SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Marx – 200 Jahre alt und kein bisschen alt» sowie «Sexuelle Belästigung – Städte wollen handeln» von «10vor10» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 1. Mai 2018 haben Sie die beiden Beiträge «Marx – 200 Jahre alt und kein biss­chen alt»[1] sowie «Sexuelle Belästigung – Städte wollen handeln»[2] und das darauffolgende Studio­gespräch mit der Soziologin Anne Kersten[3] in der Sendung «10vor10» vom 1. Mai 2018 beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie ein­treten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Die Sendung war heute einseitig, unkritisch und linksextrem. Auch am Tag der Arbeit sollte über den (Links-)Extremismus nicht leichtfertig und rein ideologisch berichtet werden.

  1. Linksextremismus - Thema Marx, Interview Forderungen wie die "Überwindung des Kapitalis­mus", was die öffentliche Ordnung bedrohen würde, wird unkritisch und unhinterfragt gesen­det. Wie der Rechtsextremismus nicht tolerierbar ist, sollte auch der Linksextremismus nicht to­lerierbar sein.
  2. Linksextremismus - Thema Marx, Kommunismus Der Kommunismus wird als nicht korrekt nach Marx durchgeführt beurteilt und ein erneuter Versuch wird als attraktiv und nötig beschrieben und kommentiert (auch wenn nur oberflächlich). So wie es nicht tolerierbar ist, wenn heute eine Person einen neuen Nationalsozialismus fordern würde, ist es meiner Meinung nach auch nicht tolerierbar hier einen neuen Kommunismus zu fordern. Beide Systeme haben vielen Menschen das Leben gekostet. Den Kommunismus zu verharmlosen und die Ideen von Marx unkritisch zu Senden erachte ich als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und unserer Demokratie.
  3. Einseitig - Thema sexuelle Belästigung Obwohl bei sexueller Belästigung tatsächlich beide Ge­schlechter in ähnlichem Masse Opfer sind, wird im Bericht einzig Frauen als Opfer dargestellt. Als Täter bilden zwar die Männer mit 2/3 die Mehrheit, aber deshalb alle Männer - und aus­schliesslich Männer - als Täter zu kategorisieren ist sexistisch. Über dieses Thema wurde unkri­tisch und vorallem ideologisch und nicht mit den nötigen Fakten entsprechend berichtet. Kriti­sche Stimmen zu diesen Programmen kamen nicht zu Wort, was aber gerade der Auftrag von der SRG wäre als 4. Gewalt die Massnahmen vom Staat zu hinterfragen.

Fakten zu Punkt 3:

Gemäss Studie des Eidgenässischen Büro für Gleichstellung von Frau und Mann zum Thema se­xuelle Belästigung "Risiko und Verbreitung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz- Eine reprä­sentative Erhebung in der Deutschschweiz und der Romandie":

  • Die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind insgesamt relativ gering. 47% der Männer und 55% der Frauen haben sexuell Belästigende Vorfälle erlebt.
  • Bezogen auf das Geschlecht der Urhebenden zeigt sich folgendes Bild:

Insgesamt gesehen sind in rund zwei Drittel der berichteten Fälle Männer die Urheber, in einem Fünftel sind beide Geschlechter beteiligt und in einem guten Sechstel geht das Verhalten von Frauen aus.

Ich hoffe ich habe genügend verständlich beschrieben und wünsche mir in Zukunft insbesondere eine bessere Sensibilisierung auf Linksextremismus bei SRG. Vielen Dank.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt[4]. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter «10vor10» und Frau Corinne Stöckli, Redaktion «10vor10» schrieben:

Herr X beanstandet unsere Sendung vom 1. Mai 2018 in zweifacher Hinsicht: Einerseits den Beitrag «Marx – 200 Jahre alt und kein bisschen alt»[5] und andererseits unsere Berichterstattung zum Thema sexuelle Belästigung, zu welcher der Beitrag «Sexuelle Belästigung – Städte wollen han­deln»[6] und das darauffolgende Studiogespräch mit Soziologin Anne Kersten[7] gehörte.

Gerne nehmen wir zu den einzelnen Vorwürfen Stellung.

