SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Rundschau»-Beitrag «Per Video überführt: Versicherer kämpfen für Sozialdetektive» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 8. November 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom 7. November 2018 und dort den Beitrag «Per Video überführt: Versicherer kämpfen für Sozialdetektive».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Mit diesem Schreiben beanstande ich die Sendung ‚Rundschau‘ vom 7. November 2018, konkret den Beitrag über Observationsvideos, mit Hilfe derer Sozialversicherungen Betrüger überführen. Ich tue dies als Fernsehzuschauer ohne Interessenbindung.

I. Zulässigkeit dieser Beanstandung (Geltungsbereich von Art. 4 & 5 RTVG)

Auf der Website der Ombudsperson des SRF steht:
<Bei Beschwerden zum übrigen publizistischen Angebot gelten dieselben Voraussetzungen wie bei Programmbeschwerden mit der Ausnahme, dass sich das Vielfaltsgebot hier ausschliesslich auf Wahl- und Abstimmungsdossiers bezieht.> Die Beanstandung bezieht sich auf eine Sendung, in der es um ein anstehendes nationales Referendum geht. Sie geht innerhalb von 20 Tagen nach Ausstrahlung bei der Ombudsstelle ein.

II. Geltungsbereich der Publizistischen Leitlinien des SRF

Die Publizistischen Leitlinien des SRF besagen:
<Durch die Aktualität diktierte und journalistisch begründete Berichte über Wahlen und Abstimmungen sind jederzeit möglich. Es gilt jedoch: Je näher der Abstimmungs- oder Wahltermin rückt, desto wichtiger sind Sachgerechtigkeits- und Vielfaltsgebot. Für die Berichterstattung gelten folgende Termine (Stichtag ist der Wahl- oder Abstimmungssonntag):
Ab acht Wochen vor einem Urnengang müssen geplante Auftritte von Kandidierenden oder Exponenten einer Abstimmung in den Sendungen aller Abteilungen von einer Chefredaktion bewilligt werden. In den letzten drei Wochen vor dem Urnengang sind keine Einzelauftritte von Kandidierenden oder Exponenten mehr zulässig, die ihnen eine einseitige Plattform bieten.>

Der Beitrag in der Rundschau vom 7. November 2018 liess einen gewissen Andreas Dummermuth zu Wort kommen, Leiter der IV-Stelle Schwyz. Zudem zwei Mitglieder des Referendumskomitees. Der Leiter der IV-Stelle Schwyz ist ein ranghoher Mitarbeiter einer derjenigen Sozialversicherungen, die das zur Abstimmung stehende Gesetz nicht nur fordern, sondern es inhaltlich auch mitgeprägt und dafür im Parlament lobbyiert haben. Der Rundschau-Beitrag deklariert Herrn Andreas Dummermuth als Befürworter des Gesetzes. Es handelt sich bei ihm also zweifellos um einen Exponenten im Sinne der Publizistischen Leitlinien des SRF. Unumstritten ist diese Frage im Falle von Daniel Graf und Dimitri Rougy vom Referendumskomitee.

Der Beitrag wurde am 7. November 2018 ausgestrahlt, also innerhalb der in den Publizistischen Leitlinien genannten drei Wochen, innerhalb derer keine Einzelauftritte mehr gestattet sind. Die Publizistischen Leitlinien verlangen zwar innerhalb dieser drei Wochen nicht explizit eine ausgewogene Berichterstattung. Gleichwohl zeigt die Erwähnung einer ‚einseitigen Berichterstattung‘ in Zusammenhang mit dem Begriff ‚Plattform‘, dass innerhalb von drei Wochen vor einer Abstimmung eine erhöhte journalistische Sorgfalt und unparteiische Haltung durch eine Redaktion und deren Mitglieder vorausgesetzt werden darf.

Journalistische Beiträge im SRF müssen sachgerecht sein. Die publizistischen Leitlinien definieren die in jedem Fall zu beachtende Sachgerechtigkeit wie folgt: Sachgerecht ist die Berichterstattung, wenn sie alle verfügbaren Fakten in Betracht zieht und nur darstellt, was nach bestem Wissen und Gewissen für wahr gehalten wird. Sachgerechtigkeit setzt bei den Journalistinnen und Journalisten Sachkenntnis und Kompetenz voraus. Sie erfordert Transparenz, indem Quellen nach Möglichkeit offengelegt werden, und verlangt eine faire Darstellung unterschiedlicher Meinungen (‚audiatur et altera pars‘). Wer Anschuldigungen gegen eine Person oder eine Institution vorbringt, muss Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme geben.

III. Beanstandungen

III.a. Beanstandungen im Beitragsteil 1 (Dummermuth, Observationsvideos, Graf)

Auf den ersten Blick scheint die Sachgerechtigkeit hier gewahrt, indem beide Seiten zu Wort kamen. Doch folgende Punkte lassen begründete Zweifel aufkommen:

1. Das Problem zeigt sich bereits im Teaser zu Beginn der Sendung. Der Offsprecher sagt: <Per Video überführt. Versicherer kämpfen für Sozialdetektive.> Er macht klar, dass es hier um einen Beitrag geht, in dem die Perspektive der Befürworter eingenommen werden soll. Indem bereits das Ergebnis von Observationen genannt wird, also die ‚Überführung [von Betrügern]‘, bezieht bereits der Teaser sowohl Position als auch Partei, da es sich um eine Abstimmungsfrage handelt. Genauso gut hätte hier unter Wahrung der Sachgerechtigkeit jedoch von einem ‚umstrittenen Gesetz‘ gesprochen werden können.

