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«Wir versuchen keine Angst zu haben»

Jonas Projer hat die «Arena» dorthin zurückgeführt, wo sie zu ihren gloriosen Zeiten war. Das Interview über den exponiertesten Job im hiesigen Polit-Journalismus.

Herr Projer, Sie sind «Journalist des Jahres», aber eigentlich sind Sie ein untypischer Journalist. Sie publizieren keine eigenen Storys.
Jonas Projer: Das stimmt. Und eigentlich bin ich auch gar nicht «Journalist des Jahres». Oder zumindest nicht alleine. Was Sie jeden Freitag in der «Arena» sehen, nicht nur die Gäste, die Filmbeiträge, sondern auch die Moderation: Dafür arbeiten meine Kolleginnen und Kollegen auf der Redaktion die ganze Woche. Der Preis gehört uns allen.

90 Prozent der bisherigen «Journalisten des Jahres» waren Reporter oder Rechercheure. Diesen Anspruch haben Sie nicht?
Man sieht das am Sender nicht, aber in der «Arena» steckt sehr viel Recherche. Wir wälzen tagelang Botschaften, wir suchen die Knackpunkte im Konflikt, die Leerstellen in den Positionen, wir reden mit Fachleuten und Quellen, die nie in der Sendung auftreten. Aber ja: Am Ende schaut kein Primeur raus und auch keine Reportage, sondern im besten Fall eine gute Diskussion.

Ihr Ziel ist ja nicht die eigene Story, sondern dass Ihre Gäste in der «Arena» ihre eigenen Storys möglichst gut herüberbekommen.
Wir erzählen schon eine Story, glaube ich, bloss um die Ecke herum. Wir laden die Gäste so ein, dass sich zwischen ihnen eine Story entwickelt. Das lässt sich nicht bis ins Detail planen, aber in den groben Zügen schon. Beispielsweise beim Thema Islam: Wenn wir eine Runde mit einer linken Feministin und einem Muslim besetzen, entwickelt sich eine Story über Frauenrechte. Wenn wir den Islamischen Zentralrat und die SVP einladen – Terror, Burka und Minarette. Wenn wir den Muslim- und den Zentralrat einladen – dann wird die Story sein, wer für die Schweizer Muslime spricht.

Eine aufsehenerregende Reportage, im TV oder auch im Print, und darunter steht «Von Jonas Projer». Das vermissen Sie nicht?
Nein, das vermisse ich nicht. Und das können andere ja auch viel besser. Ich bin verantwortlich für die «Arena», das ist mehr als genug.

Für klassische Journalisten gehören TV-Moderatoren weniger in den Bereich der Publizistik als vielmehr des Infotainments. Unfair?
Was mich betrifft, eher ein Kompliment. Die Sendung heisst schliesslich «Arena». Wer spätabends um 22.25 Uhr über Politik informieren will, tut meiner Meinung nach gut daran, auch unterhaltsam zu sein.

Okay, fassen Sie zusammen: Was ist Ihre Berufsdefinition?
Mein Beruf ist es, zu einem fairen, sachlichen und vielfältigen politischen Diskurs beizutragen. Meine Überzeugung ist, dass man das nicht mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase schafft. Die «Arena» versucht, das Publikum bei seinen Emotionen abzuholen, auch bei seinen Vorurteilen, um es dann in eine inhaltliche Diskussion zu verwickeln. Um es beider Meinungsbildung zu unterstützen.

In der Begründung zu Ihrer Wahl zum Journalisten des Jahres steht, Sie hätten «die Arena zurück auf die politische Agenda gebracht». Trifft es das?
Das freut mich. Das war jedenfalls unser Ziel.

Aber irgendetwas müssen Sie ja anders als Ihre Vorgänger gemacht haben. Die «Arena» ist permanent ein grosses Thema.
Das war sie doch auch früher. Ein Rezept haben wir dafür jedenfalls nicht. Oder vielleicht höchstens dieses: Wir versuchen, keine Angst zu haben. Eine Sendung wie die «Arena» gehört ja irgendwie ein bisschen allen. Alle möchten mitreden, alle möchten eingeladen werden, alle kritisieren, alle protestieren. Ich kam zum Schluss, dass wir keine Angst haben dürfen – nicht vor links oder rechts, nicht vor heiklen Themen, nicht vor kontroversen Gästen. Und vor allem keine Angst vor dem Scheitern.

