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«10 vor 10»-Beitrag «Boni verleiten Ärzte zu unnötigen Eingriffen» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 31. Dezember 2019 beanstandeten Sie Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 30. Dezember 2019 und dort den Beitrag «Boni verleiten Ärzte zu unnötigen Eingriffen».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Systematische Fake News zum Thema Gesundheitswesen!

Herr Arthur Honegger wurde von mir als Journalist und Korrespondent in den USA sehr geschätzt. Sein Engagement in 10 vor 10 hat mich deshalb gefreut. Im Jahr 2019 wurden aber systematisch Beiträge in 10 vor 10 gebracht zum Thema Gesundheitswesen, welche unausgewogen sind und propagandistische Züge aufweisen. Anfangs Jahr wurde eine Statistik in 10 vor 10 über das Einkommen der Ärzte gesendet. Diese Statistik war erstens alt und zweitens falsch. Das BAG wusste über die Mängel dieser Statistik Bescheid. Die Journalisten von 10 vor 10 haben diese Statistik aber ohne journalistische Sorgfaltspflicht vorgestellt und basierend auf diesen falschen Zahlen Stimmung gegen die Ärzte gemacht. Fake News gibt es also nicht nur in den USA, sondern auch bei uns. In den USA werden die Fake News aber ganz offen als Alternative Truth tituliert. Nicht so bei uns. Weiter wurde während des ersten Halbjahres ein mangelhaftes Bandscheibenimplantat entdeckt. Offenbar sind nur wenige Patienten betroffen. Das Thema der Zulassung von Implantaten ist aber sicherlich ein ernst zu nehmendes Thema. Stattdessen wurde der Chirurg, welcher eines dieser Implantate eingesetzt hatte diffamiert und angegriffen. Er wurde als Beispiel einer skrupellosen Ärzteschaft dargestellt. Weitere Beiträge folgten. Gestern wurde eine Studie in 10 vor 10 als Anlass genommen, erneut über die Ärzte zu schnöden. Es erscheinen 100000de von Studien jährlich. Gepickt wird aber nur eine Studie, welche feststellt, dass in der Schweiz mehr Implantate eingesetzt werden, als anders wo. Wie wurde diese Studie analysiert? Wie werden unnötige Operationen definiert? Werden in der Schweiz zu viele, oder im Ausland zu wenige Operationen durchgeführt? Dies sind nur einige, der permanenten Hetzkampagnen gegen Ärzte und im speziellen Fachärzte oder Chirurgen.

Krankenkassen haben eine der einflussreichsten Lobby in Bern nebst der Bauern. Die chemische Industrie kann sich wahrscheinlich ebenfalls wehren. Die FMH ist eine Lobby der Allgemeinmediziner, welche die Fachärzte der Politik opfert. Wenn sie aber wirklich krank sind, wer ist dann in der Lage, sie zu behandeln?

Parallel zu solchen Nachrichten werden Sendungen ausgestrahlt wie ‘ich will leben’, wo Patienten und Kinder porträtiert werden, welche auf Transplantate warten = Spitzenmedizin! Die Ärzte in diesen Sendungen sind hoch qualifiziert, ethisch einwandfrei und werden diese Sendungen nie missbrauchen für Propaganda Zwecke. Im Mittelpunkt stehen die Patienten. Das ist die Realität im Medizinalberuf. Wem vertrauen sie wirklich, wenn sie krank sind, der Krankenkasse oder ihrem Spezialisten?

Gerne würde ich Herrn Honegger einmal meine Analyse zum Gesundheitswesen erläutern. Bundesräte und ihre Adlaten sind nicht ansprechbar. Die bekannten Gesundheitspolitiker sind ebenfalls nicht ansprechbar. Frau Yvette Estermann ist die einzige Politikerin in Bundesbern, welche eine Initiative zur Eindämmung der Kosten im Gesundheitswesen portiert. Diese Initiative trifft den Kern des Problems ist aber unausgewogen. Es wäre aber die Gelegenheit, einen interessanten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Es wird nicht gegen ihre Initiative gekämpft, sondern gegen die Frau. Es wird versucht, sie zu desavouieren wegen der Unterstützer ihrer Initiative. Ich kann zu diesen Leuten nichts sagen. Es ist aber traurig, zu sehen, wie ein Bundesrat Berset und seine BAG Administration nichts Konstruktives auf die Reihe bringen und dafür im Parlament auch noch breite Unterstützung erhalten.

