SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Beitrag «Schutz für jüdische Einrichtungen immer teurer» von «Tagesschau» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 7. März 2018 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Schutz für jüdische Einrichtungen immer teurer»[1]. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«I wish to bring your attention to the following violations of SRFs duty of objectivity and fairness in news reporting:
SRF news broadcast tonight an article, an advertisement from the Zurich Jewish community, which is demanding millions of Francs for ‹security›. SRF acted clearly as the advertising agency and propaganda arm of the community.
To place this in context, SRF has been complicity silent and has refused to broadcast facts about the young Palestinian schoolgirl, Ahed Tamimi, abducted by the Israeli Occupation Forces and imprisoned with over 400 other schoolchildren in violation of human dignity, international law and human rights. Ahed is the same age as Ana Frank, who was also taken by soldiers in occupied Holland.

It behoves SRF to be seen to be neutral and independent, to be supporting the rule of law, human rights and dignity, not to hide atrocities from viewers who pay Billag. SRF has a public duty, a social contract, to be professional and balanced in its broadcasts - or risk another Billag initiative. People will not pay taxes to watch ‹Fake News› and propaganda from SRF, a public service which, by law, must be seen to be fair, professional and objective. SRF seems to be increasingly ‹gleichgeschaltet› with the US private fake-news broadcaster CNN, instead of remaining neutral and objective.
Jews in Christian Switzerland are treated equally before our laws and are much safer than Moslem schoolchildren in occupied Palestine. No Jewish child must fear kidnapping nor incarceration by Swiss soldiers. Nor does Switzerland have 68 laws which are applicable to jews only. 68 Israeli apartheid laws make schoolgirls like Ahed second-class citizens, subject to the political, racist show-trials of closed military tribunals, where both prosecution and judges are Jewish occupiers and a defence lawyer is prohibited.
Broadcasting the financial appeal from the Jewish community which demands funds and special privileges, while suppressing and silencing news of atrocities against Moslem children in Israel disrespects SRF’s contract of fairness and professional objectivity with the Swiss people and creates the impression that SRF is the Swiss propaganda arm of the Israeli Occupation Forces.

SRF has survived the ‘No Billag’ initiative this time but the warning is clear: the Swiss people want a professional, fair, balanced, independent and neutral news.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger:

«Mit Mail vom 7. März hat Herr X eine Beanstandung gegen die Berichterstattung über den Schutz jüdischer Einrichtungen in der Schweiz in der Tagesschau vom 7. März eingereicht. Die Redaktion nimmt im Folgenden zur Beanstandung Stellung.

Motion im Parlament

Ausgangspunkt des Berichtes ist eine Motion von Ständerat Daniel Jositsch, respektive die Behandlung des Themas ‹Schutz von religiösen Gemeinschaften in der Schweiz› im Nationalrat. Der Nationalrat hat – nach dem Ständerat – eine Motion einstimmig angenommen, welche einen besseren Schutz für religiöse Gemeinschaften vor terroristischer und extremistischer Gewalt verlangt.

Am 10. Oktober 2017 hatte die Fachstelle für Rassismusbekämpfung im Eidgenössischen Departement des Inneren EDI den Bericht über die Massnahmen des Bundes gegen Antisemitismus in der Schweiz veröffentlicht. Darin hält das EDI im Kapitel 7 ‹Sicherheit› fest:

<Nach den Terrorangriffen in mehreren europäischen Ländern ist die Terrorbedrohung auch für die Schweiz erhöht. Dies gilt insbesondere auch für Schweizerinnen und Schweizer jüdischen Glaubens sowie jüdische und israelische Interessen in der Schweiz....

