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«Tagesschau»-Beitrag «Nach Abschaltung des Atomkraftwerks Mühleberg mehr Strom aus dem Ausland» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 25. September 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 20. September 2019 und dort den Beitrag «Nach Abschaltung des Atomkraftwerks Mühleberg mehr Strom aus dem Ausland».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Zur Beurteilung der Aussagen der BKW wird eine Lobbyorganisation gegen Kernkraft und für Solarenergie interviewt. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass dies keine neutrale Stelle, sondern eine politisch aktive Organisation gegen AKW ist (dazu wurde sie gegründet), welche klar Partei ist. Wenn schon, dann hätte auch eine pro-nukleare Organisation gefragt werden, zB swissnuclear oder Nuklearforum. Journalistisch sauber wäre es gewesen, überhaupt niemanden sonst zu fragen. Man fragt ja bei einer Erklärung der SBB auch nicht den ACS um eine Stellungnahme. Aber generell herrscht der Eindruck, dass man beim SRF gar nicht weiss, dass bei der Energiestiftung nur der Name neutral ist.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antworteten Frau Regula Messerli, Redaktionsleiterin, und Frau Corinne Stöckli, Fachspezialistin SRF:

Herr X beanstandet unseren Beitrag ‘Nach Abschaltung des AKW Mühleberg mehr Strom aus dem Ausland’, den wir in der Hauptausgabe der Tagesschau vom 20. September 2019 ausgestrahlt haben. Der Anlass für unsere Berichterstattung war die anstehende Stilllegung des AKWs Mühleberg: Die Betreiberin BKW hat am Tag unserer Sendung die aktuellsten Informationen zum Stand dieses Grossprojekts präsentiert. Der Beitrag ging deshalb drei Monate vor der Stilllegung der Frage nach, was die Abschaltung von Mühleberg konkret für die Stromversorgung der Schweiz bedeute. Im Beitrag äusserte sich neben der Geschäftsführerin der BKW auch ein Vertreter der Schweizerischen Energie-Stiftung zur künftigen Stromversorgung in der Schweiz.

Der Beanstander meint nun, es werde <nicht darauf hingewiesen, dass die [Schweizerische Energie-Stiftung] keine neutrale Stelle, sondern eine politisch aktive Organisation gegen AKW ist, welche klar Partei ist.> Er meint weiter: <Wenn schon, dann hätte auch eine pro-nukleare Organisation gefragt werden> müssen. Mit der Kritik des Beanstanders sind wir nicht einverstanden und nehmen gerne dazu Stellung.

Die Schweizerische Energie-Stiftung kommt im Beitrag an einer Stelle zu Wort. Dabei haben wir ihre atomkritische Position erwähnt. Wörtlich hiess es im Beitrag:

Die Stromquelle Ausland dürfte nicht so schnell versiegen. Allein Deutschland hat in den letzten 4 Jahren so viele Kraftwerke mit erneuerbaren Energien gebaut, wie die Schweiz in einem Jahr Energie verbraucht, sagt Nils Epprecht von der atomkritischen Energiestiftung.

Nils Epprecht, Geschäftsleiter Schweizerische Energie-Stiftung:
<Langfristige Prognosen sind natürlich schwieriger, da kommt dann auch das Abschalten der fossilen Kraftwerke hinein. Und da muss sich die Schweiz fragen: Wollen wir einfach darauf warten, dass das Ausland erneuerbare Energien für uns zubaut oder wollen wir das nicht selbst tun.>

Entgegen der Meinung des Beanstanders haben wir also keineswegs den Hinweis unterlassen, dass die Schweizerische Energie-Stiftung ‘keine neutrale Stelle’ sei. Im Gegenteil, wir haben die Positionierung der Energie-Stiftung transparent gemacht und sie explizit als ‘atomkritisch’ bezeichnet.

