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Vom zugeschütteten Röstigraben und abgetragenen Gotthardmassiv

Nur wenige Schritte neben dem markanten Eingang des Parlamentsgebäudes liegt das Medienzentrum. Dort − so sagte man uns − soll eine kleine Schweiz in der Schweiz existieren, eine Welt ohne Röstigraben. Wir besuchen dieses Ideal, die Bundeshausredaktion der SRG.

Es wirkt wie ein durchschnittliches Altstadtgebäude. Alt, unspektakulär, gar etwas bieder. Hinter der Sicherheitsschleuse offenbart sich die schiere Grösse dieses Komplexes. Neun Stockwerke bieten Arbeitsplätze für 369 Journalistinnen und Journalisten. Ob «Tages-Anzeiger», «Blick», «NZZ» oder Tele Züri, im Medienzentrum Bern treffen sich Bundeshauskorrespondenten aller Medienhäuser auf den Gängen. Die Korrespondenten der SRG in einem eigenen Grossraumbüro. Hier sollen Deutschschweizer, Romands und Tessiner Hand in Hand arbeiten, hier soll das im beflügelten Wort «Integrationsauftrag» ausgedrückte Verschmelzen der Kulturen stattfinden – zumindest für die drei gros­sen Sprachregionen. Nur die Rätoromanen, die ohne eigenen TV-Kanal und daher ohne eigene Korrespondenten leben müssen, kommen etwas zu kurz.

Wir laufen über das denkmalgeschützte Parkett. Dritter Stock, «SRG SSR Rédaction TV» steht da und wir fragen uns, ob die Gerüchte um den geschmolzenen Röstigraben und das abgetragene Gotthardmassiv wirklich stimmen. Eine grosse Scheibe lässt den Blick frei auf unser Studienobjekt. Sollen sich neugierige Besucher selbst ein Bild machen können, ob diese drei Spezies wirklich so gut zusammenarbeiten? «Das hier ist gelebte Schweiz», sagt Christoph Nufer, Bundeshauskorrespondent für SRF und frischgebackener Leiter der Bundeshausredaktion SRF. «Es klingt zwar nach Folklore», wendet er ein, «ist es jedoch überhaupt nicht. Es ist ein anderes Denken, ein anderes Herangehen an Themen.» Auch aus der Westschweiz klingt es ähnlich. «Ein einzigartiger Arbeitsort», sagt Alain Rebetez, bekannt für seine von Sprachwitz glühenden Fernsehauftritten auf RTS, und fügt hinzu: «Das habe ich so noch nirgends erlebt, dass drei Kulturen, drei Landessprachen, so eng zusammenarbeiten.» Und die Tessiner RSI-Korrespondentin Simona Cereghetti ist sich sicher: «Man sollte mehr solche Redaktionen in der Schweiz haben.»

Guy Parmelin und italienische Grenzgänger

Die Zusammenarbeit beginnt bei einfachen, logistischen Absprachen. Wer braucht wann ein Kamerateam, welche können gemeinsam gebucht werden? Die Zusammenarbeit geht aber weit über den Papierkram hinaus. «Du hörst immer, an was deine Kollegen gerade arbeiten», so Rebetez, «hörst, wie sie Politikern Fragen stellen, an die du vielleicht nicht gedacht hast.» Und besonders profitiere man vom Wissen der anderen. «Wenn wir mit einer Deutschschweizerin zu tun haben, können wir unsere Kollegen fragen, was man über sie wissen sollte», sagt er als Beispiel.

Das Verständnis für andere Sprachregionen zu fördern, steht hier im Zentrum. «Erst unsere welschen Kollegen wiesen uns darauf hin, dass insbesondere die Waadtländer Freisinnigen Parmelin nicht unterstützen wollten, weil damit ihre
Chancen auf einen eigenen Bundesrat für lange Zeit gegen null sinken würden. ­Öffentlich sagte dies natürlich niemand.»

