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Wie die Soft-News den Qualitäts­journalismus verdrängen

Was hat die Art, wie wir unser Smartphone nutzen, mit Demokratie und der «No Billag»-Initiative zu tun? Möglicherweise mehr als uns lieb ist. Das Jahrbuch «Qualität der Medien» zeigt die Zusammenhänge auf. Wer kennt die Situation nicht: Menschen sitzen im Zug, alle blicken auf ihr Smartphone, rufen E-Mails oder den Facebook-Account ab, schreiben SMS, chatten, lesen die neusten News oder schauen das entscheidende Goal des FC Basel. Bereits drei Viertel der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren nutzen ihr Smartphone so – und zwar immer häufiger.

Dieses Verhalten fördert aber eine Entwicklung, die für unsere Demokratie gefährlich werden könnte. Davor warnen Wissenschaftler der Uni Zürich in ihrem Jahrbuch «Qualität der Medien» (siehe Kasten). Sie beschreiben darin eine Abwärtsspirale: ­Unterwegs und auf den kleinen Bild­schirmen werden primär Kurz-News und unterhaltende Inhalte bevorzugt, einordnende Analysen oder anspruchsvolle ­Hintergrundberichte sind weniger gefragt und werden über Social Media auch seltener geteilt. Zahlen zeigen denn auch: ­Kauf­zeitungen, die auf Hintergrund setzen, oder SRF-Informationssendungen wie ­«Tagesschau», «10vor10», «Rundschau», «Echo der Zeit» und «Rendez-vous am ­Mittag» verlieren Leser, Zuschauer und Hörer, seit 2010 zwischen fünf Prozent und zehn Prozent. Wohl nehmen die Online-­Zugriffe auf diese Inhalte insgesamt noch zu, nicht aber die der jungen Erwachsenen: Bei dieser Zielgruppe gehen sie zurück.

«Demokratiepolitisch ­alarmierend»

Hinzu kommt: Die rückläufige Nutzung der klassischen Medien führt dort zu ­gerin­geren Abo- und Werbeeinnahmen. Online- und Mobile-Werbung können diese ­Aus­fälle nicht kompensieren. Somit lässt sich hintergründiger Journalismus immer ­weniger finanzieren. «Unsere Zeitreihen zeigen bei vielen untersuchten Medien­titeln seit 2010 eine insgesamt ­sinkende Qualität», heisst es im Jahrbuch. Am meisten leide das Einordnen von Informationen. «Die Bürgerinnen und Bürger werden bei der Interpretation komplexer politischer, sozialer und ökonomischer ­Zusammenhänge immer ­häufiger alleingelassen.» Dies, kombiniert mit dem ­sinkenden Interesse junger Erwachsener an vertiefenden Infos, bezeichnen die ­Wissenschaftler als «demokratiepolitisch alarmierende Entwicklung». Eine Ent­wicklung notabene, die gemäss Mark Eisenegger, Professor und Mitherausgeber des Jahrbuchs, nun in der «No Billag»-­Initiative politisch spürbar wird. Denn die Initianten nähmen bewusst weitere qualitative Abstriche im Journalismus in Kauf, da alle gebührenfinanzierten Medien, ­darunter auch Privat-TVs und -Radios, zusätzlich geschwächt werden würden. ­«Damit wird die ehemals freisinnige Idee infrage gestellt, wonach eine funktionierende ­Demokratie starke private und öffent­liche Medien braucht», sagt Eisenegger. ­Zustimmung finde die Initiative wohl vor allem bei der wachsenden Gruppe junger ­Menschen, die meinen, keinen Bedarf an Hintergrundinfos mehr zu haben.

«Die Bürgerinnen und Bürger werden bei der Interpretation komplexer politischer, sozialer und ökonomischer ­Zusammenhänge immer ­häufiger alleingelassen.» Mark Eisenegger, Professor und Herausgeber Jahrbuch «Qualität der Medien»

Was ist dagegen zu tun? Für Eisenegger ist klar: Die Medien, insbesondere SRF, müssen zwingend auf den Social-Media-Kanälen präsent sein – noch stärker als heute. «SRF muss dort sein, wo sich seine potenziellen Nutzer aufhalten – auch mit hintergrün­digen Inhalten.» Eine «Tagesschau» beispielsweise sollte dort aber portioniert angeboten werden, meint er. Ferner sollten SRF-Moderatoren in diesen Kanälen mitdiskutieren und noch öfter das Publikum via diese Kanäle ins Programm einbeziehen.