2. Problematisch auch die Anmoderation: Nicole Frank sagt: <Meine Kollegin Rahel Sahli zeigt, wie Versicherer kurz vor der Abstimmung mit Überwachungsvideos in die Offensive gehen.> Dabei berichtet die Journalistin Rahel Sahli nicht etwa über eine Kampagne der Versicherer, in der diese z.B. Videos verbreiten. Sondern sie macht sich (respektive ihren Beitrag) quasi selber zum Verbreitungskanal dieser Videos. Das ist befremdend. Im Grunde zeigt die Rundschau Weise, wie dreist gewisse Einzelpersonen Versicherungen betrügen. Damit argumentiert die Redaktion deutlich im Sinne des Gesetzes. In keiner Weise wird der Schritt 'der Versicherer', mit solchen Videos für ihre Sache zu kämpfen, hinterfragt. Damit beisst sich der Hund in den eigenen Schwanz. Das SRF berichtet über die Verbreitung solcher Videos, indem es sich selber zum Medium macht das sie verbreitet.

3. Des weiteren sind folgende Punkte im Beitrag zu beanstanden:

- Die Redaktion stellt Andreas Dummermuth keine kritischen Fragen. Sie lässt ihn als Offsprecher der Filme (deren Quelle ungenügend gekennzeichnet wurde) zu Wort kommen. Insgesamt spricht Dummermuth im Beitrag rund 3 Minuten und 20 Sekunden lang. Die meiste Zeit beantwortet er keine Fragen, sondern darf frei sprechen.

- Daniel Grafs Redezeit beträgt 41 Sekunden. Im Gegensatz zu Andreas Dummermuth muss er kritische Fragen beantworten.

- Hinzu kommt, dass die Wirkung der Beitragsteile auf Zuschauende von Andreas Dummermuth viel stärker ist, da er die meiste Zeit als Offstimme zu den Observationsvideos spricht. Diese Videos müssen auf die Zuschauerin eine krassere Wirkung haben, da sie Menschen zeigen, die (salopp gesagt) 'unsere Sozialwerke bescheissen'. Dummermuth ist ganz klar der Protagonist der Geschichte.

- Auch seltsame Aussagen von Dummermuth bleiben unwidersprochen. Zum Beispiel, als die Journalistin sagt, die Gegner des Gesetzes würden den Vorwurf äussern, die Versicherungen arbeiteten mit Emotionen. Dummermuth sagt <Das sind keine Emotionen, das sind Observationen>. Es mutet seltsam an, dass diese Aussage unwidersprochen bleibt und nicht aus dem Beitrag herausgeschnitten wird.

III.b. Beanstandungen im Beitragsteil 2 (Frank, Rougy)

4. Die Rundschau-Redaktion lässt das Initiativkomitee in der Person von Dimitri Rougy zu Wort kommen. Damit, so der Eindruck, soll die nötige Ausgewogenheit wieder hergestellt wird. Doch das Studiogespräch zwischen ihm und Nicole Frank lässt jegliche journalistische Sorgfalt vermissen. Ihre Einstiegsfrage zielt an den ihr bekannten Argumenten des gegnerischen Komitees vorbei:
<Wie wollen Sie denn diese Betrüger überführen?> - Damit lässt Nicole Frank keinen Zweifel an der Frage, ob Observationen nötig seien, da, wie sie sagt damit ‚Betrüger überführt werden könnten‘. Hinterfragt mit keiner Silbe, ob solche Observationen überhaupt nötig oder in welchem Verhältnis Eingriffe in die Grundrechte zum Resultat stehen, sondern übernimmt unkritisch die Haltung der Befürworter. Die Einstiegsfrage überrascht: Es ist nicht Aufgabe des Initiativkomitees, Betrüger zu überführen. Das Initiativkomitee hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass es gerade eben nicht dagegen sei, Betrüger zu überführen. Sondern die Art und Weise ablehne, mit dem dieses Gesetz formuliert sei. Die Moderatorin geht darauf aber nirgendwo ein.

5. Nicole Frank stellt dem Studiogast nicht nur Fragen, sie wiederholt teilweise gebetsmühlenartig Argumente der Befürworteter und lässt Rougys Antworten darauf nicht als solche stehen, sondern kommentiert sie auch noch. Folgende Beispiele der Konversation belegen die Unsachlichkeit und Unausgewogenheit der Interviewerin.

Frank: <Aber jetzt ist ja ganz klar, die Parlamentarier, die dieses Gesetz gemacht haben, haben immer und immer wieder betont: Nein, es wird niemandem ins Schlafzimmer geschaut.>
Rougy fragt, wieso das Parlament das dann nicht ins Gesetz geschrieben habe. <Gesetze sind immer eher generell formuliert. Die gehen nicht ins Detail. Die sind nicht für den Einzelfall formuliert>

- Die Zitate zeigen nicht nur, dass der Moderatorin nicht an einem sachlichen Gespräch gelegen ist, sie wirft auch falsche Argumente in die Diskussion. Wenn nicht für Einzelfälle, wozu ist ein solches Gesetz dann formuliert? Ebenso wie die Bestimmungen im Strafrecht und Strafprozessrecht muss auch die zur Abstimmung stehende Gesetzespassage möglichst wenig Interpretationsspielraum gewähren und für die Beurteilung im Einzelfall konzipiert werden.

