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«Rundschau»-Beitrag «Sozialhilfe kürzen: Der strengste Regierungsrat» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 25. April 2019 beanstandeten Sie die «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom 24. April 2019 und dort den Beitrag «Sozialhilfe kürzen: Der strengste Regierungsrat».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Beziehe mich auf die oben erwähnte Rundschau Sendung. Leider erhielten von dieser Sendung viele Fernsehzuschauerinnen und Zuschauer, welche die Details der Gesetzesgrundlage für die Kürzung der Sozialhilfe im Kanton Bern nicht kennen, eine komplett falschen Eindruck. Aus diesem Grunde sehe ich mich gezwungen, diese Sendung bei der Ombudsstelle des SRF zu beanstanden.

Tatsache ist nämlich, dass der Regierungsrat des Kantons Bern auf Antrag des Grossen Rates die Sozialhilfe kürzen will; denn die Abstimmungsvorlage des Gesetzes betr. Kürzung der Sozialhilfe basiert auf einen Vorstoss von Grossrat Ueli Studer, welcher als Gemeindepräsident und Vorsteher Soziales in Köniz aufgrund von Erfahrungen vor Ort für eine Kürzung der Sozialhilfe eine Motion einreichte! Diese Motion wurde im Berner Grossen Rat mit den Stimmen der SVP, FDP, BDP und EDU an den Berner Regierungsrat für eine Revision des Sozialhilfegesetzes überwiesen.

Der zuständige Berner Regierungsrat Schnegg hat die Revision des Sozialhilfegesetzes mit der Kürzung der Sozialhilfe aufgrund der Motion des Grossen Rates veranlasst (also hat Herr Schnegg mit der Kürzung der Sozialhilfe ‘für die Ärmsten’ einen Auftrag des Grossen Rates ausgeführt) und dem Berner Grossen Rat vorgelegt. Der Berner Grosse Rat hat dann diesem revidierten Sozialhilfegesetzes mehrheitlich zugestimmt. Das letzte Wort hat nun die Berner Stimmbürger im nächsten Monat Mai an der Urne.

Der Berner Regierungsrat Schnegg hat also mit der Revision des Sozialhilfegesetzes mit Kürzung der Sozialhilfe, wie bereits oben erwähnt, einen Auftrag des Berner Grossen Rates ausgeführt. Dies wurde in der Rundschau Sendung mit keinem Wort erwähnt. Ziel der Tagesschau-Redaktion war meiner Meinung nach mit dieser Sendung, ‘versteckte’ Werbung für ein NEIN für die Berner Abstimmung über das revidierte Sozialhilfegesetzes zu machen. Dieser absolut gerechtfertigte Vorwurf wird natürlich die Rundschau Redaktion zurückweisen!

Es wurde in dieser Rundschau-Sendung sehr oft nur von der SVP sowie von Herrn Schnegg gesprochen! Man konnte aufgrund dieser äusserst einseitigen Berichterstattung der Rundschau meinen, dass ausschliesslich die SVP und Regierungsrat Schnegg das revidierte Sozialhilfegesetz befürworten. Dies suggeriert man auch den Fernsehzuschauern mit dem Titel ‘Regierungsrat Pierre-Andrey Schnegg will bei den Ärmsten sparen’. Dass die allermeisten anderen Berner bürgerlichen Parteien auch JA für dieses revidierte Gesetz im Grossen Rat gestimmt haben und nun den Berner Stimmbürgern empfehlen, ebenfalls JA zu stimmen, wurde vollständig verschwiegen.

Mit dem Inhalt dieser Sendung hat leider die Rundschau-Redaktion die Sachgerechtigkeit im grössten Masse verletzt und wichtige Tatsachen verschwiegen. Ein solche unseriöse Berichterstattung ist skandalös und die verantwortlichen Tagesschau-Redaktion sollte in diesem Falle ‘hart’ gerügt werden!»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» antwortete Herr Mario Poletti, Redaktionsleiter der Sendung:

«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X.