Mir ist klar, dass sie mir nicht die direkte E-Mail Adresse von Herrn Honegger geben können, um ihn einmal etwas konkreter zu informieren. Vielleicht existiert aber eine Zwischen E-Mail Adresse, um mit ihm in Kontakt zu treten, welche ihm erlauben würde, mit mir in Kontakt zu treten. Ich bin nicht anonym und ich bin auch kein Terrorist, aber ein kritischer Geist und Verfechter der direkten Demokratie.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «10 vor 10» antwortete dessen Redaktionsleiter, Herr Christian Dütschler:

«Herr X beanstandet den Beitrag ‘Ärzte operieren zu viel’, den wir in der Sendung 10vor10 vom 30. Dezember 2019 ausgestrahlt hatten. Anlass für die Berichterstattung war eine neue Massnahme des Basler Universitätsspitals, welches Prämien für die Anzahl durchgeführter orthopädischer Eingriffe gestrichen hatte. Dies nachdem unlängst eine Studie beider Basler Gesundheitsdirektionen aufgezeigt hatte, dass eine substanzielle Zahl der orthopädischen Eingriffe in Basel-Stadt und Basel-Landschaft nicht erklärbar seien. In diesem Zusammenhang gingen wir im Beitrag der Frage nach, wie Spitäler in der übrigen Schweiz mit solchen Bonus-Zahlungen umgehen und machten dafür eine Umfrage. Der Beanstander kritisiert nun, wir würden eine Studie zum Anlass nehmen, um im Beitrag gegen Ärzte zu ‘schnöden’ und spricht zusammengefasst von einer ‘permanenten Hetzkampagne gegen Ärzte’.

Zudem beanstandet er in einem zweiten Beitrag eine Statistik des Bundesamtes für Gesundheit, welche er als ‘alt’ und ‘falsch’ bezeichnet und spricht in diesem Zusammenhang von ‘Fake News’. Ebenso greift er einen dritten Beitrag über mangelhafte Bandscheibenimplantate auf, wo in einem Bericht auch die Rolle des Chirurgen Max Aebi beleuchtet worden ist. Diesen, so der Vorwurf des Beanstanders, hätten wir ‘diffamiert’ und ‘angegriffen’.

Verschiedene Kritikpunkte betreffen demnach Beiträge, die teils über ein Jahr zurückliegen. Auf diese Punkte werden wir aus formellen Gründen weiter unten eingehen.

  1. Kritik am Beitrag ‘Ärzte operieren zu viel’ im Besonderen

Bezüglich des Beitrags vom 30. Dezember 2019 beanstandet Herr X, man hätte eine Studie zum Anlass genommen um ‘erneut über die Ärzte zu schnöden’. Er spricht dabei von <permanenten Hetzkampagnen gegen Ärzte, im speziellen gegen Fachärzte oder Chirurgen>.

  1. Hintergrund des Beitrages und der erwähnten Studie

Kerngedanke und Leitfrage des Beitrages war, wie das Universitätsspital Basel und weitere Schweizer Spitäler mit der Thematik ‘Prämien für die Anzahl orthopädischer Eingriffe’ umgehen und was die Haltung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte bei diesem Thema ist. 10vor10 hat im gezeigten Beitrag die Sicht der Ärzte (FMH: Yvonne Gilli) und jene der Spitäler (Universitätsspital Basel) gezeigt. Zusätzlich wurde mit den Kantonen (GDK-Vizedirektor Lukas Engelberger) auch die dritte involvierte Partei berücksichtigt. Diese haben schliesslich die Aufsicht über die kantonalen Spitäler und decken grosse Teile der Kosten im Gesundheitswesen. Die Erkenntnis im Kern war, dass alle drei Parteien grundsätzlich anstreben, dass die mengenbezogenen Prämien für Ärzte abgeschafft werden.