6. Nicole Frank stellt leider zur Schau, dass sie über ungenügende Sachkenntnisse verfügt, die für ein solches Gespräch nötig wären. Frank: <Gut, das sagen jetzt gewisse Rechtsprofessoren, die da kritisch dieser ganzen Sache gegenüberstehen. Aber eben, wir haben das Wort des Parlaments, des Bundespräsidenten, nota bene Parteimitglied bei Ihnen. Wir haben eine langjährige Bundesgerichtspraxis, die ganz klar sagt: Es gibt keine Überwachung ins Schlafzimmer, also ich glaube, das müssen wir hier an dieser Stelle ganz deutlich sagen.> Diese Aussage ist in vielfacher Hinsicht zu beanstanden. Wieder handelt es sich nicht um eine Frage, sondern bestenfalls um eine These:

- Das ‚Wort des Parlaments‘ demjenigen von ‚gewissen Rechtsprofessoren‘ gegenüberzustellen, mutet enorm absurd an. Dass eine Sendung, die sich als Politmagazin versteht, einen Begriff wie ‚das Wort des Parlaments‘ überhaupt verwendet, ist erschreckend.

- Das ‚Wort des Bundespräsidenten‘ in Verbindung mit der Aussage, er sei Parteimitglied der SP, zeugt von einem Unverständnis Nicole Franks für die Funktionsweise einer Konkordanzregierung. Bundesrätinnen und Bundesräte vertreten in Abstimmungskämpfen nicht ihre persönliche Meinung, sondern diejenige des Gremiums.

- Der Hinweis, Bundespräsident Berset sei wie Dimitri Rougy SP-Mitglied war unnötig. Er diente lediglich dazu, Dimitri Rougys Glaubwürdigkeit herunterzustufen, indem suggeriert wird, Rougy stehe quer zu seiner eigenen Partei. Stattdessen trifft zu, dass die die SP das Referendum unterstützt, Berset also eine abweichende Meinung vertritt.

- Der Hinweis auf die Praxis des Bundesgericht ist absurd. Nicole Frank führt eine Rechtsprechungspraxis als Beweis an, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als EMRK-widrig und damit ungültig befunden wurde. Zudem beurteilt das Bundesgericht jeden Fall aufgrund der geltenden gesetzlichen Grundlagen. Wie also das Bundesgericht einen Fall nach der Annahme des Gesetzesvorschlages und damit neurechtlich beurteilen würde, ist völlig offen.

- Der Hinweis, es gebe keine Überwachung in Schlafzimmern (gemeint ist, bei einer Annahme des Gesetzesvorschlags) ist eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt. Der Hinweis Nicole Franks, das müsse ‚deutlich gesagt werden‘ macht die Sache noch schlimmer. Wieder stellt Frau Frank keine Fragen, wieder sagt sie nicht, dass es sich um nicht verifizierte Argumente der Befürwortet handelt. Stattdessen agiert sie während des gesamten Gesprächs als deren Mediensprecherin.

7. Nicole Frank stellt keine Fragen, sie verzichtet auch auf Thesen. Stattdessen nimmt sie unkritisch die Rolle der Befürworterin ein, ohne zu deklarieren, dass es sich um eine Rolle handelt. Frank: <Die Erfahrung sagt ganz klar, solche Überwachungen werden selten angewendet.> - Es stimmt, dass gemessen an der Gesamtzahl der Fälle nur in wenigen Observationen durchgeführt werden. Doch von wessen Erfahrung spricht Nicole Frank. Ihrer eigenen? Wieder stellt sie keine Frage, sondern wiederholt ein Argument.

8. Nicole Frank legt ihrem Gesprächspartner Aussagen in den Mund, die dieser nie gemacht hat. Frank: <Das ist doch etwas anderes als Willkür und masslose Überwachung.>

- Dimitri Rougy hat nie behauptet, es gehe um masslose Überwachung. Er hat im Gegenteil gesagt, er sei nicht per se gegen Überwachung. Wieder stellt Nicole Frank keine Frage, in diesem Fall legt sie ihrem Interviewpartner indirekt eine Aussage in den Mund, die dieser nie gemacht hat.

9. Nicole Frank lässt jegliche kritische Distanz zur Abstimmungsvorlage vermissen. Sieversucht, ihren Gesprächspartner blosszustellen. <Also ohne Verdacht losgehen tut ja wahrscheinlich niemand. Diese Obervationen sind ja sehr teuer, Herr Rougy.> - Das ist keine Frage. Nicole Frank argumentiert.

10. Konsternierend ist Nicole Franks Schlusskommentar auf die Ausführungen von Dimitri Rougy: Frank: <Ich höre da ganz viel Misstrauen unseren Institutionen gegenüber. (...) Den Beteuerungen unseres Bundespräsidenten, zum Beispiel.>

- Wieso wirft die Moderatorin eines Politmagazins einem Interviewpartner, der für eine Sachfrage kämpft und deswegen in die Sendung eingeladen ist, vor, er misstraue den Institutionen? Ist es nicht Aufgabe des Politjournalismus, genau diese Institutionen und ihr Handeln zu hinterfragen. Die Aussage wirft ein seltsames Licht auf das journalistische Selbstverständnis der Rundschau-Redaktion.

- Einmal mehr wirft Nicole Frank Dimitri Rougy vor, er misstraue dem Bundespräsidenten. Wieso sie dies noch einmal tut, bleibt ihr Geheimnis. Der Vorwurf des Ungehorsams gegenüber dem höchsten Mann im Staate kennt man normalerweise nur aus staatstreuen Medien in autokratischen Regimes.