Die Bedrohung durch dschihadistische Akteure hat sich für die Schweiz insgesamt erhöht. Die Schweiz gehört zur westlichen, von Dschihadisten als islamfeindlich eingestuften Welt und stellt damit ein mögliches Ziel von Terroranschlägen dar. Jüdische und israelische Personen und Einrichtungen zählen auch auf Schweizer Territorium neben anderen zu den besonders exponierten potenziellen Zielen des dschihadistischen Terrorismus.>[2]

Die Tagesschau hat im beanstandeten Bericht das Thema mit dem Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes erläutert und vertieft. Anlass war die Behandlung des Themas im Nationalrat. Das Thema Schutz jüdischer Einrichtungen in der Schweiz war also aktuell und auch aufgrund des EDI-Berichtes relevant. Die Tagesschau weist den Vorwurf zurück, sie habe mit diesem Bericht als Propagandaarm der Jüdischen Gemeinschaft, respektive der ‹Israelischen Besatzungsarmee› gehandelt. Ebenso verwahrt sie sich gegen den Vorwurf, ‹gleichgeschaltet› zu sein.

Gebot der Ausgewogenheit

Der Beanstander verlangt zu Recht von SRF und damit auch von der Tagesschau Ausgewogenheit in der Sache. Die Tagesschau kann allerdings die Meinung des Beanstanders nicht teilen, wonach als Gegenpunkt zu einem Bericht über die Sicherheit jüdischer Einrichtungen in der Schweiz über das Vorgehen israelischer Sicherheitskräfte in besetzten Gebieten zu berichten sei. Die Geschichte um das Mädchen Ahed Tamimi steht in keinem Zusammenhang mit der Behandlung einer Motion im Eidgenössischen Parlament.

Fazit

Die Tagesschau hat sachgerecht über die Behandlung einer Motion im Parlament berichtet, in dem sie am konkreten Beispiel der jüdischen Gemeinschaft das Thema der Sicherheit religiöser Einrichtungen in der Schweiz aufzeigte.

Es gibt keinen für die Berichterstattung der Tagesschau relevanten Zusammenhang mit Geschehnissen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Beide Themen – der Schutz religiöser Einrichtungen in der Schweiz und der Nahostkonflikt – sind gesondert zu betrachten.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Volk und Stände der Schweiz haben am 4. März 2018 die Volksinitiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (No Billag)» bei einer Stimmbeteiligung von 54,4 Prozent mit 2'098'139 Nein-Stimmen (71,6 Prozent) gegen 833'630 Ja-Stimmen (28,4 Prozent) und mit sämtlichen 23 Standesstimmen verworfen.[3] Das war ein wuchtiges Bekenntnis des Souveräns zur geltenden Medienordnung und insbesondere auch zur SRG. Es ist ziemlich abenteuerlich, wenn Sie vor dem Hintergrund dieses Resultats drei Tage später mit einer neuen No Billag-Initiative drohen. Richtig ist aber, dass von der SRG (und damit auch von SRF) erwartet wird, dass sie professionell, fair und faktengetreu berichtet. Das verlangt das Radio- und Fernsehgesetz. Nicht verlangt ist indessen, dass sie durchs Band weg ausgewogen berichtet. Das Vielfaltsgebot gilt nur vor Abstimmungen und Wahlen für jede einzelne Sendung und auch dort nur für solche, in denen die (Partei-)Positionen zum Zuge kommen. Sonst wird das Vielfaltsgebot auf das gesamte Programm angewendet. Das heißt: Im Laufe des Jahres müssen beispielsweise die Probleme Israels ebenso dargestellt werden wie die Probleme der Palästinenser. Weil das Vielfaltsgebot nicht für die einzelne Sendung gilt, gibt es deshalb auch keinen Zwang, nach einem Bericht über die Sicherheit der Juden in der Schweiz sofort einen Bericht über die Sicherheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten anzuhängen. Und es ist nicht nur gesetzlich nicht notwendig, es ist auch absurd.

Damit ist nichts gegen die journalistische Beobachtung der Lage in Palästina gesagt. Es ist wahr, dass die Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen immer wieder unter der israelischen Besatzungsmacht zu leiden haben. Es ist aber ebenso wahr, dass auch die jüdische Mehrheit in Israel unsicher lebt und immer wieder mit Selbstmordattentaten, Raketenangriffen und Messerattacken rechnen muss. Und es ist nochmals wahr, dass die jüdische Bevölkerung in Europa (und auch in der Schweiz) durch islamistische Verbal- und Gewaltattacken zunehmend bedroht und diskriminiert wird. Es gibt eben verschiedene, nebeneinander existierende Wahrheiten, nicht nur die eine, die Sie vortragen. Radio und Fernsehen SRF bemühen sich, soweit ich sehe, allen diesen Wahrheiten gerecht zu werden.

Der Bericht in der «Tagesschau» vom 7. März 2018 war völlig korrekt. Der Anlass war die Debatte im Nationalrat über die Motion von Ständerat Daniel Jositsch (SP, Zürich), der der Ständerat schon zugestimmt hatte.[4] Die «Tagesschau» hätte auch direkt über die Debatte berichten können, die aber völlig harmonisch (und damit etwas langweilig) verlief, weil die vorberatende Kommission einstimmig empfahl, der Motion zuzustimmen, was der Rat dann auch ohne Widerspruch tat, und weil lediglich drei Redner auftraten, nämlich die beiden Kommissionssprecher Erich von Siebenthal (SVP, Bern) und Lisa Mazzone (Grüne, Genf) sowie Bundesrätin Simonetta Sommaruga. So zog es die «Tagesschau» vor, anschaulich über jene zu berichten, die von der Motion am stärksten betroffen sind: die Juden in der Schweiz. Daran gibt es überhaupt nichts zu kritisieren: Es gab ein Ereignis (die Debatte und den Beschluss des Nationalrates) und ein Thema (der Schutz religiöser Minderheiten vor Terror), und genau darüber hat die «Tagesschau» sachgerecht berichtet.

Im Übrigen verzerren Sie die Wahrheit: Sie behaupten, die «Tagesschau» hätte berichtet, die jüdische Gemeinschaft hätte enorme Summen vom Staat für ihren Schutz gefordert. Das Gegenteil ist richtig: Die jüdische Gemeinschaft ist bereit, die Hälfte der Kosten für ihren Schutz selber zu übernehmen.

Sie behaupten ferner, Radio und Fernsehen SRF hätten sich geweigert, über den Fall Ahed Tamini zu berichten. Sie haben aber die «Tagesschau» vom 7. März 2018 beanstandet, nicht die «Tagesschau» vom 15. Dezember 2017, als es zum letzten Mal zu einem Zwischenfall zwischen israelischen Soldaten und der 17jährigen Palästinenserin kam, ebenso wenig «Tagesschau»-Sendungen anlässlich von Zwischenfällen in den Jahren 2015 und 2012, in die Ahed Tamini verwickelt war. «Geweigert» würde heißen, dass SRF trotz internationalem Aufsehen, Hinweisen und Druck beschlossen hat, den Fall nicht aufzugreifen. Sie legten aber keine Dokumente bei, aus denen hervorgeht, dass Sie oder Andere SRF zur Berichterstattung aufgefordert hatten. Kommt dazu, dass der Fall im weltpolitischen Gesamtkontext möglicherweise schlicht zu unbedeutend für eine Berichterstattung war. So oder so kann ich schon aus formalen Gründen (abgelaufene Frist, keine konkrete Beanstandung) nicht auf den Fall eintreten.

Alles in allem gibt es keinerlei Hinweise, dass die «Tagesschau» am 7. März 2018 «Fake News» verbreitet hat, und erst recht keine, dass sie mit CNN «gleichgeschaltet» ist und als «Werbeagent und Propaganda-Arm der jüdischen Gemeinschaft» wirkt. Alle diese Ihre Vorwürfe sind absurd, ja infam. Ich habe daher keinen Anlass, Ihre Beanstandung zu unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/schutz-fuer-juedische-einrichtungen-immer-teurer?id=c54b8454-4535-4ed0-a30c-6fb59b80f6f4

[2]https://www.edi.admin.ch/dam/edi/de/dokumente/FRB/Neue%20Website%20FRB/Monitoring%20und%20Berichterstattung/Thematische%20Berichte/Bericht%20Massnahmen%20gegen%20Antisemitismus_2017_d.pdf.download.pdf/Bericht%20Massnahmen%20gegen%20Antisemitismus_2017_d.pdf

[3] https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20180304/det617.html

[4] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=42669

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