Der Beanstander argumentiert, der Beitrag sei zu stark auf die Person von Regierungsrat Pierre Alain-Schnegg und die SVP fokussiert gewesen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Form der Personalisierung auch bei Mitgliedern von anderen Kollegialbehörden ein gängiges und legitimes Mittel der journalistischen Aufarbeitung ist. So ist in den Medien von ‘Sommarugas Asylpolitik’, ‘Leuthards Atomausstieg’ oder von ‘Bersets Rentenreform’ die Rede - auch wenn der gesamte Bundesrat hinter der Vorlage steht und auch wenn das Parlament einer Vorlage zugestimmt hat. Zu begründen ist diese Personalisierung ganz einfach mit der politischen Verantwortung der Regierungsperson, die ein Dossier mehrheitsfähig zur Umsetzung bringen muss.

Im konkreten Fall hat die Redaktion Bilder der Parlamentsdebatte zum Sozialhilfegesetz gezeigt und gesagt, dass Pierre-Alain Schneggs Pläne von den Linken scharf kritisiert werden und im bürgerlichen Lager gut ankommen. Im Beitrag lautet der Kommentarsatz wörtlich: <Schnegg polarisiert. Die Berner Linke ist entsetzt über seine Pläne. Im bürgerlichen Lager ist er so etwas wie ein Shootingstar. Vor allem in der SVP.> Auch in der Moderation wurde jedoch schon einleitend auf den bürgerlichen Support für Senkungen bei der Sozialhilfe verwiesen.

Weiter kritisiert der Beanstander, dass die ‘Rundschau’ die Rolle der SVP zu sehr in den Vordergrund gerückt habe. Tatsächlich war die Motion Studer (‘Kostenoptimierung bei der Sozialhilfe’, Motion 260-2012) Auslöser der Gesetzesrevision. Ueli Studer war langjähriger Sozialvorsteher der Gemeinde Köniz und ebenfalls SVP-Mitglied. Die Revision des Sozialhilfegesetzes ist also von der SVP angestossen worden. Es handelt sich um ein Kernanliegen der Partei, das die SVP schweizweit vorantreibt. So gibt es eine nationale Arbeitsgruppe unter der Führung von Alt-Nationalrat Ulrich Schlüer, welche die Sozialhilfe umbauen möchte. In mehreren Kantonen (unter anderem Aargau und Baselland) sind Vorstösse der SVP hängig, welche eine Senkung der Sozialhilfe zur Folge hätten.

Der Beanstander führt weiter an, dass der Sparauftrag (mit Annahme der Motion Studer) vom Grossen Rat gekommen sei und Regierungsrat Schnegg lediglich einen Auftrag des Parlaments umgesetzt habe. Wir möchten an dieser Stelle auf die Geschichte der Vorlage verweisen und gleichzeitig darlegen, warum eine Fokussierung auf die Person von Pierre Alain Schnegg in diesem Fall besonders gerechtfertigt ist. Der bernische Grosse Rat stimmte der Motion Studer bereits 2013 zu. Die Motion verlangte eine Senkung der Sozialhilfe um 10%. Der damals zuständige SP-Regierungsrat Philippe Perrenoud tat sich mit der Umsetzung aber schwer. Abgesehen von einigen punktuellen Sparmassnahmen brachte er keine Gesetzesrevision vor den Grossen Rat. Im Sommer 2016 übernahm dann Pierre-Alain Schnegg die bernische Gesundheits- und Fürsorgedirektion. Bereits Anfang Januar 2017 präsentierte er dann – nach jahrelangem Stillstand - einen Entwurf für die Umsetzung der Motion Studer (Nachzulesen z.B. in der Weltwoche vom 26.4.2018 ‘Mit Schnegg kam die Wende’).

Pierre Alain Schnegg hat aber nicht nur mit dem hohen Tempo gezeigt, dass ihm die Umsetzung der Motion Studer wichtig ist: Er hat die Reform auch persönlich stark geprägt und sich stark engagiert. (Vgl. z.B. Bund vom 5.1.2017, <Schnegg hat die eigenen Experten nicht beigezogen> oder Bund vom 25.1.2017 <Die Lex Schnegg>). Die Geschichte der Vorlage zeigt, dass die Reform der Sozialhilfe ein zentrales politisches Anliegen von Pierre Alain Schnegg ist. Aufgrund dieser Vorgeschichte der Vorlage erscheint uns der portraitmässige Zugriff und damit die Fokussierung auf die Person von Pierre Alain Schnegg absolut gerechtfertigt.

Fazit: Die Rundschau hat mit einem u.E. legitimen personalisierten Zugriff die hochemotionale Debatte rund um die geplante Kürzung der Sozialleistungen im Kanton Bern aufgezeigt. Dabei kamen sowohl der federführende Regierungsrat, politische Gegner und auch direkt Betroffene mit ihren besten Argumenten zu Wort.