IV. Würdigung

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass sowohl der Beitrag der Rundschau als auch das Studiointerview als auch die Kombination der beiden Sendungsteile den Ansprüchen an Ausgewogenheit und Sachgerechtigkeit nicht zu genügen vermögen. Die Grundkonzeption des Beitrags hat den Befürwortern der Vorlage eine Bühne gegeben, die einer einseitigen Plattform de facto gleichkommt. Indem die Rundschau sich selber zum Verbreitungskanal derjenigen Videos gemacht hat, über die sie (unkritisch) berichtet, hat sie während der meisten Zeit in der Sendung die Haltung der Befürworter transportiert und in der Person von Nicole Frank auf eine Weise eingenommen, die über die Rolle einer Interviewerin hinausgeht. Der Rundschau-Beitrag ist deshalb als nicht sachgerecht und einseitig zu beanstanden. Er entspricht nicht den Publizistischen Leitlinien des SRF. Angesichts der in Kürze anstehenden Volksabstimmung und des bald zu dieser Frage abgeschlossenen Meinungsbildungsprozess wiegt dieser Umstand schwer. Ich ersuche die Ombudsstelle, die hier gemachten Vorbringen zu prüfen und eine allfällige Verletzung der Publizistischen Leitlinien und der journalistischen Sorgfaltspflicht festzustellen. Ich danke für die Möglichkeit, mich auf diesem Weg äussern zu können und möchte festhalten, dass sich meine Kritik nicht auf andere Formate des SRF und auch nicht auf die Rundschau im Allgemeinen bezieht, sondern lediglich auf den erwähnten Beitrag.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» äußerte sich Herr Mario Poletti, Redaktionsleiter der Sendung:

«Herr X kritisiert, die Berichterstattung zum Thema Sozialdetektive sei ‘nicht sachgerecht und einseitig’ gewesen. Diesen Vorwurf weisen wir zurück. Der polemisch-beleidigende Ton des Beanstanders gegenüber der Moderatorin und der Sendung Rundschau entlarvt seine geschliffene, aber in sich brüchige Argumentation. Der Beanstander klammert konsequent Fakten aus, die seinen Ausführungen widersprechen könnten – und damit ist auch kein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung zu diesem emotionalen Thema erkennbar. Trotzdem nehmen wir gerne Stellung zu den konkreten Kritikpunkten:

Einzelauftritte drei Wochen vor der Abstimmung

Der Beanstander bemängelt, der Auftritt des IV-Stellenleiters von Schwyz, Andreas Dummermuth, sei ein Einzelauftritt, der laut publizistischen Leitlinien drei Wochen vor der Abstimmung nicht mehr gestattet sei. Das stimmt nicht. Einzelauftritte sind nur unzulässig, wenn ihnen eine einseitige Plattform geboten wird. Und das trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Vielmehr erfüllt das Gesamtpaket, Beitrag und ergänzendes Thekengespräch, die Anforderungen einer ausgewogenen Vorschau auf eine Abstimmung beispielhaft. Selbstverständlich hat Dummermuth im Beitrag mehr Redezeit als sein Gegner, weil ja dann im Thekengespräch nur noch Dimitri Rougy vom Referendumskomitee seine besten Argumente platzieren kann. (Rougy ist übrigens nicht Mitglied eines Initiativkomitees, wie der Beanstander fälschlicherweise schreibt – weil es sich ja eben um eine Referendumsabstimmung handelt.)

Diese Sende-Anlage mit kritischem Bericht und anschliessendem Thekengespräch wurde in Leitentscheiden der UBI zu den Fällen Gripen oder Mörgeli ausdrücklich gutgeheissen. Dabei gilt das Grundprinzip: Wer angeschossen wird, erhält ausführlich Gelegenheit zur Replik. Im vorliegenden Fall können gleich zwei Personen auf Dummermuths Aussagen replizieren - Daniel Graf im Beitrag und an der Theke Dimitri Rougy. Beide nutzen die Gelegenheit: souverän, ruhig und sachkundig. Festzuhalten ist auch, dass punkto Redezeit die Gegner des Gesetzes gar im Vorteil waren. Dies, weil sich die Redaktion über die Wirkung der gezeigten Videos durchaus bewusst war. Anzufügen ist, dass die Redaktion im Vorfeld beide Seiten über den konkreten Sendungsbau informiert hat.

Teaser/Moderation

Der Beanstander moniert, mit dem Titel ‘Per Video überführt. Versicherer kämpfen für Sozialdetektive’ beziehe die Redaktion Partei zugunsten der Versicherer. Auch dieser Vorwurf zielt ins Leere, denn der Teaser hat einzig und allein die Aufgabe, das Interesse des Publikums zu wecken, indem sie einen möglichst neuen Aspekt des abzuhandelnden Themas verkauft. Und neu war, dass die Versicherer wenige Wochen vor der Abstimmung nun mit Observationsvideos in die Offensive gehen. Auch der Vorwurf, die Rundschau würde kritiklos zum Verbreitungskanal dieser Videos mutieren, stimmt nicht. Denn die Autorin macht eben transparent, dass sie die Videos von Dummermuth erhält, zeigt diese den Gesetzesgegnern – und konfrontiert anschliessend Dummermuth mit der Kritik, er schüre Emotionen. Damit arbeitet die Autorin heraus, dass sich die Versicherer mit der Lancierung der Videos dem Vorwurf einer Kampagne aussetzen. Auch wenn es der Beanstander offenbar nicht wahrhaben will: Es geht bei dieser Abstimmungsvorlage letztlich darum, wie weit die Versicherer mit Video-Überwachungen gehen dürfen, um mutmassliche Betrüger zu überführen. Darum betrachten wir den Teaser im Sommaire u.E. als gelungen und zielführend.

