«Reporter» zu «Pierin Vincenz – Aufstieg und Fall eines Starbankers» beanstandet I

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Mit Ihrem Brief vom 27. März 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Reporter» (Fernsehen SRF) vom 25. März 2018 über «Pierin Vincenz – Aufstieg und Fall eines Starbankers».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Sendung stand unter dem Titel ‹Aufstieg und Fall eines Starbankers›. Gemeint war Pierin Vincenz, ehemaliger Chef der Raiffeisenbank Schweiz. Während der Sendung wurde dem Privatmann Hans Leutenegger reichlich Sendezeit geboten, damit er sich selber, sein Geld und seinen Luxus bis zum Schlafzimmer seiner Gattin zur Schau stellen konnte. Seine einzige Verbindung zur Raiffeisenbank bestand offenbar dari n, von ihr zu jeder Zeit jede Summe bekommen zu können und bei gesellschaftlichen Anlässen dabei zu sein. Er war also kein einfacher Genossenschafter der Raiffeisenbank wie er glaubte, vermitteln zu müssen. Und dank der SRG weiss nun jeder Mann und jede Frau, dass Herr Leutenegger einen guten Abschlag beim Golfen hat. Ich frage mich: Für wen war diese Sendung gedacht? Wer interessiert sich schon für das protzige Benehmen des Herrn Leutenegger?

Diese penible Selbstdarstellung - es war nicht die erste, die die SRG ihm erlaubte, siehe Olympiade in Südkorea - ging zu Lasten journalistisch aufgearbeiteter Sendezeit und hat mit dem Aufstieg und Fall des genannten Bankers nichts, aber auch gar nichts zu tun. Weder trugen seine frühere Bobfahrten noch seine Kontakte zur Raiffeisenbank zum Aufstieg des Herrn Vincenz bei, noch haben seine Prahlereien mit dessen Fall (im Sinn von fallen) zu tun. Statt in der Thematik in die Tiefe zu gehen, wurde Sendezeit dazu benutzt, das schöne Leben des Herrn Leutenegger zu zeigen. Dadurch gerieten informative Momente in den Hintergrund, was eine objektive Mei nungsbildung zumindest erschwerte. Ich wehre mich dagegen, dass teure Sendezei t für Ein-Mann-Shows missbraucht wird. Deshalb reiche ich hiermit Programmbeschwerde ein.

Ich ersuche Sie höflich, den Verantwortlichen für diese Sendung klar zu machen, dass sie einen Service public zu erbringen haben, dabei sachgerechte Informationen liefern und nicht Personenkult zu betreiben haben.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «Reporter» antwortete Frau Nathalie Rufer, Executive Producer der Sendung:

«Der Beschwerdeführer sieht im ‹Reporter›-Film über Pierin Vincenz vom 25.3.2018 das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt, weil Hans ‹Hausi› Leutenegger in genanntem Film zu Wort kam. Wir können nicht nachvollziehen, inwiefern damit das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt worden sein soll. Der Entscheid, Herrn Leutenegger auftreten zu lassen, gehört zur redaktionellen Freiheit – zumal ein klarer Bezug zum Thema des Films besteht.

Der Unternehmer Hausi Leutenegger ist eine von insgesamt zehn Personen, die in diesem Film zu Wort kommen. Ein weiterer Protagonist ist zum Beispiel Martin Janssen, emeritierter Professor für Finance. Er kennt und beobachtet den Banker Pierin Vincenz seit Jahrzehnten. Auch der renommierte Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig, der den ‹Fall Vincenz› mit seinen Recherchen ins Rollen brachte, hat einen prominenten Auftritt. Zudem treten Personen aus Pierin Vincenz’ Heimatdorf im bündnerischen Andiast im Film auf. Schliesslich auch Theo Fuchs, ein engagierter Raiffeisen-Genossenschafter. Auch Pierin Vincenz kommt zu Wort, indem der Film verschiedene Archiv-Aufnahmen zeigt. Unter all diesen sehr unterschiedlichen Stimmen hat unserer Ansicht nach ein wichtiger Kunde der Bank, wie es Hausi Leutenegger darstellt, seine Berechtigung.

Hausi Leutenegger ist eine national bekannte Persönlichkeit. Er ist ein Self-Made-Millionär und gehört zu den Reichsten des Landes. Mit seinem ersten Fünfliber hat er gemäss seinen eigenen Angaben vor Jahrzehnten als Jugendlicher ein Raiffeisen-Konto eröffnet. Und er ist der Bank treu geblieben. Später hat er als Unternehmer zwischen 100 und 200 Millionen Privatvermögen erwirtschaftet und 1000 Arbeitsplätze geschaffen. Sein Geld vertraute Herr Leutenegger immer nur einer Bank an: der Raiffeisen. Das macht ihn aus journalistischer Sicht zu einem interessanten Kunden der Bank. Als vielleicht reichster Privatkunde der Raiffeisen kennt er den früheren CEO Pierin Vincenz persönlich. Auch dieser Fakt macht ihn aus unserer Sicht zum interessanten und vor allem auch relevanten Protagonisten des Films.

