Illustration: Zeigefinger streckt sich in die Luft
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Beitrag «Ehe für alle» der «Tagesschau» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 18. Februar 2019 haben Sie den «Tagesschau»-Beitrag «Ehe für alle» vom 15. Februar 2019 beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

Fristgerecht erhebe ich Beanstandung gegen die oben erwähnte Sendung gemäss des geltenden RTVG, infolge einseitiger, teils falscher- sowie unsittlicher Berichterstattung.

1. Der Beitrag wurde in klarer «pro Ehe für alle» Haltung anmoderiert, was klar nicht neutral war, sondern dazu geeignet, die Meinung unbefangener Zuseher zubeeinflussen.

2. Es wurden teilweise falsche Tatsachen behauptet, wie folgende:

  • Es ist wahr, dass in Deutschland die sogenannte Ehe für alle eingeführt wurde, jedoch wurde in keinem Wort erwähnt, dass sowohl die AfD, sowie Teile der CDU und CSU da­gegen Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben und es ist sehr gut mög­lich, dass dieser Klage stattgegeben wird unddiese Form von Ehe wieder untersagt. (Stand 18. Februar2019)
  • Ebenso plant die Regierung Kurz in Österreich, mittels einer Verfassungsänderung diese Form von Ehe wieder zu verbieten und somit das Urteil des Verfassungsgerichts obsolet zu machen.
  • Die aktuelle Regierung in Italien will das neue Gesetz, welches die eingetragene Partner­schaft erlaubt, wieder rückgängig machen, trotz Protesten aus Brüssel und Strassburg.

3. Im Beitrag wurden mehrere, sich küssende, betatschende und in sexuellen Posen gefilmte Män­ner gezeigt, das gleiche unter Frauen, dies verstösst eindeutig gegen das Sittlichkeitsgebot und zwar aus folgenden Gründen:

  • Sich küssende und betatschende des gleichen Geschlechts empfinden sehr viele Zu­schauer als widernatürlich und abstossend.
  • Solche Szenen sind eindeutig sexuell.
  • Es verletzt den Kinderschutz klar, denn viele Kinder und Jugendliche sehen sich die Ta­gesschau um 19.30 Uhr an und diese dürften schockiert sein ab solchen, nicht altersge­rechten Bildern und schlimmer noch, sie könnten glauben, solches Verhalten sei natür­lich und normal.

4. Es wurde kaum erwähnt, dass mit der Einführung der «Ehe für alle» auch die Adoption erlaubt wäre:

  • Es scheint, dass dieser Punkt bewusst nur am Rande erwähnt wurde, denn SRF dürfte klar sein, dass die Adoption für Gleichgeschlechtliche von den meisten Menschen abge­lehnt wird, da bekannt ist, dass diese dem Kind schadet.

Ich bitte Sie, vorliegende Beanstandung gutzuheissen, bzw. die von mir beanstandeten Punkte zu rügen. Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen im Voraus.

B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stv. Redaktionsleiter, Redaktion «Tagesschau», schrieb:

Mit Mail vom 18. Februar 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 15. Februar eingereicht. Es geht um die Berichterstattung über den Entscheid der Rechtskommission des Nationalrates zur Öffnung der Ehe im Zivilrecht (inklusive Bürgerrecht und Zugang zur Adoption). Die Kommission hat den Vorentwurf mit 19 Ja- zu 4 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung verabschie­det.[1]

Grundlage der Behandlung ist eine Parlamentarische Initiative der GLP-Fraktion vom Dezember 2013, welcher die Räte Folge geleistet haben.[2]

Die Tagesschau hat dem Thema einen Schwerpunkt gewidmet – im ersten Beitrag geht es um die Dis­kussion in der Schweiz, im zweiten Beitrag um einen Überblick über die gegenwärtige Rechtslage in Europa (Schlagzeile zu Beginn und Beiträge ab 06:55)[3]

Die Tagesschau nimmt zu den einzelnen Kritikpunkten wie folgt Stellung.

