SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Einsatz von ARD-Korrespondenten bei Radio SRF beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 1. November 2017 beanstandeten Sie, dass bei Radio SRF zunehmend ARD-Auslandkorrespondenten zum Einsatz kämen statt eigene. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
Als Mittel- und Berufsschullehrer war ich während 20 Jahren auch Kulturredaktor mit halbem Pensum / Vertrag 4 in der Abteilung ‚Familie und Bildung‘ beim SRF. Ich habe mich auch als Medienpädagoge und Dozent Erwachsenenbildung immer für die staatspolitisch integrierende Funktion der SRG eingesetzt.
Ich frage mich in jüngerer Zeit aber schon, was SRF z.B. veranlasst, immer mehr zum ARD-Anhängsel zu werden. Reine Sparmassnahmen? Wir hatten auf der iberischen Halbinsel (auch für den Maghreb zuständig) während Jahrzehnten ausgezeichnete einheimische Korrespondenten. Nun, da Spanien im Fokus stand, wurden wir im Radio ausschliesslich mit Fremdbeiträgen der ARD abgespeist. Griechenland ging in die gleiche Richtung, und abends nach 23 Uhr kommen praktisch flächendeckend ARD-Korrespondenten zum Einsatz. Auch nehmen Moderatorinnen mit (nord)deutsch eingefärbten Dialekten in letzter Zeit überhand. Niemand aus der Schweiz erhielte in deutschen Medien dafür eine Plattform. Es geht auch um sprachliche Sorgfalt, und deren Wortwahl und Slang widerspricht oft unseren Gepflogenheiten.
Das alles sind keine guten Argumente gegen die No-Billag-Befürworter. Wenn ich das Radio einschalte und nicht weiss, ob ich auf einem deutschen Sender oder bei Radio SRF bin, dann ist das sehr kontraproduktiv.
Ich danke Ihnen für Ihre Stellungnahme und grüsse Sie ‚mit Stirnrunzeln‘ recht freundlich. Die Achillesferse von SRF sollte besser geschützt werden, wenn aus vollen Rohren und mit populistischer Speerspitze geschossen wird.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für Radio SRF antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor:
Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X kritisiert, SRF werde zunehmend zum Anhängsel der ARD. Wir hätten zu viele deutsche Stimmen auf dem Sender. Sowohl was Korrespondentenberichte als auch was die Moderation betrifft.
Wenn dem so wäre, würden wir in der Tat etwas falsch machen. Denn unsere Absicht ist es, die Welt aus einer Schweizer Perspektive darzustellen – und eben nicht aus einer deutschen, französischen, italienischen oder gar amerikanischen. Wir sind uns bewusst, dass es die SRG nicht zuletzt deshalb braucht, damit unser Land auch punkto Medien souverän ist und eine eigene Optik auf die Geschehnisse hat. Und zwar nicht zuletzt bei der Auslandberichterstattung. Deshalb legen wir bereits bei der Entsendung von Korrespondenten grossen Wert darauf, dass sie die Schweiz und die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirklichkeit in diesem Land aus eigener Erfahrung bestens kennen.
Wir haben in den vergangenen Jahren unser Auslandkorrespondentennetz nicht etwa ausgedünnt, sondern ausgebaut. Auf verschiedenen Posten (beispielsweise Südamerika, Osteuropa oder Frankreich) haben wir das Pensum der Stelleninhaber erhöht, in Südostasien haben wir sogar einen neuen Korrespondentenposten geschaffen. Für die Karibik, Mexiko und Zentralamerika schaffen wir auf Anfang 2018 erstmals eine Fünfzigprozentstelle.
Dennoch muss jeder einzelne Korrespondent deutlich mehr leisten als früher – auch weil der 24-Stunden-Nachrichtenkanal SRF4 News Kapazitäten absorbiert. Ebenso die Online-Präsenz, ohne die heute keine Medium mehr existieren kann. Das heisst: Unsere Auslandkorrespondenten sind heute präsenter als je zuvor – und können dennoch nicht sämtliche Sendeplätze mit eigenen Berichten füllen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Wir sind immer mal wieder angewiesen auf ARD-Kollegen oder auf freie Mitarbeiter, die einspringen oder Wochenend- und Ferienvertretungen übernehmen können. Unter den freien Mitarbeitern gibt es zahlreiche Schweizer, aber selbstverständlich auch einzelne Österreicher und natürlich etliche Deutsche. Wir setzen sie möglichst zurückhaltend in unseren Primetime-Sendungen ein, hingegen in den weniger reichweitenstarken Nachrichtensendungen am Wochenende, am späten Abend oder auch auf SRF4 News.