In einem Satz erwähnten wir dann die Studie beider Basler Gesundheitsdirektionen, die aufzeigte, dass eine substanzielle Zahl der orthopädischen Eingriffe in Basel-Stadt und Baselland nicht erklärbar ist. Die Gesundheitsdirektoren beider Basel hatten im September 2019 darauf aufmerksam gemacht. Sie liessen im Rahmen einer ausführlichen Spitalplanung die Nachfrage der Bevölkerung nach stationären Spitalleistungen – bereinigt durch demographische und sozioökonomische Variablen – einschätzen. Die Erkenntnis dabei: Im Bereich Orthopädie gibt es unter anderem <eine deutliche absolute und unerklärte Überschreitung der zu erwartenden Fallzahlen>

Unter Berücksichtigung der aktuellen Ankündigung des Universitätsspitals Basels, Prämien für die Anzahl durchgeführter orthopädischer Eingriffe zu streichen, nahmen wir das Thema auf. Konkret wurden am Ausstrahlungstag, dem 30. Dezember 2019, insgesamt 10 Schweizer Spitäler befragt und deren Antworten präsentiert. Der Trend zeigte dabei klar: Die meisten Spitäler haben mengenbezogene Prämien mittlerweile abgeschafft. Ausserdem führten wir diverse Gespräche mit Spitaldirektoren, Kantonsvertretern und Chefärzten: Dabei erfuhren wir, dass es hinter vorgehaltener Hand, durchaus Kritik an der Abschaffung dieser Prämien gibt. Die Befürchtung ist, dass mit dem Wegfallen der Prämien, die in Zürich bspw. 50% des Lohns von Kaderärzten ausmachen, Ärzte zu Privatspitälern abwandern könnten. Obschon diese Kritik nicht vor der Kamera geäussert wurde, nahmen wir sie im Beitrag auf und konfrontierten Yvonne Gilli und Lukas Engelberger damit. Yvonne Gilli empfand diese Sorge auch aus Sicht der FMH für berechtigt und fordert entsprechende Regulierungen auch für Privatspitäler.

Die Ankündigung des Universitätsspitals Basels war eine relevante Aktualität, um die Thematik zu vertiefen. Dabei haben wir nicht nur den Umgang mit solchen Prämien bei verschiedenen Spitälern aufgezeigt, sondern auch alle wichtigen Player zu Wort kommen lassen. Insbesondere nahmen wir auch die hinter vorgehaltener Hand geäusserte Kritik von Seiten Ärzteschaft bezüglich der Abschaffung der Prämien auf.

  1. Hetzkampagne gegen Ärzte

Der Beanstander spricht zusätzlich von einer ‘permanenten Hetzkampagne gegen Ärzte’.

Unter einer Hetzkampagne werden nach allgemeinem Sprachverständnis gezielte Massnahmen verstanden, den Ruf einer Person oder Institution zu schädigen. Wir haben bereits ausführlich dargelegt, dass sich die genaue Betrachtung des Themas (Prämien für orthopädische Operationen) an diesem Tag angesichts der jüngsten Entwicklung am Universitätsspital Basel anbot. Die relevanten Player wie Ärzte, Spitäler und Kantone kamen zu Wort oder wurden indirekt zitiert. Die betroffenen Standesvertreter kamen also ausführlich zu Wort. Von gezielten Massnahmen, den Ruf von jemanden zu schädigen, kann keine Rede sein.

  1. Zwischenfazit

Die Berücksichtigung aller Meinungen und das Bekanntmachen der neusten, tagesaktuell in Erfahrung gebrachten Praxis der Spitäler haben es dem Zuschauer ermöglicht, sich bei dieser Thematik eine eigene Meinung zu bilden. Es wurde das gesamtschweizerische Bild sachgerecht, ausgewogen und relevant dargestellt. Wir bitten Sie daher die Beanstandung zum Beitrag vom 30. Dezember 2019 abzuweisen.

