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Was die Jungen Wollen - ein Gespräch über Medien und Politik

Im Vorfeld der nationalen Wahlen versucht die SRG SSR mit dem Projekt «politbox» ein jüngeres Publikum über die Schweizer Politik zu informieren. Aber was erwarten und wollen «die Jungen» überhaupt von den Medien? Zwei Jungpolitiker und der Redaktionsleiter von «politbox» sassen zusammen an einen Tisch.

- Von Olivia Gähwiler

Da wo einst die Vögel hausten, steht heute ein Bus. In Luzern bei der Volière ist der «politbox»-Bus eingefahren. «politbox» – ein nationales SRG-Projekt, welches jungen Wählerinnen und Wählern die Schweizer Politik direkter vermitteln soll (siehe Kasten unten). Drei junge Menschen treffen sich heute beim Bus, lange bevor die «politbox»-Sendung losgeht. Es sind Konrad Weber, Redaktionsleiter von «politbox», Mia Gujer, Präsidentin JUSO Aargau, und Alexander Senn von der JSVP Aargau. ­Obwohl ihre politischen Meinungen meistens ziemlich auseinandergehen, sind sich alle in zwei Dingen einig. Erstens: In ihrem Alter duzt man sich. Und zweitens: Wenn Medien über Schweizer Politik berichten, werden die Jungen zu oft aussen vorgelassen. Vor dem Gespräch macht Mia noch ein Foto vom «politbox»-Bus für einen Tweet.

Vor dem Gespräch schnell ein Tweet. Bild: Screenshot Twitter

Mia Gujer, JUSO Aargau: «Twitter nutze ich auch, wenn ich mich selbst politisch informieren möchte. So kriege ich mit, welche Themen gerade aktuell sind, welcher Hashtag am meisten genutzt wird oder welcher Artikel viral geht.»

Alexander Senn, JSVP Aargau: «Bei mir sind es vor allem digitale ‹Alternativ-Medien› – Blogs, die von Nichtjournalisten betrieben werden, die ich brauche. Oder Privatmedien. Ich nutze höchst selten über Gebühren finanzierte Medien.»

Konrad Weber, «politbox»: «Früher habe ich immer nach Köpfen und mithilfe von Smartvote (Anm. Redaktion: siehe Kasten) gewählt. Mir hat einfach eine Plattform gefehlt, auf welcher Jugendliche selbst mitdiskutieren können.»
Mia: «Smartvote mussten wir einst in der Schule ausprobieren. Aber das Interesse war bei vielen Schülern gar nicht da. Die meisten wählen eh dasselbe wie die Eltern.»

Alex: «Man erhält auch kein gutes Gesamtbild aller Kandidaten bei diesen Wahlhilfen. Oftmals muss man trotzdem noch Informationen selber zusammen­suchen. Eine Seite mit gebündelten ­Informationen fände ich super.»

Konrad: «Diese unstrukturierte Überflutung an Informationen schreckt oft viele Junge ab, das stimmt. Ich habe mich auch bei unserer Wahlberichterstattung gefragt: Ist es sinnvoll, so viel zu produzieren, wenn die meisten am Schluss höchstens einen Artikel pro Partei lesen?»

Neue Argumente erleben

Für die Diskussionen vor dem «politbox»-Bus werden nur selten Politiker eingeladen: «Wir suchen aber immer Leute aus, die für etwas kämpfen», erklärt Konrad Weber. «Nichtpolitiker am Tisch zu haben, heisst auch, neue ­Argumente und Situationen zu erleben.» So könne auch eine klassische ­Debatte wie über das Thema Energie neu ge­staltet werden. Auch die Themen selbst ­würden nach dem Gusto der Jungen aus­gesucht: «Mobilität, Bildung oder Migration – solche Dinge betreffen uns direkt», sagt er.

«Nichtpolitiker am Tisch zu haben, heisst auch, neue ­Argumente und Situationen zu erleben.» - Konrad

Konrad: «Es reicht nicht, einfach einmal eine Fernsehsendung für Junge als Alibi-Übung zu machen und zu denken, das genügt jetzt wieder für eine Weile. Es braucht etwas, das sich etabliert, und das versuchen wir jetzt mit ‹politbox›.»

Alex: «Ich habe die App ehrlich gesagt nicht heruntergeladen. Sie hat mich nicht gepackt. Ich bin auch nicht das geeignete Zielpublikum – denn politisch bin ich ja schon geprägt.»

Mia: «Ich habe sie immer noch, nutze sie aber nicht mehr häufig. Mit der Zeit habe ich den Spass daran verloren. Aber die Sendungen dazu gefallen mir gut. Sie sind weder besserwisserisch noch aufdringlich ‹hipsterig› gestaltet.»

