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«Tagesschau»-Beitrag Beitrag «USA halten Israels Siedlungsbau nicht mehr für illegal» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 20. November 2019, den Sie irrtümlicherweise zuerst an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) sandten statt an die zuständige Ombudsstelle, beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom19. November 2019 und dort den Beitrag «USA halten Israels Siedlungsbau nicht mehr für illegal».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich schätze das mediale Engagement von SRF. So gehören ‘Tagesschau’ und ‘10 vor 10’ zu meinen favorisierten Sendungen. Die ‘Tagesschau’ von gestern Dienstagabend jedoch gibt Grund zur Beanstandung, lch reiche dagegen Beschwerde ein.

Begründung

<lsrael ist Besatzungsmacht, die palästinensische Zivilbevölkerung ist leidtragend - Opfer, aber nie Täter, da sie ja nur reagiert>: Diese stereotype Aussage scheint schon fast Programm bei SRF. Ausländische Sender berichten zum Teil dezidierter und verzichten auf voreilige Schuldzuweisungen.

Die entsprechende Aussage wurde in der gestrigen Sendung grafisch illustriert, voreingenommen und daher mit Tendenz zu voreiliger Schuldzuweisung. Konkret: Die Schilderung des ‚Unabhängigkeitskriegs‘ wurde mit Panzern illustriert, die Aussagen zum Siedlungsbau mit einer Grafik ab 1970. Das Bild der Panzer untermauerte das Vorurteil gegenüber lsrael als böswilliger Besatzungsmacht. Kein Wort von der Staatsgründung lsraels 1948 (vom Völkerbund sanktioniert), dem legitimen Recht einer Nation auf Verteidigung oder vom Angriff einer arabischen Übermacht, die dem dramatischen ‚Unabhängigkeitskrieg‘ von 1967 vorausging! Die Zuschauer wurden stattdessen auf das Geschehen nach 1970 eingestimmt. Die Sendung widerspricht meiner Meinung nach damit dem Grundsatz auf Ausgewogenheit und Unvoreingenommenheit.

Die Aussagen des SRF-Korrespondenten in Washington, Peter Düggeli, untermalten das gängige Klischee. Während ‚die Palästinenser‘ von dem auf weltpolitischer Ebene ausgehandelten ‚Kuchen‘ noch lange nichts kriegen, darf lsrael bereits davon naschen ...Am Rande: Dass zum Kopf des zugeschalteten ORF-Kollegen Tim Cupal die Bildunterschrift mit Foto und Funktion von Peter Düggeli eingeblendet wurde, kann als Fauxpas bezeichnet werden. Das kann passieren, kann im grösseren Kontext jedoch Fragen an Zuverlässlgkelt und Glaubwürdigkeit wecken.

lm Sinne der oben dargelegten Gründe erhebe ich Beschwerde gegen die ‚Tagesschau‘ von gestern Abend. lhrer Beurteilung sehe ich mit Interesse entgegen und danke jetzt schon für Ihre Aufmerksamkeit.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äußerte sich Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:

«Mit Brief vom 20. November 2019 an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 19. November eingereicht. Es geht um die Berichterstattung zum Beschluss der US-Regierung, die israelischen Siedlungen im Westjordanland nicht mehr per se als illegal zu betrachten. Der Beanstander kritisiert, dass Israel als Besatzungsmacht und die palästinensische Bevölkerung als Opfer und nie als Täter dargestellt würden.

Die Tagesschau nimmt dazu Stellung; sie stellt den kritisierten Aspekt in den Gesamtzusammenhang der Berichterstattung vom 19. November. Die Tagesschau hat dem Thema breiten Raum eingeräumt.

Aufbau des Schwerpunktes

Ausgangspunkt der ausführlichen Berichterstattung war der Kurswechsel der US-Regierung in Bezug auf den Siedlungsbau im Westjordanland. Die entscheidenden Worte aus der Medienkonferenz von US-Aussenminister Mike Pompeo wurden im Aktualitäts-Bericht im Original-Ton wiedergegeben. Es folgt eine Karte mit den bestehenden Siedlungen im Westjordanland. Dann die Reaktionen der beiden politischen Seiten – zuerst vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und dann von Saeb Erekat von der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Im zweiten, dem hintergründigen Beitrag, werden der Siedlungsbau seit dem Sechstage-Krieg von 1967 sowie die Bemühungen um eine Zweistaatenlösung aufgezeigt, und zwar immer auch mit einem speziellen Blick auf die Haltung der Vereinigten Staaten zum Konflikt und zur Konfliktlösung. Der Bericht zeigt die wesentlichen Eckpunkte im Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern.

