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Warum «No Billag» no SRG heisst

Die Initiative «No Billag» ist extrem – sie will der SRG SSR die Existenzgrundlage entziehen. Sie kann aber auch zum Steigbügelhalter für verstecktere Angriffe auf die SRG werden. Hintergründe von Philipp Cueni, Chefredaktor des Medienmagazins «EDITO».

Die Initiative «No Billag» ist zustande gekommen. Damit wird es zu einer Volks­abstimmung kommen, bei welcher es um die Existenz der SRG SSR gehen wird. Denn «No Billag» verlangt, die Gebühren ganz abzuschaffen, und damit würde der SRG die finanzielle Grundlage entzogen. «No Billag» heisst letztlich no SRG – und das wiederum heisst konkret: kein SRF ­Radio, kein SRF TV, kein tpc, kein RTS, kein RSI, kein RTR, kein Swissinfo. Und es würden mindestens 6000 Beschäftigte ihren ­Arbeitsplatz verlieren. Um diese politische Entscheidung geht es bei «No Billag».

«Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.» Das ist der Kernsatz der «No Billag»-Initia­tive. Er hat die Streichung von Artikel 68 des ­Radio- und Fernsehgesetzes zur Folge, ­welcher die Gebührenpflicht definiert.

Getragen wird diese Initiative von Exponenten aus Junger FDP und Junger SVP. Aber die Unterstützung der Initiative reicht weit über diesen relativ kleinen Kreis hinaus in die bürgerlichen Parteien hinein: Der grosse Schweizerische Gewerbeverband hat die Unterschriftensammlung unterstützt, SVP-Nationalrat Roger Köppel befürwortet die Forderung der Initiative und ein Basler Freisinniger etwa, der gerade als kantonaler Parteipräsident zur Wahl steht, unterstützt ebenfalls. Das sind erste Anzeichen dafür, dass der Rückhalt wachsen kann. Trotz des kleinen Initiativkomitees ist die Initiative aber vor allem deshalb ernst zu nehmen, weil sie zum Vehikel eines für die SRG viel gefährlicheren Vorschlags werden kann. Davon weiter unten.

Nicht nur die SRG tangiert

Aber zuerst: Was genau würde eine An­nahme der «No Billag»-Initiative nach sich ziehen? Einfach gesagt: Wenn es keine ­Gebühren für Radio und Fernsehen mehr gibt, dann wird der SRG der Geldhahn zugedreht und sie geht zugrunde. Ebenfalls ­trockengelegt würden die konzessionierten Privatradios und Fernsehstationen, welche zukünftig insgesamt 80 Millionen statt 54 Millionen Franken erhalten. Für die allermeisten dieser Sender würde dies vermutlich ebenfalls das Aus bedeuten, vor allem für die kleinen regionalen Radios und für fast alle regionalen TV-Sender.

Wenn der SRG die Gebühren entzogen werden, dann entfallen 75 Prozent ihres Einkommens. Es ist offensichtlich, dass ein Unternehmen nach einem Verlust von Dreiviertel seiner Einnahmen nicht mehr existenz­fähig ist. Und es ist illusorisch zu meinen, die SRG könne sich privat einzig aus den Werbegeldern finanzieren und zum kommerziellen Medienunternehmen wandeln: Hätte die SRG nur noch ein stark redu­ziertes Programmangebot, könnte sie entsprechend weniger Werbung ­platzieren und verlöre als Verkäuferin von Werbeplätzen massiv an Attraktivität. Es würde also auch der Werbeertrag einbrechen und dieser würde auf andere, vor ­allem ausländische Kanäle abwandern.

«No Billag» zielt an die Dekonstruktion des Medienhauses SRG - mit tiefgreifenden Konsequenzen für die Schweizer Gesellschaft.

Noch entscheidender ist aber, dass mit ­einem Verlust von mindestens Dreiviertel des Einkommens zuerst einmal das ganze System SRG zusammenbricht. Die Erfüllung des Leistungsauftrags des Bundes und die Philosophie des breiten Angebots für alle in allen Regionen wären nicht mehr umzusetzen, ebenso wenig der hohe Qualitätsanspruch. Und auch das System des sprachregionalen Finanzausgleichs i­nnerhalb der SRG wäre nicht mehr möglich: Die Suisse romande, die Svizzera ­italiana und die Svizra rumantscha sind von ihrer ­Bevölkerungszahl her nicht in der Lage, nur mit den eigenen Gebührengeldern qualitativ gleich­wertige Radio- und Fernsehprogramme an­zubieten. Über 25 Prozent der in der grossen Deutschschweiz eingenommenen Gebührengelder werden an die drei kleineren Sprachregionen weitergegeben. Und auch zwischen Quotenrennern für ein breites Publikum und aufwändigen teuren Sendungen für kleinere Publika wird finanziell ausge­glichen.