Die Pro- und Contra-Stimmen waren transparent und ausgewogen verteilt, so dass sich das Publikum jederzeit eine eigene Meinung bilden konnte. Wir sind darum überzeugt, sachgerecht berichtet zu haben und bitten Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie haben Recht: Regierungsrat Pierre Alain Schnegg konnte sich mit dem revidierten Sozialhilfegesetz auf einen durch den Großen Rat überwiesenen Vorstoss stützen, also auf einen Parlamentsbeschluss. Er hätte auch etwas machen müssen, wenn er mit dem Parlamentsbeschluss in keiner Weise einverstanden gewesen wäre. Nur: Er war eben vollkommen einverstanden. Der Vorstoss lag ganz auf seiner eigenen Linie. Es war ihm daher hochwillkommen, dass das Parlament die Motion überwiesen hatte. Doch auch wenn er mit dem Parlamentsbeschluss nicht einverstanden gewesen wäre, hätte er Möglichkeiten gehabt, das Geschäft in seinem Sinne zu beeinflussen. Er hätte es verzögern können wie sein Vorgänger. Er hätte eine Vorlage vorlegen können, die nur teilweise den Vorgaben des Großen Rates entsprach. Er hätte dem Grossen Rat sogar beantragen können, auf die Sache zurückzukommen. Damit will ich sagen, dass ein Regierungsrat, der das politische Geschäft beherrscht, Vorlagen sehr stark prägen kann. Er kann der Politik in einem bestimmten Themenbereich seinen Stempel aufdrücken. Denken Sie nur – um eidgenössische Beispiele aufzugreifen – an Tschudis AHV-Politik, an Eglis Umweltpolitik, an Ogis Verkehrspolitik: Persönlichkeiten geben einen Kurs vor.

So war es auch bei Pierre Alain Schnegg: Er ist die Lokomotive. Er ist nicht der Getriebene, sondern der Treibende. Er hat die Rechnung bloss nicht mit dem Volk gemacht: Die bernischen Aktivbürgerinnen und Aktivbürger haben am 19. Mai 2019 das revidierte Sozialhifegesetz mit 158`396 gegen 142'774 Stimmen, mithin mit 52,6 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Aber sie haben ebenso Nein gesagt zu dem aus linken Kreisen lancierten Volksvorschlag, der sozialer ausgestaltet war: Er fiel mit 164'951 gegen 129'347 Stimmen durch, also mit einem Nein-Anteil von 56 Prozent. Da spielte es keine Rolle mehr, dass in der Stichfrage der Volksvorschlag mit 50,6 Prozent knapp den Vorzug erhielt; die Stichfrage war obsolet geworden.[2] Regierungsrat Schnegg, die Berner Regierung und das Berner Parlament müssen nun nochmals über die Bücher.

Wie hat die «Rundschau» dreieinhalb Wochen vor dieser Abstimmung Person und Sache gespiegelt? Ich finde, das Publikum sah ein sehr schönes, treffendes Kurzporträt von Regierungsrat Schnegg. Er wurde zwar als «Arbeitsbesessener» gezeichnet, beseelt vom protestantischen Ethos, aber er kam glaubwürdig herüber und man musste ihm Bewunderung zollen für seinen Einsatz. Ihm wurden Personen gegenübergestellt, die mit der Sozialhilfe zurechtkommen müssen. Es kam auch zum Ausdruck, dass Schnegg polarisiert und dass es Demonstrationen gegen ihn gibt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Auseinandersetzung um die Sozialhilfe verzerrt dargestellt worden ist. Schnegg konnte sich ausführlich äussern. Ihm entgegneten Fachleute und Betroffene. Die Sendung war ausgewogen, auch im Lichte der «heißen Phase» vor einer Abstimmung. Die Tonalität war zwar gegenüber der bürgerlichen Vorlage eher kritisch, aber niemand konnte soviel dazu sagen wie ihr entschiedenster Verfechter, nämlich Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/wer-gewinnt-gegen-trump-die-demokraten-und-ihre-truempfe?id=70ed3983-8d1c-4046-8ede-9df2aedddfdf

[2] https://www.bewas.sites.be.ch/navigation-de.html?content=/2019/2019-05-19/ABSTIMMUNG/ergebnisse-abstimmung-de.htm

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