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Beitrag: «Swissmem gegen Begrenzungsinitiative» von «Tagesschau am Mittag» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 14. Februar 2018 beanstandeten Sie die «Tagesschau am Mittag» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort ...[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Tagesschaumoderatorin äussert sich in dieser Tagesschau sinnesgemäss wie folgt:

<Die SVP sammelt mit der Begrenzungsinitiative Unterschriften zur Kündigung der Personenfreizügigkeit, was das Ende der bilateralen Verträge bedeuten würde.>

Richtigstellung:

Die Personenfreizügigkeit ist in einem Vertragspaket mit ca. sieben weiteren bilateralen Verträgen, welche tatsächlich gefährdet sein könnten. Daneben gibt es über zweihundert weitere bilaterale Verträge mit der EU, welche von der angedeuteten Initiative in keinster Weise betroffen wären. Zu Behaupten diese Initiative würde das Ende des bilateralen Weges bedeuten ist somit schlicht unsachlich und falsch. Ich erwarte eine entsprechende Berichtigung in einer Folgesendung. Als öffentlich-rechtliches Medienhaus ist die SRG zu wahren Informationen verpflichtet!»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger:

«Mit Mail vom 14. Februar hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau am Mittag vom gleichen Tag eingereicht. Die Beanstandung richtet sich konkret gegen eine Formulierung in der Anmoderation zur Medienkonferenz des Verbandes Swissmem vom gleichen Tag (ab 05:20)

Guillotine-Klausel

Die sieben Abkommen der sogenannten Bilateralen I sind durch eine Guillotine-Klausel miteinander verbunden. Zu diesen sieben Abkommen gehören neben dem Vertrag über die Personenfreizügigkeit weitere Verträge in den Dossiers Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Technische Handelshemmnisse, Öffentliches Beschaffungswesen und Forschung. Es sind dies für die Schweiz und die EU zentrale Dossiers.

Guillotine-Klausel heisst: Wenn das Freizügigkeits-Abkommen gekündigt wird, treten auch die anderen sechs Abkommen der Bilateralen I automatisch ausser Kraft - und zwar ohne dass es eines Beschlusses bedarf.

Weitere Verträge

Juristisch gesehen nicht betroffen sind alle anderen bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, darunter das Paket Bilaterale II (mit u.a. dem Schengen- und Dublin-Abkommen) sowie zum Beispiel auch das Freihandels-Abkommen und das Versicherungs-Abkommen.

Der Ministerrat der EU hat sich 2014 auf den Standpunkt gestellt, dass ein Ende des Freizügigkeits-Abkommens auch das Ende des Schengen- und Dublin-Abkommens bedeuten könnte und ebenso den Ausschluss der Schweiz von bestimmten EU-Programmen (siehe Punkte 45 und 46 in folgender Ministerrats-Stellungnahme:[2]

<45. The Council has taken note of the outcome of the vote in Switzerland on a popular initiative ‹Against Mass Immigration› on 9 February 2014, as well as of the implementation concept presented by the Swiss Government in June 2014. While fully respecting the internal democratic procedures of Switzerland, the Council reconfirms the negative reply in July 2014 to the Swiss request to renegotiate the Agreement. It considers that the free movement of persons is a fundamental pillar of EU policy and that the internal market and its four freedoms are indivisible. The Council confirms its view that the planned implementation of the result of the vote threatens to undermine the core of EU-Switzerland relations, namely the so-called ‹bilateral I agreements›, and casts doubt on the association of Switzerland to the Schengen and Dublin acquis and the participation of Switzerland in certain EU programmes. The Council also takes note of the resounding rejection of very strict limits for immigration as foreseen by the so-called ‹Ecopop› initiative of 30 November.

