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Radio SRF, Sendung «HeuteMorgen» und SRF News online («Syrien produziert offenbar weiterhin C-Waffen») beanstandet

5164
Mit Ihrer E-Mail vom 8. September 2017 beanstandeten Sie einen Beitrag in der Sendung „HeuteMorgen“ von Radio SRF 1 bzw. 4 vom gleichen Tag[1] sowie den entsprechenden Artikel auf SRF News[2] über den Einsatz von Giftgas in Syrien. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

In den Nachrichten vom 8.9.2017, als auch im dazugehörigen Artikel auf srf.ch, macht der Stellvertretende Chefredaktor beim Schweizer Radio und Fernsehen, Fredy Gsteiger, Syrien gegenüber schwerste Vorwürfe.

So wird dem Staat nicht nur aufgrund des von der UN-Kommission des UN-Menschenrechtsrates veröffentlichten Reports vorgeworfen, für die Mehrheit der Giftgas-Einsätze zuständig zu sein (im Kontrast zu den Ermittlern dieser Vorkomnisse, der OPCW[3], die sich aufgrund mangelnder Beweise nicht festlegen können, siehe letzten OPCW-Report zu Syrien). Dies müsste meiner Ansicht nach aufgrund des Transparenzgebots angegeben werden, die Fälle sind nunmal längst noch nicht geklärt, ist jedoch nicht Grund für meine Beanstandung.

Herr Gsteiger behauptet weiterhin, dass zwei Schiffsladungen aus Nordkorea abgefangen wurden, in welchen sich Raketen und Material zur Herstellung von chemischen Kampfstoffen befunden haben sollen. Diese Meldung basiert auf einem Report aus dem Sicherheitsrat, in welchen die Nachrichtenagentur ‚Reuters‘ am Montag, 21.08.2017, Einsicht gehabt haben soll [4]:

<The report by a panel of independent U.N. experts, which was submitted to the U.N. Security Council earlier this month and seen by Reuters on Monday, gave no details on when or where the interdictions occurred or what the shipments contained.>

Demgegenüber steht die Meldung von Herrn Gsteiger im erwähnten Artikel als auch im selben Wortlaut in den ‚Nachrichten‘ (im Artikel als Tonspur verfügbar):

<Dazu passt, dass die UNO-Experten, die die Einhaltung der Nordkorea-Sanktionen überwachen, in einem Bericht an den Sicherheitsrat von zwei beschlagnahmten Schiffsladungen sprechen. Sie sollen Raketen und Material für die Herstellung von C-Waffen enthalten haben.>

Das stellt meiner Meinung nach ein klarer Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebots dar. Da dies bei weitem nicht das erste Mal ist, das bei der SRG sehr ungenau gearbeitet wird, wäre ich froh wenn diese Sache geprüft werden könnte.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Radio SRF antwortete dessen stellvertretender Chefredaktor, Fredy Gsteiger:

„Haben Sie Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung Nr. 5164 von Herrn X.

Herr X wirft uns vor, wir würden schwere Vorwürfe an die syrische Regierung erheben, im Wesentlichen im Zusammenhang mit den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien.

In dem kurzen, nur rund eine Minute dreissig Sekunden langen Radiobeitrag erheben wir selber gar keine Vorwürfe. Wir referieren lediglich das, was in den Tagen beziehungsweise Wochen davor von anderen Quellen – die wir nennen – publik gemacht wurde. Eine eigene Analyse nahmen wir nicht vor, einen Kommentar publizierten wir nicht. Dafür ist die Sendung ‚Heute Morgen‘ nicht das geeignete Gefäss. Solche Beiträge platzieren wir eher in unseren Hintergrundsendungen wie ‚Rendezvous‘ oder ‚Echo der Zeit‘. Denn die Kürze der Morgenbeiträge macht die erforderliche fundierte Argumentation nahezu unmöglich.

Wir äussern ausserdem keine Behauptungen als Fakten, sondern machen klar, dass etliche Punkte nicht oder noch nicht erhärtet ist, indem wir – auch in der Online-Umsetzung des Beitrags – Begriffe wie ‚offenbar‘ oder ‚angeblich‘ verwenden, wenn wir uns auf Aussagen stützen, deren Inhalt wir selber nicht überprüfen konnten.

Die erste Quelle, die wir nennen, ist die Ermittlungskommission des Uno-Menschenrechtsrates, geleitet vom Brasilianer Paulo Pinheiro. In einer ausführlicheren Radioversion des Beitrags, die in den längeren Ausgaben von ‚Heute Morgen‘ ausgestrahlt wurde, kommt Pinheiro selber im O-Ton zu Wort. An dem Bericht beteiligt war auch die frühere Bundesanwältin und Ex-Chefanklägerin am Jugoslawien-Tribunal, Carla del Ponte. Sie verlässt nun aber die Ermittlungskommission aus Enttäuschung, weil ihrer Ansicht nach die Ermittlungsergebnisse zu wenig in die Politik des Uno-Sicherheitsrates einfliessen.

Recherchen in Syrien sind schwierig. Auch wegen der Gefahr für Leib und Leben, aber ebenso, weil vielerorts keine freien Zugänge möglich sind. Weder für Journalisten, noch für NGO oder Uno-Mitarbeiter und -Ermittler. Entsprechend ist das Bild, das über die Zustände in Syrien gezeichnet wird, unvollständig. Die Uno-Ermittlungskommission ist eine der äusserst raren Informationsquellen, die nicht mit einem politischen Lager oder einer Partei verbunden sind, sondern unabhängig berichten. Aus dem Studium ihrer bisherigen Berichte ziehen nicht nur wir, sondern auch die grosse Mehrheit der internationalen Leitmedien den Schluss, dass ihre Erkenntnisse glaubwürdig sind. Im konkreten Fall ist es nicht so, dass die Ermittlungskommission Recherchen der Chemiewaffenbehörde OPCW widerspricht.

Ihre Erkenntnisse gehen – im Fall der Anzahl von Chemiewaffeneinsätzen – hingegen über jene der OPCW hinaus. Die OPCW selber betont, dass sie bei ihren Untersuchungen nur sehen und beurteilen konnte, was man bereit war, ihr zu zeigen. Die Anlage, die nun von der israelischen Luftwaffe ganz oder teilweise zerstört wurde, gehörte offenbar nicht dazu, wie aus den Unterlagen der OPCW hervorgeht.

Beim zweiten Element in dem Beitrag geht es um ebendiesen israelischen Luftangriff auf eine Anlage, eine militärische Forschungsstätte der syrischen Regierung, in der mutmasslich Raketen- und Chemiewaffen entwickelt und möglicherweise auch gebaut wurden. Hier ist die Quellenlage magerer: Eine Quelle ist die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Sie ist aber nicht neutral, sondern steht, was wir explizit so sagen, den syrischen Rebellen nahe. Allerdings haben sich ihre Berichte in den vergangenen Jahren zwar nicht immer, aber sehr oft nachträglich als zuverlässig erwiesen.

Bei andern Quellen handelt es sich um israelische Experten, darunter einen Ex-Geheimdienstchef. Wir sagen deshalb ausdrücklich, dass es zum Zeitpunkt der Publikation noch keine Beweise dafür gab, dass die Syrer in der Anlage Masyaf tatsächlich Raketen und Chemiewaffen produziert – und nach einzelnen Quellen sogar ein Atomprogramm betrieben haben. Beweise weder dafür, dass sie das zu einem früheren Zeitpunkt taten, noch dafür, dass die Produktion zum Zeitpunkt des israelischen Luftangriffs weiterhin lief.

Wir machen deshalb in unserer Formulierung transparent, dass ‚Belege von unabhängigen Quellen‘ fehlen. Zumindest eine gewisse Plausibilität kann man aber den Einschätzungen nicht absprechen. Der israelische Angriff entsprach nicht dem Muster der sonstigen, sehr zahlreichen Angriffe, meist auf Waffentransporte für die libanesische Hisbollah.

Warum hat Israel in diesem Fall direkt eine syrische Militäranlage angegriffen?

Der Vergleich mit dem Angriff von vor zehn Jahren auf einen Ort, an dem Syrien ein Atomprogramm betrieb, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Israel sah in der Anlage Masyaf mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung für die eigene Sicherheit. Die Existenz oder gar Produktion von Massenvernichtungswaffen dort, wäre natürlich eine solche Bedrohung.

Beim letzten Punkt geht es um abgefangene Schiffstransporte, über die das Uno-Expertenpanel berichtet, das die Einhaltung der Nordkorea-Sanktionen überwacht und in regelmässigen Abständen dem Sicherheitsrat seine Erkenntnisse weiterleitet. Auch hier stützen wir uns nicht auf eigene recherchierte Informationen. Da wir selber keine Einsicht in das Uno-Dokument hatten, beruht unsere Berichterstattung auf einer Reuters-Meldung, die weltweit von sehr vielen Medien aufgenommen wurde und die von Herrn X angeführt wird.