In den Live-Schaltungen mit den beiden Korrespondenten Peter Düggeli (SRF in Washington) und Tim Cupal (ORF in Tel Aviv) wird der Entscheid der USA sowohl innenpolitisch wie auch aussenpolitisch (Auswirkungen auf den ‘Friedensprozess’) eingeordnet.

‘Unabhängigkeitskrieg’ und weitere Kriege

Zwischen Israel und den arabischen Nachbarstaaten gab es mehrere Kriege.

Als Unabhängigkeitskrieg wird die militärische Auseinandersetzung in den Jahren 1947 bis 1949 bezeichnet. In diese Zeit fällt die Ausrufung des Staates Israel durch David Ben Gurion.[2] Dieser Krieg um die staatliche Unabhängigkeit Israels endet mit der Unterzeichnung von Waffenstillstandabkommen mit Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien (Februar bis Juli 1949).

Im Jahre 1956 folgte der Suezkrieg; Ausgangspunkt war die Frage der Kontrolle über den Suezkanal, der Wasserverbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean. Es ging um britische und französische Militär- und Wirtschaftsinteressen in dieser Region, nachdem Ägypten die Kanalgesellschaft verstaatlicht hatte und israelischen Schiffen die Durchfahrt gesperrt hatte. In diesem Krieg eroberte Israel, unterstützt von Frankreich und Grossbritannien, die ägyptische Sinai-Halbinsel. Nach dem von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion erzwungenen Waffenstillstand zogen sich die israelischen Truppen im Frühling 1957 aus dem Sinai zurück. An der ägyptisch-israelischen Grenze überwachten fortan UNO-Truppen den Waffenstillstand.

Im Sechstage-Krieg von 1967 eroberte die israelische Armee Ostjerusalem, das Westjordanland, die Golanhöhen und die Sinaihalbinsel. Der Sinai wurde später nach einem Friedensvertrag (nach dem Jom-Kippur-Krieg) an Ägypten zurückgegeben. Der Golan wurde von Israel annektiert. Der arabische Ostteil Jerusalems wurde von Israel mit dem israelischen Teil der Stadt zur israelischen Hauptstadt Jerusalem vereinigt. Im Westjordanland setze bald nach der Eroberung der Bau von israelischen Siedlungen ein. Dies die territorialen Fakten, die bezüglich Golan, Ost-Jerusalem und Westjordanland im Widerspruch zu UNO-Resolutionen stehen.

Im Jom-Kippur-Krieg von 1973 starteten Ägypten und Syrien einen Überraschungsangriff. Nach anfänglichen militärischen Erfolgen mussten sie grosse Verluste erleiden. So drangen etwa Militäreinheiten Israels auf die Westseite des Suezkanals vor. Nach einem Waffenstillstand folgten lange Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten, die schliesslich mit dem Friedensvertrag von 1979 ihr Ende fanden. Es folgten seither weitere kriegerische und militärische Auseinandersetzungen; Libanon, Gaza oder Intifada sind hierzu Stichworte. Als Unabhängigkeitskrieg wird nur der Krieg in den Jahren 1947 bis 1949 bezeichnet, als es in der Tat um die Unabhängigkeit des jungen Staates Israels ging.

Fokus Siedlungsbau

Anlass für die ausführliche Berichterstattung war – wie schon dargelegt – die Wende in der US-Politik zum israelischen Siedlungsbau im Westjordanland. Entsprechend ist es richtig, den Fokus im Hintergrundbericht auf den Siedlungsbau im Westjordanland zu legen.Dieser Siedlungsbau wurde erst durch die Eroberung im Sechstage-Krieg überhaupt möglich gemacht. Vorher, also in den Jahren 1948 bis 1967, war es gar nicht möglich, dass Israel im zu Jordanien gehörenden Westjordanland und im Ostteil Jerusalems überhaupt Siedlungen errichten konnte. Das heisst: Der Siedlungsbau im Westjordanland begann nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg. Also beginnt auch der Hintergrund-Beitrag mit diesem Ereignis.

Der Bericht zeigt sachlich den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland über all die Jahre bis heute auf. Als Siedlungen werden israelische Städte und Dörfer in jenen von israelischen Truppen kontrollierten Gebieten bezeichnet, die ausserhalb der Waffenstillstandslinie von 1949 liegen. Er zeigt im Weiteren die Friedensbemühungen, welche wesentlich von den Vereinigten Staaten gestaltet wurden. Der Siedlungsbau steht im Widerspruch zu den UN-Resolutionen. Zuletzt befand der Sicherheitsrat (die USA enthielten sich der Stimme, legten also kein Veto ein) in der Resolution 2334 im Jahre 2016, dass die Siedlungen gegen das Völkerrecht verstossen, einer Zweistaaten-Lösung entgegenstehen und dass Israel die Siedlungsaktivitäten beenden müsse.