  1. Kritik an der Berichterstattung rund um das Gesundheitswesen im Allgemeinen

Wie eingangs bereits erwähnt, kritisiert Herr X auch verschiedene Beiträge, welche teils über ein Jahr zurückliegen. Für eine Zeitraumbeanstandung darf gemäss RTVG der letzte beanstandete nicht mehr als drei Monate hinter dem ersten beanstandeten Beitrag zurückliegen. Vorliegend handelt es sich um eine Kritik, die u.a. einen Beitrag vom 29. Oktober 2018 [2] (ab Timecode 12.30; Interview ab Timecode 17.17) betrifft. Dennoch nehmen wir zu den einzelnen Kritikpunkten wie folgt Stellung:

    1. Falsche und alte Statistik im Beitrag vom 29. Oktober 2018

Der Beanstander wirft den Journalisten der 10vor10 Redaktion vor, sie hätten ‘Anfang Jahr’ ‘ohne journalistische Sorgfaltspflicht’ eine Studie vorgestellt und gegen Ärzte ‘Stimmung’ gemacht. Konkret erklärte er: ‘Anfangs Jahr wurde eine Statistik in 10vor10 über das Einkommen der Ärzte gesendet. Diese Statistik war erstens alt und zweitens falsch.’

Wir vermuten, es handelt sich bei den kritisierten Beiträgen um zwei Berichte, einen haben wir am 29. Oktober 2018 ausgestrahlt und einen zweiten Bericht am 8. November. Einen Beitrag von ‘Anfang Jahr’ - wie der Beanstander schreibt, konnten wir im Archiv nicht finden. Konkret geht es in den zwei Beiträgen um eine Studie, welche vom Bundesamt für Gesundheit BAG veröffentlicht wurde und Zahlen beinhaltet, die bis ins Jahr 2014 reichten. Dass Studien Zahlen untersuchen, die teils ein, zwei oder mehrere Jahre zurückliegen ist per se nicht ungewöhnlich und spricht nicht gegen deren Relevanz. Ausserdem war die Studie zu diesem Zeitpunkt die neuste und bis dato umfangreichste zum Thema. So äusserte sich der Gastroenterologe (eine Gruppe, die neben den Neurochirurgen gemäss Studie mit CHF 386'000.- einen besonders hohen Medianlohn hat) Florian Riniker im Beitrag und verwies auf die Veränderungen der letzten Jahre. Er, Riniker, liege klar unter diesen Zahlen. Wir haben also bereits in diesem Beitrag, trotz relevanter und umfangreicher Studie des Bundes ein konkretes Fallbeispiel gezeigt, welches lohntechnisch sogar unter dem in der Studie aufgeführten Medianlohn lag. Ausserdem legte Jürg Schluep, Präsident der Ärztevereinigung FMH, im anschliessenden Studiogespräch dar, dass die Studie aus seiner Sicht methodische Mängel aufweist. Im rund 5:30 langen Interview mit Gesprächsleiter Arthur Honegger konnte sich Jürg Schluep mehrfach zu den BAG-Zahlen – auch kritisch – äussern. Er machte in diesem Zusammenhang auf den vom Ärzte-Dachverband ausgerechneten durchschnittlichen Jahreslohn von CHF 155’000 (vgl. unten) aufmerksam. Zusammenfassend wurde demnach in keiner Weise Stimmung gegen die Ärzte gemacht, wie dies vom Beanstander moniert wird. Im Gegenteil: Die Kritik der Ärzteschaft an der BAG-Studie wurde aktiv in die Berichterstattung aufgenommen.

Da es anschliessend an der vom BAG erwähnten Studien weiterhin öffentliche Kritik von Seite der Ärzteschaft gab, nahmen wir die Thematik am 8. November 2018 erneut auf [3](ab Timecode 1.09, Gespräch ab 6.07) und machten die Kritik der Ärzte nochmals zum Thema. Inhaltlich fokussierte dieser Beitrag wie erwähnt auf die Kritik der Ärzteschaft an den jüngsten Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit. Die Löhne seien weitaus tiefer als die Studie aufzeigt, so die Ärzteschaft. Der Präsident des Ärzte-Dachverbandes sprach konkret von CHF 155'000.- durchschnittlichem Jahreslohn. Auch Gesundheitsminister Alain Berset kam im Beitrag zu Wort und erklärte, beide Zahlen hätten ihre Richtigkeit. Schliesslich analysierte der unabhängige Vergütungsexperte Urs Klingler für 10vor10 die Zahlen. Klingler ist Berater und Studiengangsleiter für ‘Compensation und Benefits Management’ an der ‘School of Management Fribourg’. Er gilt als Experte in Vergütungsfragen. Klingler kam zum Schluss, dass die Studie des BAG für einen ersten Überblick durchaus geeignet und in keiner Weise tendenziös sei.