Wir haben schlicht nicht die Mittel, die Auslandberichterstattung vollumfänglich mit unseren eigenen Leuten zu bestreiten. Das hat natürlich auch mit Sparmassnahmen zu tun – schliesslich wurden die Rundfunkgebühren hierzulande seit vielen Jahren nicht mehr erhöht. Das heisst, die Inflation, die in den letzten Jahren zwar niedrig war, hat Jahr für Jahr etwas Gebührenmittel weggefressen.
Herr X schreibt auch, wir hätten über die Katalonien-Krise oder früher die Griechenland-Krise ausschliesslich mit deutschen Kollegen berichtet. Das stimmt nicht. Zwar kamen solche tatsächlich öfters zum Einsatz. Wir haben aber für die Iberische Halbinsel mit Auslandchef Martin Durrer, der immer wieder nach Spanien und Portugal reist, eine überaus kompetente eigene Stimme. Wir liessen in den letzten Wochen viele Male unseren langjährigen und erfahrenen Iberien-Korrespondenten Alexander Gschwind zu Wort kommen. Und wir haben ‚Echo‘-Moderatorin Nicoletta Cimmino, die Spanien sehr gut kennt, als Sonderkorrespondentin nach Barcelona entsandt. Für Griechenland können wir keinen eigenen Korrespondentenposten einrichten. Unsere jeweiligen Korrespondenten in Rom, früher Massimo Agostinis und jetzt Franco Battel, beobachten aber die Entwicklungen in Griechenland, reisen mehrfach pro Jahr für Recherchen dorthin und berichten.
Und was schliesslich die Moderation betrifft, so sind deutlich über 95 Prozent der Moderationsstellen hier im Studio mit Schweizerinnen und Schweizern besetzt, die entsprechend ein schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch auf den Sender bringen. Insofern ist die Redaktion von Radio SRF wohl weitaus ‚schweizerischer‘ als die allermeisten anderen Redaktionen im Land. Zumal wir die von ihnen völlig zu Recht angemahnte staatspolitisch integrierende Funktion selber sehr stark gewichten.
Ich bitte Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Herrn X nicht gutzuheissen.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Angelegenheit. Ich bin mit Ihnen einig, dass gute Auslandkorrespondenten ein Markenzeichen für einen Service public-Sender sind. Und ich stimme Ihnen auch zu, dass die Korrespondenten den Bedürfnissen des Zielpublikums gerecht werden müssen. Ich möchte mich in drei Punkten zum Thema äußern:
1. Das große Korrespondenten-Netz
Auslandkorrespondenten-Netze sind ein wichtiger Faktor für Medienqualität. Medien, die überall in der Welt vor Ort mit eigenen Leuten vertreten sind, können ihrem Publikum mehr Augenschein, mehr Hintergrund und mehr Zusammenhänge bieten. Deshalb haben gerade die Qualitätsmedien wie die „New York Times“, der „Guardian“, „Le Monde“, der „Corriere della Sera“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die „Neue Zürcher Zeitung“, die BBC, die ARD, das ZDF, der ORF, „France Télévision“, CNN und natürlich auch die Nachrichtenagenturen wie AP, AFP, Reuters oder DPA immer Wert darauf gelegt, an allen wichtigen Orten der Welt mit Korrespondenten präsent zu sein. Es ist aber auch eine Tatsache, dass die Netze bei vielen Qualitätsmedien seit rund zwei Jahrzehnten wegen der Medienkrise schrumpfen, gerade auch bei amerikanischen und britischen Medien. Zum Teil wurden sie sogar halbiert. Darum ist es besonders löblich, dass Radio und Fernsehen SRF mit 18 Radiokorrespondenten und 18 Fernsehkorrespondenten in der Schweiz die Spitze halten: Das Netz ist mit 36 Personen gesamthaft größer als das der NZZ und das des „Tages-Anzeigers“, nicht aber, wenn man Radio und Fernsehen getrennt betrachtet, denn die NZZ verfügt über 34 Korrespondenten , der „Tages-Anzeiger“ (der übrigens manche Stelle mit der „Süddeutschen Zeitung“ teilt) über 22 . Erst kürzlich rechtfertigten die Chefredaktoren von Radio und Fernsehen SRF, Lis Borner und Tristan Brenn, gegenüber „persoenlich“, warum es in vielen Regionen sowohl einen Radio- als auch einen Fernsehkorrespondenten von SRF braucht: Die Arbeit habe zugenommen, gerade wegen zusätzlicher Kanäle wie Radio SRF 4 News und wegen der Online-Berichterstattung. Außerdem würden die Korrespondenten der beiden Medien-Typen sehr eng zusammenarbeiten und sich jeweils gegenseitig vertreten.
