahmen des Forums* mit Input-Referaten von RTS-Direktor Gilles Marchand und Filippo Leutenegger, FDP-Nationalrat und gewählter Zürcher Stadtrat. Am anschliessenden Podium nahmen neben den beiden Referenten Yvonne Pesenti Salazar, Regionalrat Corsi , und Beatrice Baselgia, Regionalvorstand SRG.R, teil. RTS-Journalist Olivier Dominik («Le Journal») moderierte das Forum.

Die Bundesversammlung hat erst gerade im Rahmen der RTVG-Teilrevision der Ablösung der Empfangsgebühr durch eine geräteunabhängige Abgabe für Radio und TV zugestimmt – trotz eines Nichteintretensantrags, welcher eine vorgängige Definition des Service public bei Radio und TV verlangte. Hängig ist aber noch der Bericht des Bundesrats «zum Service public der SRG unter Berücksichtigung der Stellung und Funktion privater Rundfunkanbieter » aufgrund des Postulats von Leutenegger. Die Eidgenössische Medienkommission (EMEK) wird sich im Auftrag der Medienministerin Doris Leuthard damit beschäftigen. Dieser Bericht wird im nächsten Jahr erwartet. Die SRG will sich auf die Debatte vorbereiten und dazu eine eigene, kohärente Position formulieren. cha

* Forum: Losgelöst von den ordentlichen Geschäften werden hier SRG-relevante Themen erörtert und diskutiert.


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