Wann sind Sie gescheitert?
Immer wieder. Zum Beispiel im Schlussspurt des letzten Wahlkampfs. Wir hatten schon alle «Wahl-Arenas» hinter uns, die Argumente wiederholten sich, die Parolen sowieso. Und doch stand noch die wichtigste Sendung an, die «Arena» mit allen sieben Parteipräsidenten. Da hatte ich eine Idee: Um die Parolenschlacht zu vermeiden, würden wir ein Parteiprogramm nach dem nächsten besprechen – und immer derjenige, um den es gerade ging, würde in den Ausstand treten. Somit müsste sich beispielsweise Christian Levrat vertieft mit den Programmen der Bürgerlichen befassen, anstatt nur die eigenen Parolen rauszuhauen. Brillant, oder? Es wurden die längsten 70 Minuten meiner Karriere. Keiner hielt sich an das Konzept, Chaos herrschte, am Ende der Sendung hatte ich alle Gäste gegen mich. Der «SonntagsBlick» schrieb: «Debakel mit Wahlshow».

Reden wir ein bisschen über Ihren Berufsalltag. Wie viele Leute haben Sie im Team, und was tun die?
In jeder Woche sind fünf Personen mit dabei, die meisten nur einige Tage. Die Produzentin oder der Produzent hat inhaltlich den Lead, er oder sie verantwortet in jener Woche die Sendung. Drei Redaktorinnen oder Redaktoren arbeiten mit, sie suchen die Gäste, realisieren Beiträge, casten das Publikum. Und eine Produktionsassistentin schaut ab Mittwoch, dass das Backoffice läuft.

Und was macht der Chef persönlich?
Was auch immer es braucht. Es gibt Gäste, die werden gerne vom Chef angerufen. Dann mache ich das. Ich bringe viele kreative Ideen ein, die man mir ausreden muss, wie die mit den Präsidenten – und einige Ideen, die funktionieren. Ansonsten verbringe ich jede freie Minute in Positionspapieren, Wortprotokollen und in der SMD. Von jedem klugen Artikel in Schweizer Zeitungen profitiert die «Arena» ganz direkt.

Seit Filippo Leuteneggers Zeiten fällt zum «Arena»-Moderator humer wieder das Klischee des «Dompteurs». Beschreibt das die Rolle?
Ehrlich gesagt, empfand ich den Begriff immer als falsch. Ist es nicht abschätzig, gewählte Volksvertreter als wilde Tiere zu betrachten? Und Moderation hat in meinen Augen auch nichts mit Dressur zu tun. Eher mit Analyse, Fairness, Führung und ja, mit einem gewissen Mass an Autorität.

Wer waren die unangenehmsten Gäste, die Sie bisher hatten?
Als ich anfing bei der «Arena», hatte ich ein Problem mit jungen Männern. Oder eher: Junge Männer hatten ein Problem mit mir, und zwar quer durch alle Parteien. Bei jungen Männern entstand irgendeine Form von Gockelei. Was meint dieser Schnösel, gleich alt wie ich, hier die Runde zu leiten? Das hat sich dann aber mit der Zeit gelegt.

Und welche Persönlichkeiten waren perfekt «Arena»-tauglich?
Ich habe da einiges dazugelernt in den letzten Jahren. Von Anfang an war mir klar, dass ein guter Gast nicht nur inhaltlich stark sein muss, sondern auch rhetorisch. Erst mit Verspätung habe ich dann begriffen, dass es noch etwas Drittes braucht: gute Laune, eine gewisse Herzlichkeit. Und das können auch nicht alle. Gute Laune bei mindestens zwei von vier Gästen macht den Unterschied zwischen einer soliden «Arena» und einer «Arena», die man sehen will.