Auch für Sprachminderheiten wie die ­italienische Schweiz sei der Austausch wichtig, sagt Cereghetti. «Wir müssen auch über andere Landesteile berichten, können uns selbst aber ebenfalls einbringen und die anderen Regionen für die Probleme des Tessins sensibilisieren.» Zum ­Beispiel? «Grenzgänger», nennt sie ohne zu zögern. Tatsächlich, in der Deutschschweiz kaum ein Thema, für das Tessin mit seinen vielen italienischen Fachkräften omnipräsent. Bevor die Tessinerin ins Berner Büro einzog, arbeitete sie im SRF-Hauptquartier in Zürich. «Da waren wir Gäste aus dem Tessin, hier aber zählen alle gleich viel.»

Fremde Zungen

Wir begeben uns tief ins Innere des Medienzentrums, vorbei am Pressekonferenzraum, in dem sich Bundesräte den Fragen von bis zu 120 Journalisten stellen müssen, vorbei an der Regie, welche das Geschehen im National- und Ständerat aufzeichnet und ins Internet streamt. 14 Meter unter der Erde liegen zwei Fernsehstudios und die Duplexbox, in der Bundesrat Johann Schneider-Ammann seine fast schon legendäre Rede zur Gesundheit gehalten hat. Hier ist das Reich von Silvia Ulrich, Aufnahmeleiterin und Realisatorin verschiedener Fernsehproduktionen. Sie arbeitet mit allen drei Sprachregionen zusammen. Wir wollen wissen, ob wirklich alles so harmonisch zugeht, wie es im dritten Stock geschildert wurde. Existiert wirklich kein Röstigraben? «Nein, den gibt es hier wirklich nicht. Wir arbeiten alle Hand in Hand», sagt sie. Und wie unterhält man sich? «Das ist ein buntes Gemisch von Sprachen, jeder spricht das, was er kann.» Sollte es mit dem Sprechen in fremden Zungen hapern, bietet die SRG Sprachkurse an.

Doch nicht nur die sprachliche Vielfalt sei interessant, spannend seien auch die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Sprachregionen. «Die Welschen sind locker, scheinen nie nervös zu sein», sagt Ulrich. Die Deutschschweizer gelten dafür als Planer. «Für eine SRF-­Sendung erhalte ich einen Stapel Papier mit detaillierten Informationen.» Dann ­werde alles durchgeprobt, bis jedem klar ist, wie die Sendung laufen wird. «Und so läuft sie dann auch.» Und bei RTS? «Da kriegst du zwei Blätter. Nach einer kurzen Regiebesprechung wird der Anfang geprobt, einzelne Grafiken werden getestet sowie der Schluss wird angeschaut. Dann nimmt man sich aber Zeit fürs Nachtessen.» Das spiele eben auch eine grosse Rolle.

Germanische Seele

Die Deutschschweizer sind durchgeplant, die Tessiner lockerer, es sind die gängigen Klischees, die sich zäh wie Käse am Fonduecaquelon halten. «Ja, es sind Klischees, aber sie haben auch etwas Wahres», sagt Nufer schmunzelnd. «Wir müssen alles durchorganisieren, damit unsere germanische Seele befriedigt ist. Dafür sind unsere Kollegen viel flexibler.» Bei aller unterschiedlicher Arbeitsweise, auf das Ergebnis habe es aber keine Auswirkung, so Ulrich. «Die Deutschschweizer Sendungen sind zwar durchgeplant, aber deswegen nicht besser. Sie lassen einfach weniger Raum für Kreativität.»

Vor dem Bild mit dem Matterhorn, wo sich sonst Bundesräte und Parlamentarier den bohrenden Fragen der Journalisten stellen, müssen die drei Moderatoren antraben – Fototermin. Die sonst ernsten TV-Gesichter lachen, sie albern herum, während ein Schwall von Deutschitalofranzösisch den Raum füllt. Als vor zehn Jahren das Medienzentrum eröffnet wurde, stellten alle drei Sprachregionen die gleiche Forderung: wieder ein gemeinsames Grossraumbüro. Die Nachrichtenredaktion, ein Sinnbild für die Schweiz, wie sie sein sollte.

Text: Simon Huwiler

Bild: (Uhrzeigersinn): S. Cereghetti (RSI), S. Ulrich (Technik MZ), C. Nufer (SRF), A. Rebetez (RTS). Bilder: Thomas Züger

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