SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

«Tagesschau»-Beiträge «Tiefe Arbeitslosigkeit in der Schweiz» und «Erste Bilanz zur Stellenmeldepflicht» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 8. Januar 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort die Beiträge «Tiefe Arbeitslosigkeit in der Schweiz» und «Erste Bilanz zur Stellenmeldepflicht».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die heutige Tagesschau brachte einen Bericht über die letzten Arbeitslosenzahlen in der Schweiz, publiziert durch das SECO. Diese SECO-Zahlen berücksichtigen weder die Langzeitarbeitslosen noch die Ausgesteuerten und sind somit wenig aussagekräftig und international nicht zu vergleichen. Denn international gilt der ILO-Standard. Und nach diesem ILO-Standard wäre die CH-Arbeitslosenrate eben nicht bei 2.6% sondern eher nahe 5.0%, also sogar höher als in Deutschland!

Wieso klärt SRG die Zuschauer von der Tagesschau nicht über diese Tatsachen auf? Ist es nicht der Auftrag der SRG, umfassend zu informieren?

Meines Erachtens wurden hier von der SRG mutwillig wichtige Fakten unterschlagen, um den Fernsehzuschauer im Glauben zu lassen, alles wäre bestens auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Dies ist natürlich ganz im Sinne vom SECO, dem Bundesrat und allen anderen Befürwortern einer uneingeschränkten Einwanderung.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:

«Mit Mail vom 8. Januar hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom gleichen Tag eingereicht. Beanstandet wird die Berichterstattung über die Arbeitslosenzahlen, welche das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO publiziert hatte.

Der Bericht zu den Arbeitslosenzahlen (ab 03:49) ist Teil einer umfassenden Berichterstattung über den Arbeitsmarkt in der Schweiz. Gleich im Anschluss an die aktuellen Dezemberzahlen wird eine kritische Bilanz über die Stellenmeldepflicht bei den Regionalen Arbeitsämtern RAV gezogen (ab 04:55 bis 08:05). Diese Bilanz zur Stellenmeldepflicht, also zum sogenannten Inländervorrang fällt durchzogen aus. Es ist also nicht so, dass das Schweizer Fernsehen an diesem Tag vermittelt hat, alles sei bestens auf dem Schweizer Arbeitsmarkt.

Statistiken

Der Beanstander verweist auf verschiedene Statistiken mit unterschiedlichen Berechnungsmethoden hin. Die Bundesbehörden erheben selber diese zwei unterschiedlichen Statistiken zur Arbeitslosigkeit, respektive zur Erwerbslosigkeit:

- Monatlich mit der Arbeitslosenstatistik des SECO, welche die bei den RAV registrierten Arbeitslosen berücksichtigt. Diese erscheinen monatlich und sind eine Woche nach Monatsschluss verfügbar.

- Quartalsweise mit der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung SAKE, welche die Erwerbslosigkeit nach dem Standard der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bemisst. Derzeit ist es so, dass die aktuellst verfügbaren Zahlen die Periode Juli bis September 2018 betreffen. Mitte Februar 2019 erscheinen die Zahlen für Oktober bis Dezember 2018. Es ist richtig, dass die Zahlen gemäss ILO-Standard höhere Werte ausweisen; die ‘Erwerbslosigkeit’ ist aber auch nicht punktgenau zu eruieren.

Gemäss Auffassung der Verantwortlichen des Bundes haben beide Statistiken ihre Berechtigung. Die Wirtschaftsredaktion wie auch die betroffene Senderedaktion Tagesschau teilen diese Meinung. Es wäre also falsch, die beiden Statistiken gegeneinander auszuspielen. Um - mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung - einen internationalen Vergleich anzustellen, eignen sich die Zahlen der SAKE des Bundesamts für Statistik in der Tat besser.

Um die relative Veränderung der Arbeitslosigkeit und den aktuellst möglichen Zustand des Arbeitsmarktes beschreiben zu können, müssen hingegen die Arbeitslosenzahlen des SECO herangezogen werden. Anfangs Jahr interessieren die aktuellsten Zahlen; diese sind diejenigen des SECO – wie viele Menschen sind aktuell am Ende des Jahres bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsämtern gemeldet.