Wenn es Kritik an der «Arena» gibt, dann fast immer bei der Auswahl der Gäste. Entweder hat es zu viele Rechte oder zu viele Linke oder was auch immer.
Ja, diese Kritik gibt es. Wir prüfen das jedes Mal, aber zum Teil gehört diese Kritik auch einfach dazu. Aus Sicht der SVP sind alle anderen links. Aus Sicht der Linken ist jeder SVPler einer zu viel ... und so weiter.

Nun ist die Auswahl der Gäste aber auch ihr wichtigstes Profilierungs-Instrument und ziemlich entscheidend für die Quote. Welche Zusammensetzung zieht am besten?
Soweit ich das abschätzen kann, ist für die Quote nicht der Cast entscheidend, sondern eher das Thema. Konkret, dessen Aktualität. Talk funktioniert gut, wenn er eine laufende Debatte aufnehmen kann, weil das Publikum dann schon eine Ahnung vom Thema hat. Aber wir brechen das natürlich immer wieder, beispielsweise für Abstimmungssendungen. Über die Unternehmenssteuerreform III haben wir schon diskutiert, als sie medial noch kein grosses Thema war. Das schlägt dann halt auf die Quote, aber das nehmen wir in Kauf.

Wie spontan ist das Ganze? Bekommen Ihre vier Protagonisten von Ihnen ein detailliertes Briefing über Ablauf, Themen und Fragen der Sendung?
Nein, sie erhalten keinen Ablauf und schon gar keinen Fragenkatalog. Aber die Redaktion tauscht sich während der Woche natürlich vertieft mit allen aus. Und dann skizziere ich mit den Gästen kurz vor der Sendung nochmals die wichtigsten Themen. Nur lässt sich davon niemand zu irgendetwas zwingen. Wer ab Minute 1 über die «Masseneinwanderung» reden will, wird das ab Minute 1 tun. Sobald die Kamera läuft, ist die Vorbesprechung oft vergessen.

Sie haben mit kontroversen Gästen Diskussionen ausgelöst. Sie hatten Andreas Glarner, Daniele Ganser und Alexander Gauland im Studio. Immer gab es quotenfördernde Debatten – muss ganz in Ihrem Sinn sein.
Bei keinem ging es um die Quote. Andreas Glarner ist gewählter Nationalrat und Asylverantwortlicher der grössten Partei der Schweiz. Wieso sollte er nicht in der «Arena» auftreten dürfen? Daniele Ganser war ein Risiko – und es ist eingetreten. Aber war es nicht relevant, die Blase der «Verschwörungstheoretiker» für einmal mit der Blase der «Systemmedien» zusammenzuführen? Und gegen eine Einladung von Alexander Gauland gab es damals nichts einzuwenden — alle Gäste innerhalb des Rechtsstaats sind willkommen. Unterdessen hat Gauland aber Aussagen gemacht, die ihn für eine erneute Einladung nicht empfehlen: «Stolz auf die Leistung deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen», das geht zu weit.

Fast 70 Prozent der SRG-Journalisten sind links, hat eine Umfrage soeben gezeigt. Bestätigt das Ihre interne Wahrnehmung?
Soviel ich weiss, hat die Studie das nicht präzise belegt. Und nein, meine Wahrnehmung bestätigt Ihre These nicht. Aber viel wichtiger: Die private politische Meinung von Journalisten ist irrelevant, solange sie privat bleibt.

Gehören Sie auch zu den 70 Prozent?
Meine politische Meinung bleibt privat.

Sie haben sich immer geweigert, eine eigene politische Präferenz zu nennen. Was wäre daran so schlimm?
Sie glauben gar nicht, wie viel Selbstdisziplin es mich kostet, es Ihnen nicht einfach zu sagen. Es wäre so einfach — und Sie wären so wunderbar enttäuscht. Aber ich mache es nicht. Erstens, weil es für meine Arbeit keine Rolle spielt. Zweitens, weil es der «Arena» schaden würde. Würde ich Ihre Frage beantworten, würde jeder die «Arena» nur noch durch diese Brille betrachten.