Beitrag: «Marx – 200 Jahre alt und kein bisschen alt»

Anlass für unsere Berichterstattung am Tag der Arbeit war der 200. Geburtstag von Karl Marx. In der Anmoderation hiess es, dass die Autorin «Menschen getroffen hat, für die Karl Marx auch heute noch eine grosse Bedeutung hat.» Der Fokus des Beitrages war also von Anfang an klar: Es ging hier nicht um ein klassisches Pro und Kontra zu Marx, sondern vielmehr um die aktuelle Bedeutung des Philoso­phen für Menschen unserer Zeit: Konkret kamen im Beitrag eine marxistische Studierende, ein politi­scher Philosoph und ein linker Politiker zu Wort. Dazu hat der Beitrag die Grundgedanken von Marx’ beiden wichtigsten Werken («Das kommunistische Manifest» und «Das Kapital») erwähnt und sie in einen historischen Kontext gesetzt.

Der Beanstander kritisiert nun den Beitrag in verschiedener Hinsicht.

1. Vorwurf: Forderungen wie die «Überwindung des Kapitalismus», was die öffentliche Ordnung bedrohen würde, werde unkritisch und unhinterfragt gesendet.

Der Beanstander wirft uns vor, die Forderung nach der Überwindung des Kapitalismus werde unkri­tisch und unhinterfragt gesendet. Wörtlich lautet die kritisierte Stelle im Beitrag:

Wie Marx kritisiert auch die sozialdemokratische Partei der Schweiz die Einschränkung der individu­ellen Freiheit. In ihrem Parteibuch hält sie denn auch am Ziel fest, den Kapitalismus zu überwin­den.

Frage Reporterin:

«Kämpfen Sie da nicht gegen Windmühlen?»

Cédric Wermuth, Nationalrat SP/AG:

«Doch, selbstverständlich ist das bis zu einem gewissen Grad ein Kampf gegen Windmühlen. Es hat ja auch einen frustrierenden Moment. Das ist die Erfahrung der letzten 100 Jahre Freiheits­kämpfe, dass es ein ganz schwieriger Weg ist. Aber es gibt Fortschritte. Ich meine, man hat auch in der Schweiz mehrere Anläufe gebraucht für das Frauenstimmrecht, aber irgendwann ist es ge­kommen.»

Die Reporterin fragte den Politiker also wörtlich «Kämpfen Sie da nicht gegen Windmühlen?» - was so viel heisst wie «Kämpfen Sie da nicht einen aussichtslosen Kampf gegen etwas, das sich sowieso nicht ändern lässt?» Anders als der Beanstander sind wir der Meinung, dass die Frage in dieser Form durch­aus treffend war.

Cédric Wermuth gab in seiner Antwort zu, dass es «selbstverständlich bis zu einem gewissen Grad ein Kampf gegen Windmühlen» sei. Er erwähnte darauf als konkretes, erfolgreiches Beispiel das Frauen­stimmrecht. Die Antwort relativiert unserer Ansicht nach die im Beitragstext genannte, radikale Forde­rung nach der Überwindung des Kapitalismus und bricht sie auf ein konkretes Beispiel hinunter. Für das Publikum war zudem klar erkennbar, dass die Aussage dem SP-Nationalrat zuzuordnen war. Es gab für uns also keinen Grund, auf die Ausstrahlung dieses Zitats zu verzichten.

Festzuhalten ist, dass die Forderung nach der «Überwindung des Kapitalismus» im aktuellen Partei­programm der SP - also einer Bundesratspartei und nicht etwa irgendeiner linksextremen Gruppierung - immer noch enthalten ist. Aktuell wird parteiintern wieder breit darüber diskutiert, wie passend diese Forderung heute noch ist.

2. Vorwurf: Der Kommunismus werde als nicht korrekt nach Marx durchgeführt beurteilt und ein erneuter Versuch als attraktiv und nötig beschrieben. (...) Den Kommunismus zu verharmlosen und die Ideen von Marx unkritisch zu senden, sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und die Demokratie.

Der Beanstander meint, im Beitrag werde «der Kommunismus als nicht korrekt nach Marx durchge­führt beurteilt und ein erneuter Versuch als attraktiv und nötig beschrieben». Damit sind wir nicht ein­verstanden.

Im ersten Teil des Beitrages geht es um die marxistischen Studierenden. Wörtlich hiess es:

Sie kommen zusammen, um aktuelle Themen zu diskutieren. Ihr Ziel ist kein geringeres als die Ge­sellschaft umzugestalten. Weniger Unterdrückung, mehr Gerechtigkeit.

Bei den Studierenden war also keine Rede davon, den Kommunismus erneut einzuführen. Auf die Nachfrage der Autorin, was konkret sie verändern möchte, erwähnt eine marxistische Studierende «die Mitbestimmung in allen Lebensbereichen» – eine allenfalls basisdemokratische, aber keine links­extreme Forderung.

Auch der Philosoph Urs Marti-Brander forderte in keiner Weise eine Wiedereinführung des Kommunis­mus. Vielmehr hält er fest, dass Marx mit der Umsetzung seines Gedankenguts in den kommunisti­schen Systemen nicht einverstanden gewesen wäre. Explizit verweist er dabei auf eine liberale Verfas­sung als Grundlage. Wörtlich sagte er:

Urs Marti-Brander, Philosoph und Buchautor:

«Das kommunistische Manifest und die kommunistische Bewegung ganz allgemein, ist Teil dieser Demokratisierungsbewegung. Sie geht aber über den Gedanken der bürgerlichen Demokratie hin­aus, insofern als sie eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft fordert. Für Marx war aller­dings immer wichtig zu betonen, dass dieser Sozialismus nur legitim ist, wenn er auf dem Boden der liberalen Verfassung errichtet wird. Das alles ist in den kommunistischen Systemen natürlich verletzt worden, was sicher auch ein Grund ihres Scheiterns ist.»

Weder in den Zitaten noch im Beitragstext ist also eine Forderung nach einem erneuten Versuch, ein kommunistisches System zu installieren, erkennbar. Auch haben wir den Kommunismus in keiner Weise verharmlost, wie der Beanstander meint. Wörtlich hiess es im Beitragstext:

Lenin, Stalin und Mao verstehen sich als Marx’ Erben. Im 20. Jahrhundert ist die Hälfte der Menschheit von Regimen regiert, die ihre Gewaltherrschaft mit Marx rechtfertigen. Doch das Expe­riment des Sozialismus scheitert mit dem Fall der Mauer.

Wir haben also klar und deutlich aufgezeigt, dass die kommunistischen Regime Gewalt ausübten und schliesslich scheiterten. Von einer Verharmlosung kann keine Rede sein.

3. Fazit

Der Beanstander meint, der Beitrag sei «einseitig, unkritisch und linksextrem». Wir haben uns im Bei­trag auf Menschen fokussiert, die sich heute noch mit Marx auseinandersetzen, was wir bereits in der Moderation transparent gemacht haben. Weder die Autorin noch die zitierten Personen äusserten da­bei in irgendeiner Weise linksextremes Gedankengut, welches den Rechtsstaat oder die Demokratie ablehnt. Mit dem Schlusssatz werden zudem beide Seiten des Diskurses noch einmal deutlich aufge­zeigt: «Ob als Visionär oder Schreckgespenst: Marx wird uns auch in Zukunft erhalten bleiben.» Wir sind deshalb der Meinung, dass wir differenziert und sachgerecht berichtet haben, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.

Berichterstattung zum Thema «Kampagnen gegen sexuelle Belästigung»

Im beanstandeten Beitrag stand der Kampf gegen die sexuelle Belästigung im Fokus. So hiess es in der Anmoderation:

«Wo hört der harmlose Flirt auf, und wo beginnt die sexuelle Belästigung? Dieses Thema beschäf­tigt. Besonders junge Frauen, die im Ausgang an Partys erleben, wie Männerhände den Po betat­schen, den Busen begrabschen. Diese Woche fallen mehrere Städte nun auf, weil sie mit aufwändi­gen Kampagnen die Männer zu mehr Anstand erziehen wollen. (...)»

Der Fokus des Beitrages war also für das Publikum schon zu Beginn klar: Der Kampf der Städte gegen die sexuelle Belästigung von jungen Frauen im öffentlichen Raum. Der Beitrag zeigte in der Folge auf, wie die Städte Fribourg, Lausanne, Bern und Zürich gegen sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum vor­gehen. Dabei wurde auch eine von der Stadt Lausanne in Auftrag gegebene Studie erwähnt, die auf­zeigt, wie viele Frauen wann und wo genau im öffentlichen Raum schon belästigt worden sind. Im an­schliessenden Studiogespräch äusserte sich die Soziologin Anne Kersten zum Nutzen der im Beitrag erwähnten Kampagnen.

1. Vorwurf: Einseitig Frauen als Opfer dargestellt

Der Beanstander meint nun: «Obwohl bei sexueller Belästigung tatsächlich beide Geschlechter in ähn­lichem Masse Opfer sind, wird im Bericht einzig Frauen als Opfer dargestellt.» Er folgert daraus, dass unsere Berichterstattung «einseitig» gewesen sei. Damit sind wir nicht einverstanden.

Festzuhalten ist, dass im Zentrum der Berichterstattung die Initiativen der Städte gegen sexuelle Be­lästigungen im öffentlichen Raum standen. Es ging also nicht um sexuelle Belästigung im Allgemeinen, sondern konkret um sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum und wie diese aktuell von den Städten bekämpft wird.

Die vom Beanstander zitierte Studie zeigt interessante Werte, jedoch betreffen sie den Arbeitsplatz und nicht den öffentlichen Raum. Nationale Studien zu Belästigungen im öffentlichen Raum liegen nicht vor. Wir haben uns deshalb auf die oben erwähnte Studie vom Forschungsinstitut Idiap, welches mit der ETH Lausanne verbunden ist[8], gestützt. Die Stadt Lausanne hat die Studie im Rahmen ihres im Beitrag thematisierten Kampfes gegen die sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum in Auftrag gege­ben. Die Studie hält wörtlich fest:

«Les résultats de cette enquête exploratoire confirment que le harcèlement de rue est une réalité à Lausanne, bien qu’il soit très rarement rapporté à la police. Il touche essentiellement les femmes et, plus particulièrement, les jeunes femmes, ce qui correspond aux résultats des études europé­ennes menées sur ce sujet. Ainsi, 63% des femmes interrogées et plus de 72% des femmes âgées de 16 à 25 ans, ont répondu avoir été confrontées à au moins un épisode de harcèlement de rue à Lausanne au cours des 12 derniers mois. La moitié de ces personnes ont été harcelées au moins une fois par mois."

Sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum betrifft gemäss der Studie also vor allem Frauen, insbeson­dere junge Frauen. Die Studie schreibt weiter:

"Le « harcèlement de rue » désigne une forme de harcèlement, qui se déroule, par définition, dans les lieux publics - rues, parcs, transports publics, bars et discothèques - et qui est exercée sur des personnes en raison de leur appartenance à un genre. Ses victimes sont principalement des femmes et/ou des personnes homosexuelles, bisexuelles et/ou transgenres ou transsexuelles (« LGBT »3) ou identifiées comme telles."

Auch wenn von sexueller Gewalt im öffentlichen Raum gemäss der oben zitierten Studie also vor allem Frauen betroffen sind, so sind sie es keineswegs ausschliesslich. Im Beitrag betonen wir deshalb auch gleich zu Beginn:

Es passiert überall. Fast jeder Frau. Und längst nicht nur Frauen. Belästigungen im öffentlichen Raum.

Wir haben also durchaus erwähnt, dass nicht nur Frauen betroffen sind. Unsere Berichterstattung war also korrekt und keineswegs einseitig. Das vom Beanstander erwähnte Thema der sexuellen Belästi­gung von Männern am Arbeitsplatz ist ebenfalls sehr interessant, hätte den Rahmen des vorliegenden Beitrages aber bei weitem gesprengt.

2. Vorwurf: Kritische Stimmen zu den Programmen der Städte fehlten

Der Beanstander schreibt: «Kritische Stimmen zu diesen Programmen kamen nicht zu Wort». Wir sind der Meinung, dass die im Beitrag aufgezeigten Kampagnen durchaus kritisch diskutiert wurden.

So hat unser Studiogast, Soziologin Anne Kersten, angemerkt, dass diese Programme «alleine nicht reichen», man müsse sich auch «mit Männlichkeit auseinandersetzen». Auch die Moderatorin fragte kritisch zu den Initiativen nach:

« (...) Ich sage jetzt, sprechen, diskutieren, sensibilisieren, das leuchtet schon ein, aber befriedigt mich jetzt noch nicht ganz in dieser Thematik. Gibt es denn nicht noch andere konkrete Ideen, wo man sagt: Doch, das hält die Männer davon ab, im Ausgang Frauen zu betatschen?»