Im Übrigen streicht die Moderation heraus, dass es sich um ein kontrovers diskutiertes Gesetz handelt und: dass es sich bei den Videos um eine ‘Offensive der Befürworter’ handelt. Es ist Sinn und Zweck der Moderation, dem Publikum darzulegen, worüber die beiden Parteien streiten.

Warum zeigt die Rundschau die Videos?

Für IV-Stellenleiter Dummermuth sind die Videos das wichtigste Argument der Befürworter. Daher ist es folgerichtig, dass die Rundschau entsprechende Ausschnitte zeigt. Es ist unsere journalistische Pflicht zu zeigen, wovon wir sprechen, und es ist auch unsere Pflicht, beiden Parteien die Möglichkeit zu geben, ihr wichtigstes Argument vorzubringen.

Der Beanstander schreibt: <In keiner Weise wird der Schritt der Versicherer, mit solchen Videos für ihre Sache zu kämpfen, hinterfragt.> Das stimmt nicht, im Gegenteil. Daniel Graf vom Referendumskomitee hat zu diesem Punkt Stellung bezogen. Er sagt: <Wenn die Versicherungslobby jetzt solche Filme zeigt, dann setzen sie einfach auf pure Emotionen, es geht gar nicht um Argumente. Sie wollen den Leuten etwas zeigen, was es bei der Abstimmung gar nicht zu entscheiden gibt. Das ärgert mich. Wir sind dran, mit Argumenten zu arbeiten und hoffen, dass wir am Schluss auch gewinnen.>

Der Beanstander argumentiert, dass die Videos auf das Publikum eine krassere Wirkung haben. Dies ist korrekt. Genau deshalb – so war es auch mit dem Referendumskomitee im Vorfeld besprochen - hat diese wie schon erwähnt im Gesamtpaket mehr Redezeit erhalten. Selbstverständlich konfrontiert die Autorin Dummermuth mit der Kritik des Komitees: <Die Leute des Referendumskomitees sagen, dass die Versicherer jetzt genau kurz vor der Abstimmung mit hochemotionalen Videos kommen, wo alle dann sagen, das ist schlimm, da müssen wir jetzt Ja stimmen.> In diesem Zusammenhang behauptet der Beanstander, dass ‘seltsame Aussagen von Dummermuth’ unwidersprochen blieben. Dummermuth sagt: <Das (Observationsvideos) sind keine Emotionen, das sind Observationen>. Die Journalistin hat Andreas Dummermuth die Möglichkeit gegeben, auf die Kritik zu reagieren. Ob er den Angriff des Referendumskomitees gut pariert hat oder nicht, kann das Publikum selber entscheiden.

Die Redaktion hat im Vorfeld mit beiden Parteien abgesprochen, welche Punkte für sie in dieser Berichterstattung wichtig sind und dies berücksichtigt.

Die Autorin macht transparent, dass die gezeigten Videos aus den Akten der IV-Stelle Schwyz stammen und der Redaktion zur Verfügung gestellt wurden. Dies wurde auch im Beitrag per Einblender so deklariert. Die Autorin macht auch transparent, dass das erste Video ursprünglich von einer anderen Versicherung in Auftrag gegeben wurde und erst später von der IV Schwyz im Gerichtsverfahren verwendet wurde.

Zum Thekengespräch

Einstiegsfrage <Wie wollen Sie denn diese Betrüger überführen?>

Auch der Vorwurf, die Moderatorin würde mit keiner Silbe hinterfragen, ob solche Observationen überhaupt nötig seien, zielt ins Leere. Die Einstiegsfrage ist offen formuliert. Dimitri Rougy hat alle Möglichkeiten, darauf zu antworten – und er verwertet den Penalty souverän: <Diese Bilder schockieren mich. Es nervt mich, dass es Leute gibt, die unsere Sozialversicherungen derart dreist hintergehen, aber wir stimmen im November über ein Gesetz ab, das gefährlich ist für unsere Grundrechte und unglaublich schludrig formuliert ist. Und da stellt sich die Frage, wieviel sind wir bereit zu bezahlen, um ein paar wenige Betrüger aufzudecken.> Damit konnte Rougy schon gleich in der ersten Antwort ausführlich sein bestes Kernargument platzieren.

<Unsachlichkeit und Unausgewogenheit> der Moderatorin

Die Aufgabe der Moderatorin ist es, den Gesprächspartner mit möglichst präzisen und geschärften Fragen zu bewegen, seine besten Argumente ebenso präzise und geschärft vorzutragen. Das macht Nicole Frank vorbildlich. Und Thekengast Rougy kontert ebenso gekonnt. So platziert er ein Argument nach dem andern:

<Nach wie vor ist unklar, wie weit dürfen die Versicherungsdetektive observieren. Dürfen sie beispielsweise in unser Schlafzimmer, in unser Wohnzimmer filmen und observieren. Und was auch nicht klar ist, sind die technischen Mittel. Sie dürfen potentiell mit Wärmebildkameras und Drohnen auf uns losgehen.>

<In der Tat die sauberste Lösung wäre, wenn die Polizei das übernehmen würde. Die Polizei hat erstens schon die nötigen Mittel und es gibt Kontrollmechanismen, die schauen, dass die Polizei nicht einfach so observieren, ohne dass sie jemand kontrolliert.>