Wie reagiert ein überzeugter ‹Raiffeisen-Bänkler› (Hausi Leutenegger über Hausi Leutenegger), wenn seine Bank und deren Ex-CEO solche negativen Schlagzeilen machen? Wie steht einer der prominentesten und reichsten Kunden zum ehemaligen CEO der Bank angesichts der gravierenden Vorwürfe? Inwiefern überdenkt der Unternehmer allenfalls eine Zusammenarbeit mit der Bank? Alles relevante Fragen, finden wir. Zu diesem Urteil kamen übrigens auch diverse Raiffeisen-Exponenten, die Herrn Leutenegger nach der Ausstrahlung des Films kontaktierten.

Wir möchten den Verfasser der Beanstandung darauf hinweisen, dass SRF sehr unterschiedliche Sendungen hat, die je unterschiedlich konzipiert sind und aus verschiedenen Perspektiven das Geschehen abbilden und reflektieren. Das geschah auch in dieser Angelegenheit. Das Wirtschaftsmagazin ‹Eco› berichtete ganz anders als die ‹Tagesschau›, die ‹Rundschau› oder als ‹Reporter›. Das Kerngeschäft von ‹Reporter› sind Menschen, nicht Funktionsträger und Experten. Wir sind deshalb überzeugt, dass es spannend ist und relevant sein kann, welche Person etwas sagt. Nicht nur, was jemand sagt.

Die Schwachstelle des Filmes ist aus unserer Sicht, dass Funktionsträger/Experten wie Martin Janssen oder Lukas Hässig im Film auftraten, ohne dass sie zu wirklichen Figuren mit Konturen wurden. Das ist eigentlich nicht die Art, die wir bei ‹Reporter› pflegen. Diese filmische Umsetzung würde eher zu einer Sendung wie beispielweise ‹Eco› passen. Wir können auch die Kritik nachvollziehen, dass Herr Leutenegger szenisch in seiner Privatvilla inszeniert wurde. Mit seiner extrovertierten Art hat er bei einem Teil des Publikums für Irritationen gesorgt. Die Szenen, wie er sein Anwesen präsentiert, mögen vielleicht provozieren. Aber sie passierten spontan und sind authentisch. Und die Fragen, die die Reporterin Herrn Leutenegger in diesen Szenen stellt, sind relevant und interessant. Wie reagiert er auf die News/die Vorwürfe? Wie verhält er sich? Distanziert er sich von seinem Freund, der in Untersuchungshaft sitzt? Das sind Kontexte und Fragen, die zum Grundauftrag der Sendung ‹Reporter› gehören.

Aus obengenannten Gründen erachten wir den Vorwurf, das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt zu haben, als nicht stichhaltig.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann Ihre Verärgerung nachvollziehen: Hausi Leutenegger kommt etwas gar breit zum Zug. Nicht jede Szene ist zwingend, um seine emotionale und geschäftliche Bindung an die Raiffeisen-Bank deutlich zu machen. Da Pierin Vincenz nur in Archivbildern vorkommt, Hausi Leutenegger aber im aktuellen Dialog, wird er zur heimlichen Hauptfigur des Films. Da hätte man die eine oder andere Szene weglassen können. Aber wenn ich das sage, begebe ich mich in den Bereich des Geschmacks, und der Ombudsmann hat keine Geschmack-Bewertung vorzunehmen. Außerdem gilt die Programmautonomie. Solange sich das Publikum frei eine eigene Meinung bilden kann, sind die Journalistinnen und Journalisten, die Filmemacherinnen und Reporter frei, wie sie ein Thema anpacken wollen.

Und es kommen ja die wesentlichen Protagonisten zu Wort: Professor Martin Janssen als finanzwissenschaftlicher Fachmann, Lukas Hässig als der investigative Rechercheur, der die unlauteren Machenschaften ans Licht gebracht hat, Theo Fuchs, ein klassischer Raiffeisen-Genossenschaftler, Leute aus Andiast und aus Breil/Brigels in der Surselva, die Pierin Vincenz als Mitbürger und Förderer kennen. Mit Hilfe dieser Personen, aber auch mit historischen Einspielern, gelingt es, ein Bild des leutseligen Starbankers zu entwerfen. Und auf dieses Bild kommt es letztlich an. Das Publikum kann sich frei eine eigene Meinung bilden. Die Bestandteile des Porträts stützen sich auf Fakten, sind also sachgerecht. Aus diesem Grund kann ich, bei allem Verständnis, Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.srf.ch/sendungen/reporter/pierin-vincenz-aufstieg-und-fall-eines-starbankers

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