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«Rundschau»-Beitrag «Sommaruga im Nachtzug» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 8. Februar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom 5. Februar 2020 und dort den Beitrag «Sommaruga im Nachtzug».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Rundschau Reportage diese Woche über Bundespräsidentin Sommarugas Zugreise nach Wien hat mich sehr enttäuscht.

Bundespräsidentin Sommarugas beispiellose und beispielhafte Reise wurde in Ihrem Beitrag als lächerlich präsentiert. Der Reporter versuchte Frau Sommaruga zu zwingen einzugestehen, dass eine Reise mit dem Nachtzug sehr unbequem und eigentlich eine Zumutung ist. Ihre Erklärung, es sei für sie genug Comfort, wurde nicht neutral akzeptiert. Stattdessen war die ganze Zugreise durch eine sarkastische Stimme kommentiert.

Der Beitrag hat zwar die enorme CO2 Ersparnisse dieser Zugreise richtig dargestellt. Die falsche Aussage der bürgerlichen Parteien hat aber der Reporter nicht direkt in Frage gestellt. Die Bürgerlichen haben fälschlicherweise kritisiert, die Reise sei eine Zeitverschwendung gewesen. Das stimmt überhaupt nicht, und der Reporter hat es ohne Kommentar oder Widerrede zweimal durchgelassen. Bundespräsidentin Sommaruga hat auf der Hin- und Rückreise im Nachtzug geschlafen, und ganz klar keine Zeit verschwendet. Warum hat der Reporter die bürgerlichen Kommentare nicht direkt mit dieser Tatsache konfrontiert?

Zudem wäre es erwähnenswert gewesen, dass nach der Zugreise Bundespräsidentin Sommaruga viel früher in Wien angekommen war als es mit dem Flugzeug möglich gewesen wäre. Somit konnte sie ihre Arbeit früher beginnen und auch viel länger arbeiten (eine tabellarische Darstellung wäre hilfreich gewesen). Dazu kommt noch, dass neben dem extrem kleinen CO2 Austsoss hat diese Zugreise auch viel Geld eingespart. Das Bundesratsjet kostet sehr viel zu betreiben, die hohen Kerosinkosten wurden auch eingespart, zudem musste Bundespräsidentin Sommaruga kein Hotelzimmer beziehen. Warum wurden diese Fakten gar nicht erwähnt? Die bürgerlichen Parteien haben sicher nichts gegen Sparen!

Man kann von einer SRF Sendung politische Neutralität erwarten. In diesem Fall hat die Reportage hinter dieser Erwartung zurückgeblieben. Stattdessen wurde sogar als Fazit der lächerliche bürgerliche Vorwurf von Zeitverschwendung ins Zentrum gestellt (Bundespräsidentin Sommaruga habe 22 Stunden von 35 Stunden im Zug verbracht). In der Zeit der Klimakrise versucht Bundespräsidentin Sommaruga -auch als Umwelt- und Verkehrsministerin - den Klimaschutz voranzutreiben, indem sie auch mit persönlichem Beispiel vorangeht. Diese Reportage vernichtet dieses Projekt mit der Art und Weise, wie diese Reise dargestellt wurde.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» antwortete deren Redaktionsleiter, Herr Mario Poletti:

«Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, zu dieser Beanstandung Stellung zu nehmen.

Die Beanstanderin kritisiert, dass die ‘Rundschau’ die Nachtzugreise von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga ‘lächerlich’ dargestellt habe und ‘nicht neutral’ berichtet habe. Die ‘Rundschau’ weist diesen Vorwurf in aller Entschiedenheit zurück. Reisen von Bundesräten als ‘embedded journalist’ zu begleiten ist grundsätzlich heikel. Deshalb war der ‘Rundschau’ in diesem Fall besonders wichtig, kritische Distanz zur Bundespräsidentin zu halten. Die ‘Rundschau’ will auch Bundesratsreisen journalistisch und kritisch begleiten und auf gar keinen Fall eine Art ‘Hofberichterstattung’ betreiben. Selbstverständlich hat die Bundespräsidentin einen grossen Teil der Reise schlafend verbracht. Aber es lässt sich trotzdem kaum bestreiten, dass die Anreise mit dem Nachtzug mehr Zeit benötigt als z.B. die Anreise per Bundesratsjet von Bern Belp aus. So stimmt die Behauptung der Beanstanderin nicht, dass die Bundespräsidentin dank der Anreise per Nachtzug ‘viel früher’ in Wien gewesen sei, ‘länger’ habe arbeiten können und erst noch ein Hotelzimmer ‘gespart’ habe. Nach Rücksprache mit der Bundesverwaltung lässt sich dazu festhalten: Üblicherweise absolvieren die Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten ihren traditionellen Antrittsbesuch in Wien mit dem Bundesratsjet. Sie fliegen frühmorgens ab Bern-Belp ab, fliegen gegen Abend wieder zurück und landen im Belpmoos. Dies ist sicher zeitsparender als die Anreise per Nachtzug. Zumal sich auch die Zeit im Flugzeug als Arbeitszeit nutzen lässt. Deshalb hat die Redaktion der ‘Rundschau’ auch die Kritik der bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier so stehen lassen. Fazit: Die Rundschau hat mit der Reportage einen eigenen Zugriff zur aktuellen Debatte rund um die Klima-Krise realisiert. Das Publikum konnte sich jederzeit eine eigene Meinung bilden. In diesem Sinne bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Man muss unterscheiden zwischen der Sache und der Sendung. In der Sache ist es sicherlich richtig, dass Schweizer Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker mit dem guten Beispiel vorangehen und dort, wo es möglich ist, den Zug statt das Flugzeug nehmen. Bei Reisen von Bundesräten und Bundesbeamten ins Ausland stellen sich ja immer mehrere Fragen, die gegeneinander abgewogen werden müssen:

  • Die Zeitfrage
  • Die Kostenfrage
  • Die Umweltbelastungsfrage
  • Die Sicherheitsfrage

Führende Persönlichkeiten vieler Länder, beispielsweise ein amerikanischer oder ein russischer Präsident, könnten aus Sicherheitsgründen nicht ohne Weiteres mit Bahn, U-Bahn und Tram unterwegs sein; sie bräuchten einen Sonderzug. Schweizer Bundesräte können in diesem Punkt etwas sorgloser sein. Aber bei den anderen Punkten kommt es in der Tat auf die Entfernung an: Kein Schweizer Magistrat reist mit dem Zug zum Staatsbesuch nach Moskau oder nach Athen. Bei Paris, Brüssel, Luxemburg, Berlin, Rom und Wien sieht es schon anders aus.

Was Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga mit ihrer Reise nach Wien betrieb, war symbolische Politik zugunsten eines umweltschonenderen Reisens. Die Bedeutung der symbolischen Politik wird oft unterschätzt. Sie hat meist auf der psychologischen Ebene eine nachhaltige Wirkung. Als der französische Präsident Charles de Gaulle 1963 in Paris Bundeskanzler Konrad Adenauer küsste, betrieb er symbolische Politik für die Versöhnung der Erbfeinde. Als Bundeskanzler Willy Brandt 1970 in Warschau vor dem Ehrenmal für die Toten des Ghettos auf die Knie fiel, war das symbolische Politik, mit der er um Vergebung bat für die schwere Schuld, die das nationalsozialistische Deutschland auf sich geladen hatte. Als der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat 1977 nach Jerusalem reiste und vor der Knesset sprach, was das symbolische Politik für den Frieden zwischen den beiden Ländern. Als die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, am 4. Februar 2020 nach der State-of-the-Union-Botschaft von Präsident Donald Trump dessen Redemanuskript zerriss, war dies symbolische Politik als Ausdruck des Protests gegen die Amtsführung des aktuellen Präsidenten.

Von der Sache ist die Sendung zu unterscheiden. Es ist richtig, dass die Redaktion der «Rundschau» auch dann kritisch berichtet, wenn es um eine durchaus sympathische Sache geht. Und es ist richtig, dass die Redaktion auch dann kritisch bleibt, wenn die Protagonistin eine Linke ist. Dem Fernsehen SRF wird ja immer wieder vorgeworfen, es sei links und es fasse Linke mit Samthandschuhen an. Der Vorwurf stimmt grundsätzlich nicht, und dieser Beitrag hat einmal mehr bewiesen, dass die «Rundschau» keine Scheu hat, auch eine Politikerin linker Provenienz kritisch zu begleiten. Dabei war die Sendung nicht einseitig. Die neue Regel für die Bundesbeamten, dass bis zu sechs Stunden Reisedauer die Bahn statt des Flugzeugs zu nehmen sei, verdient in der Tat eine kritische Würdigung, denn ausgerechnet Brüssel liegt leicht darüber. Und bei den Statements der Parlamentarierinnen und Parlamentarier waren sowohl bürgerliche wie linke vorhanden, also solche, die Sommarugas Nachtzugreise kritisierten, wie solche, die sie befürworteten. An der Sendung lässt sich nichts aussetzen, sie erfüllte alle Regeln der Kunst, deshalb kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen. Persönlich aber sehe ich die Sache wie Sie: Es war gut, dass die Bundespräsidentin mit dem Nachzug zum ersten Staatsbesuch, der traditionell immer Österreich gilt, nach Wien fuhr.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann


[1] https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/flugverbot-fuer-bundesbeamte-sexvorwuerfe-gegen-domherrn-coronavirus-putins-internetzensur?id=dfd8fb9e-bd8a-4009-a517-11128e2e3c51

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