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«Tagesschau»-Beitrag «Mehr Proteine . Empfehlung für Senioren» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 21. Juni 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 4. Juni 2019 und dort den Beitrag über die Empfehlungen an die Senioren, mehr Proteine zu sich nehmen. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Der obenerwähnte Beitrag ist voll mit Falschaussagen von Frau Bruggmann und den anderen Beteiligten. Hier wurde ein Beitrag ausgestrahlt ohne Ueberprüfung der Aussagen und ohne Gegenstimmen. Es ist erschreckend, was für grundlegend falsche Aussagen Frau Bruggmann und die anderen Beteiligten im Tagesschau-Beitrag vom 4. Juni machen. Sie gefährden damit in hohem Masse die Gesundheit von sehr vielen Seniorinnen und Senioren. Die im Bericht gemachten Aussagen widersprechen auf krasse Art und Weise der Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE, den Empfehlungen der Weltgesundheitsbehörde WHO, einer grossangelegten Studio der Harvard University sowie vielen modernen Erkenntnissen aus Medizin, Forschung und Ernährungswissenschaft (gerne gebe ich Ihnen dazu auf Wunsch vertiefte Informationen). Abgesehen davon bedeuten Ihre Aussagen das zusätzliche Leid und den Tod von sehr vielen Tieren, welche in erbärmlicher Massentierhaltung leiden. Dies aufgrund der wahrscheinlichen Möglichkeit, dass viele Seniorinnen und Senioren diesen Ratschlägen nun folgen werden. Im Bericht ist die Rede von ‘jüngsten Forschungsergebnissen’. Hat das SRF Einblick gehabt in diese sogenannten Forschungsergebnisse und hat SRF die Glaubhaftigkeit dieser Forschungsergebnisse gebührend geprüft, zum Beispiel wer der Auftraggeber dieser Forschungen/Studien ist und wer dahinter steckt (Sponsoren, Gönner etc.)?»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äusserte sich Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der Sendung:

«Mit Mail vom 7. Juni hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 4. Juni eingereicht. Es geht um den Beitrag über die Empfehlungen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Da der Beitrag auf dem SRF-Player nicht verfügbar ist, schickt SRF mit separater Post zwei Sticks mit dem beanstandeten Beitrag an die Ombudsstelle – einen Stick für die Ombudsstelle selber, einen Stick zum Weiterversand an den Beanstander.

Ausgangspunkt des Beitrages sind die Empfehlungen vom gleichen Tag, also vom 4. Juni. Der Beitrag rekapituliert die wichtigsten Empfehlungen; diese werden durch Aussagen eines anerkannten Altersmediziners ergänzt. Seniorinnen und Senioren an einem Mittagstisch geben Auskunft über ihre Essgewohnheiten, besonders mit Blick auf Proteine (Fleisch, Fisch, Eier, etc).[1] Die Empfehlungen des BLV stützen sich auf sehr umfangreiche Studien der Eidgenössischen Ernährungskommission EEK, welche in einem Bericht verschiedenste Themen der Ernährung im Alter erforscht hat.[2] Das Department of Health & Human Services (USA) kommt in einer Studie zum Schluss, dass Proteine bei älteren Personen von Bedeutung sein können im Vergleich zu derzeitigen Diät-Empfehlungen.[3]

Die Klinik für Geriatrie des Universitätsspitals Zürich hält zum Thema ‘Ernährung im Alter’ fest: <Eine gesunde, vielseitige Ernährung trägt wesentlich zu unserer Gesundheit bei. Mit zunehmendem Alter wird jedoch die Umsetzung einer gesunden vielseitigen Ernährung erschwert durch eine Veränderung unseres Geschmacksinnes, eine Verlangsamung der Magen-Darmtätigkeit und ein damit länger anhaltendes Völlegefühl. Oft begünstigt zudem eine eingeschränkte Zahngesundheit eine Mangelernährung älterer Menschen.

Folgen sind eine zu geringe Energiezufuhr, insbesondere bezogen auf Proteine (Eiweiss), aber auch ein Mangel wichtiger Mikronährstoffe wie Calcium, Vitamin B12, Folsäure und Vitamin D.

Der Mangel an Makro- und Mikronährstoffen führt zu einer Abnahme der Muskel und Knochenmasse, und erhöht damit das Sturz- und Knochenbruchrisiko, begünstigt Mobilitätseinschränkungen und Wundheilungsstörungen und führt zu einer Zunahme des Infektionsrisikos älterer Patienten.>[4]

In der Tabelle ‘Proteinquellen’ wird der Proteingehalt verschiedenster Lebensmittel aufgeführt.

