«ABER!»: Vielfalt an Bildern und Stimmen sorgen für Zusammenhalt

Die Gefahr bei einer Halbierung des SRG-Angebots sei nicht primär politisch, sondern gesellschaftlich, schreibt Niggi Ullrich in seiner neuen Kolumne. Denn mit der Einschränkung der Töne und Bilder aus der Schweiz sinkt auch das gegenseitige Verständnis für die Vielfalt von Meinungen, Perspektiven und Lebenswelten.

Zur Kolumne «ABER!»

Niggi Ullrich schreibt in seiner Kolumne «ABER!» jeweils eine Replik auf den letzten Themenschwerpunkt des SRG.D-Mitgliedermagazins «LINK». Er nimmt die darin enthaltenen Stimmen und Meinungen auf und positioniert sich, beleuchtet einen Teilaspekt oder formuliert Denkanstösse in Bezug auf die SRG und ihre Rolle in der Zivilgesellschaft. Niggi Ullrich war von 1997 bis 2023 Präsident der SRG Region Basel und ab 2016 Vizepräsident der SRG Deutschschweiz.

Mit Blick auf die Abstimmung über die Halbierungsinitiative im nächsten Jahr wird die grösste Gefahr immer wieder darin gesehen, dass die Demokratie (in) der Schweiz Schaden nehmen würde. Nur wird bei näherer Analyse der Debatte nicht ganz klar, was wirklich gemeint ist. Es stellen sich Fragen: Sind damit die Institutionen gemeint? Oder das immer wieder hoch gelobte Milizsystem? Vielleicht die freie Meinungsäusserung? Der Stammtisch?

Fragt man nach, sehen viele Gegner:innen der Halbierungsinitiative das demokratische Spiel und seine Regeln in akuter Gefahr. Die Geschichte aber lehrt uns, dass die schweizerischen Institutionen schon etliche Stürme überlebt haben. Den letzten – die Covid-19-Pandemie – haben die eidgenössischen Institutionen nicht geschwächt. Gelitten haben vor allem die Gesellschaft und mit ihr die Menschen: durch Trennung, durch Abstand, wegen der Unsicherheit über den Ausgang für die Zukunft.

«Die Sicht auf das Eigene und Persönliche nimmt zu.»

Die Behörden und Fachleute im Gesundheitsbereich haben mit ihrer hohen Legitimation und unbürokratischen Entscheidungsfähigkeit die Krise mehr als nur leidlich hinter sich gebracht. In der privaten Öffentlichkeit draussen aber geriet einiges mehr ins Wanken und verstärkte einen ohnehin wachsenden gesellschaftlichen Trend: die Vereinzelung der Menschen in unterschiedlichsten Ausformungen mit direkter Wirkung für den Zusammenhalt untereinander. Wenn alles immer individueller und persönlicher aufgefasst wird, ist nicht das Gemeinwesen, sondern die Gesellschaft in Gefahr. Es fehlt nämlich der Blick für das Vielfache, für die Diversität der Dinge. Die Anerkennung für das Andere und noch nicht Bekannte nimmt ab. Die Sicht auf das Eigene und Persönliche nimmt zu. Der «public value» der uns umgebenden Welt entschwindet zu Gunsten eines immer bedeutsameren «private value».

Und so ist absehbar – sollte die Halbierungsinitiative angenommen werden – dass die Bilder, Texte und Töne, die die SRG SSR mit ihren Programmen täglich aus der breiten und diversifizierten Gesellschaft sendet und vermittelt, immer weniger werden. Alles, was wir von Menschen um uns herum hören, sehen und verstehen, entschwindet aus dem bisherigen Wahrnehmungshorizont. Das spürbare Weniger macht uns ärmer an Eindrücken, an Gesichtspunkten und Fragen.

«Wir sind zwingend angewiesen auf das Viele in dieser Gesellschaft.»

Die Bevölkerungsdichte mag in der Schweiz hoch sein, aber die Dichte der Informationen über unsere Umgebung mit Verwandten, Freundinnen, Bekannten, Sympathisantinnen, Gegnern, Feindinnen und allen anderen würden verblassen und uns auf uns selbst zurückwerfen. Dabei sind wir zwingend angewiesen auf das Viele in dieser Gesellschaft. Nur so sind wir reflexions- und handlungsfähig. Der Zusammenhalt in einem Gemeinwesen kann nicht gedeihen, wenn ihre Mitglieder Weniges gleich sehen, hören oder (be)denken.

Die Möglichkeit zur individuellen Programmauswahl zum Austausch mit den Wahrnehmungen anderer Menschen eröffnen die Chance, die Dinge dieser Welt so oder so zu sehen. Dabei geht es nicht immer nur um die gut recherchierten Facts & Figures aus der «Tagesschau», aus der «Arena» oder aus dem «Echo der Zeit»! Die Bilder und Informationen widerspiegeln sich auch in den Bereichen Unterhaltung, Wissenschaft, Kunst, Religion und Sport. Sie erweitern das Gesamtbild unserer Gesellschaft, das wir mit anderen Menschen kontrovers oder übereinstimmend teilen und uns so zusammenhält.

Die Halbierungsinitiative zielt also auf den Zusammenhalt einer schweigend-privaten Mehrheit, die individuell mit sich selbst beschäftigt ist und der man ganz einfach sagen kann, wo es lang geht. Dagegen steht das Gesellschaftsmodell, das von einem Zusammengehörigkeitsbewusstsein geprägt ist, in dem die Unterschiedlichkeit der Dinge bewusst er- und gelebt wird und so ein grösseres Ganzes mit allen Menschen schafft. Und erst dieses schafft Zusammenhalt! Wenn das Programm der SRG SSR halbiert würde, ist das nicht einfach nur eine demokratiepolitische Frage, sondern es wüchse vor allem die Gefahr, dass die Schweiz um ihren Gemeinsinn gebracht würde. Und dieser gehört zwingend zum Public Value einer demokratischen Gesellschaft.

Text: Niggi Ullrich

Bild: SRG SSR/SRG.D

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