Ein zweiter Aspekt: «Wegen seines über­alterten Publikums muss SRF unbedingt in Sendungen für Junge investieren – nicht bloss auf SRF Virus.» Hintergründige Informationen sollten zudem für Junge verständ­lich aufbereitet werden. «Und es braucht mehr junge Moderatoren als Identifikations­figuren.» Als dritten Punkt nennt Eisenegger die ­Förderung der Medienkompetenz bei den Jungen. «Dazu sind Eltern, Schulen, Unis, die Medien selbst und auch die ­Wissenschaft aufgerufen», sagt er. Punkto Publizistik fordert er SRF auf, dem «Tempodiktat» entgegenzutreten. Denn ­darunter litten Recherche und ­thematische Vielfalt. SRF sollte vielmehr Themen aufgreifen, «die nicht ohnehin schon überall auf der Agenda stehen».

Auch SRF in der Kritik

Zurück zur schwächelnden Einordnungsleistung der Medien: In diesem Punkt ­kri­tisiert das Jahrbuch auch SRF. Zwar seien Radio und Fernsehen SRF überdurchschnittlich gut, doch habe das Radio deutlich nachgelassen, während das Fernsehen sein Niveau knapp habe halten können, heisst es.

Bei Radio SRF hat man Mühe mit dieser Aussage. «Wir sind schon irritiert», sagt der stellvertretende Chefredaktor ­Fredy Gsteiger. Zum einen zeigten interne Auswertungen ein völlig anderes Bild. Zum anderen lege man seit Jahren das Gewicht sogar noch zunehmend aufs thematische Ein­ordnen. «Dieser Punkt wird nahezu in jeder Sendekritik angesprochen.» Zufrieden zeigt sich dagegen Tristan Brenn, Chefredaktor TV SRF. Tatsächlich ­bemühe sich seine Redaktion bei den tagesaktuellen News vermehrt um das ­Einordnen. «Wir greifen weniger Themen auf und gehen dafür mehr in die Tiefe.»

Keine Konzession an den Boulevard

Brenn und Gsteiger sehen aber auch Verbesserungspotenzial. So will Brenn thematisch vielfältiger werden – konkret weniger SVP, IS oder Flüchtlinge, mehr Bildung oder Demografie. Weiter biete das Fernsehen neu mehr Sendungen für ein eher ­spezialisiertes Publikum an, etwa das neue Auslandmagazin «#SRFglobal», den «Medien­club» oder den «Eco-Talk». Radio SRF fokussiert dagegen auf die bi­mediale Ausbildung (Radio und Online). «Zudem ­wollen wir unsere Inhalte häufiger in verschie­denen Kanälen verwerten», sagt ­Gsteiger. So sollen künftig die Audio-­Inhalte auch in schriftlicher Form genutzt werden können. «Denn Newsthemen ­werden online eher ­gelesen als gehört.» Auch will SRF seine Beiträge vermehrt über Twitter und ­Facebook ankünden. Einig sind sich beide ­zudem, dass SRF im Hinblick auf die ­Service-public-Diskussion ­klare Akzente ­punkto Qualität setzen muss.

«Die hohe Glaubwürdigkeit, die uns in ­Umfragen attestiert wird, ist unser höchstes Gut. Wir dürfen die Tendenz zu Skanda­lisierung und Boulevardisierung nicht mitmachen» Fredy Gsteiger, stv. CR Radio

«Die hohe Glaubwürdigkeit, die uns in ­Umfragen attestiert wird, ist unser höchstes Gut. Wir dürfen die Tendenz zu Skanda­lisierung und Boulevardisierung nicht mitmachen», sagt Gsteiger. Und Brenn ergänzt: «Es wäre ein Fehler, Konzessionen in ­Richtung Boulevard und seichterer Stoffe zu machen.»

Text: Markus Knöpfli
Bilder: iStockphoto


Das Jahrbuch «Qualität der Medien»
Das Jahrbuch «Qualität der ­Medien» erschien Ende Oktober 2015 zum 6. Mal. Es wird vom fög – Forschungs­institut Öffentlichkeit und Gesellschaft – und der Universität Zürich herausgegeben und ist im Buch­handel sowie bei Verlag Schwabe erhältlich. Auszüge aus dem Jahrbuch sind auf www.foeg.uzh.ch zu finden. ­Finanziert wird das Jahrbuch durch die Uni Zürich und die Stiftung Öffent­­lichkeit und Gesellschaft. Präsident des ­Stiftungsrats ist Professor Mark ­Eisenegger.

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