Werden Sie sich, sowie einige Ihrer Kollegen, gegen die No-Billag-Initiative engagieren? Sie können es auch gleich hier tun.
Das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, ein paar solide, faire und ausgewogene Sendungen zu dieser Initiative zu realisieren. Die erste haben wir schon gemacht.

Nun, Ihnen persönlich kann No-Billag ohnehin egal sein. Sie finden immer einen hochinteressanten Job.
Viel bessere Journalisten als ich haben schon den Job verloren oder umsatteln müssen. Und überhaupt geht es bei No-Billag ja nicht nur um die Jobs von SRG-Mitarbeitern. Aber ich zerbreche mir eher den Kopf, wie wir nächste Woche eine gute Sendung hinbekommen, als über No-Billag.

Nun wäre es vielleicht angezeigt, im Vorfeld von No-Billag etwas leiser zu treten. Die SRG braucht bis März keine Aufregungen.
Klar, das wäre eine Möglichkeit. Natürlich könnten wir die «Arena» nun etwas braver machen, so dass sie in der aktuellen politischen Debatte nicht aneckt. Interessanterweise scheinen einige Politiker das auch wirklich von uns zu erwarten, und zwar aus beiden Lagern. SRG-Gegner schreiben uns: «Schlechte Gäste, deshalb No-Billag!» Und die anderen schreiben: «Schlechte Gäste, wie sollen wir euch so gegen No-Billag verteidigen?» Aber wir wären im falschen Job, wenn wir dem nicht standhalten würden.

In der SRG kommt politische Pointiertheit selten vor. Ist die SRG zu wenig mutig, Kontroversen auszulösen?
Ich kann nicht für die SRG reden, nur für die «Arena». Kontroversen auszulösen, ist sicher nicht das Ziel. Aber mutigen Journalismus gibt es vielen, denken Sie zum Beispiel auch an den «Kassensturz» oder an die «Rundschau».

Sie selbst sind im Stil ja nicht allzu konfliktorientiert. In der Presse etwa ist die Berufsregel, dass man einen Konflikt bis zum Siedepunkt hochkocht. Sie versuchen oft, eher zu entdramatisieren.
Stimmt. Mir ist es wichtig, den Konflikt zu erkennen, den Finger auch dort draufzulegen, wo es weh tut. Aber das heisst nicht, dass man die Wunde aufreissen muss, bis Blut spritzt. Ja, in der «Arena» braucht es Lust an der Kontroverse. Aber nicht nur. Ich finde, es gehört auch Liebe zum Konsens dazu.

Einen Einblick in die SRF-Kultur haben Sie auch bekommen, als Sie Christa Rigozzi als Co-Moderatorin für «Arena/Reporter» engagierten. Die SRF-Feministinnen heulten auf, «Projer zerstört die Glaubwürdigkeit des Schweizer Fernsehens».
Das war doch kein Einblick in die SRF-Kultur, eher ein Einblick in die Kultur des Boulevards. Dank dieser Story habe ich erstmals nicht als Journalist oder Konsument, sondern als Objekt miterlebt, wie eine mediale Kampagne verläuft. Es gipfelte in der haarsträubenden Schlagzeile: «Projer und Rigozzi laden Neonazi ein!» Das ärgerte mich, weil wir das nicht getan hatten und nicht tun würden. Aber ansonsten war die ganze Sache doch eher harmlos und nicht nur negativ.

Sie gingen «mit einem kurzen Röckli auf billigen Zuschauerfang»‚ tönte es intern wie extern. Wie wichtig ist die Quote?
Wer Christa Rigozzi oder irgendeine Frau auf ihre Kleidung reduziert, disqualifiziert sich meiner Meinung nach selbst. Und wer anonym spricht, verdient eigentlich gar keine Antwort.

«Riesenkrach am Leutschenbach» titelte der «Blick» voller Begeisterung. Was war es im Rückblick wirklich?
Kein Riesenkrach, zu keinem Zeitpunkt. Aber es stimmt, dass der Entscheid auch intern für Diskussionen sorgte.

