SRG Deutschschweiz Ombudsstelle

Flüchtlingsberichterstattung in den Nachrichten auf Radio SRF beanstandet

4445
Mit Ihrer E-Mail vom 15. Dezember 2016 beanstandeten Sie Berichte zur Flüchtlingspolitik in den Nachrichten von Radio SRF vom gleichen Tag. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ist ja nett, dass 2016 ein paar wenige Wirtschafts-Asygranten ausgeschafft wurden. Beim Beitrag in den Nachrichten heute wurde aber völlig einseitig berichtet. Im selben Atemzug hätten Sie zwingend erwähnen müssen, dass im Jahr 2016 erneut zig-Tausende Migranten in die Schweiz geströmt sind, welche hier bleiben und unsere Sozialsysteme gewaltig belasten, oder untertauchen - mit gravierenden Folgen für unsere Gesellschaft. Und der Bund holt ja aktiv 2000 sog. Asylanten aus Syrien herein.

Vom staatlichen, zwangssteuer-finanzierten SRG-Haus erwarten wir ausgewogene Information, was mit dieser Jöö-Berichterstattung wieder gründlich missachtet wurde. Diese Tatsache beanstande ich hiermit bei der Ombudsstelle! Es wäre so einfach, ausgewogen und neutral zu berichten - halt noch einen Satz nachzuschieben, der Zahlen relativieren vermag. Unsere links geprägte SRG/SRF/Idee ‚suisse‘ tut das halt nicht - sind wir uns gewohnt, aber das heisst nicht, dass wir das akzeptieren müssen.

Kein Wunder, hat die NO-BILLAG Initiative so viel Unterstützung...“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Frau Géraldine Eicher, Leiterin der Inlandredaktion, schrieb:

„Besten Dank für die Möglichkeit, zur Beanstandung 4445 Stellung beziehen zu können.

Mit seinem Schreiben vom 15.12.2016 beanstandet Herr X verschiedene Sendungsinhalte zum Thema Ausschaffungen. Er kritisiert, es sei ‚völlig einseitig‘ berichtet worden, eine ausgewogene Information sei mit einer ‚Jöö-Berichterstattung wieder gründlich missachtet worden‘. Aus Sicht des Beanstanders hätte in der an diesem Tag erfolgten Berichterstattung zur deutlich angestiegenen Zahl von Ausschaffungsflügen ein Aspekt nachgeschoben werden müssen, der eben diese Zahlen relativiert. Namentlich fordert er einen Vergleich mit den Einwanderungszahlen, denn diese hätten gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft generell oder das Sozialsystem konkret.

Radio SRF hat am 15.12.16 in der Sendung ‚Heute Morgen‘ auf SRF1, SRF2 und SRF4 News, auf SRF3, in verschiedenen Nachrichtenbulletins sowie auf SRF Online über das Thema Ausschaffungsflüge berichtet.[1]

Konkret berichteten wir, dass 2016 insgesamt 327 Personen in 65 Flügen ausgeschafft wurden, ein Rekordwert. Die Zahl der Flüge stieg um ein Drittel, die Zahl der ausgeschafften Personen ebenso. Über 20 Flüge wurden zusammen mit der EU durchgeführt, was um ein Vierfaches günstiger ist, als wenn die Schweiz einen Ausschaffungsflug im Alleingang durchführt.

Als Gesprächspartner kam im Beitrag Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration (SEM) zu Wort.

Dabei ist festzuhalten: Es ging im kritisierten Beitrag nicht um Asylzahlen; die News und damit auch der Fokus des Beitrags lag einzig auf dem neuen Instrument der Sammelflüge mit der EU und auf der dadurch erzielten rekordhohen Zahl an Ausschaffungen im Jahr 2016.

Die von Herrn X aufgeführten Vorwürfe der Einseitigkeit können wir nicht nachvollziehen. Unsere Überlegungen stützen sich dabei auf folgende Fakten:

1. Radio SRF hat in allen Nachrichten- und Beitragsformaten am 15.12.16 diejenigen Inhalte berücksichtigt, die für das Verständnis des Sachverhaltes relevant sind (Ausschaffungsflüge zusammen mit EU-Staaten). Mit Gesprächspartner Martin Reichlin vom SEM kam ein Vertreter des Bundes zu Wort, nicht also eine politische Partei.

a) In der ausführlichen 1:52 Minuten langen Beitragsvariante wurde zudem nicht nur der konkrete Sachverhalt erklärt, sondern es wurde zusätzlich im Sinne des Beschwerdeführers ergänzend auf die Asylzahlen eingegangen. Es wurde gesagt: „Dass dieses Jahr ein Drittel mehr Asylsuchende gehen musste, liege daran, dass 2015 besonders viele gekommen seien“. Was der Beanstander kritisiert, wurde in der langen Version faktisch eingelöst. Diese Beitragsvariante lief in der Sendung ‚Heute Morgen‘ auf SRF1 regelmässig zur vollen Stunde (06.00/07.00/08.00/09.00 Uhr) sowie in ‚Heute Morgen‘ auf SRF2 (um 06.30/07.30). In den Beiträgen der längeren Sendungen wurde die hohe Zahl der 2015 gestellten Asylanträge also durchaus erwähnt.

b) Auch beim Online-Artikel blieb dieser Aspekt nicht unerwähnt. Dort ist nachzulesen: ‚2015 waren besonders viele Asylsuchende in die Schweiz gekommen, nun müssen auch vergleichsweise viele wieder gehen.‘

2. Die 20-sekündige Kurzmeldung fokussierte auf die News, die aus der (bisher nicht bekannten) rekordhohen Zahl von Ausschaffungen abgewiesener Asylsuchender bestand. Die schon länger bekannte hohe Zahl von Asylgesuchen im Jahr 2015 wurde im Kurzformat hingegen nicht erwähnt. Diese Meldung lief u.a. um 6.30 Uhr auf SRF 1 oder in den Kurznachrichten um 7.30 Uhr auf SRF 3 und hatte den folgenden Wortlaut:

‚Dieses Jahr hat die Schweiz bisher 327 abgewiesene Asylsuchende in ihr Heimatland ausgeschafft - und dafür 65 Flüge organisiert. Das sind so viele wie noch nie. Dies auch dank der EU. Mit ihr kann die Schweiz Ausschaffungen gemeinsam durchführen, was schneller geht und deutlich günstiger ist.‘

Dazu Roman Mezzasalma, Leiter der Nachrichtenredaktion von Radio SRF: ‚Die Redaktion ist auch in der Nachbetrachtung der Ansicht, dass im konkreten Fall diese Form der Kürzung an sich zulässig ist und der Hintergrund mit den Asylgesuchszahlen aus dem Vorjahr in einem solchen Kürzestformat kein absolut zwingendes Element darstellt.

Die Reaktion des Beanstanders zeigt uns allerdings, dass gerade in politisch umstrittenen Themenfeldern solche Kurzformen als politisch einseitig gefärbt wahrgenommen werden können. Dies war in keiner Weise unsere Absicht. Wir wollen deshalb gerade bei Kurz- und Kürzestformen noch vermehrt darauf achten, die Entstehung solcher Wahrnehmungen zu vermeiden.‘

3. Radio SRF berichtet kontinuierlich über die Asylzahlen. Letztmals wenige Tage vor dem beanstandeten Beitrag, am 8.12.2016, über die Novemberzahlen bei den Asylgesuchen, in verschiedenen Nachrichtenbulletins. Die monatliche Asylstatistik wird in den Nachrichten regelmässig aufgenommen und bei Auffälligkeiten in den Hintergrundsendungen vertieft. Am 5.11.2016 etwa hat Radio SRF in der Sendung ‚Heute Morgen‘ darüber berichtet, dass die verschärfte Asylpraxis zu weniger Asylgesuchen aus Eritrea geführt hat. Auch die Regionaljournale informieren immer wieder über die Asylzahlen, so etwa das Regionaljournal AG/SO am 9.12.2016.