Konsequenterweise hätten wir auch in diesem Punkt die Quellen umfassend darlegen müssen und nicht nur das Uno-Sanktionspanel, sondern zusätzlich die Agentur Reuters explizit erwähnen sollen. Das nicht getan zu haben, war zwar der Kürze des Berichts geschuldet, ist aber trotzdem ein Versäumnis, das wir bedauern. (In einer etwas längeren Version des Berichts kommt Reuters vor.)

Einzelne Boulevard-Medien spitzten die Geschichte zur Aussage ‚Nordkorea liefert C-Waffen an Syrien‘ zu. Wir gehen nicht soweit. Genauso wie die seriösen unter den Medien sprechen wir nicht von einer Tatsache, sondern von der Möglichkeit, von der Einschätzung (‚sollen sich befunden haben‘), wonach die Schiffsladungen auch nicht-konventionelle Waffen enthalten hätten. Auch für diese Einschätzung fehlen die Beweise, aber unplausibel ist sie nicht, da es sich beim Adressaten um jene syrische Forschungsstätte handelte, die sich – an mehreren Standorten – mit nichtkonventionellen Waffenprogrammen befasst.

Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung und des Artikels. Es ist bekannt, dass die Wahrheit das erste Opfer von Kriegen ist. Es ist bekannt, dass Kriegsparteien – und zwar alle - Propaganda betreiben und mit entsprechenden PR-Massnahmen die Lufthoheit über die internationale öffentliche Meinung zu erringen versuchen. Es ist bekannt, dass es in Kriegssituationen für Journalistinnen und Journalisten äußerst schwierig ist, frei und unabhängig zu berichten – erstens, weil es zu gefährlich ist, gewisse Schauplätze zu erreichen, zweitens, weil die jeweils dominierenden Herrschaftsgruppen Journalismus nur „embedded“ zulassen, drittens, weil auch die gewöhnlichen Bewohnerinnen und Bewohner aus Angst vor Repressalien nicht die Wahrheit sagen. Es gibt daher kaum unabhängige und zuverlässige Quellen. Was bleibt somit den Medien zu tun übrig?

  • Sie zitieren jene glaubwürdigen Quellen, die noch übrig geblieben sind, darunter die Vereinten Nationen (Uno) und ihre Unterorganisationen sowie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (das allerdings in der Regel im Interesse seiner Aufgabe schweigt).
  • Sie nehmen Distanz zu allen Parteien und Quellen und zeigen auf, dass man den Informationen misstrauen muss.
  • Sie stützen sich auf kenntnisreiche Experten.

Genau das hat Fredy Gsteiger in seinen beiden Beiträgen für Radio SRF und für SRF News im konkreten Fall getan. Er hat sich keine Behauptung zu eigen gemacht. Er berichtete im Konjunktiv. Es wies darauf hin, dass Belege von unabhängiger Seite fehlen. Er hielt Distanz. Es können ihm nur zwei Fehler in Nebenpunkten angekreidet werden, die aber den Gesamteindruck des Berichts nicht verfälschten und die Meinungsbildung des Publikums nicht beeinträchtigten: Erstens, dass er im Zusammenhang mit der angeblichen Waffenlieferung aus Nordkorea Reuters nicht als Quelle erwähnt hat (was er selber bedauert). Zweitens, dass der Schlusssatz – „Es wird immer deutlicher, mit welcher Ruchlosigkeit sich Assad an der Macht hält“ – implizit doch unterstellt, dass alle Vorwürfe stimmen. Davon abgesehen, informierte der Beitrag nach allen Regeln der journalistischen Kunst über Vorgänge im kommunikativ verminten Gelände. Ich kann daher Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/sendungen/heutemorgen/tag-der-entscheidung-im-bahnstreit

[2] https://www.srf.ch/news/international/syrien-produziert-offenbar-weiterhin-c-waffen

[3] https://www.opcw.org/ = Organisation for the Prohibiton of Chemical Weapons (Anmerkung des Ombudsmanns).

[4] https://www.reuters.com/article/us-northkorea-syria-un/north-korea-shipments-to-syria-chemical-arms-agency-intercepted-u-n-report-idUSKCN1B12G

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