Ausserdem kritisiert der Beanstander die Berichterstattung im Zusammenhang mit der genannten Statistik als ‘Fake News’. Fake News sind gemäss Definition manipulativ verbreitete und vorgetäuschte Nachrichten. Der Rechtschreibe-Duden, der den Begriff 2017 in seine Ausgabe aufnahm, definiert Fake News als Falschmeldungen, die in manipulativer Absicht verbreitet wurden. Der Beanstander bezieht diesen Begriff insbesondere auf die oben ausgeführte Statistik. Diese war wie dargelegt breit abgestützt und kontrovers diskutiert. Weder in diesem konkreten Fall, noch in der Berichterstattung von SRF im Allgemeinen kann von manipulativen oder gar mit Absicht veröffentlichten Falschmeldungen die Rede sein. Den Vorwurf der ‘Fake News’ weisen wir daher in aller Form zurück.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei der vom Beanstander kritisierten Statistik also weder um ‘falsche Zahlen’ handelte, noch damit ‘Stimmung gegen Ärzte’ gemacht worden ist. Wo es verschiedene Einschätzungen zwischen dem Bundesamt für Gesundheit und den Ärztevertretern gab, haben wir das aufgezeigt und transparent gemacht.

    1. Diffamierung des Chirurgen Max Aebi

Der Beanstander kritisiert eine weitere Berichterstattung. Konkret, dass ‘im ersten Halbjahr’ ein mangelhaftes Bandscheibenimplantat entdeckt worden sei und der Chirurg, welcher eines dieser Implantate eingesetzt hatte, ‘diffamiert und angegriffen’ worden sei. ‘Er wurde als Beispiel einer skrupellosen Ärzteschaft dargestellt’, so die Kritik.

10vor10 hat zwischen dem 27.11.2018 und dem 5.2.2019 wiederholt über den sogenannten ‘Implantat-Skandal’ berichtet.[4] Vorliegend handelt es sich um Beiträge zu fehlerhaften Bandscheiben-Implantaten. Entgegen den Ausführungen des Beanstanders wurde diese Recherche bereits Im November 2018 publik. Konkret hatten sich Stücke von künstlichen Bandscheiben bei verschiedenen Patienten im Körper gelöst und diese verletzt. Dies deckte eine Gruppe internationaler Journalistinnen und Journalisten auf. Sämtliche namhafte Schweizer Zeitungen wie die NZZ oder der Tages-Anzeiger, sowie diverse Sonntagsmedien und das Schweizer Radio und Fernsehen nahmen dies zum Anlass, über die Geschichte zu berichten. Bei 10vor10 wurde in der Berichterstattung auch die Rolle des Berner Chirurgen Max Aebi thematisiert. Dies weil er im wissenschaftlichen Beirat der Hersteller-Firma WAR sass und deren Produkte auch selbst eingesetzt hatte.