Fazit

Beim beanstandeten Beitrag ging es nicht um die hohen Asylzahlen in der Schweiz und die damit verbundene Problematik, sondern um Ausschaffungsflüge. Radio SRF hat sachgemäss über diesen Aspekt berichtet und damit ein sensibles Thema aus dem Migrationsbereich aufgenommen, was eigentlich im Sinn des Beschwerdeführers sein müsste.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Nachrichtenstils der Radio-Redaktion. Sie haben Recht in der Form: Wenn SRF etwas falsch macht, müssen Sie das nicht akzeptieren. Sie können sich wehren und das, was Sie ärgert, beanstanden. Genau dazu ist die Ombudsstelle da. Sie haben Recht, wenn Sie hohe Anforderungen an Radio und Fernsehen SRF stellen. Dazu haben Sie als Gebührenzahler Anspruch. Die Frage ist allerdings, ob Sie auch Recht in der Sache haben.

Worum ging es? Radio SRF berichtete am 15. Dezember 2016 über zwei neue Fakten in der Ausschaffungs- und Rückführungspolitik von Asylbewerbern: Erstens über die erstmalig sehr hohe Zahl von Rückflügen. Zweitens über die Zusammenarbeit mit Flugbewegungen der Europäischen Union. Im Journalismus hat das Neue und Aktuelle stets mehr Gewicht als das Bisherige und Gewohnte, und das Außerordentliche hat mehr Gewicht als das Normale. Die Zusammenarbeit mit der EU in dieser Angelegenheit ist einerseits außergewöhnlich, anderseits sehr pragmatisch. Und die hohe Zahl lässt aufhorchen. Es war sicher richtig, diese Neuigkeiten in den Nachrichten mitzuteilen.

Nun stellt sich die Frage, ob man immer gleich die Relation herstellen muss – einerseits zum Umgekehrten, anderseits zum Normalen. Muss immer, wenn von Ausschaffungen die Rede ist, gleich der Umfang der Immigration genannt werden? Natürlich wäre ein kurzer Satz nützlich – etwa: „Gleichzeitig geht die Einwanderung weiter“, aber zwingend ist er nicht. Sonst müsste man ja fordern, dass die Medien bei einem Flugzeugabsturz stets anfügen: „Gleichzeitig waren weltweit 10‘000 Flugzeuge völlig problemlos in der Luft“. Oder bei einer massiven Verspätung bei der SBB: „Am gleichen Tag kamen 150 Züge absolut pünktlich an“. Journalismus hat aber nicht die Aufgabe, jedes Mal die ganze Geschichte zu erzählen. Sonst müsste eine Nachricht über eine Medienkonferenz im Bundeshaus etwa so lauten:

„Bundespräsidentin Doris Leuthard äußerte sich zur Verkehrspolitik. Sie ist die Vorsitzende des Bundesrates und amtet ein Jahr. Der Bundesrat ist die siebenköpfige schweizerische Regierung. Die Regierung der Schweiz ist parlamentsunabhängig. Das Schweizer Parlament besteht aus zwei Kammern, von denen die eine nach Bevölkerungszahl, die andere nach Kantonen zusammengesetzt ist. Die Kantone sind die ursprünglichen Staaten der Schweiz. Am Ursprung der Schweizerischen Eidgenossenschaft stand der Bund dreier Kantone der Innerschweiz. Die Innerschweiz...“

Das ist Unsinn. Der Journalismus erzählt die Geschichten gestaffelt, in Etappen. Nur durch die regelmässige, kontinuierliche Mediennutzung erhalten die Medienkonsumenten die ganze Geschichte. Es sind Fortsetzungsgeschichten. Darum kann auch ein Radio- oder Fernsehprogramm in der Regel nicht im einzelnen Beitrag ausgewogen sein, sondern nur über die Dauer. Wenn also die Radio-Redaktion am 15. Dezember in den Nachrichten über Ausschaffungen das Gewicht auf das Aktuelle und auf das Außerordentliche legte, dann hat das weder mit „einer Jöö-Berichterstattung“ noch mit einer linken Position zu tun. Sondern einfach mit Journalismus. Ich kann daher Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


[1] http://www.srf.ch/news/schweiz/ausschaffungsfluege-erreichen-rekordzahl

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