<Genau, die Leute, die es auch wirklich brauchen, die sollen es auch bekommen. Aber man soll auch nicht einfach so observieren können. Und: Das Problem bei diesem Gesetz, über das wir nun abstimmen ist, dass die Versicherungen selber entscheiden, ob sie eine Observation einleiten wollen. Bei der Polizei ist das immer eine unabhängige Stelle. Es ist nicht die Polizei, die selber ein Interesse hat.>

<Wir haben hier das Problem, dass Herr Berset etwas sagt und Rechtsprofessoren etwas anderes. Die warnen, dass das Gesetz sehr ungenau ist, wenn es zu dieser Frage kommt, ob das Gesetz, ob man ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer filmen darf. Und wenn man den Text liest, dann ist es ziemlich eindeutig. Ja, die Versicherungsdetektive dürfen auch in unsere Wohnung reinfilmen.>

<Der Punkt ist, dass das Gesetz ausgeweitet wurde auf alle Sozialversicherungen. Vorher war nur die IV und die Unfallversicherung betroffen, jetzt sind es plötzlich alle Sozialversicherungen wie zum Beispiel die Ergänzungsleistungen auch. Was wir jetzt aber haben, ist ein ungenaues Gesetz. Ein Gesetz, das es möglich macht, ohne richtigen Verdacht schon los geht und observiert.>

<Und Observationen werden auch günstiger mit den technischen Hilfsmitteln, die Versicherungen jetzt einsetzen können in der Verfolgung von uns allen.>

<Und: ich glaube, das gefährliche an diesem Gesetz ist: Niemand kann in die Zukunft schauen. Niemand kann in die Glaskugel schauen und sagen, wie das Gesetz umgesetzt wird. Wie die Gerichte entscheiden werden, wenn es zu Fällen kommt.>

<Aber was wir haben, ist ein Gesetzeswortlaut, der ungemein ungenau ist und gefährlich für unsere Grundrechte. Und darum sage ich nein am 25.November.>

Dimitri Rougy kann seine Hauptargumente in voller Länge vorbringen, teils wiederholt. Selbstverständlich ist es aber die Aufgabe der Moderation, den Interviewpartner mit den Argumenten der Befürworter zu konfrontieren . Etwa, dass Observationen bis ins Schlafzimmer nicht im Sinne des Gesetzgebers sind, worauf Bundesrat[2] und Parlamentarier[3] während der Debatte hingewiesen haben. Oder dass Rechtsnormen generell-abstrakter Natur sind, hingegen die Rechtsanwendung individuell-konkret.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Beanstander kritisiert, die Moderatorin bringe ‘falsche Argumente’ vor. Sie konfrontiert den Gesprächspartner mit den Positionen der anderen Seite, nicht mehr und nicht weniger. So hat beispielsweise dieselbe Moderatorin in der Sendung vom 2.5.2018 im Gespräch mit der Befürworterin, Nationalrätin Ruth Humbel, die Position der Gesetzes-Gegner eingenommen.[4] Ausserdem: Dimitry Rougy war nach der Aufzeichnung des Gesprächs am 7.11.2018 zufrieden mit dem Gespräch. Es gab keine Kritik seinerseits, keinerlei Misstöne. Im Gegenteil war er froh, seine Positionen deutlich gemacht zu haben und hat das der Moderatorin gegenüber auch so gesagt.

Weiter unterstellt der Beanstander der Moderatorin ungenügende Sachkenntnis: <Das Wort des Parlaments demjenigen von gewissen Rechtsprofessoren gegenüberzustellen, mutet enorm absurd an. Dass eine Sendung, die sich als Politmagazin versteht, einen Begriff wie ‘das Wort des Parlaments’ überhaupt verwendet, ist erschreckend.> Dazu folgendes: Die Moderatorin nimmt Rougys Argument <auch Rechtsprofessoren kritisieren das Gesetz als zu offen formuliert> auf und stellt dieser Aussage die Beteuerungen der Befürworter entgegen, wenn sie auf die Aussagen von Bundespräsident Berset und von Parlamentariern verweist. In der Schlussabstimmung wurde das Bundesgesetz im Nationalrat mit 141 zu 51 und im Ständerat mit 29 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen deutlich angenommen. Insofern ist es legitim umgangssprachlich vom ‘Wort des Parlaments’ zu sprechen.

Weiter moniert der Beanstander: <Der Hinweis, Bundespräsident Berset sei wie Dimitri Rougy SP-Mitglied, war unnötig. Er diente lediglich dazu, Dimitri Rougys Glaubwürdigkeit herunterzustufen, indem suggeriert wird, Rougy stehe quer zu seiner eigenen Partei. Stattdessen trifft zu, dass die SP das Referendum unterstützt, Berset also eine abweichende Meinung vertritt.>

Mit dem Hinweis hat die Moderatorin dem Zuschauer deutlich gemacht, dass Mitglieder der gleichen Partei unterschiedlich argumentieren. Wann immer BundesrätInnen andere Haltungen vertreten als ihre Parteien, wird dies thematisiert.[5] In welcher Weise dies Dimitri Rougys Glaubwürdigkeit untergraben sollte, ist nicht ersichtlich. Tatsächlich tat sich die SP Schweiz schwer mit der Frage, ob Sie nach der Parlamentsdebatte das Referendum ergreifen solle. Zwar unterstützt die SP mittlerweile das Referendum, doch nicht die SP Schweiz startete die Unterschriftensammlung, sondern Zivilpersonen.