Max Aebi nahm in der Sendung 10vor10 vom 30.11.2018 erstmals öffentlich Stellung. Dabei konnte der Chirurg Max Aebi seine Kenntnisse und Erfahrungen mit der betroffenen künstlichen Bandscheibe darlegen. Er selbst hatte die betroffene Prothese bei sieben Patientinnen und Patienten eingesetzt. Zu Komplikationen sei es nicht gekommen. <Während diesen Nachkontrollen ist mir nie etwas aufgefallen, das nicht sein sollte. Den Patienten ist es zum Teil sehr gut gegangen.> Im gleichen Beitrag stellten wir die Frage, ob die Prothese überhaupt für den Menschen hätte zugelassen werden dürfen. Zu Wort kam dabei der Orthopäde Karsten Ritter-Lang. Dieser hielt fest, dass es bei Tierversuchen mit Affen ‘Warnsignale’ gab. Auch hier konnte Chirurg Max Aebi reagieren. Solche Probleme seien nur am Anfang aufgetreten: <Nachher ist eine ganze Serie gekommen von Affen, bei denen dieses Problem nicht mehr gewesen ist, von dem wird einfach nirgends geredet.> Wir erwähnten dabei auch, dass in einer entsprechenden Publikation später stand, <das Implantat sei stabil geblieben>. Am 5.2.2019 berichteten wir schliesslich erneut über Max Aebi. Aufhänger der Sendung war die neue Medizinprodukte-Regulierung, die damals ohne Gegenstimme durch National- und Ständerat kam. Im gleichen Beitrag erwähnten wir, dass die kantonale Staatsanwaltschaft gegen den Berner Chirurgen Max Aebi eine Untersuchung eröffnet hat wegen schwerer Körperverletzung. Aebi selbst wollte sich an diesem Tag nicht mehr zum Thema äussern. Die Untersuchung gegen Max Aebi läuft noch.

Ein ‘Angriff’ bzw. eine ‘Diffamierung’ – wie sie der Beanstander geltend macht – ist laut Definition dann gegeben, wenn man jemanden in üblen Ruf bringt oder verleumdet. Eine Verleumdung im Sinne des Schweizer Strafgesetzbuches (StGB) ist eine strafbare Handlung gegen die Ehre eines Menschen.

Vorliegend konnte der Chirurg Max Aebi in der Sendung vom 30.11.2019 wie dargelegt seine persönliche und fachliche Meinung kundtun. Wir haben sachlich und ausführlich über den Fall und über die Entwicklung, letztlich auch über das eröffnete Strafverfahren gegen Max Aebi, berichtet. Eine Diffamierung, geschweige denn eine Verleumdung im strafrechtlichen Sinne, sind vorliegend nicht gegeben. Wir haben demnach auch aus journalistischer Sicht sachgerecht und inhaltlich ausgewogen berichtet.

  1. Schlussfazit

Zusammengefasst weist die Redaktion 10vor10 die genannten Vorwürfe aus den dargelegten Gründen vollumfänglich ab. Wir bitten Sie daher unter Berücksichtigung der genannten Ausführungen zum beanstandeten Beitrag ‘Ärzte operieren zu viel’ vom 30. Dezember 2019 die Beanstandung als Ganzes abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zuerst zum Formalen: Das Publikum hat in der Schweiz im Vergleich zum Ausland stark ausgebaute Beschwerderechte gegenüber Radio und Fernsehen. So kann man niederschwellig (nämlich gratis und ohne zusätzliche Unterschriften) an die Ombudsstellen gelangen, um in einer Art «Vorverfahren» herauszufinden, ob man sich zu Recht oder zu Unrecht über eine Sendung geärgert hat. Man kann dann, wiederum niederschwellig, Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) erheben und einen rechtsgültigen Entscheid erwirken. Und unter gewissen Umständen kann man sogar das Bundesgericht anrufen. Aber dieses Verfahren kennt Regeln. So sind Fristen zu beachten. Eine Einzelsendung kann man bis 20 Tage nach der Ausstrahlung beanstanden. Eine Gruppe von Sendungen zum gleichen Thema kann man bis drei Monate zurück in eine Zeitraumbeanstandung packen. In Ihrem Fall haben Sie einerseits eine Sendung beanstandet, die bloß einen Tag zurücklag. Eine solche Beanstandung ist gültig. Anderseits haben Sie auf zwei Sendungen zurückgegriffen, die im Herbst 2018 ausgestrahlt wurden. Diese sind auch im Rahmen einer Zeitraumbeanstandung formal nicht mehr kritisierbar, denn sie liegen nicht maximal drei Monate zurück, sondern 14 Monate. Auch die Sendungen, die den Implantat-Skandal betreffen, liegen mehr als ein Jahr zurück. Ich kann daher nur aus Kulanz kurz auf die früheren Sendungen eingehen.