Initiativtext eine Irreführung der Stimmbürger

So gesehen ist es Augenwischerei, wenn die Initianten «No Billag» sagen, denn sie meinen no SRG. «Ich habe nichts gegen die SRG, sie soll sich bitte einfach selbst ­finanzieren», sagt der Co-Präsident der Initiative, Olivier Kessler. Das ist eine ­Irreführung der Stimmbürgerinnen und -bürger.

Die allermeisten Leistungen der SRG lassen sich nicht über den privaten kommerziellen Weg finanzieren. Dafür sind diese Angebote zu aufwändig und zu teuer und deshalb auf den kleinen vier Sprachmärkten der Schweiz nie und nimmer zu refinanzieren. Das zeigen die Erfahrungen der privaten Fernsehstationen in der Schweiz. Die logische Folgerung: Der Grossteil der Angebote würde ersatzlos entfallen. Die Angebote des öffentlichen Radios und Fernsehens sind für die gesellschaftliche und demokratiepolitische Debatte wichtig. Das stimmt ganz sicher für kulturelle ­Angebote, für das ganze Informations­angebot von SRF, für das Genre Dokumentarfilme, für Hörspiele und für die ganze Palette der Eigenproduktionen.

Sollten die Gebühren wegfallen, wäre der grösste Teil des Programmangebots nicht mehr finanzierbar

Diese Aussage stimmt jedoch nur bedingt, denn wenn wir ehrlich sind, gehören zu einem attraktiven Themenmix eines öffentlichen Senders auch unterhaltende Programme, welche nicht demokratiepolitisch begründet ­werden können. Andererseits können Jasssendungen oder Quizspiele vermutlich auch von kommerziellen Sendern produziert werden. Und Programmangebote, die teuer in der Produktion sind, aber hohe Quoten versprechen, würden bei ­einem Aus für die SRG vom Bezahlfern­sehen übernommen – mit hohen Kosten für die Konsumenten. Kommerziell sind für das Pay-TV nur die ganz grossen Events interessant. So kostet alleine das private Fussballangebot für Italien auf dem ­Murdoch-Kanal «Sky-Calcio» mehr als die gesamten jährlichen Radio- und Fernsehgebühren in der Schweiz.

Grundsätzlich falsch liegt, wer die Unterhaltung ganz aus dem Auftrag des ­öffentlichen Fernsehens ausklammern würde: Denn auch in der Unterhaltung spielt es eine Rolle, ob sie in Hollywood, in Deutschland oder eben in der Schweiz produziert und entsprechend auf ein ­spezifisches Publikum ausgerichtet ist. Und gerade in der Unterhaltung werden zum Teil wichtige gesellschaftliche Muster und Werte verhandelt. Und auch hier ­verhält es sich so, dass viele beliebte Unterhaltungsangebote im TV zu teuer sind, um sie über den Markt finanzieren zu ­können. Erst recht gilt das für die eigenfinanzierten Programmteile, für eigene ­Serien und Filme beispielsweise. Die SRG finanziert heute das Schweizer Filmschaffen jährlich mit rund 40 Millionen Franken. Ohne diese unter anderem über den «pacte de l’audiovisuel» entrichteten Gebührengelder wäre der Schweizer Film tot.

Unschweizerisches Gedankengut

Die Initianten von «No Billag» geben an, sie wollen vor allem ein Mediensystem ohne Gebühren, aber die Texte auf ihrer Website machen einen andern Aspekt sichtbar: Sie zielen auf die Unabhängigkeit der SRG und deren kritischen Journalismus, indem sie die Redaktionen und Journalistinnen und Journalisten der SRG als «staatsabhängig» diffamieren.