Gibt es nächsten Sommer eine Wiederholung? Diesmal vielleicht mit DJ Bobo als Co-Moderator?
Würden Sie mich wirklich durch DJ Bobo ersetzen? Wir machen natürlich weiter, Christa und ich. Apropos DJ Bobo, wir haben für die freitägliche «Arena» mal versucht, ihn einzuladen. Er reagierte sehr ungehalten darauf, dass wir seine Nummer hatten. Nun rufen wir nicht mehr an.

Könnten Sie bei SRF stärker Krawall-TV machen, so wie das die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland tun?
Ich finde, die «Arena» darf keinen Krawall machen. Nur darf sie gleichzeitig auch keine Angst haben vor dem Krawall-Vorwurf. Denn der kommt immer. Besonders von Leuten, die sich vielleicht selber gerne in einer bestimmten Sendung gesehen hätten.

Dennoch ist die Quote auch im Service public wichtig, weil sie die hohen Kosten legitimiert. Schauen Sie jeden Samstag, wie viel Prozent Sie jeweils hatten?
Nein, darauf schaue ich am Samstag nicht. Auch nicht am Sonntag. Ich muss tatsächlich bis Montagmorgen ausharren — erst dann wird die Quote vom Freitag endlich bekannt. Natürlich beschäftigt mich das. Jeder Journalist, nehme ich an, möchte sein Publikum erreichen. Nicht nur wegen der Kosten. Die besten Inhalte bringen nichts, wenn sie keiner liest, hört, sieht.

Wie gross sind die politischen Pressionen auf die «Arena»?
Die gibt es. Und aktuell wegen der aufgeheizten Stimmung vielleicht noch etwas mehr. Doch generell haben die Druckversuche stark nachgelassen, weil man die neue Crew und mich nach dreieinhalb Jahren langsam kennt. Am Anfang ist es schwieriger, wenn dich jeder erst mal testen will.

Von aussen hat man den Eindruck, dass vor allem die SVP die «Arena» zu instrumentalisieren versucht.
Das kann ich nicht bestätigen. Was stimmt: Die SVP prägt die politische Diskussion und die Medien stark. Und das prägt indirekt bis zu einem gewissen Grad natürlich auch die «Arena». Aber wir geben da ja auch Gegensteuer und garantieren übers Jahr, dass alle Parteien angemessen vertreten sind. Darauf bin ich stolz, denn die «Arena» soll tatsächlich übers Jahr einen Eindruck von den Machtverhältnissen in Bundesbern vermitteln.

Nun könnten gewisse Parteien ja versuchen, diese Ausgewogenheit auszunutzen.
Stimmt, die Gefahr besteht — indem eine Partei bei Themen, bei der sie sich nicht besonders profilieren kann, absichtlich nicht teilnimmt. Weil wir übers Jahr alle fair berücksichtigen, wären wir gezwungen, diese Partei zur Kompensation bei anderen Sendungen einzuladen. Aber das lässt sich zum Glück verhindern — mit einer Klausel, die wir vor knapp drei Jahren offen kommuniziert haben: Drei Absagen aus derselben Partei zählen, wenn sie bei derselben Sendung erfolgen, in unserer Statistik als Teilnahme.

Gibt es, so wie früher, noch Boykotte?
Nein. Zum Glück, denke ich. Boykotte wären sehr schlecht für die «Arena». Es ist eine Tatsache, dass man als Journalist immer auf den Goodwill seiner Protagonisten angewiesen ist, im Talk vielleicht noch etwas mehr als anderswo. Ohne Gäste keine «Arena». Wir dürfen uns diesen Goodwill bloss nicht erkaufen.

Im Gegensatz zu Vorgängern wie Sonja Hasler und Urs Wiedmer sind Sie nicht nur Moderator der Sendung, sondern auch Redaktionsleiter. Sie haben mir mal gesagt, das mache einen entscheidenden Unterschied.
Für mich macht es einen grossen Unterschied. Ich kam übrigens nicht selbst auf die Idee, das war der nachdrückliche Rat mehrerer Vorgänger. Sie sagten: Als Moderator musst du im Studio entscheiden können. Du kannst mit niemandem Rücksprache nehmen. Da hilft es, wenn du die Sendung auch ausserhalb des Studios leitest.