Wenn nun der Verfasser der Beanstandung den Standpunkt vertritt, SRF dürfte über die Arbeitslosenzahlen des SECO gar nicht mehr berichten, ohne im gleichen Beitrag auch die andere Statistik zu erwähnen (der beanstandete Bericht hatte eine Dauer von 1‘04“), müssen wir widersprechen. Die Arbeitslosenzahlen des SECO sind eine relevante Grösse in der wirtschaftspolitischen Diskussion.

Die Wirtschaftsredaktion wird zu gegebener Zeit auch die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SAKE des Bundesamts für Statistik wieder thematisieren.

Langzeitarbeitslose und Ausgesteuerte

Schweizer Fernsehen SRF ist sich der vom Beanstander angesprochenen Thematik sehr bewusst. Sie hat in verschiedenen Sendungen und Beiträgen die Probleme von Langzeitarbeitslosen thematisiert; hier zwei Beispiele mit Betroffenen, welche dem Thema über die rein statistischen Zahlen hinaus ein Gesicht geben.

In einem DOK-Film unter dem Titel «50+ und arbeitslos» kamen Betroffene sehr ausführlich zu Wort (7. Juni 2018).[2] Die Sendung 10v10 vom 13. Oktober 2017 widmete sich in einem Fokus den Ausgesteuerten.[3]

Fazit

Die Tagesschau hat sachgerecht über die neusten Arbeitslosenzahlen des SECO berichtet. Sie ist sich der Problematik der SECO-Statistik bewusst, welche sich auf die bei den Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen RAV gemeldeten Personen abstützt. Das Schweizer Fernsehen wird auch in Zukunft die Thematik der Langzeitarbeitslosen und der Ausgesteuerten immer wieder in ihr Programm aufnehmen.

Den Vorwurf, wir hätten mutwillig Fakten unterschlagen, um das Publikum in einem falschen Glauben über den Zustand des Arbeitsmarktes zu lassen, weisen wir zudem in aller Form zurück.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann nachvollziehen, dass Sie sich ärgern, wenn Sie wissen, dass es neben der in der «Tagesschau» vom 8. Januar 2019 referierten Statistik noch eine andere Statistik gibt, die international besser vergleichbar ist. Ein erklärender Satz dazu im Kurzbericht der «Tagesschau» wäre nützlich gewesen. Es wäre die Aufgabe des Präzisionsjournalismus – jenes Konzepts, das sich um sozialwissenschaftliche Daten, Statistiken und Demoskopie kümmert -, die Zahlen richtig einzuordnen.

Anlass war allerdings die Medienorientierung des SECO über seine Zahlen. Deren Wiedergabe war korrekt und sachgerecht. Und Sie unterstellen der «Tagesschau» zu Unrecht, dass SRF den Auftrag hat oder sich vornimmt, «ganz im Sinne vom SECO, dem Bundesrat und allen anderen Befürwortern einer uneingeschränkten Einwanderung» zu berichten. Die Aufgabe aller Medien, auch von Radio und Fernsehen SRF, ist es, gegenüber Bundesrat und Parlament eine kritische Haltung einzunehmen. Und genau dies beweist ja der Kommentar von Bundeshaus-Korrespondent Andy Müller im zweiten Beitrag.

Ich komme daher zum Schluss, dass die beiden Beiträge der «Tagesschau» vollkommen korrekt sind, wenngleich ein zusätzlicher erklärender Satz mit einem Hinweis auf die andere Statistik wünschenswert gewesen wäre. Aber durch das Fehlen dieses Satzes verletzte der Beitrag die Sachgerechtigkeit noch nicht. Darum kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-08-01-2019-1930?id=d6b8894a-9519-45d6-9092-841c6c6209cd

[2] https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/50-und-arbeitslos---wege-aus-der-altersfalle?id=9cd04f71-8592-4954-b412-1bb6ccd5d144

[3] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-das-schwierige-leben-der-ausgesteuerten?id=1020f5be-de4d-4923-8297-db7d8253e56

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