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«Wieso nicht Musik wie Uhren und Schokolade fördern?»

Die Schweizer Musikszene wächst, aber die Umsätze im Musikmarkt brechen ein. Mehr Kulturförderung wäre nötig, sagen Branchenkenner. Profitieren würden nicht nur die Musiker, sondern auch der Kulturstandort Schweiz.

Vor Kurzem, am 23. April, hatte Anna Känzig einen ihrer grössten Auftritte. Im Schweizer Fernsehen lief am Samstagabend die Unterhaltungsshow «Happy Day», Röbi Koller moderierte, bei den Gästen flossen Tränen ob der erfüllten Herzenswünsche, und gegen Ende der Sendung spielte Känzig ihre neue Single «Get Out» . Eine euphorische, von klirrenden Synthesizern unterfütterte Hymne über das Vertrauen in die eigene Stärke. Ihr Auftritt kam an, wie sie in den nächsten Tagen mit einem Blick in ihre Verkaufszahlen im iTunes-Store feststellte. Sie waren markant nach oben geschnellt.
«Das war ein grosser Schub», sagt Känzig. Und nicht der erste: Seit die Zürcher Musikerin vor wenigen Jahren ihre Popkarriere lancierte, stösst sie bei der Musikredaktion von SRF auf offene Ohren. Mehrfach ­wurden ihre Titel zum «Song vom Tag» erkoren und entsprechend häufig im Radio gespielt. «Von Konzertveranstaltern höre ich immer wieder, dass sie mich häufig im Radio hören. Und deswegen engagieren», sagt Känzig.

«Von Konzertveranstaltern höre ich immer wieder, dass sie mich häufig im Radio hören. Und deswegen engagieren», Anna Känzig, Musikerin

Ein Anker im Leben

Die Sender des nationalen Radios und Fernsehens sind unverzichtbare Plattformen, wenn man im kleinen Schweizer Musikmarkt Fuss fassen will. Das sehen Musiker wie Redaktoren so: 2004 wurde eine gemeinsame Charta zur Förderung von Schweizer Musik beschlossen und dieses Jahr erstmals revidiert, um das hiesige Musikschaffen in Radio und Fernsehen stärker zu verankern (siehe Interview Seite 6). Musikerinnen wie Anna Känzig profitieren dabei nicht nur von der erhöhten Aufmerksamkeit. Erklingt ein Song im Äther, erhalten die Komponisten pro Ausstrahlung eine Abgeltung der Urheberrechte. Bei Känzig macht das rund 20 Prozent ihres Einkommens aus. Will man in der Schweiz von der Musik leben, sind diese Beiträge nicht unerheblich, denn die Umsatzzahlen gehen zurück: Seit dem Jahr 2000 sind die Musikverkäufe in der Schweiz um zwei Drittel eingebrochen.

Wer hier mit Musik Geld verdienen will, ist auf andere Einkommensquellen angewiesen: Konzertgagen, Privatauftritte, Verkauf von Merchandising-Artikeln – und Nebenjobs. Anna Känzig, ausgebildete Sängerin an der Jazzschule, arbeitet rund zwei Tage pro Woche als Gesangslehrerin. «Ich mache den Job gerne, er ist ein guter Anker im Leben und hilft mir, den Kopf frei zu haben für die kreative Seite meiner Musik», aber für ein oder zwei Jahre kann sie sich auch vorstellen, das Pensum zu reduzieren und ausschliesslich mit ihrer Band unterwegs zu sein. «Finanziell ist das derzeit aber noch nicht möglich», sagt sie.

Sorgenfrei komplett von der Musik zu leben, schaffen in der Schweizer Popbranche nur wenige, aber ein Wachstum gibt es dennoch – nicht in Franken, aber in Akteuren. Die Zahl von Produzenten und Musiklabels hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Dank digitalen Aufnahmemöglichkeiten ist eine Albumproduktion vergleichsweise billig zu haben, das MP3-Format ersetzt die teure Pressung von Schallplatten und CDs, Downloadshops wie iTunes ersparen den Versand in die Plattenläden oder direkt zum Kunden, soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube und Spotify öffnen Werbe- und Vertriebskanäle, durch die man dank globaler Vernetzung und präzise umrissenen Nutzerprofilen direkt die potenzielle Fanbasis ansteuern kann. Zumindest in der Theorie.