Das ist zuerst einmal ein schlechter Witz. Diese Verleumdung aber hat System und legt eine zutiefst unschweizerische Gesinnung der «No Billag»-Initianten offen: Der Staat (also die Schweiz) seien nicht wir alle, vertrete nicht die Interessen der Mehrheit, vielmehr wolle «die Politik» die Bürger entmündigen (so nachzulesen auf der «No Billag»-Website). Und die SRG (benannt als «Staatssender») sei von genau diesem Staat abhängig, ja fungiere gar als «Sprachrohr der Staatsmacht». Das ist eine absurde Verschwörungstheorie. Würden jedoch Medien wie die SRG zerstört werden, würde die Medienvielfalt reduziert und es blieben nur noch Medienhäuser übrig, welche sich kommerziell lohnen. Dann entscheiden allein jene Unternehmer darüber, wie die schweizerische ­Medienlandschaft aussieht, welche diese privaten Medien besitzen. Sie entscheiden dann auch darüber, wie der publizistische Kurs eines Mediums definiert wird, was sich kommerziell rentiert, wo entsprechend investiert oder abgebaut wird und ob allen­falls ­Medienhäuser auch an ausländische Besitzer oder solche mit politischen Zielen ­verkauft werden. Private Medienhäuser bieten selbstverständlich auch gute journalistische Leistungen. Diese sind aber nicht an einen öffentlich definierten Versorgungsauftrag gebunden, der Unabhängigkeit, Vielfalt und Nachhaltigkeit im Medienangebot garantieren soll. Dieser Versorgungsauftrag ist in der Bundesverfassung heute so umschrieben: «Radio und Fernsehen ­tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksich­tigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.» Mit der Annahme der «No Billag»-Initiative würde er aus der Verfassung wegfallen.

Wie weiter?

Die eidgenössische Initiative ist im Dezember 2015 eingereicht und die Gültigkeit im Januar 2016 von der Bundeskanzlei bestätigt worden. Was löst die Initiative jetzt unmittelbar politisch aus?

Das Volksbegehren geht zuerst an den Bundesrat, der dem Parlament eine Botschaft vorlegen muss. Theoretisch wäre es denkbar, dass die Volksabstimmung noch in diesem Jahr stattfinden könnte – wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Das hängt von den Entscheiden von Bundesrat und Parlament ab. Der Bundesrat kann sich für ­seinen Bericht ans Parlament bis zu einem Jahr Zeit lassen. Dann entscheiden die beiden Räte, ob sie die ­Initiative mit einer Empfehlung zur Volksabstimmung vorlegen wollen oder ob sie dazu einen Gegenvorschlag ausarbeiten. Im ersten Fall hat das Parlament ab Einreichen der Initiative maximal 30 Monate Zeit, um seinen ­Beschluss zu fassen. Entscheidet sich das Parlament für einen Gegenvorschlag, kann die Bundesversammlung diese Frist um ein Jahr ­verlängern. Nach Entscheid in den Räten muss dann innert zehn Monaten die Volksabstimmung stattfinden. Das heisst: Noch in diesem Jahr wird der Bundesrat zur Initiative Stellung nehmen müssen. Die Volksabstimmung könnte 2018, wird aber eher 2019 stattfinden. Möglich wäre sogar erst im Folgejahr.

Das heisst, dass sich die Medienlandschaft und die politischen Voraussetzungen bis zu einer Volksabstimmung noch werden verändern können. Dennoch wird das ­Thema ab heute aktuell sein. Einerseits, weil eine frühere Volksabstimmung möglich ist. Und auch, weil ein Entscheid im Parlament über einen Gegenvorschlag fast so wichtig sein kann wie die Volksabstimmung.

Kann man über die Chancen von «No Billag» spekulieren? Die Abstimmung über das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) vom vergangenen Juni hat der SRG aus verschiedenen Motiven indirekt einen Schuss vor den Bug gesetzt – auch wenn es nicht um die SRG, sondern um das neue Gebührensystem ging. Trotzdem gab es ein knappes Ja. Daraus kann man folgern, dass eine radikale «No Billag»-Initiative vom Volk abgelehnt würde. Wird dem Volk neben der «No Billag»-Initiative ein zweiter, sogenannter Gegenvorschlag zur Abstimmung unterbreitet, kann das für die SRG aber gefährlich werden. Ein Gegenvorschlag wird vom Parlament formuliert und braucht die Zustimmung von beiden Räten. Es wäre durchaus ­möglich, dass ein solcher Gegenvorschlag verlangt, die SRG müsse ihr Budget um zum Beispiel 50 Prozent reduzieren. Dann können die Stimmbürgerinnen und -bürger zwar zweimal Nein stimmen. Aber sie können auch einer Softvariante von «No Billag» zustimmen – und das kann für viele verlockend sein: «Die SRG soll ihre Leistungen doch mit der Hälfte der Gelder realisieren.» Offen bleibt dabei aber die Frage, was damit verloren gehen würde. Und ebenso, welche Auswirkungen es hat, wenn der öffentlich definierte und finanzierte Auftrag kein breites ­Angebot für ­viele verschiedene Bedürfnisse mehr rea­lisieren kann. Denn was im heutigen ­Angebot unnötig oder verzichtbar wäre, darüber gehen die Meinungen weit auseinander – wie es die Nutzung der ­vielen Programmangebote der SRG zeigt.

Text: Philipp Cueni

Bild: Illustrationen, Vaudeville Studios

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