Ruedi Matter zum Wert unabhängiger Medien im kleinen Schweizer Markt

Das Motto des diesjährigen SEF, «Live the wild», verweist unter anderem auf den Begriff «Freiheit». Dieser spielt auch in den Debatten um die Leistungen von SRG und SRF eine Rolle: ein Gastbeitrag des SRF-Direktors Ruedi Matter in der NZZ.

Freiheit ist ein starker Begriff. Wer möchte nicht frei sein, sich entfalten, ohne Einschränkung oder gar Zwang? Freiheit ist ein begehrter Begriff. Wer möchte seine Weltanschauung, seine Position, sein Angebot nicht als freiheitsliebend verstanden wissen? Freiheit ist auch ein vieldeutiger Begriff. Er hat Generationen von Philosophen beschäftigt, wird bis heute hinterfragt und neu ermessen – auch aus politischer Sicht. Ein Beispiel aus der Schweiz ist die junge Bewegung «Operation Libero». Sie trägt Freiheit nicht nur im Namen, sondern deutet auch den oft zitierten, liberalen Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat» um: «Freiheit ist mehr als weniger Staat».

Die Dehnbarkeit des Freiheitsbegriffs erklärt wohl auch, weshalb in den aktuellen Debatten zum audiovisuellen Service public in der Schweiz sowohl Befürworter als auch Kritiker für sich in Anspruch nehmen, für Freiheit einzustehen. Aus meiner Sicht ist sie eines der stärksten Argumente für eine starke SRG: Ich bin überzeugt davon, dass unabhängige Medien unabdingbar sind für eine freie, offene Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der jede und jeder Einzelne in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und an der Demokratie teilzuhaben. Gerade in einer Zeit, in der scheinbar jede und jeder zur Publizistin, zum Publizisten werden kann. Gerade inmitten einer Flut von Informationen, die zuweilen vordergründig journalistisch erscheinen, aber der Überprüfung nach journalistischen Kriterien keineswegs standhalten.

Interessanterweise wird der SRG dieses demokratiepolitische Argument oft zum Vorwurf gemacht – es sei anmassend, sich diesen Dienst für die freie Gesellschaft zuzuschreiben. Selbstverständlich ist es nicht allein die SRG mit ihren Unternehmenseinheiten in allen Landesteilen, die unabhängigen Journalismus in redaktioneller Freiheit garantiert. Selbstverständlich tun dies auch andere Medien. Wir haben noch Medienvielfalt, trotz der wachsenden Konzentration von Titeln. Aber Tatsache ist: Die klassischen Medien sind herausgefordert. Durch die Digitalisierung und durch grosse, internationale Player. Der wirtschaftliche Druck auf den Journalismus nimmt zu. Umso wichtiger wird es, dass wir Modelle haben, die allen Zugang zu einer Berichterstattung mit Schweizer Fokus ermöglichen, unabhängig von kommerzieller oder politischer Einflussnahme.

Finanzstarke Konkurrenz

Ein gebührenfinanziertes öffentliches Medienhaus ist ein solches Modell. Es wird dem Umstand gerecht, dass in unserem kleinen, viersprachigen Medienmarkt kein Geld zu machen ist mit hochwertigen audiovisuellen Angeboten. Mit Programmen, die sich an ein breites Publikum richten und gegen die Konkurrenz finanzstarker Sender aus dem benachbarten Ausland bestehen können. Geld zu verdienen, wird insbesondere mit unabhängiger Information immer schwieriger – im kleinen Schweizer Markt, aber auch in weit grösseren Märkten. Selbst in den USA haben grosse private Kanäle ihr Korrespondentennetz schon vor Jahren reduziert: Die hohen Kosten rechneten sich nicht. SRF kann sich – dank Mitteln aus Gebühren – ein dichtes Korrespondentennetz im In- und Ausland leisten. Kein Luxus, sondern zentrale Grundlage: Unsere Augenzeugen in der Schweiz und in der Welt berichten aus erster Hand, ordnen Ereignisse ein, analysieren Entwicklungen. Auch die umfassende Berichterstattung vom SEF erfordert gut ausgebildete Fachjournalistinnen und -journalisten vor Ort. Und auch diese Leistung wäre rein kommerziell betrachtet ein Verlustgeschäft.

Gesellschaftliche Realität spiegelt sich auch in der fiktionalen Produktion, beispielsweise in der Serie «Der Bestatter». Mike Müller in Aarau wird in den Augen des Publikums an Kevin Spacey in Washington («House of Cards») gemessen, somit verglichen mit einer Produktion, deren Budget gut und gern ein Zehnfaches beträgt. Eingekauft werden solche Serien hier, nach den US-Premieren, allerdings hundertmal billiger. Da erklärt es sich quasi von selbst, warum «Der Bestatter» keine eigenproduzierte Konkurrenz bei Schweizer Privaten hat: Bei SRF ermittelt er dank Gebühren.

Zurück zur Freiheit. Die eigentliche Frage ist, ob sich die Schweiz ihre Schweizer Filme und Serien, ihren Programmschwerpunkt zum Wirtschaftsforum in Interlaken, ihre Korrespondentinnen und Korrespondenten in aller Welt weiterhin leisten will. Ob sie einen entscheidenden Wert darin sieht, ein eigenes audiovisuelles Angebot mit umfassender, unabhängiger Information in die Zukunft zu tragen. Dann nämlich braucht sie ein Modell, das ausgleicht, was im freien Markt versagt. Ein Modell, an dem sich alle beteiligen. Auch dann, wenn sie nicht alles, wofür sie mitbezahlen, selber nutzen. Im Bewusstsein, dass jeder einzelne Beitrag letztlich ein Beitrag zur Freiheit aller ist.

Text: SRF/Ruedi Matter

Bild: SRF/Oscar Alessio

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