Bild von Beitrag: «Terror-Attacke im Livestream: Facebook versagt bei der Kontrolle» von «Tagesschau» beanstandet
SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Beitrag: «Terror-Attacke im Livestream: Facebook versagt bei der Kontrolle» von «Tagesschau» beanstandet

5829
Mit Ihrer E-Mail vom 17. März 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Terror-Attacke im Livestream: Facebook versagt bei der Kontrolle».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Dass in der Tagesschau vom 17.03.2019 um 19:30 Bilder von der Helmkamera des Attentäters in Neuseeland gezeigt wurde motiviert nur zu weiteren Taten. Es sollen überhaupt keine Bilder gezeigt werden und diesem Extremismus keine Plattform geboten werden. Wie kann man als Redaktion sowas zulassen? Bitte intervenieren Sie!»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:

«Mit Mail vom 17. März 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom gleichen Abend eingereicht. Es geht um die Berichterstattung zum Terrorakt in Christchurch, konkret um die Verwendung von Bildern aus der Helmkamera des Attentäters.

Die Beanstandung trifft einen zentralen Punkt des Journalismus in einer Zeit, in der jedes Ereignis – und sei es noch so grausam – innert kürzester Zeit dank Videotechnik und den sozialen Medien weltweit in Bildern verbreitet werden kann. Im konkreten Fall kommt noch ein neues Element hinzu; der Attentäter filmt seinen Terrorakt und verbreitet ihn via Facebook gleich live.

Die Publizistischen Leitlinien von Schweizer Radio und Fernsehen SRF halten zum Thema Terror in Punkt 8.5 fest: <In der Berichterstattung über politisch motivierte Gewaltanwendung ist darauf zu achten, dass Diktion und Forderungen der Täter nicht übernommen werden .... Da Terrorismus primär eine propagandistische Wirkung sucht und Amokläufer öffentlich wahrgenommen werden wollen, sind die Medien bei diesem Thema nicht nur Beobachter, sondern zugleich Akteure. Wir müssen also dafür sorgen, dass Täter möglichst wenig Gelegenheit bekommen, sich zu profilieren und – in der Wahrnehmung von Fanatikern oder psychisch Labilen – gar zu Helden werden. SRF verzichtet deshalb darauf, Bilder und Namen von Attentätern und Amokläufern zu veröffentlichen. Dasselbe gilt für Propagandamaterial der Täter oder aufgezeichnete Videobotschaften.>[2]

Streng genommen ist der Fall klar: Aufgrund der Publizistischen Leitlinien hätten keine selbstgemachten Bilder des Attentäters verwendet werden dürfen.

Wenn wir den Fokus des zwei Tage nach dem Terrorakt ausgestrahlten Beitrages anschauen, wird die Sache ein bisschen komplizierter. Die Berichterstattung machte in der Moderation die Anteilnahme der neuseeländischen Bevölkerung und daran anschliessend im Beitrag nicht den Terrorakt an sich, sondern das Neue, konkret die live-Übertragung durch den Attentäter im sozialen Netzwerk zum Thema. Diese neue Qualität, dieser ‘Missbrauch’ von Sozialen Medien und die Verantwortung der entsprechenden Plattformen muss von Nachrichtensendungen thematisiert werden. Auch die neuseeländische Premierministerin hat an diesem Sonntag das Thema aufgeworfen und Klartext gesprochen; sie will mit Facebook darüber sprechen. Der beanstandete Beitrag geht also in einer Vertiefung und einem Gespräch mit einem Experten auf die Rolle und die Verantwortung sozialer Medien ein.

Die Frage ist: Sollen Bilder gezeigt werden, um die Thematik der Verantwortung der Betreiber von Online-Plattformen behandeln zu können? Was ist zur Illustration eines Tatbestandes (live-Übertragung durch Facebook) letztlich nötig? Die Tagesschau hat sorgfältig abgewogen und sich in dieser schwierigen Situation entschieden, keine Bewegtbilder der abscheulichen Tat zu zeigen, sondern zurückhaltend, in sogenannten ‘stills’, einzeln ausgewählte Bilder zu zeigen. Es waren keinerlei Gewaltszenen zu sehen, und nachdem die Fragestellung zu den Sozialen Medien bei uns auf dem Sender abgehandelt war, wurden die Bilder bewusst nie mehr eingesetzt.

Wir sind uns sehr bewusst, dass der Umgang mit diesen Bildern eine heikle Gratwanderung ist. Wir führen intern bei jedem neuen Attentat eine intensive Diskussion. Im vorliegenden Fall sind wir selbst gespannt, wie die Ombudsstelle den Fall beurteilt.

