Beitrag «Sinkende Arbeitslosigkeit» von «10vor10» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 10. Januar 2018 beanstandeten Sie die Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 9. Januar 2018 und dort den Beitrag «Sinkende Arbeitslosigkeit und stärkere Verhandlungsmacht».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«In der Sendung wurden die schweizer Arbeitslosenzahlen mit anderen Ländern verglichen und dabei der Eindruck erweckt, dass die Schweiz wesentlich besser da steht als die meisten europäischen Länder. Mit keiner Silbe wurde erwähnt, dass die effektiven Arbeitslosenzahlen in der Schweiz tatsächlich wesentlich höher sind. Dabei wurde meiner Ansicht nach gegen das Sachgerechtigkeitsgebot verstossen.

Persönlich habe ich diese Berichterstattung als schallende Ohrfeige empfunden. Ich musste mit 58 meine Firma liquidieren. Zwar habe ich mehr als 30 Jahre Arbeitslosengeld bezahlt aber als Inhaber einer GmbH konnte ich keine Leistungen beziehen. Somit war ich nie in der Arbeitslosenstatistik aufgeführt obwohl ich keine Stelle mehr fand. Meine Frau wurde nach 29 Dienstjahren aus wirtschaftlichen Gründen entlassen (in Ihrer Abteilung mussten die Dienstältesten gehen). Sie ist mittlerweile ausgesteuert und erscheint auch nicht mehr in dieser Statistik. So wie uns geht es vielen in der Schweiz; alleine in unserem Bekanntenkreis kenne ich einige Beispiele.

Dass diese Fakten von unsere Politik gerne ausgeblendet werden ist schon beschämend, dass aber ein ‘unabhängiges’ Fernsehen das gleiche tut ist für mich unverständlich und darf nicht sein.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die Sendung «10 vor 10» antwortete ihr Redaktionsleiter, Herr Christian Dütschler:

«Herr X beanstandet unsere Berichterstattung zum Thema Arbeitslosigkeit in der Sendung vom 9. Januar 2018. Anlässlich der vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) publizierten Arbeitslosenzahlen haben wir das Thema in einem zweiteiligen Fokus aufgegriffen: Im Beitrag ‹Sinkende Arbeitslosigkeit und stärkere Verhandlungsmacht› ging es um den Fachkräftemangel hierzulande und wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber verschiedener Branchen damit umgehen. Darauf folgte der Beitrag ‹Neuer Schwung aus dem Osten›[2], bei dem Tschechien, das EU-Land mit der tiefsten Arbeitslosenquote, im Zentrum stand.

Der Beanstander meint nun, dass wir <die Schweizer Arbeitslosenzahlen mit anderen Ländern verglichen und dabei den Eindruck erweckt hätten, dass die Schweiz wesentlich besser da stehe als die meisten europäischen Länder>. Mit keiner Silbe sei erwähnt worden, <dass die effektiven Arbeitslosenzahlen in der Schweiz tatsächlich wesentlich höher sind>.

Vorab möchten wir festhalten, dass die vergleichsweise tiefe Arbeitslosigkeit in der Schweiz nichts daran ändert, dass diese für die Betroffenen sehr schwierig und oft sogar dramatisch ist. Es lag uns fern, Betroffene mit unserer Berichterstattung zu verletzen. Deshalb haben wir in der Anmoderation ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es <für die Stellenlosen immer noch eine schwierige Situation> sei. Das ist uns durchaus bewusst und es liegt uns fern, dies zu verharmlosen. Wir bedauern, dass der Beanstander unsere Berichterstattung ‘als schallende Ohrfeige’ empfunden hat. Gerade das Thema Arbeitslosigkeit im Alter und die Sicht der Betroffenen haben wir verschiedentlich thematisiert (siehe z.B. ‹Arbeitslosigkeit im Alter› [3] und ‹300 Bewerbungen, 2,5 Jahre Jobsuche› [4] in der Sendung vom 25.4.2017). In diesem Sinne nehmen wir gerne zur Kritik des Beanstanders Stellung.

1. Vorwurf: Die effektiven Arbeitslosenzahlen in der Schweiz seien wesentlich höher

Der Beanstander ist der Meinung, dass die «effektiven Arbeitslosenzahlen in der Schweiz tatsächlich wesentlich höher sind» als die von uns erwähnten.

Anzumerken ist, dass es im Beitrag nicht etwa um eine Analyse der aktuellen Arbeitslosenzahlen ging. Vielmehr stand der Fachkräftemangel im Zentrum des Beitrages. Die Arbeitslosenquote der Schweiz nennen wir denn auch an einer einzigen Stelle, nämlich in der Anmoderation des ersten Beitrages («Sinkende Arbeitslosigkeit und stärkere Verhandlungsmacht»). Wörtlich hiess es:

<Arbeitslosigkeit. Da sieht es gut aus in der Schweiz, die Rate sank letztes Jahr auf 3,2 Prozent, dieses Jahr könnte sie gar unter 3 Prozent fallen. Für Stellenlose ist das natürlich immer noch eine schwierige Situation, doch da gibt es auch die anderen: Viele Firmen suchen nämlich dringend neue Mitarbeiter, gerade Fachkräfte sind gefragt.(...)>

Die erwähnte durchschnittliche Arbeitslosenquote von 3,2 Prozent für das Jahr 2017 stammt aus der am Sendetag publizierten Statistik des Seco. Diese Statistik erscheint monatlich und weist all jene aus, die beim RAV gemeldet sind. Dazu gehören auch Ausgesteuerte, soweit sie sich beim RAV nicht abgemeldet haben.

