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Nathalie Wappler: «Für mich ist Führen eine dienende Funktion»

Seit einem halben Jahr führt Nathalie Wappler als Direktorin Schweizer Radio und Fernsehen SRF. In dieser Zeit hat sie bereits wichtige (Vor)entscheide gefällt: Das Radio erhält eine ­Audiostrategie und die Organisation wird schlanker aufgestellt.

Sie waren im Sommer in Frankreich in den Ferien. Konnten Sie sich angesichts der anstehenden Aufgaben bei SRF gut erholen?
Nathalie Wappler: Doch, ich konnte mich gut erholen. Klar beschäftigt einen all das, was ansteht. Aber wenn man unterwegs ist, hat man auch Ideen. So habe ich versucht, das Social-Media-Angebot von SRF aus der Nutzerperspektive anzuschauen, vor allem Instagram. Ich fand es toll, wie vielfältig unsere Inhalte sind. Mich hat interessiert, zu sehen, wie Insta-Stories wachsen, wie das Verhältnis von Text und Bild aussieht. Wie erzählt man eine Geschichte, mit welchen Informationen? Mir gefällt, wie wir auf diesen Plattformen unterwegs sind.

Haben Sie in Frankreich auch Radio gehört?
Ich habe, als wir mit dem Camper durch Frankreich fuhren, sehr viel France Musique gehört. Von der Musikauswahl her ein sehr anspruchsvolles Programm, fand ich. Die scheuen sich nicht, Sachen zu bringen, bei denen wir vielleicht sagen würden, sie seien zu anstrengend – wirklich ein ambitioniertes Programm.

Nach Ihrem Stellenantritt haben Sie das Radio zuoberst auf die Traktandenliste gesetzt. Ihre Leute erarbeiten derzeit eine Audiostrategie. Was soll dabei herauskommen?
Mir ist wichtig, dass wir das digitale Potenzial von Radio oder allgemein Audio in allen Facetten analysieren, um zu sehen, was uns von anderen unterscheidet, was unsere Qualität ausmacht. Und um zu sehen, wo wir uns noch verbessern und entwickeln können. Ich erhoffe mir, dass auch die Lust, sich mit digitalem Audio zu beschäftigen, frischen Antrieb erhält. In Podcasts oder Smart Speakers steckt ein enormes Potenzial. Gleichzeitig ist klar: Wir müssen sparen. Darum sind solche Prozesse auch dafür da, um zu schauen, wo wir verwandte Angebote noch besser bündeln und Ressourcen noch besser einsetzen könnten.

Die Audiostrategie entscheidet auch über die Zukunft von Bern als SRF-Standort. Angesichts der beiden unumstösslichen Vorgaben – drei Millionen Franken sparen und Audioentwicklung nur in Zürich – hat da Bern überhaupt eine Chance, weiterhin sein starkes Radioprofil zu halten?
Unbedingt. Um es deutlich zu sagen: Bern ist für mich ein extrem wichtiger Standort, auch weil es die Hauptstadt ist. Im Zusammenspiel zwischen Zürich und Bern soll es weiterhin unterschiedliche Sichtweisen geben. Darum habe ich auch frühzeitig klargemacht, dass es mit mir als Direktorin immer zwei getrennte Chefredaktionen für Radio und Fernsehen geben wird. Darüber müssen wir nicht reden.

Dennoch: Sind nicht schon zu viele Stellschrauben so gerichtet, dass Radio in Zürich mit der neuen Audiostrategie gestärkt und der Standort Bern geschwächt wird?
Zürich ist schon heute ein starker Radio­standort mit dem Studio Brunnenhof. Was mich bei der Diskussion irritiert: Man kann den Eindruck gewinnen, als sei in Zürich noch nie Radio gemacht worden. Dabei findet in Zürich ganz viel Radio statt, wie übrigens auch in Basel.

Über die Zukunft des SRF-Standorts in Bern spricht man derzeit vor allem mit Blick auf das Radio. SRF ist aber ein konvergentes Medienunternehmen. Macht sich Ihr Team auch Gedanken, wie sich das Fernsehen in Bern entwickeln soll?
Vor dem Hintergrund, dass wir sparen müssen, kann ich momentan nicht sagen: Kein Problem, wir machen zusätzlich das oder das. Gleichzeitig muss man sehen, dass wir heute immer stärker rausgehen aus den Studios. Wir gehen näher zu den Leuten, etwa mit der «Arena» im Hinblick auf die Wahlen oder jetzt im Sommer mit dem «Club». Die Digitalisierung macht das möglich, etwa mit der Remote-Regie. Die Kameras können in Bern sein, die Regie findet aber in Zürich statt. Das sind alles Entwicklungen, die rasend schnell gehen. Darum fände ich es medienpolitisch nicht die beste Lösung, wenn man einzelne Medien auf einen bestimmten Standort verpflichten würde.

