«10 vor 10»-Beitrag «Wahlkampf digital: Micro-Targeting – Jedem seine persönliche Botschaft» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 10. September 2019 beanstandeten Sie die Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 9. September 2019 und dort den Beitrag «Wahlkampf digital: Micro-Targeting – Jedem seine persönliche Botschaft».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Im genannten Beitrag wurde ein junger Nationalratskandidat der Aargauer FDP, Adrian Schoop, befragt. Ich finde es problematisch, dass SRF so kurze Zeit vor den Wahlen im redaktionellen Teil recht eigentlich Werbung macht für einen Kandidaten. Dieser selbst will nach eigenem Bekunden Fr. 90'000.-- für den Wahlkampf in die Hand nehmen. Damit und mit der gestrigen Unterstützung durch SRF dürfte er es wohl schaffen. Bekommen Kandidierende anderer Parteien auch eine solche Unterstützung? Auch das Werbebüro Farner dürfte mit der Sendung zufrieden sein, da es darin prominent gezeigt und erwähnt worden ist.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «10 vor 10» äußerten sich Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter von «10 vor 10», und Frau Corinne Stöckli, Fachspezialistin SRF:

«Herr X beanstandet den Sendungsschwerpunkt ‘Micro-Targeting’ – Jeden seine persönliche Botschaft’, den wir in der Sendung 10vor10 vom 9. September 2019 ausgestrahlt haben.

Der Beitrag war Teil der Serie ‘Wahlkampf digital’ [2], welche 10vor10 vom 9. Bis 13. September 2019 – also während fünf Tagen – ausgestrahlt hatte. Der beanstandete Sendungsschwerpunkt vom 9. September 2019 setzte sich wiederum aus zwei Teilen zusammen: Im ersten Teil zeigten wir auf, welche Partei im Rahmen des Wahlkampfs 2019 wieviel Geld für Online-Werbung insgesamt ausgibt. Im zweiten Teil unserer Berichterstattung ging es um Micro-Targeting, also personalisierte Werbung im Wahlkampf. Dabei haben wir einen Nationalratskandidaten begleitet und aufgezeigt, wie er sich Micro-Targeting für seinen Wahlkampf zu Nutze macht. Zu Wort kamen im Beitrag auch zwei verschiedenen Werbe-Agenturen, welche erklärten, wie Micro-Targeting funktioniert, und ein Jungunternehmer, welcher ein Daten-Tool für die Kampagnenplanung von Politikern entwickelt hat. An zwei Stellen im Beitrag äusserte sich zudem ein Professor für Medienpsychologie, der unter anderem die Gefahren von Micro-Targeting für die Demokratie aufzeigte.

Der Beanstander findet es nun <problematisch, dass SRF so kurze Zeit vor den Wahlen im redaktionellen Teil recht eigentlich Werbung macht für einen Kandidaten>.

Vorab möchten wir anmerken, dass wir ein hochrelevantes Thema aufgegriffen haben, dass uns als Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft. Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps wird viel darüber spekuliert, welchen Einfluss Micro-Targeting auf Wahlen tatsächlich haben könnte. Ist personalisierte Werbung gar demokratiegefährdend - oder doch bloß die Fortsetzung der politischen Werbung mit modernen Mitteln? Wir zeigten in unserem Beitrag anhand eines konkreten Beispiels auf, wie ein Nationalratskandidat mit der neuen Technik umgeht, und welches die Chancen und die Gefahren von Micro-Targeting sind. Wir erklärten den Zuschauer und Zuschauerinnen nicht nur, wie Micro-Targeting genau funktioniert, sondern ermöglichten ihnen auch, bei einer Sitzung des Kandidaten mit seiner Werbe-Agentur dabei zu sein. So konnte sich unser Publikum eine eigene Meinung über dieses im Zusammenhang mit dem Wahlkampf 2019 hochrelevante und sehr aktuelle Thema zu bilden.

Bevor wir genauer auf die Kritik des Beanstanders eingehen, möchten wir aufzeigen, wie SRF im Allgemeinen und 10vor10 im Besonderen über den Wahlkampf 2019 berichten.

