SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Beitrag «Ausstellung, die unter die Haut geht» von «Tagesschau» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 29. Januar 2018 haben Sie den Beitrag «Ausstellung, die unter die Haut geht»[1] in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens SRF vom 27. Januar 2018 beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Was uns am Schluss der Nachrichten vom 27.01.18 Zeit 19:30. gezeigt wurde: Ein Mann mit untergezogener Hose und mit Tätowierungen am Körper ist für eine Nachrichtensendung ein «no go» und ist dazu gratis Werbung für Geschäfte für Tattoo. Tatsache sind das die dummen Leute, die ein Tattoos machen lassen und nach wenigen Jahre es auf Kosten der Krankenversicherung entfernen lassen. Wir zahlen Gebühren (Billag) für solche misslungene Nachrichten. Auch diese gratis Werbung für Musik und Filme hat man die Vermutung das jemand von Schweizer Fernsehen für sogenannten gemeinnützlichen Zuwendungen mitverdient.

Ein Ja zu no-Billag wäre doch noch nötig.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Für die «Tagesschau» äusserte sich Herr Franz Lustenberger:

Mit Mail vom 29. Januar hat Frau X den Beitrag[2] über Tätowierungen in der Tagesschau-Ausgabe vom 27. Januar beanstandet. Ihre Kritik ist grundsätzlicher Natur, ein solcher Beitrag gehöre nicht in eine Nachrichtensendung.

Programmautonomie

Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft hält fest, dass «die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung gewährleistet» sind (Art.93, Abs.3 BV). Diese allgemeine Formulierung wird im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen weiter konkretisiert: Die Programmveranstalter «sind in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme, frei und tragen dafür die Verantwortung» (Art.6, Abs.2 RTVG).

Eine absolute Freiheit ist damit nicht gemeint. So schreibt das RTVG in Artikel 4 etwa Mindestanforderungen an den Programminhalt vor – etwa die Achtung der Menschenwürde. Programminhalte dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen, sie dürfen die öffentliche Sittlichkeit nicht gefährden, sie dürfen Gewalt weder verharmlosen noch verherrlichen.

Der Beitrag über die Ausstellung in der Kunst Halle St. Gallen über den international anerkannten Tätowierer Herbert Hoffmann verletzt die gesetzlichen Einschränkungen der Programmfreiheit gemäss Art.4 RTVG in keiner Art und Weise. Er ist feinfühlig gemacht, mit Respekt für die abgebildeten Menschen und den Künstler selber.

Das St. Galler Tagblatt[3] widmet der Ausstellung einen langen Artikel und einen Kommentar, der sich auch mit einer Parallell-Ausstellung in der Kunst Halle befasst. Im Kommentar setzt sich die Journalistin Melissa Müller mit den Grenzen von «Nacktheit in der Kunst» auseinander, sie macht sich Gedanken zur Nacktheit als «plumpe Provokation». Im Gegensatz dazu – und die Tagesschau hat nur über die Hauptausstellung berichtet – habe Hoffmann die Männer mit «liebevollem Blick portraitiert», er zeige sie als «Persönlichkeiten». Eben als Tätowierte, deren Menschenwürde er in seinen Fotografien immer geachtet hat.

Aktualität und Relevanz

Die Tagesschau berichtet über das aktuelle Geschehen in der Schweiz und in der Welt. Thematisch sind ihr keine Grenzen gesetzt – Politik, Wirtschaft, Sport, Gesellschaft, Kultur gehören dazu. Die Tagesschau behandelt auch Themen, welche Menschen interessieren und bewegen.

Die Ausstellung in der Kunst Halle St. Gallen über Herbert Hoffmann ist aktuell ; die Vernissage fand am 26. Januar statt.

Herbert Hoffmann war ein international anerkannter Tätowierer und Photograph, der bis zu seinem Tod während über 35 Jahren in Heiden/AR gelebt hatte. Seine Werke wurden in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen und Galerien in mehreren Ländern gezeigt.[4]

Die Tagesschau muss sich in ihrer Kulturberichterstattung immer beschränken und eine Auswahl treffen. Sie will sich explizit aber nicht nur auf die grossen Kulturereignisse konzentrieren (Musikfestwochen Luzern, Jazz-Festival Montreux, Ausstellung in der Fondation Beyeler als Beispiele); sie will auch die Vielfalt der Kultur in den Regionen der Schweiz berücksichtigen.