Die von Liliane Bruggmann, Leiterin des Fachbereichs Ernährung im BLV und von Dr. Reto Kressig gemachten Aussagen sind also durch verschiedenste Untersuchungen gestützt. Sie geben Empfehlungen zum Protein in der täglichen Ernährung ab, die in keiner Art und Weise ‘gesundheitsgefährdend’ sind, wie dies der Beanstander der Tagesschau unterstellt. Aus dem Beitrag geht hervor, dass der Proteinbedarf eines Menschen auf verschiedenste Art und Weise gedeckt werden kann.

Der Beanstander verweist in seiner Eingabe auf die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE. Die SGE verweist auf ihrer Homepage direkt auf die Ernährungsempfehlungen des BLV; das entsprechende Merkblatt kann bei der SGE heruntergeladen werden.[5]

Die vom Beanstander angeführte Lebensmittelpyramide der SGE enthält folgenden Ratschlag:

<Täglich 3 Portionen Milch/Milchprodukte. 1 Portion entspricht: 2 dl Milch oder 150–200 g Joghurt/ Quark/ Hüttenkäse/ andere Milchprodukte oder 30 g Halbhart-/ Hartkäse oder 60 g Weichkäse.

Täglich zusätzlich 1 Portion eines proteinreichen Lebensmittels (z. B. Fleisch, Geflügel, Fisch, Eier, Tofu, Quorn, Seitan, Käse, Quark).>[6]

Die Tagesschau kann in diesen Empfehlungen der SGE keinen grundlegenden Widerspruch zu den Aussagen im beanstandeten Beitrag erkennen. Auch die Pro Senectute weist auf eine ausreichende Ernährung mit Eiweissen hin. Unter dem Titel <Essen Sie regelmässig Fleisch, Fisch und Milchprodukte> wird auf die Ernährung mit eiweiss-haltigen Lebensmitteln hingewiesen.[7]

Die Tagesschau legt Wert auf folgende Feststellung: Es handelt sich bei allen Aussagen in Moderation und Beitrag um Empfehlungen, nicht um Gebote oder Verbote. Das Essen liegt immer in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin. Jede und jeder spürt letztlich selber, was ihm oder ihr gut tut und was nicht. Seniorinnen und Senioren stehen oft in sehr engem Kontakt mit ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin; letztere wirken ebenfalls beratend bei gesundheitlichen Problemen. Die Ernährung wird bei solchen Arztbesuchen auch immer wieder thematisiert. Zudem stehen den Seniorinnen und Senioren sehr viele weitere Beratungsstellen zur Verfügung. In Alters- und Pflegeheimen sorgen die Küchenteams für eine ausgewogene Ernährung.

Auch die Tagesschau betrachtet eine nicht-tiergerechte Massentierhaltung als ethisch nicht vertretbar. Diese Fragen müssen aber auf politischer Ebene unter Einbezug aller Aspekte geregelt werden. Die Ernährungsempfehlungen für Seniorinnen und Senioren sind von Fragen der Tierhaltung strikt zu trennen. Ernährungsempfehlungen können nicht für das Tierleid verantwortlich gemacht werden.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der «Tagesschau» gibt weiter, was das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen den älteren Leuten empfiehlt. Dabei ist zweierlei wichtig: Die «Tagesschau» hat nichts erfunden, sondern weitervermittelt, was die zuständige Fachbehörde des Bundes herausgefunden hat. Und: Das Bundesamt verordnet nicht, es empfiehlt. Herr Lustenberger hat in der Stellungnahme der Redaktion reich dokumentiert nachgewiesen, dass diese Empfehlungen auch international breit gestützt sind. Gleichzeitig müssen wir uns immer bewusst sein, dass es in der Medizin kein «absolut richtig» und «absolut falsch» gibt; jeder potenzielle Patient hat eigene Bedürfnisse, nicht jedem tut das Gleiche gut. Das alles bringt der «Tagesschau»-Bericht zum Ausdruck. Ich kann nicht erkennen, was daran gesundheitsgefährdend sein soll. Vor allem aber verstößt der Beitrag in keiner Weise gegen die Programmvorschriften. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/empfehlungen-informationen/lebensphasen-und-ernaehrungsformen/ernaehrung-fuer-aeltere-menschen.html

[2] https://www.eek.admin.ch/eek/de/home/pub/ernaehrung-im-alter.html

[3] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30037048

[4] http://www.geriatrie.usz.ch/fachwissen/seiten/ernaehrung-im-alter.aspx

[5] http://www.sge-ssn.ch/ich-und-du/essen-und-trinken/von-jung-bis-alt/alter/

[6] http://www.sge-ssn.ch/ich-und-du/essen-und-trinken/ausgewogen/schweizer-lebensmittelpyramide/

[7] https://www.prosenectute.ch/de/ratgeber/gesundheit/gesund-bleiben/ernaehrung.htm

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