Doch selbst wenn das Netz relativ groß ist, sind die einzelnen Korrespondenten teilweise für riesige Gebiete zuständig und können ihr Knowhow nur aktuell halten, wenn sie immer wieder reisen und sich in allen Ländern, die zu ihrem Berichterstattungsfeld gehören, kundig machen. Das Reisen ist auch dort zur Notwendigkeit geworden, wo ein Korrespondent nur ein Land betreut: Washington macht eben nicht die USA aus, wer von Paris aus berichtet, hat nicht automatisch auch die Provence oder die Bretagne begriffen, und London unterscheidet sich von Birmingham, Glasgow oder Belfast. Die Zeiten, in denen ein Korrespondent einfach die Tageszeitungen des Landes las und auswertete, sind längst vorbei. Und dass in Europa nicht jedes einzelne Land mit einem Korrespondentenposten versehen werden kann, leuchtet ein. Auch hier müssen Korrespondentinnen und Korrespondenten, die in anderen Hauptstädten sitzen, reisen.
Dass Radio und Fernsehen SRF mit dem Korrespondentennetz hohe Qualität bieten, gefällt aber nicht allen. Der Medienkritiker René Hildbrand findet, SRF habe zu viele Korrespondenten. In einer TV-Kritik auf „persoenlich“ schrieb er, in seinem persönlichen Umfeld herrsche Einigkeit darüber, dass SRF viele Auslandsposten mit ARD und ZDF teilen könne. Er vertritt also genau die gegenteilige Position wie Sie. Was mich betrifft, so bin ich dezidiert Ihrer Meinung.
2. Der Schweiz-Bezug
Es ist wichtig, dass Korrespondenten dem Informationsbedürfnis des jeweiligen Zielpublikums gerecht werden. Korrespondentinnen und Korrespondenten des Schweizer Service Public-Senders müssen berücksichtigen, was das Schweizer Publikum interessieren könnte. Das ist an gewissen Standorten fast immer, an anderen von Fall zu Fall wichtig. Die Berichterstattung aus Brüssel sieht für die Schweiz anders aus als für ein EU-Mitglied. Die Berichterstattung aus Indien hingegen kann in den meisten Fällen für die Schweiz die gleichen Akzente setzen wie für Deutschland oder für Österreich, sie wird aber dann spezifisch, wenn es um ein Schweizer Projekt, um Schweizer Wirtschafsbeziehungen oder um gegenseitige Regierungsbesuche geht. Die Berichterstattung wird auf jeden Fall farbiger und konkreter, wenn zwischen dem heimischen Publikum und den Berichtsgebiet direkte Bezüge hergestellt werden können. Darum ist es wichtig, dass SRF überall in der Welt über eigene Korrespondenten verfügt. Weniger wichtig ist es, ob es sich um Schweizer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger handelt. Entscheidend ist, dass sie das Schweizer Publikum im Fokus haben.
3. Die Qualitätssicherung
Fallen eigene Korrespondenten aus oder handelt es sich um Gebiete, in denen kein eigener Korrespondent vor Ort ist, dann ist es wichtiger, dass qualitativ hochstehend berichtet wird statt gar nicht. Und die ARD-Korrespondenten, auch Journalistinnen und Journalisten eines Public Service-Senders, bürgen für entsprechende Qualität. Deshalb habe ich gar nichts dagegen, wenn hin und wieder ARD-Korrespondenten auf den Kanälen von SRF zum Zuge kommen. Herr Gsteiger hat ja überzeugend dargelegt, wann und wo das bisweilen der Fall ist.
Alles in allem kann ich Ihr Anliegen zwar verstehen, Ihre Beanstandung aber nicht unterstützen. Vielmehr leuchtet mir die Doktrin von Radio und Fernsehen SRF vollkommen ein.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

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