Zwei Sachen sind klar – die live-Übertragung des Attentats von Christchurch durch den Attentäter wird nicht die letzte dieser Art sein und die totale Kontrolle durch die Online-Plattformen wird nicht realisierbar sein.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Als ich Ihre Beanstandung las, ohne die Sendung schon gesehen zu haben, fand ich: Ein Video aus der Perspektive des Täters – das geht gar nicht! Aber was geht eigentlich gar nicht? Es ist unzulässig, dass seriöse und verantwortungsbewusste Medien sich zum verlängerten Propaganda-Arm von Terroristen machen lassen, in dem sie freiwillig deren Manifeste verlesen oder deren Werbe-Videos zeigen. Es ist unzulässig für sie, dass sie Grausamkeiten von Terroristen wiedergeben (beispielsweise Enthauptungen durch den IS) und ihnen damit jene Bühne verschaffen, die sie suchen. Es ist unzulässig, Terroristen in einer Heldenrolle zu zeigen. Die «Publizistischen Leitlinien» von SRF umschreiben das alles sehr schön.

Der «Tagesschau»-Beitrag, den Sie beanstanden, verkörpert allerdings keine Ereignisberichterstattung, sondern Hintergrundberichterstattung . Das heißt: Er leuchtet hinter die Ereignisse, stellt Zusammenhänge her, ordnet ein. Diese Einordnung nimmt Peter Buchmann, Digitalexperte von SRF, vor. Letztlich ist der Beitrag eine Kritik an Facebook, das viel zu spät und erst durch die Intervention der Polizei auf die auf seinen Seiten massenhaft vorhandenen Täter-Videos reagiert hat. Was SRF aus Täterperspektive gezeigt hat, war letztlich nur eine Illustration dessen, was da in den Social Media passiert ist. Der Ausschnitt war an keiner Stelle propagandistisch oder gewaltverherrlichend.

Mein Fazit ist daher etwas zwiespältig: Grundsätzlich gebe ich Ihnen Recht. Ihre Kritik verdient Unterstützung. Bezogen auf den konkreten «Tagesschau»-Beitrag hingegen finde ich Ihre Beanstandung nicht begründet. Ich kann daher die generelle Stoßrichtung unterstützen, die konkrete hingegen nicht.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


Roger Blum, Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/terror-attacke-im-livestream-facebook-versagt-bei-der-kontrolle?id=73516218-88f3-46d9-afe1-4d4432f9fefd

[2] https://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf

Diese Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Bild von Über die Relevanz von «Tagesschau»-Beiträgen

Über die Relevanz von «Tagesschau»-Beiträgen

Ombudsmann Roger Blum hatte sich bei einer Beanstandung der «Tagesschau» vom 30. April 2017 vor allem mit der Relevanz verschiedener Beiträge zu befassen. Welche Informationen sind relevant genug, damit sie es in die «Tagesschau» schaffen? Welchen Fokus wählt die Redaktion bei einem Ereignis und warum?

Weiterlesen

Bild von «50 Jahre Sechstagekrieg» beschäftigt auch den Ombudsmann

«50 Jahre Sechstagekrieg» beschäftigt auch den Ombudsmann

Ombudsmann Roger Blum behandelte eine Beanstandung des «Tagesschau»-Beitrags «50 Jahre Sechstagekrieg». Ein Fernsehzuschauer bemängelt den Bericht als unvollständig, einseitig und nicht sachgerecht. Zudem kritisiert er den Interviewpartner als antiisraelisch. Ombudsmann Roger Blum wertet den «Tagesschau»-Bericht und den gewählten Interviewpartner als zulässig. Allerdings hätte die unmittelbare Vorgeschichte des Sechstagekrieges gemäss Blum erwähnt werden müssen.

Weiterlesen

Bild von Beanstandung eines «Tagesschau»-Beitrags teilweise unterstützt

Beanstandung eines «Tagesschau»-Beitrags teilweise unterstützt

Der «Tagesschau»-Beitrag vom 10. Juni 2019 zum Bauprojekt eines dritten Hafenbeckens in Basel und dem damit verbundenen Projekt Gateway Basel Nord wurde als einseitig beanstandet. Ombudsmann Roger Blum unterstützt die Beanstandungen teilweise.

Weiterlesen

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Teilen Sie uns Ihre Meinung mit (bitte beachten Sie die Netiquette und Rechtliches)

Lade Kommentare...
Noch keine Kommentare vorhanden

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht