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Betroffene mit Sorgfalt behandeln

Im Normalfall reissen sich mehrere Personen darum, die Stimme oder das Gesicht in den News zu sein. Wer möchte nicht ­mit­definieren können, welche Botschaft zu ­einem Thema vermittelt wird, und ­damit – mehr oder weniger – die öffentliche Meinung beeinflussen. Auch ein wenig ­Eitelkeit gehört meist dazu, vor allem wenn es um einen Auftritt im Schweizer Fernsehen geht. Gross ist das Gedränge aber nur bei Ex­pertinnen, Politikern oder Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Sport.

Ganz anders sieht die Situation aus, suchen die Medien nach ­Armutsbetroffenen, Asyl­suchenden oder anderen Vertretern von gesellschaftlich am Rand stehenden sozialen Gruppen. Sehr oft erhalten wir bei der Caritas Anrufe oder E-Mails von SRF und anderen Medien, die für ein Interview in kurzer Frist zum Beispiel eine allein­erziehende Mutter mit mehreren Kindern, idealerweise im Sorgerechtsstreit mit dem Vater, suchen. Oder gefragt ist ein alleinstehender Mann, dem die Sozialhilfe auf Nothilfeniveau gekürzt wurde.

Umgehend werden alle im Team aktiv. Kennen wir eine solche Person, war diese bereits in den Medien präsent, kann sie verständlich Auskunft geben? Ist sie also neben ihrer Betroffenheit auch medienkompetent? Auch geht es darum, abzuklären, ob eine solche Interviewsituation oder gar eine Gesprächsrunde in der momentanen Lebenssituation zumutbar ist. Bei der Anfrage informieren wir darüber, auf was man sich dabei einlässt. Nicht immer, aber manchmal sind die angefragten Personen bereit, Auskunft zu erteilen; sie finden es wichtig, dass die Öffentlichkeit von ihrer schwierigen Lebens­lage erfährt.

Wenn Interviews tatsächlich zustande kommen, bin ich immer wieder erstaunt, mit welcher Offenheit Betroffene über ihre Situation Auskunft ­geben. Dahinter steckt viel Vorbereitung und Mut von ihrer Seite. Auch die angefragten Organisationen und die Journalistinnen und Journalisten benötigen Fingerspitzengefühl. Manchmal ist gar eine nachträgliche Betreuung nötig, sind doch diffamierende Kommentare nicht auszuschliessen. Die Polarisierung der politischen Landschaft sowie die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke bergen neben positiven Aspekten heute zunehmend auch das Risiko, dass die Betroffenen blossgestellt und für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Umso mehr Sorgfalt, Umsicht und Toleranz seitens der Medienschaffenden ist die richtige Antwort darauf.


Bettina Zeugin ist Vorstandstandsmitglied und Delegierte SRG Region Basel und Geschäftsleiterin Caritas beider Basel

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