Ein weiterer Kritikpunkt: <Der Hinweis auf die Praxis des Bundesgerichts ist absurd. Nicole Frank führt eine Rechtsprechungspraxis als Beweis an, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als EMRK-widrig und damit ungültig befunden wurde.> Dazu folgendes: In seinem Urteil vom 18. Oktober 2016 kommt der EGMR zum Schluss, dass die rechtlichen Grundlagen für Observationen nicht genügten – beispielsweise für die Dauer der Überwachung oder für die <Aufbewahrung, den Zugang, die Prüfung, die Verwendung, die Übermittlung und die Vernichtung von aus Überwachungsmassnahmen gewonnenen Daten>.[6] Zur Frage, von wo aus eine Person observiert werden darf, äussert sich der EGMR nicht explizit. Hingegen äussert sich das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen in den Unterlagen zur Abstimmung vom 25.11.2018 klar zur Frage, von wo aus künftig Personen observiert werden können. Es bezieht sich auf das Bundesgericht und das entsprechende Urteil (C_829/2011): <Das Innere einer Wohnung oder eines Wohnhauses – zum Beispiel die Waschküche, das Treppenhaus oder das Schlafzimmer - darf nicht überwacht werden.>[7] Es war also legitim und nachvollziehbar, dass die Moderatorin das Bundesgerichtsurteil erwähnt.

Die Moderatorin spreche von ‘Erfahrungen’, ohne diese näher auszuführen

Die Moderatorin untermauert explizit ihre Aussage mit den neuesten Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen. Nicole Frank sagt: <Die Erfahrung zeigt ganz klar: Solche Überwachungen werden selten angewendet. Neueste Zahlen des BSV: von 230'000 IV-Bezügern sind nur gerade 150 observiert worden. Das ist doch etwas anderes wie Willkür und masslose Überwachung.> Die Moderatorin führt sehr wohl aus, worauf sie sich stützt. Auch diese Kritik des Beanstanders ist nicht nachvollziehbar.

Nicole Frank lege ihrem Gesprächspartner Aussagen in den Mund, die dieser nie gemacht habe

Der Beanstander kritisiert, die Moderatorin brauche die Adjektive ‘willkürlich’ und ‘masslos’ - Aussagen, die die Gegner des Gesetzes nie gemacht hätten. Die Gegner der Vorlage umschreiben ihr Anliegen prominent auf der Startseite ihrer Homepage ‘Versicherungsspione-nein’ und sprechen an selber Stelle von ‘willkürliche[r] Überwachung von Versicherten’.[8] Beim Argumentarium warnen die Gegner auf der gleichen Seite vor ‘massloser Überwachung.’ [9]

Nicole Frank lasse jegliche kritische Distanz zur Abstimmungsvorlage vermissen. Sie versuche, ihren Gesprächspartner blosszustellen.

Dimitri Rougy behauptet, das Gesetz mache es möglich, dass ein Versicherungsdetektiv <ohne richtigen Verdacht schon los geht und observiert.> Die Moderatorin konfrontiert ihn mit dem Argument der Gegenseite. Diese sagen, Observationen seien kostspielig. Kommt hinzu, dass Rougys Aussage die entsprechende Stelle im neuen Art. 43a im neuen ATSG unterschlägt. Diese sieht explizit vor, dass Detektive nur ‘aufgrund konkreter Anhaltspunkte’ Observationen starten können.[10] Es ist Aufgabe der Moderation, den Interviewpartner mit den Argumenten der Befürworter zu konfrontieren

Schlusskommentar <Ich höre da ganz viel Misstrauen unseren Institutionen gegenüber.[...]>

Der Beanstander kritisiert das Fazit, dass die Moderatorin am Ende des Gesprächs zieht. Doch genau dieses Misstrauen ist Dreh- und Angelpunkt im Argumentarium der Gegner, denen das Gesetz zu offen formuliert ist und denen die Beteuerungen von Bundesrat und Parlament nicht genügen. Die Gegner hatten sogar mit dem Gedanken gespielt, ein Bild von BR Berset mit einer Pinocchio-Nase zu publizieren, das diesen als Lügner darstellt. Warum dies ein <seltsames Licht auf das journalistische Selbstverständnis der Rundschau-Redaktion> werfen solle, ist nicht nachvollziehbar.

Fazit:

Die Rundschau hat mit Beitrag und Thekengespräch zur bevorstehenden Abstimmung über die Sozialdetektive einen wichtigen und transparenten Beitrag zur freien Meinungsbildung geliefert. Beide Seiten kamen mit ihren besten Argumenten zu Wort. Die Videos dokumentierten, über was wir abstimmen – und beide Seiten konnten diese einordnen: notwendige Aufklärung für die Befürworter, emotionale Kampagne für die Gegner. Moderatorin Nicole Frank hat im Gespräch die wichtigsten Streitpunkte angezogen, Dimitri Rougy konnte seine besten Argumente platzieren.

In diesem Sinne sind wir überzeugt, sachgerecht und ausgewogen berichtet zu haben. Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich habe den Eindruck, dass Sie vieles verwechseln: Sie verwechseln die Varianten der Beanstandungen. Sie verwechseln Initiative und Referendum. Sie verwechseln unkritisch vermittelte Einzelauftritte mit Pro- und Kontra-Auftritten. Sie verwechseln die Rolle von Journalistinnen und Journalisten. Sie verwechseln die Argumente der Komitees. Ich verstehe zwar, dass jemand, der in einem Abstimmungskampf in einem bestimmten Lager steht, nervös wird, wenn die Argumente der Gegenseite viel Raum erhalten, und alles nur noch durch eine gefärbte Brille sieht. Dennoch sollte man bei den Fakten bleiben.