Moderation

Entgegen der Beanstandung ist die Anmoderation zu beiden Beiträgen sachlich und neutral. Die Ta­gesschau kann in beiden Moderationen keine «pro Ehe für Alle» Haltung erkennen. In der ersten Mo­deration wird Bezug auf die Diskussion in der Schweiz genommen, insbesondere auf die Haltung der CVP, welche mit einer Initiative den Begriff der Ehe auf eine Beziehung zwischen Mann und Frau in der Verfassung schreiben wollte. In der zweiten Moderation wird die jetzt gültige Rechtssituation in Europa mit einer Grafik dargestellt.

«Falsche Tatsachen»

Die Tagesschau hat die derzeit gültige Rechtssituation dargestellt; diese wird vom Beanstander auch nicht bestritten. Allfällige Pläne und Erklärungen der neuen Regierungen in Österreich und Italien, von einzelnen Exponenten oder während des Wahlkampfes gemachte Versprechungen, die Rechtslage zu ändern, können nicht Basis für die Berichterstattung in der Tagesschau sein. Zudem hat der Beanstan­der die Aussichten von Änderungen des gültigen Rechtes ungenau oder falsch dargestellt.

Mittlerweile hat die Regierung in Wien nämlich den Entscheid des Verfassungsgerichtes akzeptiert; dies gaben die Clubs (Fraktionen) der beiden Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im letzten Oktober in einer gemeinsamen Erklärung bekannt.[4]

In der Bundesrepublik Deutschland hat die Regierung des Freistaates Bayern auf eine Klage beim Bun­desverfassungsgericht in Karlsruhe verzichtet. Dies aufgrund von Gutachten, welche die Chancen ei­ner Klage als gering eingestuft hatten.[5]

Auf Anfrage der Tagesschau antwortete die Medienstelle des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe mit Mail vom 4. März 2019 wie folgt:

Sehr geehrter Herr Lustenberger,

derzeit sind (im Verfahrensregister) keine Verfahren zur «Ehe für alle» anhängig.

Beste Grüße,

Dr. Max Schoenthal

Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts

Die Tagesschau muss sich in ihrer Berichterstattung darauf stützen, was aktuell geltendes Recht ist. Alles andere wäre politisch willkürlich.

«Unsittlichkeit»

Die «öffentliche Sittlichkeit» hängt stark von herrschenden sozialen und gesellschaftlichen Werten ab. Was vielleicht vor 50 Jahren noch unsittlich galt, ist heute gesellschaftlich akzeptiert. Das Strafrecht wie auch moralische Vorstellungen sind immer im Wandel.

In den meisten Kantonen der Schweiz waren homosexuelle Handlungen früher unter Strafe gestellt, seit dem Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches 1942 ab dem 20. Altersjahr aber legal. Seit 2007 ist es möglich, dass gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft eintragen lassen können. Die «Ehe für alle» gibt es in der Schweiz nicht, ist aber in der politischen Diskussion. Das zeigt, dass sich die sozialen und gesellschaftlichen Werte in diesem Bereich geändert haben.

Sich küssende Paare gleichen Geschlechts mögen für gewissen Personen zwar stossend erscheinen, unsittlich in Bezug auf die herrschenden sozialen und gesellschaftlichen Werte sind solche Bilder aber nicht. Die Tagesschau kann in diesen Bildern keine Verletzung der Vorschriften des Radio- und Fern­sehgesetze (RTVG) oder der bundesrätlichen Konzession erkennen.

Die Tagesschau zeigt drei Paare aus Österreich, Deutschland und den Niederlanden (jeweils die ersten Paare, die nach neuem Recht heirateten) am Tag ihrer Hochzeit. Sie bekennen sich zueinander, ver­sprechen sich Treue und geben sich einen Hochzeitskuss. Die Tagesschau kann die Wortwahl des Be­anstanders («sich betatschend», «sexuelle Szenen») nicht nachvollziehen. Der Hochzeitskuss gehört zu einer Trauung wie das Tauschen der Ringe. Die Tagesschau teilt auch die Auffassung des Bean­standers nicht, mit diesen Kussszenen werde der Kinderschutz verletzt.

Adoption

Der Vorwurf, die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare werde nur am Rande erwähnt, zielt ins Leere. Christian Ineichen, Präsident der CVP Kanton Luzern, begründet seine Skepsis gegenüber den Vorschlägen gerade mit Aspekten der Fortpflanzungsmedizin und dem Recht von homosexuellen Paaren, Kinder adoptieren zu können. Auch Nationalrätin Andrea Gmür-Schönenberger kommt auf den Aspekt der Adoption zu sprechen.