Auch bezüglich der Studie, die der Kampagne in Lausanne zugrunde liegt, fragte die Moderatorin kri­tisch bei der Soziologin nach:

«Das Nachpfeifen als Kategorie der Belästigung. Da gibt es Kritiker, die sagen: Das ist übertrieben, ein Mann weiss schon gar nicht mehr, wie flirten. Da ist man verunsichert. Das bringt der Gesell­schaft dann auch nichts. Die Frage an Sie: Überbordet man da?»

Anders als der Beanstander meint, stellten wir in unserer Berichterstattung also durchaus auch kriti­sche Fragen zu den Programen resp. der Studie.

3. Fazit

Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass wir auch zum Thema Kampagnen gegen sexuelle Beläs­tigung im öffentlichen Raum nicht einseitig, sondern kritisch und sachgerecht berichtet haben und sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.

Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung zurückzuweisen.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung beiden Beiträge. Das Nachrichtenmagazin «10vor10» bietet dem Publikum Hintergründe zu den Schlagzeilen des Tages aus dem In- und Aus­land. Es bringt Schwerpunktthemen und beleuchtet ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln[9]. So war das auch in den beiden von Ihnen beanstandeten Beiträgen der Fall.

Ihre erste Beanstandung betrifft den fünfminütigen Beitrag «Marx – 200 Jahre alt und kein bisschen alt»[10]. «10vor10» griff den 200. Geburtstag von Karl Marx, der sich am 5. Mai 2018 jährte, auf und fragte nach, was von seinen Ideen in der heutigen Zeit noch übrig geblieben ist. Der Beitrag stellt dazu einige Menschen ins Zentrum, für die Karl Marx auch heute noch eine Bedeutung hat. Es sind durchaus kritische Punkte zu hören. So wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob die Überwin­dung des Kapitalismus nicht ein Kampf gegen Windmühlen sei oder die Off-Stimme begleitet Be­wegtbilder aus der Zeit von Lenin, Stalin und Mao mit folgenden Worten: «Im 20. Jahrhundert ist die Hälfte der Menschheit von Regimen regiert, die ihre Gewaltherrschaft mit Marx rechtfertigen . Doch das Experiment des Sozialismus scheitert mit dem Fall der Mauer». Auch im letzten Satz des Beitrages «Ob als Visionär oder Schreckgespenst: Marx wird uns auch in Zukunft erhalten bleiben» wird nochmals aufgezeigt, dass es zwei Seiten der Medaille gibt.

Betrachtet man das für Parlamente häufig verwendete Links-Rechts-Schema und fokussiert auf die po­litisch linke Seite, kann man zu den Linken Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten, Linksradi­kale und Grüne zählen. Deren Werte bilden soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Humanismus, Laizismus sowie eine regulierte Wirtschaft.

Zu den äussersten Linken, also zu den Linksextremen, rechnet man Maoisten, Trotzkisten, Fide­listen, Anarchisten, aber auch Untergrundorganisationen wie die «Roten Brigaden» oder die «Rote Armee-Fraktion» (RAF). Sie treten für eine revolutionäre Umwäl­zung der Gesellschaft ein, sind gegen die liberale Demokratie und für die Abschaffung des Kapitalis­mus.

Im von Ihnen beanstandeten Beitrag – und da stimme ich mit den beiden Stellungnehmenden von SRF völlig überein – werden weder linksextremes Gedankengut, noch irgendwelche rechts­staatlich feindliche Ideen, die die Demokratie gefährden, verbreitet. Es lässt sich kein Anhalts­punkt finden, wo jemand fordert, ein kommunistisches System einzuführen.

Der Beitrag «Marx – 200 Jahre alt und kein bisschen alt» war sachgerecht und differenziert. Das Publikum konnte sich frei eine eigene Mei­nung bilden.