Konrad: «Es war uns wichtig, dass es nicht so Oberlehrer-mässig daherkommt, aber trotzdem lehrreich ist. Diese Balance zu halten, ist schwierig. Aber wir sind ja selber auch ein junges Team und somit nah an der Zielgruppe.»

Alex: «Etwas von Jungen für Junge zu ­machen, finde ich eine gute Idee. Auf alle Fälle etwas vom Besseren, was die SRG zu bieten hat. Die jungen Wähler gehen ­meiner Meinung nach im SRG-Programm oftmals unter.»

Die Distanz abbauen

«Viele junge Leute fühlen sich von den normalen Radio- und Fernsehsendungen nicht mehr angesprochen. Es wirkt auf sie distanziert, zu künstlich», sagt Konrad Weber. Daher filmt das «politbox»-Team auch teilweise mit dem iPhone und der dazu passenden professionellen Ausrüstung. «Da wird die Distanz zum Gegenüber sofort viel kleiner als sonst mit den riesigen Kameras.» Auch die Sprache ist viel direkter und für die ganze Schweiz verständlich: Die Sendungen werden nämlich in Rätoromanisch, Italienisch, Französisch, Deutsch und Englisch moderiert. Auch der Auftritt vor Ort ist modern und jugendlich: Ein Grill steht da, Sitzkissen zum Rumhängen, Lichtgirlanden sind am Bus befestigt und der Touchscreen steht bereit, damit Besucher das Wissensquiz gleich hier machen können.

Konrad Weber («Wir müssen eine Vorreiterrolle einnehmen»), Mia Gujer («Man darf nie den ­Tunnelblick bekommen») und Alexander Senn («Es müssten vermehrt junge Politiker zu Wort kommen»). Bilder: ImagoPress/Patrick Lüthy

Es ist bereits die zehnte Stadt, in welcher der «politbox»-Bus steht. «Es ist ein Experiment – ob es ein Erfolg wird, deutet sich erst an. Für ein Gesamtfazit ist es aber noch zu früh», sagt Konrad Weber. «Gerade deswegen ist es sehr mutig und auch wichtig, dass wir von der Generaldirektion der SRG die Unterstützung und das Vertrauen erhalten haben», ­findet er. Zudem müssten sich alle Medien früher oder später überlegen, wie sie ihr ­jüngeres Publikum ansprechen ­wollen.
Alex: «Für eine funktionierende Demokratie braucht es die SRG. Sie gibt dem Konsumenten die Möglichkeit zur Meinungsbildung. Bei privaten Medien, wie zum Beispiel bei der ‹Weltwoche› weiss ich ja schon vorher, welche Ansichten mich erwarten. Der ­Konsument entscheidet schon bei der Wahl seines Mediums, welche Meinungen er erhalten möchte.»

«Für eine funktionierende Demokratie braucht es die SRG. Sie gibt dem Konsumenten die Möglichkeit zur Meinungsbildung.» - Alex

Konrad: «Und trotzdem sammelt ihr von der JSVP auch Unterschriften gegen die SRG. Dann ginge ja genau so ein Medium verloren, welches jedem Konsumenten die Möglichkeit offenhält, sich selbst seine Meinung zu bilden.»

Alex: «Ich bin einfach der Ansicht, dass ich nicht fast 500 Franken im Jahr ausgeben sollte für etwas, das ich fast nie nutze. Ich rege mich jedes Mal auf, wenn die Rechnung kommt. Und dann nehme ich noch zusätzlich Geld in die Hand, um anderen Journalismus zu kon­sumieren.»

Mia: «Aber genau diese Medienvielfalt ist das Wichtige. Als Politiker wie auch als Konsument darf man nie den Tunnelblick bekommen, sondern sich von links nach rechts informieren. Darum finde ich es gut, dass es die SRG gibt, denn sie orientiert ausgeglichen über alle Themen.»

«Als Politiker wie auch als Konsument darf man nie den Tunnelblick bekommen, sondern sich von links nach rechts informieren.» - Mia

Junge sind politisch interessiert

Die Frage «Weisst du, woher dein Strom kommt?» wird heute bei der «politbox» thematisiert. Via App-Umfrage kommt heraus: 50 Prozent wissen es, der Rest tappt im Dunkeln. Hier geht Wählen leicht: Aus vier Antworten kann eine angeklickt werden. Bei National- und Ständeratswahlen abstimmen zu gehen, ist für viele Jungwähler eine grössere Hürde: Nur rund 32 Prozent der Jungwähler zwischen 18 und 25 Jahren hatten es 2011 an die Urne geschafft. Trotzdem: In einer Studie des Dachverbands der Schweizer Jugendparlamente 2014 fanden 69 Prozent der befragten Jugendlichen, Politik sei sehr wohl auch etwas für sie. Viele gaben aber an, dass der Wahlvorgang zu komplex sei und sie Mühe hätten, die von den Politikern diskutierten Sachverhalte zu verstehen. Was müsste denn eine SRG konkret ändern, um als Vermittlerin zwischen der Jugend und der Politik diese Problematik zu verbessern?