Die Diskussion um das Radio drängte in letzter Zeit die Entwicklung beim Fernsehen etwas in den Hintergrund; auch dort gibt es grosse Baustellen, zum Beispiel die geplante Videoplattform. Was wird die bieten, was Play SRF nicht heute auch schon kann?
Im Gegensatz zu Play SRF wird es eine nationale Plattform sein, wo Inhalte aus allen Sprachregionen angeboten werden. Alle Beiträge sollen zudem untertitelt werden. Damit hat man einen viel einfacheren Zugang zu den Programmen der anderen Sprachregionen. Das ist ein Riesenpotenzial auch für die Kohäsion im Land.

Beim Fernsehen erodiert die Werbung. Wie dramatisch ist die Situation?
Sehr dramatisch. Wir können praktisch zuschauen, wie das Geld verschwindet. Gleichzeitig haben wir schon sehr viel eingespart, was manchmal in der Diskussion vergessen geht. Wenn aber in einem laufenden Prozess gespart werden muss, dann entwickelt das eine schwierige Dynamik. Wir können nur aus der Situation heraus reagieren und Einsparungen machen. Das ist im Moment schwierig.

Die weitere digitale Transformation von SRF schaffen Sie nur mit einer effizienten Organisation. Als einen Ihrer ersten Schritte haben Sie darum die Abteilung Programme aufgelöst. Sie streben eine «agile Gesamtorganisation» an. Was müssen wir uns darunter vorstellen?
Die Matrix-Organisation mit der Abteilung Programme hat SRF beim ersten Konvergenzschritt erstellt, als Radio und Fernsehen zusammengeführt wurden. Das war damals sehr sinnvoll. Jetzt sind wir einen Schritt weiter. Um die Komplexität der digitalen Transformation bewältigen zu können, müssen wir von den grossen, analogen Hierarchien wegkommen und vermehrt in kleinen, spezialisierten, auch projektbezogen zusammengestellten Teams arbeiten, Entscheidungen sollen stärker vor Ort getroffen werden. Damit können wir die erforderliche Geschwindigkeit erreichen.

Wie man aus den Redaktionen so hört, wurden die Entscheidungswege mit der Digitalisierung eher länger, weil der ­Koordinationsaufwand zunimmt. Das ist das Gegenteil von agil.
Genau darum muss man die Entscheidungen weiter runtergeben. Wenn alle immer warten müssen, bis das OK kommt, von wem auch immer, dann wartet man mitunter zu lange. Komplexität steuert man nicht über Kontrolle, sondern über Werte. Es braucht ein Wertesystem, zu dem sich alle verpflichten. Bei uns ist das der Service public.

Ob das so funktioniert, hängt auch von der Unternehmenskultur ab. Sie sagten mehrfach, SRF müsse eine neue, gemein­same Unternehmenskultur entwickeln. Was heisst das?
Ich möchte gerne erreichen, dass jeder an seiner Stelle sagen kann: «Das ist nach bestem Wissen und Gewissen die richtige Lösung, und ich entscheide das jetzt und stehe auch dafür hin.» Die Eigeninitiative zu stärken, das ist mir wichtig, erfordert aber auch, dass jeder und jede für das grosse Ganze denkt. Von ganz vielen Kolleginnen und Kollegen habe ich seit meinem Stellenantritt immer wieder gehört, dass sie gerne mehr Verantwortung übernehmen würden. Das habe ich aufgenommen.

Das heisst aber auch, dass die oberen Hierarchiestufen, auch Sie, etwas verlieren.
Das kommt ganz auf das Führungsverständnis an, ob man das als Verlust empfindet. Für mich ist Führen eine dienende Funktion. Ich sehe meine Aufgabe so: Ich will den Mitarbeitenden ermöglichen, dass sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen ihren Job möglichst gut machen können. Mit diesem Führungsverständnis kann ich gut einige Verantwortung übertragen und sie gesamthaft trotzdem halten.

Haben Sie sich schon mal beim Gedanken ertappt, wie viel einfacher es doch wäre, SRF auf dem Reissbrett neu zu erfinden?
Ertappt habe ich mich dabei noch nicht. Aber jetzt, wo Sie es sagen ... (lacht). Ernsthaft: Ich finde es eine sehr schöne Aufgabe, in einem Haus zu arbeiten, das eine lange und eine gute Tradition hat und sich dessen auch bewusst ist. Tradition verpflichtet, weil man sich immer wieder neu erklären und legitimieren muss.


Text: Nick Lüthi

Bild: SRF/Oscar Alessio

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