Fazit

Die Tagesschau bittet Sie, die Beanstandung aufgrund der Begründungen im Sinne der Redaktion zu beantworten und sie nicht zu unterstützen.

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Beitrages. Sie beanstanden den «Tages­schau»-Beitrag «Ehe für alle», der aus den Teilen «Uneinigkeit innerhalb der CVP»[6]und «Der Ver­gleich mit dem Ausland»[7]besteht.

Dabei werfen Sie den Verantwortlichen einseitige, teils falsche sowie unsittliche Berichterstat­tung vor und vertiefen in vier Punkten Ihre Beanstandung. Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stell­vertretender Redaktionsleiter der «Tagesschau», hat eine ausführliche Stellungnahme geschrie­ben, in der er auf sämtliche Ihrer Vorwürfe detailliert eingeht. Ich pflichte ihm in jedem einzel­nen Punkt bei und gehe daher nur noch auf wenige Bereiche ein.

Eine «Pro Ehe für Alle»-Haltung des Moderators lässt sich in keinem der beiden Moderationsteile erkennen. Der Moderator, Franz Fischlin, hält sich strikt an Fakten und informiert das Publikum sach­lich sowie neutral. Von einer Beeinflussung der Zuschauerinnen und Zuschauer kann nicht die Rede sein. Ihr Vorwurf, die «Tagesschau» hätte falsche Tatsachen verbreitet, wird in der Stellungnahme schlüssig widerlegt und es ergibt sich von selbst, dass sich eine Informationssendung auf die aktuell geltende Rechtslage abstützen muss. Was die Unsittlichkeit beziehungsweise öffentliche Sittlich­keit im Zusammenhang Radio- und Fernsehsendungen anbelangt, arbeitet Denis Masmejan im Stand­ardwerk zum Radio- und Fernsehgesetz heraus, was damit gemeint und was nicht gemeint ist. Nicht gemeint sei beispielsweise eine Sendung über homosexuelle Lebensrealität. Ebenso ein Bei­trag, der auf gewisse Sexualpraktiken hinweise, falle nicht darunter. Auch das Porträt einer Frau, die eine Art sexuellen Marathon durchlaufen habe, verletze das Gesetz nicht. Ein Film hingegen, der sado-masochistische Praktiken in einer voyeuristischen Weise zeige, verstosse gegen die öffentliche Sittlich­keit. Gleichermassen auch Filmszenen, in denen Jugendliche zum Sexualobjekt gemacht werden, um den Voyeurismus der Erwachsenen zu befriedigen. Sie sehen, der «Tagesschau»-Beitrag verstösst in keiner Art und Weise gegen die öffentliche Sittlichkeit. Ebenso wenig tangieren die Kuss­sze­nen den Kinderschutz. Ihr letzter Vorwurf, die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare werde nur am Rande erwähnt, lässt sich leicht widerlegen. Sowohl Herr Christian Ineichen, Präsident der CVP Kanton Luzern als auch Frau Nationalrätin Andrea Gmür-Schönenberger nehmen zum Aspekt der Adoption Stellung.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer wurden weder beein­flusst, noch wurden falsche Tatsachen ver­brei­tet. Das Publikum konnte sich frei eine eigene Meinung bilden. Von einer einseitigen, teils falschen sowie unsittlichen Berichterstattung ist nichts zu sehen. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ich Ihre Beanstandung in keinem Punkt unterstützen kann.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernseh­gesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Manfred Pfiffner, stellvertretender Ombudsmann


[1]https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-n-2019-02-14.aspx

[2]https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20130468

[3]https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-15-02-2019-1930?id=5d0a297d-902e-4579-8fec-f4c448a563f4

[4]https://diepresse.com/home/innenpolitik/5511664/TuerkisBlau-akzeptiert-Ehe-fuer-alle

[5]https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/bundesverfassungsgericht-bayern-ehe-fuer-alle-klage

[6]https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=5d0a297d-902e-4579-8fec-f4c448a563f4&startTime=415.96

[7]https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=5d0a297d-902e-4579-8fec-f4c448a563f4&startTime=575.306

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