1. Berichterstattung von SRF allgemein

Die eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2019 sind das wichtigste innenpolitische Ereignis des Jahres und folglich ein wichtiges Thema für SRF. Unsere Berichterstattung erschöpft sich dabei nicht in Beiträgen über Delegiertenversammlungen oder Programmparteitage, sondern setzt auch eigene inhaltliche Schwerpunkte, welche in direktem Zusammenhang mit den Wahlen stehen. Dazu gehören etwa Berichte über SRG-eigene Wahlumfragen, über spezielle Erhebungen des SRF-Data-Teams oder eben eigene Serien. So hat zum Beispiel die Tagesschau in den Sommermonaten Interviews mit allen Fraktionschefs im Bundeshaus ausgestrahlt oder verschiedene Einzel-Porträts junger Nationalratskandidaten realisiert.

Es ist SRF dabei ein Anliegen, dass alle wichtigen Parteien angemessen in unseren Sendungen vertreten sind. Wir sind der Meinung, dass es bei der Berichterstattung über einen Wahlkampf einen grundsätzlichen Unterschied zur Berichterstattung über Abstimmungsthemen gibt. Während wir bei Abstimmungen in ein und demselben Beitrag die Argumente beider Seiten, also der Pro- und der Contra-Seite, sinnvoll darstellen können, ist das bei der Wahlberichterstattung in unseren täglichen Sendegefässen so nicht möglich: In einem kurzen Fernsehbeitrag können wir zu einem Thema nicht alle Kandidaten resp. Parteien befragen. Die Vorstellung, dass dann in einem 4-Minuten-Beitrag sieben verschiedene Parteivertreter (Bundesratsparteien SVP, FDP, SP, CVP und dazu die Parteien mit Fraktionsstärke wie GLP, Grüne und BDP) zu Wort kommen müssten, scheint uns praxisfremd. Eine solche Aneinanderreihung von Meinungen würde die inhaltliche Umsetzung eines Themas und eine für das Publikum attraktive Gestaltung verunmöglichen. Deshalb müssen wir für einen Beitrag immer eine Auswahl treffen. Umso wichtiger ist aber, dass über den gesamten Zeitraum der Wahlberichterstattung die verschiedenen Parteien insgesamt angemessen vertreten sind. Um bei der Vielzahl an Beiträgen und Interviews insbesondere in den täglichen Informationssendungen den Überblick zu behalten, haben wir ein internes Monitoring aufgesetzt, über das wir seit Mitte August 2019 alle Auftritte von Ständerats- und Nationalratskandidaten in unseren Sendungen zählen. Zwecks des Monitorings ist es, dass wir rechtzeitig erkennen, wenn Parteien unangemessen viel oder unangemessen wenig zu Wort kommen.

Für die Zeit vom 15. August 2019 (Beginn des Monitorings) bis zum 13. September 2019 (Ende der 10vor10-Serie ‘Wahlkampf digital’) sieht die Auswertung dieses Monitorings für die Sendungen Tagesschau, Schweiz Aktuell und 10vor10 wie folgt aus:

Tagesschau, Schweiz Aktuell, 10vor10: 15.8. – 13.9.2019

Partei

Anzahl Beiträge mit

SR- oder NR-Kandidat/in

SVP

24

FDP

23

SP

22

CVP

18

Auch wenn es sich hierbei um eine Momentaufnahme handelt, so zeigt die Auflistung der Bundesratsparteien oben, dass diese in den Newssendungen alle angemessen zu Wort kommen. Eine faire Berücksichtigung ist also nicht nur eine hehre Absicht, sondern wird von SRF mittels des erwähnten Monitorings bis hin zu den Wahlen tatsächlich auch sichergestellt – nicht zuletzt, um zum Beispiel dem wiederkehrenden Vorwurf der Linkslastigkeit entgegenzutreten.

