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René Jaun
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Fernsehen ist Kulturgut – auch für blinde Menschen

Dank Audiodeskription können auch blinde Menschen «fernsehen». René Jaun ist Teil einer Gruppe, die das Audiodeskriptionsangebot von SRF beurteilt. Dieses soll ausgebaut werden.

Sonntagabend ist für viele Schweizerinnen und Schweizer «Tatort»-Zeit. Auch René Jaun ist Fan des Kult-Krimis. Doch für ihn ist das Filmerlebnis ein rein akustisches. Er hört den «Tatort». «Die Spannung kommt gut durch», findet der Berner. Möglich macht dies die Audiodeskription: Die visuel­­le Handlung wird in einer Tonspur erzählt.

Künftig will SRF den Anteil an audiodeskribierten Sendungen erhöhen. Um von der Zielgruppe selber ein Feedback zu bekommen, wurde eine Projektgruppe ins Leben gerufen (siehe unten). Mit dabei ist René Jaun. Beim Treffen in einem Zürcher Café präsentiert der eloquente 38-Jährige ein paar seiner Gadgets. Früher lasen blinde Menschen Bücher in Blindenschrift – Braille genannt – oder hörten Tondokumente. Mit dem technischen Fortschritt haben sich die Möglichkeiten erweitert. Jaun zieht eine Braille-Zeile aus seinem Rucksack. Das Gerät ähnelt einem kleinen Keyboard. Ans Smartphone angeschlossen, «übersetzt» es Texte aus dem Web in Brailleschrift, die er mit seinen Fingerkuppen entziffern kann. Meistens lässt er sich Texte jedoch vom Smartphone vorlesen – in einem Höllentempo, ein Nichtgeübter versteht nur «Bahnhof». «Zu Hause habe ich noch ein paar weitere Gadgets», sagt er und schmunzelt. «Ich bin ein bisschen ein Nerd.»

René Jaun mit Braille-Zeile, Schwarz-Weiss-Bild

Bevor er mit 16 Jahren sein Augenlicht komplett verlor, hatte René Jaun ganz wenig gesehen. «Es war ein kleiner Schock, plötzlich ganz blind zu sein.» Weit herausfordernder waren aber die Augenschmerzen, die ihn in den Monaten danach ­plagten. An die sichtbare Welt hat er Erin­nerungen. Wenn er etwa hört, jemand habe braune Haare, macht er sich ein Bild von der Farbe.

Hört man Jaun zu, wirkt er nicht so, als fühlte er sich stark eingeschränkt. Doch tatsächlich stösst er auf viele Barrieren. Darum war er Feuer und Flamme, als er via Social Media erfuhr, dass der Publikumsrat sehbehinderte und blinde Menschen suchte. Zur Beobachtung standen ein Schweizer «Tatort», die Quizshow «1 gegen 100» sowie eine Dok-Serie. Die Qualität der Audio­deskription beurteilt der Berner als gut, beim «Tatort» sogar als hervorragend. Auch die Quizshow sei verständlich, nur habe manchmal die Zeit gefehlt, damit der Sprecher den Nichtsehenden mehr erklären konnte – auch wenn der Audiodeskriptor einen guten Job gemacht habe.

Aber warum ist es wichtig, TV-Sendungen zu audiodeskribieren, wo es doch Hörspiele, Radioshows oder Hörbücher gibt, die für sehbehinderte Menschen gut zugänglich sind? «Das Fernsehen produziert Kulturgut, über das beispielsweise am Arbeitsplatz gesprochen wird. Unsere Gesellschaft hat sich dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung nicht auszuschliessen. Daher soll auch ihnen der Zugang zu Kultur ermöglicht werden», sagt René Jaun. Er schätze das diesbezügliche Engagement von SRF enorm. «So fühle ich mich als blinder Mensch ernst genommen.»

Als Journalist bei einem Online-­Magazin im IT-Bereich recherchiert er auf News-­Sites oder scrollt sich durch Web­suche-Ergebnisse – oft eine mühselige Angelegenheit. «Ich fühle mich wie in einem Zimmer mit einer riesigen Unordnung.» Die meisten Websites seien nicht barrierefrei: Sie sind nicht so programmiert, dass sie via Software korrekt vorgelesen werden können. Verglichen mit anderen News-Sites sei das Angebot von SRF online gut. Privat hört Jaun gern Radio, etwa SRF 4 News oder amerikanische Newsradios, er mag aber auch Filme.Auch wenn die Situation für blinde Menschen heute besser als je zuvor sein dürfte – Beispiele von Diskriminierung gibt es für Jaun immer noch viele. «Die Gesellschaft ist gut darin, mich in negativer Art an mein Defizit zu erinnern. Alles ist auf Sehende ausgerichtet, manche wollen nicht wahrhaben, dass es Leute gibt, die nicht sehen können.» ÖV-Apps oder Gebrauchsanweisungen, die nicht barrierefrei lesbar sind, ärgern ihn. Da tut es gut, sich einmal explizit willkommen zu fühlen: So wie kürzlich, als er bei einer Ausstellung einen Führer in Blindenschrift in die Hand gedrückt erhielt. Mit einem wachsenden Audiodeskriptionsangebot wird sich René Jaun auch bei SRF noch besser abgeholt fühlen.


Sehbehinderte ­befinden über die SRF-­Audiodeskription

Im Oktober 2019 fand eine Beobachtung des Audiodeskriptionsangebots von SRF unter dem Patronat des Publikumsrats statt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Beobachtungsgruppe waren acht sehbehinderte Menschen sowie zwei ­Sehende. Die Ergebnisse der Beobachtung ­finden Sie im untenstehenden Video.


Text: Daniel Bütler

Bild: Header und Quote: zVg., Kasten: Peter Mosimann

Video: SRG.D

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