Der Vorteil ist auch, dass alles auf eine Person zugeschnitten ist. Die «Arena» ist heute in der öffentlichen Wahrnehmung Projer, Projer, Projer.
Vielleicht haben Sie recht. Ist es so krass?

Ich habe in der Mediendatenbank nachgeschaut. Kein anderer Journalist gibt in der Presse und den elektronischen Medien so viele Interviews. Sie haben sogar Roger Köppel überholt.
Roger Köppel ist leider nicht mehr primär Journalist, sondern Politiker. Nur schreiben kann er immer noch wie der Teufel. Zu Ihrer Frage: mag sein. Aber das hat fast ausschliesslich mit der «Arena» zu tun, weniger mit meiner Person. Oder haben Sie von mir je eine Homestory gelesen?

Bisher nicht, aber das kommt noch.
Machen Sie mir ein Angebot.

Dennoch ist es interessant, wenn man, so wie Sie, als Journalist eine Marke wird.
Mein Ziel ist es eher, die Marke «Arena» zu stärken. Und ich profitiere nun halt kurzweilig von der Marke «Arena». Aber das vergeht schnell, nichts ist so flüchtig wie Fernsehbekanntheit. Gibt man die Sendung ab, dauert es genau drei Monate. Und dann sagen die Leute: «Momoll, der Neue macht es also auch ganz gut. Wie hiess nochmals der Alte?» Man darf die Aufmerksamkeit nicht auf sich beziehen. Sie gilt nicht der Person, sie gilt der Sendung. Sie gilt dem kleinen «SRF 1» oben rechts im Bild.

Sie übernehmen nun auch die Sendeleitung für die Formate «Schawinski» und «Club». Wir sehen, Sie machen Karriere.
Das werden wir dann noch sehen. Viel wichtiger ist doch, dass Barbara Lüthi den «Club» moderieren wird. Ich bin überzeugt, sie wird das hervorragend machen.

Welche Direktiven werden Sie Roger Schawinski geben?
Jeder Job hat «fringe benefits», also kleine Privilegien. Mein «fringe benefit» ist es, das Büro neben Roger Schawinski zuhaben. Sie mögen ihn hassen oder lieben, aber von Roger kann man lernen. Wir kreuzen uns fast jede Woche‚ wir streiten über Themen, Gäste, Inhalte. Wir reden über Talk. Die Frage nach Direktiven stellt sich für mich nicht.

Immerhin sind Sie nun für einen Mann verantwortlich, der das Gegenteil von Ihnen ist. Schawinski macht aus seiner linken Haltung in der Sendung nie ein Geheimnis.
Die Sendung heisst «Schawinski», da darf das Publikum von einer persönlichen Meinung des Moderators ausgehen. Das ist ganz anders als bei der «Arena», die ja eben nicht «Projer» heisst.

Sie machen also Karriere. Wie sind Sie überhaupt in den Journalismus geraten?
Ich habe schon in der Kanti und danach Filmkritiken geschrieben, mit grosser Begeisterung und mittlerem Talent. Erst später, 2006, entdeckte ich den Journalismus so richtig. Als ich an der Filmschule merkte, dass aus mir wohl nie ein Filmemacher wird.

Sie sind für «Landbote» und «BaZ» also ins Kino und haben geschrieben, ob Ihnen der Film gefallen hat. Können Sie sich noch an das Honorar erinnern?
Ich weiss nur, dass ich damit 2005 in New York knapp durchkommen konnte. Wir lebten an der berühmten 5th Avenue, aber weit oben, in Spanish Harlem, an der 130th Street. Vielleicht waren es 150 Franken pro Text? Das reichte, um unser Zimmer für eine weitere Woche zu bezahlen.