In der Schweiz noch am Anfang

In der Praxis hat sich die Konkurrenz­­situation durch den technologischen Fortschritt und die virtuelle Vernetzung eher verschärft. Das hiesige Einzugsgebiet bleibt klein, die Konkurrenz gross: Die ­dominierenden Musikmärkte USA, ­Grossbritannien und Deutschland geben mit ihren Acts auch in der Schweiz den Ton an. Ist da ein profitables Musikschaffen ausserhalb des Mundartmarkts noch möglich? Ja, sagt Andreas Ryser – aber kaum ohne Kulturförderung. Ryser betreibt in Bern das Musiklabel Mouthwatering Records, seit zwei Jahren präsidiert er zudem den Verband unabhängiger Schweizer Musik­labels IndieSuisse. «Wer in der Schweiz voll auf Musik setzen will, muss den Verkaufseinbruch mit Masse wettmachen», sagt er. Das gehe nur über den Export, und dazu braucht es Anschubfinanzierung. «Andere kleine Länder, etwa in Skandinavien, haben das seit Längerem begriffen. Dort gibt es staatliche Unterstützung für den Export. Wieso wird Musik in der Schweiz nicht wie Uhren, Schokolade oder Käse in die Exportförderung einbezogen?»

«Wer in der Schweiz voll auf Musik setzen will, muss den Verkaufseinbruch mit Masse wettmachen», Andreas Ryser, Betreiber des Musiklabels Mouthwatering Records, Bern

Tatsächlich ist Kulturförderung in der Schweiz in der Regel Sache der Kantone, was mit entsprechenden Gefällen einhergeht, aber zumindest in den Brennpunkten sind Fördermittel für den Pop da: In Zürich hilft der städtische Popkredit bei der Finanzierung von Tourneen und ­Studioproduktionen und fördert die notwendigen Strukturen hinter den Bands und Musikern: Labels, Veranstalter, einheimische Agenturen. In Basel schüttet der kantonal finanzierte RFV (ehemals Rockförderverein) dreimal jährlich mehrere hunderttausend Franken für Projekt­eingaben aus, über die eine Fachjury mit Szenenblick entscheidet. «Diese Fördermittel verschwinden nicht einfach auf den Bankkonten der Musiker», sagt Ryser, «sondern damit werden grafische Arbeiten, Presswerke, Fotografen oder Produzenten bezahlt. Es sind also Beiträge, die direkt in die Schweizer Kreativindustrie fliessen.» Davon profitiere die Schweiz, ist Ryser überzeugt. Eine florierende Kreativszene zieht stets Menschen mit guten ­Ideen an.

Von kleinen Kellern zum grossen Erfolg: Im Frühjahr 2014 treten die Newcomer Lorenz Häberle und Luc Oggier aka Lo & Leduc als «Best Talent April» bei Radio SRF 3 auf, in folgendem November hat ihre CD «Zucker fürs Volk» sich über 10 000 Mal verkauft.

Die Freude bewahren

Mehr Förderung also? Im Vergleich zu anderen Kulturinstitutionen wie Theaterhäusern oder Opern, die in der Regel den Grossteil der kantonalen Kulturbudgets aufzehren, muss die Musikszene tatsächlich mit relativ bescheidenen Beiträgen auskommen. Zugleich ist unter erfolgreichen Schweizer Musikern auch eine Zurückhaltung spürbar, sich ihre Arbeit von staatlichen Gremien absegnen zu lassen. «Theater und Film können ohne Unterstützung nicht arbeiten», ist Luc Oggier vom erfolgreichen Mundartrap-Duo Lo & Leduc überzeugt. «Andererseits ist Freiraum wichtig, und dafür muss man auch die ­Demut vor der Musik bewahren.» Lo & ­Leduc arbeiten beide noch neben der Musik, um «weiterhin Inputs aus dem wirklichen Leben zu erhalten», sagt Oggier. «Wenn ich morgens aufstehe und denke, ich muss heute einen Hit schreiben, um die Miete zahlen zu können, wäre der Hit wohl weniger gut.»

Demut also, auch in erfolgreichen Zeiten – und die kennen Lo & Leduc: 2015 war ihr Wunderjahr, sie wurden bei Radio SRF 3 zum «Best Talent» erkoren, gewannen Auszeichnungen an der Branchengala «Swiss Music Awards», und ihr aktuelles Album verkauft sich über Erwartung. Steigen nicht die Ansprüche mit dem Erfolg, Luc Oggier? «Von der Musik zu leben, das war mal ein Jugendtraum», sagt er. «Aber noch wichtiger ist, den Spass daran nicht zu verlieren. Wir sind jahrelang in kleinen Kellern aufgetreten, wo uns kaum einer kannte, und hatten unsere Freude daran. Die wollen wir bewahren, auch wenn wir einst wieder dort landen sollten.»

Text: Andreas Schneitter

Bild: Anna Känzig: Joseph Khakshouri, Lo & Leduc: Peter Hauser

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