Über Sinn und/oder Unsinn von Tattoos, wie Tätowierungen heute genannt werden, lässt sich genüsslich streiten. Sehr viele Menschen lassen sich heutzutage ein Tattoo stechen. Tattoos sind ein weitverbreitetes Phänomen in der heutigen Gesellschaft, während noch vor Jahrzehnten vor allem Seemänner sich in den verschiedensten Häfen Tätowierungen machen liessen. Tattoos sind alltäglich geworden; auch wenn die wenigsten Menschen sich am ganzen Körper tätowieren lassen (siehe beigelegte Dokumentation über Tattoos und über Herbert Hoffmann).

Wenn die Tagesschau diesen Trend im Zusammenhang mit einer Kunstausstellung thematisiert, so ist das keine «misslungene Nachricht». Ebenso weist die Tagesschau die geäusserte Vermutung, jemand würde für Beiträge über Musik oder Filme (oder Kunstaustellungen) mit Zuwendungen mitverdienen, in aller Form zurück. Die Tagesschau sucht ihre Themen selbständig aus.

Fazit

Die Tagesschau hat über eine aktuelle Ausstellung über einen Tätowierungskünstler in St. Gallen berichtet. Sie hat weder Werbung für Tattoos gemacht noch mit den gezeigten Bildern die Menschenwürde verletzt.

Die Tageschau bittet Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Beitrages.

Die «Tagesschau» berichtet täglich über Themen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Gesellschaft und Wissenschaft. Sie gibt dabei einen Überblick über die wichtigen Ereignisse des Tages. Die Kriterien für die Themenwahl sind Relevanz, Aktualität und Zuschauerinteresse.[5] Aufgrund der Tatsache, dass in der Schweiz mittlerweile bereits jede(r) Vierte zwischen dem 16. und 70. Altersjahr eine Tätowierung hat[6] und die Vernissage der Ausstellung über Herbert Hoffmann in der Kunst Halle
St. Gallen einen Tag vor der Ausstrahlung des von Ihnen beanstandeten Beitrags der «Tagesschau» ging, sind sowohl Aktualität als auch Zuschauerinteresse gegeben.

Abgesehen davon ist der Programmveranstalter «in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer Programme, frei und tragen dafür die Verantwortung» (Art.6, Abs.2 RTVG)[7]. Wie bereits Herr Franz Lustenberger von der «Tagesschau» ausführte ist damit keine absolute Freiheit gemeint. So dürfen Programminhalte weder diskriminierend sein, noch zu Rassenhass beitragen. Sie dürfen die öffentliche Sittlichkeit nicht gefährden und Gewalt weder verharmlosen noch verherrlichen.

Im knapp zweieinhalbminütigen Beitrag wurde niemand diskriminiert und es wurde kein Rassenhass geschürt. Ebenso wurde die öffentliche Sittlichkeit – auch durch die kurze Szene (aus der Sendung «Quer» vom 3.10.2003), in welcher der Künstler zwei Sekunden lang seinen komplett tätowierten Hintern kurz zeigt – nicht verletzt. Zudem war im ganzen Beitrag keine Szene zu sehen, die irgendeine Art von Gewalt gezeigt hat.

Ich gehe mit Herrn Lustenberger absolut einig, dass der Beitrag sorgfältig, feinfühlig und mit dem notwendigen Respekt für die abgebildeten Menschen und den Künstler selber gemacht wurde.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen kann.

Übrigens ist es die Hauptaufgabe von Krankenversicherungen, die Gesundheit Ihrer Versicherten wiederzuerstellen, zu erhalten oder zu verbessern. Tattoos werden praktisch ausnahmslos aus ästhetischen Gründen wieder entfernt. Für die zum Teil horrenden Entfernungskosten kann die Solidargemeinschaft nicht belastet werden. Die Krankenkassen übernehmen also keine Kosten zur Tattooentfernung.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner
Stellvertretender Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ausstellung-die-unter-die-haut-geht?id=dde4ee04-6117-472b-bec1-9ceac5babfe9

[2] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/ausstellung-die-unter-die-haut-geht?id=dde4ee04-6117-472b-bec1-9ceac5babfe9

[3] http://www.tagblatt.ch/nachrichten/panorama/maenner-mit-lebensspuren;art253654,5202085

[4] https://www.herberthoffmann.net, http://www.herbert-hoffmann.ch

[5] https://www.srf.ch/sendungen/tagesschau/sendungsportraet

[6] https://www.srf.ch/sendungen/puls/lifestyle/bis-dass-der-laser-uns-scheidet

[7] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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