2. Berichterstattung von 10vor10 allgemein

Auch in der Sendung 10vor10 spielen die Wahlen eine grosse Rolle. Nicht nur SRF insgesamt, sondern auch 10vor10 achtet darauf, die grossen Parteien in den Sendungen angemessen zu Wort kommen zu lassen. Gleichzeitig scheint es uns aus Praktikabilitätsgründen wichtig, dass man nicht in jedem einzelnen Beitrag mit der Stoppuhr die einzelnen Wortmeldungen misst, sondern dass die Parteien in unserer Wahlberichterstattung insgesamt angemessen zu Wort kommen. Beiträge mit Parteivertretern aus allen grösseren Parteien wären für unser Publikum kaum konsumierbar und würden letztlich auch den Themen inhaltlich alles andere als gerecht.

Wir schauen es deshalb als unsere Aufgabe an, dass wir über mehrere Monate hinweg, verschiedene Aspekte des Wahlkampfs aufzeigen und dabei darauf achten, dass die verschiedenen Parteien insgesamt angemessen zu Wort kommen. So haben wir z.B. diesen Sommer ausführliche Interviews mit allen vier Präsidenten der Bundesratsparteien durchgeführt.[3] Die Auswertung von Mitte August bis Mitte September zeigt ein sehr ausgeglichenes Bild bei den Auftritten der Ständerats- und Nationalratskandidaten der Bundesratsparteien:

10vor10: 15.8. – 13.9.2019

Partei

Anzahl Beiträge mit

SR- oder NR-Kandidat/in

SVP

6

FDP

5

SP

5

CVP

5

Auch innerhalb von 10vor10 darf also von einer ausgeglichenen Berichterstattung gesprochen werden.

3. 10vor10-Serie ‘Wahlkampf – digital’

Ohne den Einsatz von sozialen Medien schafft es kaum ein Kandidat mehr nach Bern. In einer mehrteiligen Serie wollte 10vor10 dem Publikum deshalb aufzeigen, wie die Politiker die digitalen Mittel nutzen. Die Serie ‘Wahlkampf – digital’ setzte sich wie folgt zusammen:

Mo 9.9.: Einführungsbeitrag zum Budget der verschiedenen Parteien für Online-Werbung Beitrag ‘Micro-Targeting im Wahlkampf’

Di 10.9.: Beitrag ‘Social-Media-Präsenz bei Wahlen’

Mi 11.9.: Beitrag ‘Die Wahlkampf-Tools der Jungen’

Do 12.9.: Beitrag ‘Ausländische Beeinflussung’

Fr 13.9.: Beitrag ‘Reichweite der Kandidierenden
Studiogespräch mit Fabrizio Gilardi, Professor für Politikwissenschaft der Universität Zürich zum Thema ‘Fussabdruck auf Social Media’

Als wir das Konzept für die Serie ‘Wahlkampf – digital’ erstellten, war es uns wichtig, auf eine angemessene Vertretung der verschiedenen Parteien zu achten. Wir achteten bei der Planung konkret darauf, dass alle Bundeshaus-Fraktionen mindestens einmal vertreten sind. Dieses Konzept konnten wir so auch umsetzen: Während die Vertreter der Grünen, der GLP und der BDP sich in der Serie zumindest einmal äussern konnten, erhielten die Kandidaten der Bundesratsparteien bis zu einer Minute Redezeit. Als Regierungsparteien aber auch aufgrund ihrer vergleichsweise vielen Parlamentssitze kommt ihnen ein grösseres Gewicht zu im Vergleich zu den anderen Parteien. Wir versuchen das so abzubilden, dass sie über alle Beiträge hinweg insgesamt etwas häufiger zu Wort kamen, also insgesamt etwas längere Redezeiten hatten. Vergleiche dazu folgende Tabelle:

10vor10, Serie ‘Wahlkampf – digital’: 15.8. – 13.9.2019

Partei

Anzahl Beiträge mit

SR- oder NR-Kandidaten

Redezeit

in Sekunden

FDP

1

61

SVP

2

52

CVP

2

48

SP

1

43

BDP

1

35

Grüne

1

16

GLP

1

12

Weil es bei diesem Wahlkampf um viel geht, wurde an der Serie verschiedentlich Kritik geübt. Für uns als Journalisten beruhigend: Die Kritik kam von verschiedener Seite, also von links und rechts. Während die einen – wie in dieser Beanstandung - beklagten, der FDP-Kandidat habe zu viel Platz erhalten, sind die anderen der Meinung (vgl. Beanstandung 6106), der SP-Kandidat habe von zu viel Werbung profitiert – und die FDP sei wiederum zu wenig vertreten. Und von SVP-Seite monierte Christoph Mörgeli zum Beispiel auf Twitter, die SVP hätte im Beitrag vom 10. September gefehlt:

Kathy Riklin von der CVP enervierte sich währenddessen, dass bei unserem Ranking aufgrund der gewählten Zählweise drei SVP-ler als die erfolgreichsten Twitterer erschienen:

Die vielseitige Kritik rührt vor allem daher, dass wir wie oben dargelegt unmöglich alle Parteien in jedem einzelnen Beitrag der Serie berücksichtigen konnten. Sieben Aussagen von sieben verschiedenen Parteien in jeden einzelnen Beitrag der Serie zu integrieren, wäre weder zeitlich möglich gewesen noch journalistisch praktikabel. Hingegen haben wir akribisch darauf geachtet, dass die Parteien im Rahmen der ganzen Serie ‘Wahlkampf – digital’ angemessen vertreten sind.

4. 10vor10-Beitrag ‘Micro-Targeting’

Im diesjährigen Wahlkampf setzen sich viele Kandidaten zum ersten Mal mit dem Thema Micro-Targeting, also der personalisierten Werbung, auseinander. Es lag für uns deshalb auf der Hand, das Thema im Rahmen unserer Serie ‘Wahlkampf – digital’ aufzugreifen. Unsere Idee war, den Zuschauern und Zuschauerinnen anhand eines konkreten Beispiels aufzuzeigen, wie Politiker sich ins Micro-Targeting einführen lassen - und inwiefern dieses tatsächlich Erfolg zeigt. Neben den Chancen wollten wir auch die Gefahren des Micro-Targeting thematisieren. Dabei wollten wir auch hinter die Kulissen der Werbeagenturen und Parteien blicken, die Micro-Targeting einsetzen. Erst durch eine solche Umsetzung konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer auch einen interessanten und realistischen Einblick in diese Art des digitalen Wahlkampfes erhalten.

Bei der Umsetzung haben wir darauf geachtet, dass wir einen ungebührlichen Werbeeffekt für die gezeigten Kandidaten vermeiden und haben uns an folgendes Vorgehen gehalten:

  • Politische Botschaften des Kandidaten sollen nicht in den Beitrag einfliessen.
  • Der Kandidat steht exemplarisch für weitere Kandidaten, die in diesem Wahlkampf erstmals Micro-Targeting nutzen.
  • Die Parteizugehörigkeit und den Kanton werden wir der Transparenz halber nennen, aber nicht speziell betonen.

Die Suche nach einem Politiker oder einer Politikerin, der oder die bereit war, sich bei der Einführung ins Micro-Targeting begleiten zu lassen, gestaltete sich schwierig. Der Grund liegt auf der Hand: Die Methode ist vielen Bürgern und Bürgerinnen suspekt, weil massgeschneiderte Inhalte die Gesamtsicht und somit eine kritische Auseinandersetzung mit den Kandidaten erschweren können. Es war also gar nicht so einfach, einen entsprechenden Nationalratskandidaten zu finden. Konkret haben Kandidaten von verschiedenen Parteien abgesagt – offenbar haben sie sich vom geplanten Beitrag auch keinerlei Werbeeffekt versprochen, sondern eher eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema erwartet. Letzteres war unserer Meinung nach im beanstandeten Beitrag auch der Fall. Mit Adrian Schoop fanden wir schliesslich einen Nationalrats-Kandidaten, der bereit war, sich von der Kamera begleiten zu lassen.