Wir geben dem Beanstander Recht, dass die Seco-Statistik nicht genau den effektiven Arbeitslosenzahlen entspricht. Das haben wir in der Sendung aber auch an keiner Stelle so behauptet. Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass eine solche Statistik die Realität nie exakt abbildet. Die Seco-Zahlen waren am Tag der Sendung aber einerseits tagesaktuelle News und gleichzeitig die aktuellsten verfügbaren Arbeitslosenzahlen der Schweiz für das Jahr 2017. Andere Statistiken, wie z.B. die Erhebung der Erwerbslosigkeit durch das Bundesamt für Statistik, lagen am Sendetag für das Jahr 2017 noch nicht vor.

Wir sind deshalb der Meinung, dass wir in unserem Beitrag über den Fachkräftemangel die Zahlen aus der Seco-Statistik so verwenden durften.

2. Vorwurf: Eindruck erweckt, dass die Schweiz besser da steht als die meisten europäischen Länder

Der Beanstander meint nun, dass wir <die Schweizer Arbeitslosenzahlen mit anderen Ländern verglichen und dabei den Eindruck erweckt hätten, dass die Schweiz wesentlich besser da stehe als die meisten europäischen Länder>.

Anzumerken ist, dass die Arbeitslosenzahlen der EU nur in der Anmoderation des zweiten Beitrages erwähnt wurden. Im Zentrum des Beitrages stand die Situation in Tschechien und nicht etwa die Arbeitslosenzahlen an sich. Wörtlich hiess es in der Anmoderation des zweiten Beitrages:

<Ja, der Schweizer Arbeitsmarkt kann sich sehen lassen – gerade im Vergleich zur EU: Dort liegt die Arbeitslosenrate nämlich im Schnitt bei 7,3 Prozent. Und im Süden der Union sogar noch deutlich höher, das Sorgenkind Griechenland etwa verzeichnet derzeit 20,5 Prozent.

Es gibt aber auch ein Land, das sogar weniger Arbeitslose hat als die Schweiz: Tschechien nämlich. 2,5 Prozent ist Europa-Rekord. (...)>

Anders als der Beanstander meint, haben wir also bewusst auf einen konkreten Vergleich der Zahlen aus der Schweiz mit den Zahlen der EU verzichtet. Dies aus dem Grund, weil der Vergleich der Arbeitslosenzahlen von Ländern mit verschiedenen Erhebungsmethoden nicht einfach ist. Wir machen also keinen direkten Zahlenvergleich, sondern vermitteln unserem Publikum genau den Eindruck, den auch der Beanstander erhalten hat: <Nämlich dass die Schweiz wesentlich besser da steht als die meisten europäischen Länder>. Anders als der Beanstander offenbar meint, entspricht dies schlicht den Tatsachen. Verschiedene Organisationen und Leitmedien führen regelmässig entsprechende Vergleiche durch. Dass die Schweiz eine tiefere Arbeitslosenquote hat als viele andere europäischen Länder, ist z.B. in der Statistik der International Labour Organization[5] oder derjenigen des Economist ersichtlich[6]. Unsere Aussage, dass <der Schweizer Arbeitsmarkt sich sehen lassen kann> ist also durchaus treffend.

Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass wir sachgerecht berichtet haben und sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnten. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben sicherlich Recht: Die reale Arbeitslosigkeit ist höher als die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) gemessene Arbeitslosigkeit. Und «10 vor 10» hat tatsächlich die Arbeitslosenquote der Schweiz mit jener der Europäischen Union (EU), jener Griechenlands und jener Tschechiens verglichen. Auch wenn die Messmethoden verschieden sind: In der Tendenz stimmen die Werte, und vermutlich ist die reale Arbeitslosigkeit in allen genannten Ländern und auch in der EU insgesamt höher. Die Redaktion von «10 vor 10» hatte aber gar keine andere Wahl, als die vorhandenen Zahlen und Quoten aufzugreifen. Insofern hat sie nichts falsch gemacht. Und das Thema beider Beiträge, desjenigen über die Schweiz und desjenigen über Tschechien, war gar nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Fachkräftemangel. «10 vor 10» hat daher rundum sachgerecht informiert, und deshalb kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-sinkende-arbeitslosigkeit-und-staerkere-verhandlungsmacht?id=11218882-4756-4e5f-9432-47b4d4380897&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[2] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-neuer-schwung-aus-dem-osten?id=b0a661b9-de74-436f-99c4-28fe400e6152&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[3] https://tp.srgssr.ch/p/portal?start=720.24&urn=urn:srf:video:a9726a1b-9749-467c-82d5-3e63f68f29ef&bu=srf&mode=portal&autoplay&hideendscreen=false&hidesegments=false&outsidesegments=false&stf&debug=false&preload=auto&r=1

[4] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-300-bewerbungen-2-5-jahre-jobsuche---trotzdem-arbeitslos?id=c91c462a-87e5-4ac2-8a72-ad2e862cce71&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

[5] Siehe Anhang International Labour Organization (ILO)

[6] Siehe Anhang Economist

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