Alex: «Es müssten vermehrt junge Politikerinnen und Politiker zu Wort kommen. Nicht nur auf die Wahlen hin, sondern unter dem Jahr. Da wird nämlich einfach zu oft auf die Zuschauerzahlen geschaut und es werden immer dieselben Politiker eingeladen. Dabei ist Politik jede und jeder Einzelne in unserer Gesellschaft.»

Konrad: «Das ist aber bei allen Medienhäusern eine Problematik. Grosse Namen auf dem Titel ziehen halt mehr, als wenn man einen Nobody zum Interview lädt. Bei ‹politbox› versuchen wir ja, dagegenzuhalten.»

Alex: «Da habt ihr jetzt echt eine Vor­reiterrolle eingenommen.»

Konrad: «Ja, das müssen wir auch!»

Mia: «Mich nervt, dass über politische Ereignisse unterschiedlich gross ­berichtet wird. Zum Beispiel über die ‹Albisgüetli›-Tagung gibt es immer einen riesigen Bericht. Etwas über eine JUSO-Veranstaltung hörst du selten. Bei Grossanlässen werden wir wahrscheinlich nie die Möglichkeit erhalten, unsere Meinung kundzutun.»

«Mich nervt, dass über politische Ereignisse unterschiedlich gross ­berichtet wird. Zum Beispiel über die ‹Albisgüetli›-Tagung gibt es immer einen riesigen Bericht. Etwas über eine JUSO-Veranstaltung hörst du selten.» - Mia

Konrad: «Wo ich grosses Potenzial sehe, ist nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form: Mit politischer Satire könnte man die Jüngeren sicher gut abholen. In Deutschland oder im englischsprachigen Raum wird Politik oft durch satirischen Zugang erklärt. Dort müsste auch eine SRG etwas tun. Vielleicht liegt es an unserem Humor, aber niemand wagt sich an dieses Genre. Und die klassischen ‹Giacobbos› sind auch weit weg vom jungen Publikum.»

«Wo ich grosses Potenzial sehe, ist nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form: Mit politischer Satire könnte man die Jüngeren sicher gut abholen» - Konrad

Alex: «‹Giacobbo/Müller› kommt nicht annähernd an Formate wie in Deutschland heran. Da haben wir aber auch ein strukturelles ­Problem: Oft entscheiden Gremien und nicht direkt einzelne Politiker, über die man ­satirisch reden könnte.»

Mia: «Wir Schweizer trauen uns das einfach nicht. Ich bin Halb-Dänin und in ­Dänemark ist das viel üblicher, dass man sich über Politiker lustig macht. Gesellschaftskritische Betrachter ausserhalb des Medienzirkus helfen den Leuten zur Meinungsbildung und bringen uns auch die Politiker näher.»

Konrad: «Nur schon die Romands sind viel direkter. Wenn man ihre Programme zu den Wahlen anschaut, fühlt man sich als jüngere Person schon mehr angesprochen.»

Wenige Minuten später geht es schon zur ersten Sitzung mit der «politbox»-Crew für die Sendung am Abend. Währenddessen tippen sich die zwei Jungpolitiker durch das Wissensquiz. Bei der letzten Frage – ­einer Meinungsfrage über Energie – sind die beiden sich zwar uneinig. Gewählt ­haben trotzdem beide.


Was ist «politbox»?
«politbox» ist eine Quiz-App der SRG zu den nationalen Wahlen 2015. Mit der App kann das eigene Allgemeinwissen zur Schweiz getestet, aber es kann auch gegen Freunde angetreten werden. Der «politbox»-Bus ist den ganzen Sommer durch in der Schweiz unterwegs und diskutiert mit politisch interessierten Menschen über Themen wie Migration oder Energie. Via Social-Media-Kanälen wie Twitter, Instagram und Facebook können Leute das Projekt verfolgen, bei Diskussionen mitreden, Fragen stellen oder an Umfragen teilnehmen. Die Sendungen werden in den vier Landes­sprachen sowie in ­Englisch moderiert und können via www.srf.ch sowie bei ­YouTube ­nachgeschaut werden. Die fünfsprachige Redaktion wird von SRF Multimedia­redaktor Konrad Weber ­geleitet.
Weitere Infos: www.politbox.ch

Was ist Smartvote?
Mit Hilfe eines Fragebogens zu diversen Themen können Wähler ihre politischen Positionen mit denen der Kandidierenden vergleichen und erhalten so eine Wahlempfehlung.


Verwandt:

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«Mein Senf»: Eine Politiksendung für junge Leute? SRGInsider, 24.03.15

Junge Menschen, SRG und Politik – Passt das zusammen? SRGInsider, 17.03.15

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