5. Kritik am Beitrag ‘Micro-Targeting’

Der Beanstander ist nun der Meinung, wir hätten im beanstandeten Beitrag ‘Werbung für eine Kandidaten’ gemacht. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

Tatsächlich ist ein gewisser Werbe-Effekt unvermeidbar, wenn wir ein Thema anhand eines konkreten Politiker-Beispiels aufzeigen. Die Frage ist, ob dieser Werbeeffekt ungebührlich war. Wir sind der Meinung, dass sich dieser Werbe-Effekt aufgrund des Inhalts des Beitrages und dessen Umsetzung in Grenzen hielt und keineswegs ungebührlich war.

So konnte sich Adrian Schoop nur an zwei Stellen im Beitrag äussern. Zuerst zu Beginn des Beitrages:

Der 33-jährige Bau-Unternehmer ist Chef im eigenen Familienbetrieb. 90'000 Franken investiert er in seinen Wahlkampf – auch auf Facebook. Mit einem Kamerateam dreht er Wahlkampf-Videos. An Müll-Sammelstellen sucht er den Kontakt zu Wählern. Doch mit dem Resultat ist er nicht zufrieden:

Adrian Schoop, Politiker FDP/AG:

<Ich habe das Gefühl, wenn man so einen grossen Aufwand betreibt für ein Video, möchte man das natürlich einem möglichst breiten Kreis zeigen können. Man sagt ja auch, dass die Online-Medien zum wichtigsten Wahlkampf-Instrument geworden sind. Und wenn ich sehe, dass das jetzt 31 Likes gegeben hat und ich das selber etwas beworben habe, habe ich schon das Gefühl, da könnte man mehr rausholen. Ich möchte mich da mal etwas beraten lassen, was es da für Möglichkeiten gibt.>

Die Aussage bezog sich ausschliesslich auf seine Wahlkampf-Instrumente im digitalen Bereich und enthielt keinerlei politische Inhalte. Adrian Schoops zweites Zitat fand sich am Ende des Beitrages:

Nach einer Woche hat sich das Micro-Targeting für Unternehmer Adrian Schoop schon gelohnt. Er hat 1600 Franken eingesetzt, damit seine Videos mehr Leuten angezeigt werden. Seit er Micro-Targeting anwendet, zeigt die Kurve steil nach oben.

Adrian Schoop, Gemeindeammann Turgi/FDP:

<Wir haben 105 Prozent mehr Leute, die auf meiner Seite interagieren. Wir haben fast 3000 Prozent mehr Personen, die meine Videos anschauen. Ich denke das ist doch eine positive Bilanz, und zu dem darf man auch stehen.>

Rückfrage Reporter:

<Ist es denn als Politiker nicht unredlich, wenn man sich den Erfolg so kauft?>

<Viele Politiker investieren ja doch einen erheblichen Teil in ihre Nationalratskampagne. Ich habe gesagt ich investiere 90'000Fr. Ich mache wie andere auch Zeitungsinserate - und auch dort will man ja Geld investieren, um gewählt werden zu können. Das macht jeder, und das ist eine neue Methode. Die Digitalisierung hat auch im Wahlkampf Einzug gehalten, und aus diesem Grund stehe ich dazu und finde dies auch legitim.>

Auch an dieser Stelle äusserte sich Schoop in keiner Weise politisch, sondern erklärte die Auswirkung des von ihm gekauften Micro-Targetings. Auf die kritische Rückfrage des Reporters hin rechtfertigte er die neue Methode im Wahlkampf. Die Redezeit, die Schoop hatte, betrug 61 Sekunden. Das ist nur wenig mehr als die Kandidaten der anderen Bundesratsparteien in der Serie insgesamt erhielten: SVP/52 Sek; CVP/48 Sek; SP/43 Sek (vgl. Tabelle oben).

Zudem war der Kontext, indem sich Schoop präsentiert, durchaus ein kritischer. So zeigte z.B. die Szene bei Farner, wie gezielt die Werber vorgehen. Wörtlich hiess es:

Diesen Zielgruppen können zugeschnittene Werbebotschaften gesendet werden: Eine Botschaft für jene mit einem Interesse für Umweltschutz – und eine andere für jene mit einem Flair für Autos.

Adrian Schoop zeigt den Profis sein letztes Werbevideo. Zu lang und zu allgemein gehalten, finden die Experten. Beim nächsten Video soll er viel gezielter vorgehen.