Die Tagesschau ist nicht der Ansicht, dass die Berichterstattung parteiisch oder mangelhaft war. Die Sendung widerspricht auch nicht dem Grundsatz der Ausgewogenheit und Unvoreingenommenheit.

Friedenssuche

In den beiden live-Gesprächen mit Peter Düggeli (Washington) und Tim Cupal werden im ersten Teil die innenpolitischen Auswirkungen beleuchtet. Im zweiten Teil kommen beide Korrespondenten auf die längerfristigen Konsequenzen für die Suche nach einem dauerhaften Frieden zu sprechen. Peter Düggeli braucht das Bild des ‘diplomatischen Kuchenessens’. Die palästinensische Seite werde hingehalten; der grosse Plan von Präsident Donald Trump lässt weiter auf sich warten. Demgegenüber sichert sich Israel mit dem Ausbau der Siedlungen seinen Teil am Kuchen (Westjordanland). Das ist kein Klischee, sondern es umschreibt bildhaft die aktuelle Entwicklung im Verhältnis zwischen den Konfliktparteien, auch mit Bezug auf die USA.

Es ist richtig, dass während des live-Gesprächs kurz der Name von Peter Düggeli bei der Intervention von Tim Cupal eingeblendet wurde. Das ist ein ärgerlicher Fehler beim live-Handling in der Regie. Das kann im live passieren, wie der Beanstander verständnisvoll schreibt. Die grundsätzliche Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Tagesschau ist deswegen aber nicht in Frage gestellt.

Fazit

Die Tagesschau hat umfassend und sachgerecht über den Beschluss der US-Regierung berichtet, den Bau von Siedlungen für israelische Zivilisten als nicht mehr per se unvereinbar mit internationalem Recht zu betrachten. Sie hat über den Entscheid und die Reaktionen berichtet, sie hat diese neue Aussage der US-Regierung in den Zusammenhang mit dem Siedlungsbau und den Friedensbemühungen seit 1967 (Eroberung Ost-Jerusalems und des Westjordanlands) gestellt und dies in live-Gesprächen mit zwei Korrespondenten in Washington und Tel Aviv vertieft. Sie hat sich auf die wesentlichen Punkte konzentriert, insbesondere auch auf die Rolle der USA. Auslöser für die Berichterstattung war ja auch die neu formulierte Haltung der Trump-Administration zum Siedlungsbau. Der hintergründige Bericht startet mit dem militärischen Sieg Israels im Sechstage-Krieg und mit der Eroberung des Westjordanlands. Erst dieser Eroberung machte den Bau von Siedlungen im Westjordanland überhaupt möglich.

Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Der Beitrag war nicht eine Geschichte der israelischen Nahost-Politik, sondern ein Rückblick auf das Engagement der USA im israelisch-palästinensischen Friedensprozess und auf die Ingangsetzung der israelischen Siedlungspolitik seit 1970. Die USA haben im Nahen Osten stets eine Vermittlerrolle gespielt; erinnert sei beispielsweise an die Pendeldiplomatie von Außenminister Kissinger nach dem Yom Kippur-Krieg von 1973. Und die amerikanischen Präsidenten haben sich mal stärker, mal weniger stark mit Lösungsvorschlägen in den Konflikt eingebracht, man denke nur an die Vermittlung von Präsident Clinton zwischen Premierminister Rabin und Palästinenserführer Arafat. Das Ziel war stets eine Zweistaatenlösung, auch im Einklang mit Uno-Resolutionen. Doch die Regierung Trump rückt davon ab: Der amtierende Präsident ergreift einseitig (und ohne Not) Partei zugunsten von Israel – durch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, durch die Anerkennung der definitiven Annexion der Golanhöhen durch Israel, durch die Bezeichnung der Siedlungsbauten als «nicht völkerrechtswidrig» - und setzt sich in Wirklichkeit mit allen Aktionen in Widerspruch zum Völkerrecht. Peter Düggeli in Washington hat mit Recht von «einem weiteren Sargnagel für die Zweistaatenlösung» gesprochen. Das war das Thema der Sendung, und es gab Grund genug, die Analyse mit einem kritischen Unterton gegenüber den USA zu versehen. Dass aber der Beitrag «voreingenommen» und «voller Schuldzuweisungen» gegenüber Israel gewesen sei, wie Sie unterstellen, kann ich nicht erkennen. Er war im Gegenteil informativ, sachgerecht und verständlich. Ich kann keinerlei Verstoß gegen das Radio- und Fernsehgesetz feststellen. Aus diesem Grund kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-19-11-2019-hauptausgabe?id=6e1dbb76-fc2e-4c6e-a8d4-c8224752aba6

[2] http://www.hagalil.com/israel/independence/unabhaengigkeit/1948-1.htm

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