46. The EU expects Switzerland to honour its obligations arising from the Agreement on the free movement of persons and the other agreements concluded with the EU. Furthermore, the Council expects Switzerland to fully ensure that EU citizens working or living on its territory, regardless of the moment of settlement and taking up employment in Switzerland, can exercise or continue to exercise their acquired rights without any restriction, and with the guarantee that the outcome of the popular initiative would not have a negative impact on them. In case of infringements of the above principles, the Council reserves its right to put an end to the abovementioned institutional negotiations and other internal market related negotiations.>

Die EU macht in diesem Paper, das sich neben der Schweiz auch mit anderen Staaten Europas beschäftigt, klar, dass die Personenfreizügigkeit zu den nicht-verhandelbaren Grundpfeilern der EU-Politik gehört. Eine Kündigung der Personenfreizügigkeit durch die Schweiz nach Annahme der ‹Begrenzungsinitiative› könnte für die EU der Anlass sein, nicht nur Schengen-Dublin Frage zu stellen. Der Rat behält sich das Recht vor, die Gespräche über ein Rahmenabkommen und weitere Verhandlungen abzubrechen (Punkt 46).

Moderation

Die Aussage in der Moderation, die Kündigung der Personenfreizügigkeit käme dem Ende der bilateralen Verträge gleich, ist interpretierend und vereinfachend. Die Kündigung der Personenfreizügigkeit würde aufgrund der Guillotine-Klausel automatisch das Ende der Bilateralen I bedeuten. Sie würde das weitere Verhältnis mit der EU deutlich erschweren, wie sich aus Grundlagenpapier der EU ergibt. In diesem Sinne ist aber auch die apodiktische Aussage von Herrn X sehr zugespitzt, wenn er schreibt, die anderen bilateralen Verträge seien in keinster Weise betroffen.

Fazit

Die beanstandete Moderationsaussage ist nicht präzise und daher auch nicht korrekt. Da ist dem Beanstander zuzustimmen. Die Moderation hätte aufgrund der Darlegungen anders formuliert werden müssen. Etwa im Sinne, <...was automatisch die Abkommen der Bilateralen I zu Falle bringen würde sowie dem gesamten bilateralen Verhältnis schaden könnte...> Die Tagesschau wird das Thema von ‹apodiktischen› Aussagen in der Redaktionssitzung behandeln.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der Bericht war insgesamt völlig korrekt: Er fasste zusammen, was die Arbeitgeber und Arbeitnehmer der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie zur «Begrenzungsinitiative» der SVP sagen, nämlich nein, von allem Anfang an. Dieser wichtige Zweig der Schweizer Exportindustrie will den bilateralen Weg und vor allem die Personenfreizügigkeit nicht gefährden. Es kam klar herüber, dass die Branche die neue SVP-Initiative für gefährlich hält und dass in diesem Fall Unternehmer und Gewerkschafter am gleichen Strick ziehen.

Da war aber ein klitzekleiner Fehler in der Anmoderation: Der Satz, dass die Initiative das Ende der bilateralen Verträge bedeute, war ungenau. Herr Lustenberger hat in der Stellungnahme der Redaktion präzise auseinander gebeinelt, welche bilateralen Verträge betroffen wären und welche womöglich und welche nicht. Dass der Satz der Moderatorin nicht korrekt war, räumt die Redaktion denn auch ein. Sie hat zudem angekündigt, dass sie an einer Redaktionssitzung das Problem «apodiktischer Sätze in der Moderation» behandeln werde. Das heißt: Die Redaktion will aus dem Fehler lernen. Das ist die viel bessere und effektivere Massnahme als eine Berichtigung. Berichtigungen sind dann angezeigt, wenn eine grobe Fehlinformation passiert ist. Das war hier nicht der Fall. Es handelte sich um einen Fehler in einem Nebenpunkt, der die freie Meinungsbildung des Publikums nicht beeinträchtigte. In der Sache haben Sie mit Ihrer Kritik zwar Recht, in der Form kann ich Ihre Beanstandung indes nicht unterstützen, da der ungenaue Satz den Gesamteindruck des Berichtes nicht verändert und verbogen hat und somit keinerlei Absicht zu erkennen ist, das Publikum zu manipulieren.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau-am-mittag/video/tagesschau-vom-14-02-2018-1245?id=d740df52-0960-4571-af2c-3b78806b5d31

[2] https://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/er/146315.pdf

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