Dass Sie von verschiedenen Sendungen von «10 vor 10» nicht begeistert waren, verstehe ich gut. Man ist besonders empfindlich, wenn die eigene Berufsgruppe in den Medien thematisiert wird – aus mehreren Gründen: Erstens verfügt man über Insiderwissen, das einem erlaubt, die Informationen stärker zu differenzieren. Zweitens möchte man nicht, dass die Bevölkerung schlecht über die Berufsgruppe denkt. Und drittens findet man, dass gewisse Privilegien nicht unbegründet sind. Gerade Ärzte werden ja nicht nur bezahlt für eine konkrete handwerkliche Tätigkeit, sondern auch für Ihre Erfahrung, ihr Wissen, ihre Verantwortung und ihre Einsatzbereitschaft. Es ist unbestritten, dass Ärzte viel leisten und deshalb auch Anspruch auf entsprechend hohe Löhne haben. Aber es dürfte ebenso unbestritten sein, dass die Kritik am Junktim zwischen Zahl der Operationen und Höhe der Boni berechtigt ist.

Überdies ist die Sendung «10 vor 10» schlicht vom Faktum ausgegangen, dass das Kantonsspital Basel-Stadt dieses Junktim gekappt hat. Außerdem gibt es die Empfehlung der Gesundheitsdirektorenkonferenz, dass alle Kantone und alle Spitäler in diese Richtung gehen sollten. Auch Yvonne Gilli vom Vorstand der FMH redet diesem Vorgehen das Wort. «10 vor 10» hat darum nur wiedergegeben, was sich im Gesundheitswesen tut. Ich kann in dem Beitrag keinen Verstoß gegen die Sachgerechtigkeit und damit gegen das Radio- und Fernsehgesetz erkennen. Und das heißt, dass ich Ihre Beanstandung nicht unterstütze.

Was die früheren Beiträge betrifft, so wird in jenem vom 29. Oktober 2018 tatsächlich kritisch über die Löhne der Ärzte berichtet. Aber es wird auch klar, dass es noch andere Statistiken gibt und dass das letzte Wort über die richtigen Zahlen nicht gesprochen ist. Und im Beitrag vom 8. November 2018 kommen vor allem Ärzte zum Wort, die ihren Berufsstand und damit auch die Löhne verteidigen. Wenn man all die Beiträge gesehen hat, versteht man Ihre harsche Kritik nicht mehr ganz.

Was schliesslich Ihren Wunsch betrifft, mit Arthur Honegger ins Gespräch zu kommen: Sie können mir Ihre Fragen an ihn schicken und ich leite sie an ihn weiter. Es wird zweifellos möglich sein, dass Sie sich entweder schriftlich oder telefonisch austauschen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/boni-verleiten-aerzte-zu-unnoetigen-eingriffen?id=746ad256-4b82-4fcd-adfa-8482eef6dc70

[2] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-29-10-2018?id=2f0198e2-ac24-4e9f-9ca0-5f0f9d52e385

[3] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-08-11-2018-2150?id=3c0fde8e-c995-48bf-aef6-c64f1ecf9e0e

[4] Sendung vom 27. 11. 2018: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-der-implantat-skandal?id=fcea93be-b279-4b87-94ba-7a686d1a0b94&expandDescription=true

Sendung vom 29. 11. 2018: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/wer-traegt-die-verantwortung-fuer-minderwertige-implantate?id=baa79f2a-f246-4f3c-bed7-6f27e784fb66&expandDescription=true

Sendung vom 30. 11. 2018: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-implantat-skandal-max-aebi-nimmt-stellung-?id=1b863389-329f-4855-b291-c91daa9f4d85

Sendung vom 3. 12. 2018: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/die-hoelle-im-ruecken?id=e9113eaf-bb0a-46f0-a5be-2045f2110759

Sendung vom 5. 12. 2018: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/implantate-skandal-wie-koennen-patienten-sich-wehren?id=91af032e-f3a9-4879-b2b7-a706bb518e45

Sendung vom 5. 2. 2019: https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/staatsanwaltschaft-ermittelt-im-implantate-skandal?id=029464c8-5fdf-4be0-921b-aa400d293ad6

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