Und wie kamen Sie zur SRG?
Durch reines Glück. Ich schrieb dem damaligen US-Korrespondenten in Washington, Tilman Lingner. Ich bat ihn um ein Praktikum. Er lud mich ein. Ab diesem Tag wusste ich, dass ich Auslandkorrespondent werden wollte.

Erstaunlich war vor allem, wie der völlig unbekannte Praktikant Projer 2011 Brüssel-Korrespondent von SRF wurde. Wie ist das gelaufen?
Als ich zurück in Zürich war, gab mir der Chef von «Schweiz aktuell» meine grosse Chance – nach einem weiteren Praktikum erhielt ich einen Platz im Stage von SRF, in der internen Ausbildung. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Danach, ich war Korrespondent für Zürich und Schaffhausen, wurde plötzlich der Job in Brüssel ausgeschrieben. Kaum jemand interessierte sich für den Posten. «Unattraktiv, regnerisch, langweilig», sagten viele. Ich bewarb mich trotzdem. Das mit dem Regen stimmt, merkte ich dann.

In Brüssel war auffallend, wie unideologisch Sie in einem EU-freundlichen Umfeld waren. Kalkül oder Überzeugung?
Eher journalistisches Handwerk. Ich habe stets versucht, mich an die Fakten zu halten, über diese ehrlich zu berichten — und gleichzeitig das Gespür zu behalten für die spezifische Schweizer Sicht.

Was halten Sie heute von der EU? Viele meinen, sie bricht mittelfristig zusammen.
Es gibt viele Gründe, die EU hart zu kritisieren. Und man kann völlig unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie wir unsere Beziehung zur EU organisieren. Aber wer heimlich hofft oder darauf spekuliert, dass die EU zusammenbricht, der sollte sich vielleicht ein wenig mehr an die europäische Geschichte erinnern.

Wie es sich für ein anständiges Branchenmagazin gehört, kommen wir jetzt noch kurz zum Boulevardteil. Sind Sie ein Promi?
Wer von Kurt W. Zimmermann interviewt wird, ist in dieser Branche definitiv ein Promi.

Haha. Haben Sie eigene Autogrammkarten?
Ja, wollen Sie eine? Aber Ihre Frage trifft ins Schwarze, denn ich habe den richtigen Umgang damit noch nicht gefunden. Wenn ich irgendwo extern bin, werde ich gelegentlich nach einer Autogrammkarte gefragt. Habe ich dann keine dabei, sind die Leute enttäuscht. Ziehe ich aber flugs eine aus der Tasche, denkt sich jeder: Was für ein eitler Fernsehgeck, immer eine Autogrammkarte mit dabei. Bei den Jüngeren ist es einfacher, die wollen ein Selfie.

Wie wohnen Sie?
Zur Miete, eng, gemütlich, teuer, zentral. Und das Wichtigste: mit meiner Familie.

Haben Sie ein Auto? Wenn ja, was für eines und wann brauchen Sie es?
Nein, wir haben nur eine Vespa. Genau wie Filippo. Aber unsere Vespa ist grossartig. Ein Retro-Modell mit der Lampe ganz unten, auf dem Vorderrad.

Warum haben Sie neuerdings einen Bart?
Ich liess ihn in den Ferien wachsen. Meiner Frau gefiel er, sie meinte, Franz Fischlin bleibe zwar der bestaussehendste Mann bei SRF, aber ich würde ihm dadurch zumindest etwas naher rücken.

Sie haben schon vier Kinder. Ist es damit genug?
Ich finde, eine Handvoll Kinder sind genug.

Und wo sind Sie in zehn Jahren?
Keine Ahnung. Ich habe beruflich nie so weit geplant, und seit ich Familie habe, noch weniger. In zehn Jahren sind die jetzigen Kinder 17, 15, 15 und 11 Jahre alt. In zehn Jahren stecke ich also vor allem mitten in der Pubertät.


Dieser Artikel erschien erstmals am 15.12.2017 in « Schweizer Journalist »


Text: Kurt W. Zimmermann

Bild: SRF/Oscar Alessio

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