Zuerst zum Formalen: Was Sie beanstanden, gehört nicht zum «übrigen publizistischen Angebot der SRG». Dazu gehören Online-Artikel, Videos auf Facebook usw. Was Sie beanstanden, ist eine Sendung. Nur beim «übrigen publizistischen Angebot» gilt das Vielfaltsgebot vor Wahlen und Abstimmungen ausschliesslich für Dossiers, also für ganze Artikelserien, wie Artikel 5a des Radio- und Fernsehgesetzes sagt.[11] Aber erstens handelt es sich nicht, wie Sie meinen, um einen Teil eines Abstimmungsdossiers des «übrigen publizistischen Angebots», sondern um eine einzelne Sendung. Zweitens gilt für Sendungen das Vielfaltsgebot in der «heißen Phase» vor Abstimmungen absolut, also eigentlich für jede Sendung, sofern sie Argumente der Kontrahenten spiegelt. Die «heiße Phase» beträgt nach der Rechtsprechung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) rund sechs Wochen. Sie begann also diesmal am 14. Oktober 2018. In dieser Phase gelten erhöhte journalistische Sorgfaltspflichten. Da die «Rundschau» in der Reportage den Befürwortern des Gesetzes die Möglichkeit gab, ihre Sicht der Dinge zu spiegeln, gab sie im Interview den Gegnern die Möglichkeit, dagegen zu halten. Und genau deshalb hatte Andreas Dummermuth, Leiter der IV-Stelle Schwyz, keine Plattform, die nicht kritisch hinterfragt wurde, im Gegenteil. Mit dem «Verbot» von Einzelauftritten ist beispielsweise gemeint, dass Wahlkandidaten kurz vor dem Wahltag nicht lobend dargestellt werden dürfen, ohne dass ihre Konkurrenten die gleiche Möglichkeit erhalten.

Eigentlich hat Herr Poletti in der Stellungnahme der Redaktion schon alle Irrtümer geklärt. Ich möchte daher nur nochmals betonen, dass es zur Rolle der Journalistinnen und Journalisten gehört, in Befragungen stets die Gegenposition zum Befragten einzunehmen, völlig gleichgültig, ob die betreffende Journalistin oder der betreffende Journalist diese Gegenposition persönlich teilt. Nicole Frank hat das vorbildlich umgesetzt. Und wie schon Herr Poletti schrieb: Dimitri Rougy hat sehr gut gekontert. Es gelang ihm vortrefflich, den Vorteil, den Andreas Dummermuth durch die Reportage hatte, wettzumachen. Die «Rundschau» hat an keiner Stelle etwas falsch gemacht. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung


[1] https://www.srf.ch/sendungen/rundschau/knatsch-um-bio-kueken-iv-detektive-dimitri-rougy-usa-reportage

[2] Der Bundesrat hat am 22. Februar 2017 den Observationsartikel 43a ATSG in die Vernehmlassung gegeben und in seinen Erläuterungen dazu geschrieben: «Die Person kann an frei zugänglichen und einsehbaren Orten überwacht werden. Gemäss BGE 137 I 327 kann davon ausgegangen werden, dass eine versicherte Person, die freiwillig an einem ohne weiteres öffentlich einsehbaren Ort Tätigkeiten ausübt, auf den Schutz ihrer Privatsphäre verzichtet. Von jedermann frei einsehbar bedeutet, dass die Tätigkeit von blossem Auge zu gegebener Tageszeit erkennbar ist. Der Innenbereich des Hauses, in dem die versicherte Person wohnt, bildet keinen ohne weiteres öffentlich frei einsehbaren Raum».

[3] Im Ständerat äussert sich der Sprecher der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, Ständerat Konrad Graber am 14.12.2017 während der Debatte in folgendem Sinn: «Bildhaft dargestellt und so in der Kommission beschlossen, will die Mehrheit Ihrer Kommission Folgendes: Der Ermittler darf von der Strasse aus jemanden auf der Strasse observieren. Dies darf er auch von der Strasse in einen Garten, wenn dieser frei einsehbar ist. Hingegen wäre es nicht zulässig, von der Strasse durch ein Fenster in die Stube zu observieren. Das war die Idee und die Meinung Ihrer Kommission.»

[4] https://www.srf.ch/sendungen/rundschau/sozialdetektive-ruth-humbel-politik-tv-moerder-kult

[5] Der «Tages-Anzeiger» thematisiert am 23.2.2018, dass SVP-Bundesrat Maurer sich – anders als seine Partei – einen Vaterschaftsurlaub vorstellen kann. Anderes Beispiel: Am 20.9.2018 die «Weltwoche» vom «halben SVP-Bundesrat», weil BR Ueli Maurer die Steuervorlage 2017 unterstützt – ein Geschäft, das seine Partei kritisiert.

[6] Siehe NLMR 5/2016 -EGMR, S.3 (75).

[7] Abstimmungsbüchlein für die Vorlagen vom 25.11.2018, S. 29.

[8] Siehe https://versicherungsspione-nein.ch/. Zugriff am 12.11.2018.

[9] Siehe: https://versicherungsspione-nein.ch/content/7-argument/040_argumentarium_03.pdf. Zugriff am 13.11.2018.

[10] Vgl. dazu: https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2018/1491.pdf

[11] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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