Damit komme ich zum zweiten Beitrag «FOKUS: Sexuelle Belästigung – Städte wollen handeln»[11], den Sie beanstanden. Der inhaltliche Fokus wird gleich in der Anmoderation klar gemacht: «Wo hört der harmlose Flirt auf und wo beginnt die sexuelle Belästigung? Dieses Thema beschäftigt. Besonders junge Frauen, die im Ausgang an Partys erleben, wie Männerhände den Po betatschen, den Busen begrapschen». Bereits hier wird deutlich: es geht um belästigte Frauen – und nicht um Männer. Weiters wird ersichtlich, warum dieses Thema zum «FOKUS» wird: «Diese Woche fallen mehrere Städte nun auf, weil sie mit aufwendigen Kampagnen die Männer zu mehr Anstand erziehen wollen. Der Kampf gegen sexuelle Belästigung soll stärker in den Fokus rücken», soweit die Anmode­ration. Bereits im nächsten Satz des Beitrags heisst es dann: «Es passiert überall. Fast jeder Frau. Und längst nicht nur Frauen. Belästigungen im öffentlichen Raum». Es wird betont, dass auch Männer gemeint sind und nicht ausschliesslich Frauen. Und nochmals wird erläutert, dass es um den öffentlichen Raum geht – und nicht um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Die Eingrenzung des Themas macht aufgrund des aktuellen Kampfs der Städte (Fribourg, Lausanne, Bern, Zürich) ge­gen sexuelle Belästigung von jungen Frauen im öffentlichen Raum Sinn. Es ist also nicht so, wie Sie glauben, dass Frauen einseitig als Opfer dargestellt wurden.

Ebenso war Kritik an den Programmen der Städte in Form von zwei Fragen der «10vor10»-Moderato­rin, Frau Susanne Wille, zu vernehmen. Sie fragte im anschliessenden Studiogespräch[12] die Sozio­login Anne Kersten von der Universität Fribourg[13], ob «es denn nicht noch andere konkrete Ideen [gebe], wo man sagt: Doch, das hält die Männer davon ab, im Ausgang Frauen zu betatschen?» und auch beim Punkt des Nachpfeifens hakt die Moderatorin nach: «Das Nachpfeifen als Kategorie der Belästigung. Da gibt es Kritiker, die sagen: Das ist übertrieben. Ein Mann weiss schon gar nicht mehr wie flirten. Da ist man verunsichert. Das bringt der Gesellschaft dann auch nichts. Die Frage an Sie: Überbordet man da?»

Auch in diesem Beitrag (inkl. Studiogespräch) komme ich zum Schluss, dass «10vor10» sachgerecht berichtet und kritisch nachgefragt hat. Das Publikum konnte sie hier ebenfalls frei eine eigene Mei­nung bilden.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich Ihre Beanstandung in keinem Punkt unterstützen kann.

Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernseh­gesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fern­sehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


Manfred Pfiffner
Stellvertretender Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/marx---200-jahre-alt-und-kein-bisschen-alt?id=4863efc1-1e9f-49d1-907e-a1ea148c3efe

[2] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-sexuelle-belaestigung---staedte-wollen-handeln?id=ec34d2f4-b8ac-49f3-a34a-4d3c826f3c18

[3] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-studiogespraech-mit-soziologin-anne-kersten?id=f97b43d7-cf81-4ce2-b3f6-790bf4785e37

[4] Der Ombudsstelle liegen die Transkripte beider beanstandeten Beiträge vor.

[5] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/marx---200-jahre-alt-und-kein-bisschen-alt?id=4863efc1-1e9f-49d1-907e-a1ea148c3efe

[6] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-sexuelle-belaestigung---staedte-wollen-handeln?id=ec34d2f4-b8ac-49f3-a34a-4d3c826f3c18

[7] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-studiogespraech-mit-soziologin-anne-kersten?id=f97b43d7-cf81-4ce2-b3f6-790bf4785e37

[8] http://www.lausanne.ch/lausanne-officielle/administration/securite-et-economie/secretariat-general-se/observatoire-securite/harcelement-de-rue/mainArea/0/links/0/linkBinary/Rapport%20etude%20harcelement%20de%20rue_161208_final.pdf

[9] https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/sendungsportraet

[10] https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=urn:srf:video:4863efc1-1e9f-49d1-907e-a1ea148c3efe&autoplay=true&legacy=true&width=640&height=360&playerType=

[11] https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=urn:srf:video:ec34d2f4-b8ac-49f3-a34a-4d3c826f3c18&autoplay=true&legacy=true&width=640&height=360&playerType=

[12] https://tp.srgssr.ch/p/portal?urn=urn:srf:video:f97b43d7-cf81-4ce2-b3f6-790bf4785e37&autoplay=true&legacy=true&width=640&height=360&playerType=

[13] Dr. phil. Anne Kersten untersuchte in ihrer Dissertation «Opferstatus und Geschlecht, Entwicklung und Umsetzung der Opferhilfe in der Schweiz» Männer als Opfer von Gewalt.

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