Der Beanstander meint zudem, wir hätten neben der Schweizerischen-Energiestiftung ‘auch eine pro-nukleare Organisation’ befragen müssen. Das sehen wir anders. Zuerst ist festzuhalten, dass es sich hier nicht um einen kontradiktorischen Beitrag im Vorfeld einer Abstimmung handelt, bei dem beide Seiten gleichwertig zu Wort kommen müssen. Vielmehr sind wir in einem kurzen Beitrag zur anstehenden Stilllegung von Mühleberg einer sehr spezifischen Frage nachgegangen: Wie will die BKW die Lücke, welche durch die Abschaltung von Mühleberg entsteht, füllen?

Entgegen der Meinung des Beanstanders, ist in unserem Beitrag mit der BKW auch diejenige Seite vertreten, die offen ist für Atomstrom: Schliesslich hat die BKW jahrzehntelang das Atomkraftwerk Mühleberg betrieben und kennt grundsätzlich keine Berührungsängste vor Atomstrom. Der Beschluss, Mühleberg nun stillzulegen, basierte letztlich auf wirtschaftlichen Gründen.

Auch der Meinung des Beanstanders, ‘journalistisch sauber’ wäre es gewesen, neben der BKW ‘überhaupt niemanden sonst zu befragen’, können wir uns nicht anschliessen. Wir sind überzeugt, dass die Aussage der Schweizerischen Energie-Stiftung unserem Publikum einen Erkenntnisgewinn verschaffte: Zuerst hat der Vertreter der Energie-Stiftung begründet, warum die Stromquellen für erneuerbare Energien im Ausland vorerst nicht so schnell versiegen werden. <Langfristige Prognosen sind natürlich schwieriger>, meinte er dann und warf die Frage auf, ob wir <einfach darauf warten wollen, dass das Ausland erneuerbare Energien für uns zubaut> oder ob <wir das nicht selbst tun> wollen. Der Vertreter der Energie-Stiftung hat also einen neuen Aspekt eingebracht, nämlich inwieweit auch die Schweiz mit erneuerbaren Energien dazu beitragen sollte, die entstandene Lücke längerfristig zu füllen. Die BKW-Vertreterin hatte zudem die Gelegenheit, seine Aussage zu kontern:

Man will, heisst es bei der BKW. Aber:

Suzanne Thoma, Konzernchefin BKW:
<Es ist in der Schweiz aus verschiedenen Gründen schwierig. Denken Sie an die Windkraft, die für uns eine attraktive Investition wäre.>

Doch hier gibt es Widerstand – unter anderem von Landschaftsschützern.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir die Energie-Stiftung explizit als ‘atomkritisch’ bezeichnet haben, und diese als Verfechterin erneuerbarer Energien im Beitrag einen neuen Aspekt einbrachte. Wir sind deshalb der Meinung, dass wir sachgerecht berichtet haben, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zuerst möchte ich auf die Programmautonomie hinweisen: Wie Radio und Fernsehen ein Thema anpacken, liegt im freien Ermessen der einzelnen Redaktion. Es muss einfach sachgerecht sein. Diese Programmautonomie ist in Artikel 6 Absatz 2 des Radio- und Fernsehgesetzes verankert:

«Sie - die Programmveranstalter - sind in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer redaktionellen Publikationen und der Werbung frei und tragen dafür die Verantwortung.»[2]

Und selbst wenn es die Programmautonomie nicht gäbe, ist die Art und Weise, wie die «Tagesschau» das Thema behandelt hat, absolut klassisch und sachgerecht: Sie hat je eine Befürworterin und einen Kritiker der Atomenergie zu Wort kommen lassen. Und sie hat beide klar zugeordnet: Suzanne Thoma als Konzernchefin der BKW, Nils Epprecht als Geschäftsführer der atomkritischen Energiestiftung. Was wollen Sie mehr? Den journalistischen Grundprinzipien ist Genüge getan. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/nach-abschaltung-des-akw-muehleberg-mehr-strom-aus-dem-ausland?id=7fb93de9-b4aa-4100-993d-4cd979494ebf

[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

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