Daniel Jörg, Leiter Digital, Farner:
<Fadengerade auf ein Thema geschärft schneiden. Und Du hast dann drei Videos, die wir dann genau an jene Audiences rauslassen, die sich dafür interessieren.>

Hier kann man kaum von einem Werbe-Effekt sprechen – weder für Schoop noch für Farner -, vielmehr hinterliess die Szene zusammen mit den vorgängigen Erklärungen den Eindruck, dass man als Wähler oder Wählerin ohne es zu merken auf raffinierte, berechnende Art und Weise beeinflusst wird. Die Werbeagentur Farner sowie der Nationalratskandidaten Adrian Schoop wurden also in unserem Beitrag durchaus in einem kritischen Licht gezeigt.

Die mit Micro-Targeting verbundene Problematik wurde in unserem Beitrag weiter unten konkret aufgegriffen. So hielt in unserem Beitrag Werner Wirth, Professor für Medienpsychologie, die Gefahren von Micro-Targeting für die Demokratie fest. Wörtlich hiess es:

Wenn Politwerbung immer zugeschnittener wird, berge dies aber auch Gefahren für die Demokratie.

Werner Wirth, Professor für Medienpsychologie Universität Zürich:

<Jede Person, jeder Wähler, jede Wählerin bekommt im Extremfall eine eigene Variante dieser Botschaft. Und gründet ihre Meinung möglicherweise auf dieser ganz komischen, zugeschnittenen Variante, wobei ja viel Informationen weggelassen wurden, zugespitzt wurden. Und wenn man das Ganze dann noch weitertreibt und auch noch Falsch-Informationen vertreibt, dann sind wir natürlich längst in einem sehr problematischen Kontext.>

Wirth zeigte also die Problematik dieses neuen Wahlkampf-Instruments auf: Neben den Manipulationsmöglichkeiten besteht auch einfach die Gefahr, dass sich die Wähler und Wählerinnen ihre Meinung einzig aufgrund der für sie zurechtgestutzten und für sie zugespitzten Inhalte bilden – was letztlich auch eine Debatte erschwert.

6. Fazit

SRF ist darauf bedacht, die Kandidaten der verschiedenen Parteien angemessen zu Wort kommen zu lassen. Auch 10vor10 verfolgt diesen Ansatz, insbesondere auch in der Serie ‘Wahlkampf – digital’, zu der auch der beanstandete Beitrag gehört.

Aufgrund der oben dargelegten Argumente sind wir der Meinung, dass wir sachgerecht berichtet haben. Wir haben aufgezeigt, wie Micro-Targeting funktioniert und welche Chancen und Gefahren es birgt, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.

Adrian Schoop stand exemplarisch für viele Politiker, die bei diesem Wahlkampf zum ersten Mal auf Micro-Targeting setzen. Seine Äusserungen beschränkten sich auf das Micro-Targeting. Politische Inhalte hat er keine vermittelt. Was uns wichtig erscheint: Auch seine Redezeit bewegte sich im selben Rahmen wie die der Kandidaten der anderen Bundesratsparteien in der gesamten Serie. Zudem war der Kontext, indem sich Schoop zeigen konnte, durchaus ein kritischer. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es für uns schwierig war, überhaupt einen Protagonisten zu finden. Indem wir schliesslich einen Kandidaten gefunden haben, der sein finanzielles Engagement offenlegte und den wir zu den Werbern begleiten durften, erhielten unsere Zuschauer und Zuschauerinnen einen Einblick in ein hochrelevantes Thema, welches uns als Bürgerinnen und Bürger alle betrifft.

Schoop erschien im Beitrag zwar als zielstrebiger Kandidat, der offen für Neues ist. Gleichzeitig wurde im Beitrag klar, wie berechnend die Methode funktioniert, für die sich Schoop entschieden hatte, und welche (fragwürdigen) Folgen solche Werbung für die politische Meinungsbildung haben kann. Wir glauben deshalb nicht, dass Adrian Schoop von einem ungebührlichen Werbe-Effekt profitieren konnte.

Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Für Medien, die umfassend, vielfältig und ausgewogen über bevorstehende Wahlen berichten wollen – und gemäß Radio- und Fernsehgesetz auch müssen -, stellt die Wahlkampfberichterstattung eine große Herausforderung dar. Medien, die diesen Anspruch nicht haben, können es sich einfach machen. So gab es Lokalradios, die den Regierungsratswahlen in ihrem Kanton eine einzige Sendung widmeten: Eine Direktübertragung des Podiumsgesprächs mit allen Kandidierenden. Journalistische Leistung: null. Oder es gab Parteizeitungen, die nur die Bewerber der eigenen Partei vorstellten. Journalistische Unabhängigkeit: nirgends. Heute haben die großen Zeitungen und die SRG in der Schweiz den Ehrgeiz, die Bevölkerung so zu informieren, dass sie in der Lage ist, die Bedeutung des Parlamentes im Gewaltengefüge, das Wahlsystem, die Parteien, die Kandidierenden und die Listenverbindungen realistisch einzuschätzen. Die SRG hat deshalb in den nationalen Deutschschweizer Programmen den eidgenössischen Wahlen 2019 über 150 Beiträge gewidmet und dabei vor allen Zusatzinformationen geliefert und Hintergründe ausgeleuchtet. Die Regionaljournale haben nochmals Aberdutzende von Beiträgen zu den Konstellationen in den Kantonen ihrer Region beigesteuert.

Die eidgenössischen Wahlen zeichneten sich dieses Jahr durch eine Rekordzahl von Kandidierenden und Listen aus. Es ist unmöglich, in jeder Sendung immer sämtliche Parteien zu Wort kommen zu lassen. Dies wird auch vom Rundfunkrecht nicht verlangt. Das Vielfaltsgebot verlangt nur, dass die Parteien insgesamt gleichwertig behandelt werden (dabei darf durchaus ein Unterschied gemacht werden zwischen großen und kleinen Parteien: RTS, das Service public-Fernsehen der Westschweiz, hat stets unterschieden zwischen der Serie «Face aux partis» und der Serie «Face aux petits partis»). Daher umfasst das von der Redaktion in ihrer Stellungnahme beschriebene Konzept von SRF drei Wahlsendetypen:

  1. Diskussionssendungen, in denen alle relevanten Parteien gleichzeitig vertreten sind;
  2. Porträts und Interviews, in denen in einer Serie alle relevanten Parteien zum Zug kommen;
  3. Hintergrundsendungen, in denen aufs Ganze gesehen ausgewogen Quotes von Vertretern aller relevanten Parteien enthalten sind.

Die von Ihnen beanstandete Sendung ist eine Hintergrundsendung, für die der Anspruch gilt, dass in der gesamten Staffel die wichtigen Parteien angemessen zum Zuge kommen. Wie die Redaktion nachweist, war das der Fall. Dem Vielfaltsgebot war somit Rechnung getragen. Dass ein FDP-Kandidat besonders im Fokus stand, wurde durch andere Sendungen innerhalb der Sendefolge ausgeglichen, in denen SP- oder SVP-Kandidaten im Vordergrund standen. Und da die Fakten zum präsentierten Thema auf dem Tisch lagen, konnte sich das Publikum frei eine eigene Meinung bilden. Das Sachgerechtigkeitsgebot war somit erfüllt. Aus all diesen Gründen kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-micro-targeting-jedem-seine-persoenliche-botschaft?id=82fc8b94-d460-490d-9986-bc7f331b7dc4

[2] https://www.srf.ch/sendungen(10vor10/wahlkampf-digital

[3] Christian Levrat: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-die-erhoehung-des-rentenalters?id=f8e07fbd-f48f-4630-a1b5-81513edd821e ab 13.54

Albert Rösti: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-albert-roesti-im-interview?id=683d1b98-ccda-4c9d-b4cd-a79ab1707266 ab 15.04

Gerhard Pfister: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-geht-das-zusammen-?id=b1fbbc78-9dde-4b39-b6f6-6e402e80628f
Petra Gössi: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-06-06-2019?id=0c82d293-d036-4b62-ba06-bdfb22fa12f

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